Die Kalevala blieb mir weiter fremd, doch lernte ich als Lehrer endlich Finnen persönlich kennen und staunte, wie rasch sie Deutsch lernten, wo doch die finno-ugrischen Sprachen sich so enorm von den indogermanischen unterscheiden.
Bis ich von ihnen erfuhr, dass sie schwedischsprachig waren. (Mehr zu der etwas verwickelten Vorgeschichte der Rolle der schwedischen Sprache in Finnland erfährt man in einem von Fontanefans Schnipseln.) So sehr glich ich Joukahainen, der sich auf sein bescheidenes Grundwissen glaubt verlassen zu können, bis er ... Davon handelt der folgende Text.
Weithin hörte man die Nachricht,
Weit verbreitet sich die Kunde
Von dem Liede Wäinämöinens,
Von dem Sang des starken Helden;
Hin nach Süden dringt die Kunde,
Nach dem Nordland kommt die Nachricht.
Allda lebte Joukahainen,
Dieser magre Lappenjüngling;
Einst zu Gast im Nachbardorfe
Hört' er wundersame Worte,[24]
Daß man schöner singen könnte,
Beßre Lieder wüßt' zu schaffen
Auf den Fluren von Wäinölä,
Auf den Flächen Kalewalas,
Als er selber je vermochte,
Als vom Vater er erlernte.
Wurde darob weidlich böse,
War die ganze Zeit voll Neides
Ob des Sangs von Wäinämöinen,
Daß er besser sei denn seiner;
Eilte bald zu seiner Mutter,
Hin zu ihr, der greisen Alten,
Sagt', er wolle gleich von hinnen,
Unverweilt sich fortbegeben
Zu den Stuben von Wainölä,
Um mit Wäinö dort zu streiten.
Es verbot's dem Sohn der Vater,
Wie der Vater, so die Mutter,
Hin nach Wainölä zu gehen,
Um mit Wäinö dort zu streiten:
[...]
Sprach der junge Joukahainen:
Gut wohl ist des Vaters Wissen
Und noch besser das der Mutter,
Doch das eigne steht am höchsten;
Will mich gegenüberstellen
Und den Mann zum Kampfe fordern,
Übersinge, wer mich ansingt,[25]
Überspreche, wer mich anspricht,
Singe, daß der beste Sänger
Bald als schlechtester erscheinet,
Sing' ihm Steinschuh' an die Füße,
Hölzern Beinkleid an die Hüften,
Sing' ihm Steinlast auf das Brustbein,
Einen Steinblock auf die Schultern,
Steinern' Handschuh' an die Hände,
Eine Steinmütz' auf den Schädel.
[...]
Fragt' der alte Wäinämöinen:
Woher bist du denn von Hause,
Der so dumm drauf losgefahren,
Unbeholfen mir begegnet,
Der das Kummet mir zerschlagen
Und zerbrochen mir das Krummholz,
Meinen Schlitten mir beschädigt
Und zersplittert seine Leisten?
Sprach der junge Joukahainen,
Redet Worte solcher Weise:
Bin der junge Joukahainen,
Aber nenne dein Geschlecht nun,
Woher bist denn du von Hause
Und aus welcher Sippe, Ärmster?
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Nannte nunmehr seinen Namen,
Ließ sich also dann vernehmen:
Bist du denn jung Joukahainen,
Nun so weich mir aus dem Wege,
Jünger bist du ja an Jahren.
Doch der junge Joukahainen
Redet Worte solcher Weise:[27]
Minder gilt hier Mannes Jugend,
Mannes Jugend, Mannes Alter;
Wer an Wissen höher stehet,
Wer an Weisheit mehr umfasset,
Der nur mag die Bahn behalten
Und der andre mag ihm weichen;
Bist du denn alt Wäinämöinen,
Du der ew'ge Zaubersänger,
Nun so wollen wir ans Singen,
An die Lieder wir uns machen,
Daß der Mann vom Mann was höre,
Einer mit dem andern streite.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
Werde wohl nicht viel vermögen,
Nicht gar viel zu singen wissen,
Habe ja mein liebes Leben
Nur gelebt in ödem Lande,
Auf den heimatlichen Fluren,
Nur den Kuckuck dort vernommen;
Doch dem sei nun wie ihm wolle,
Sage du, damit ich's höre,
Was denn weißt du mehr als andre,
Worin geht dein Wissen weiter?
Sprach der junge Joukahainen:
Weiß gar wohl so manche Dinge,
Dies verstehe ich von Grund aus,
Und erfasse ganz genau es:
In dem Dache ist das Rauchloch,
Und der Herd steht an dem Ofen.
Lustig ist der Robbe Leben,
Fröhlich sind des Seehunds Tage,[28]
Frißt die Lachse, die ihm nahen,
Schlingt die nachbarlichen Schnäpel.
Schnäpel haben flache Felder,
Und die Lachse ebne Stätten;
Hechte laichen in der Kälte
In den wilden Winterstürmen;
Bange schwimmt der Barsch zur Herbstzeit
Krummen Nackens in den Tiefen,
Sommers laichet er im Trocknen,
Raschelt dann am Meeresufer.
Sollte das genug nicht scheinen,
Weiß ich noch so manche Dinge,
Kann so manche Sache sagen:
Mit dem Renntier pflügt das Nordland,
Südland mit dem Mutterpferde,
Hinterlappland mit dem Elen.
[...]
Ferner habe ich als sechster,
Ich als siebenter der Helden
Diese Erde hier erschaffen,
Hab' den Luftraum ich gewölbet,
Gründete der Lüfte Pfeiler,
Spannte aus des Himmels Bogen,
Seine Bahn befahl dem Mond ich
Und der Sonne ihre Wege,
Wies dem Bären seinen Ort an,
Streute Sterne aus am Himmel.
[...]
Unwirsch ward da Wäinämöinen,
Unwirsch ward er und ergrimmte,[32]
Fing dann selber an zu singen,
Hob nun selber an zu sprechen;
Keine Kinderlieder sang er,
Kinderkram und Weiberwitze,
Sondern Sang des bärt'gen Helden,
Den die Kinder nimmer können,
Auch die Knaben nicht zur Hälfte,
Freiersleute nicht ein Drittel,
Jetzt in diesen schlimmen Zeiten,
Bei dem sinkenden Geschlechte.
Sang der alte Wäinämöinen,
Seen schwankten, Länder bebten,
Kupferberge selbst erdröhnten,
Starre Steine selbst erschraken,
Felsen flogen voneinander,
Klippen an dem Strand zerschellten.
Sang auf Joukahainens Krummholz
Zaubernd junge Baumessprossen,
Weidenbuschwerk auf das Kummet,
Weiden an des Riemens Ende,
Sang den schöngeschmückten Schlitten
In den See als schlechtes Strauchwerk,
Bannt' die perlenreiche Peitsche
An den Meeresstrand als Schilfrohr,
Sang das Roß mit weißer Stirne
An den Wasserfall als Steinbock.
Sang das Schwert mit goldnem Schafte
Dann als Blitzstrahl an den Himmel,
Bannt' des Bogens bunte Wölbung
Auf die Flut als Regenbogen,
Wandelte die flücht'gen Pfeile
Um zu Habichten, die kreisen,[33]
Dann den Hund mit krummer Schnauze
Um zum Felsblock auf dem Boden.
Sang dem Mann die Mütz' vom Kopfe,
Wandelt' sie in Wolkenhaufen,
Sang die Handschuh' von den Händen
In den See als Wasserblumen,
Ließ das blaue wollne Wämschen
Lämmerwolken an dem Himmel,
Ließ die prächt'ge Gürtelbinde
Dort zu Sternenscharen werden.
Sang den Joukahainen selber
Bis zum Gurt in tiefe Sümpfe,
Bis zur Hüft' in Wasserwiesen,
Bis zum Arm in Sandestiefen.
Jetzt wohl mußte Joukahainen,
Mußt' er merken und begreifen,
Daß er diesen Weg gegangen,
Diese Fahrt er unternommen,
Um zu streiten und zu singen
Mit dem alten Wäinämöinen.
Wollte seinen Fuß bewegen,
Nicht vermocht' er ihn zu heben,
Wollt' den andern darauf wenden,
Doch er war mit Stein beschuhet.
Schon gerät jetzt Joukahainen
In gar große Angst und Sorge
Und versinkt in starken Jammer;
Redet Worte solcher Weise:
O du weiser Wäinämöinen,
Zaubersprecher aller Zeiten,
Wende deinen starken Bannspruch,
Nimm zurück die Zauberworte,[34]
Laß mich aus dem Schreckensloche,
Gute Zahlung will ich geben,
Aus der unbequemen Enge,
Ich gelob' ein kräftig Lösgeld!
[...]
Sprach der alte Wäinämöinen:
Geh mit den Getreidehaufen,
Fort mit deinen fetten Feldern,
Habe deren selber welche,
Felder fast an jeder Ecke,
Hab' Getreid' auf jedem Grunde,
Eigne Felder sind die besten,
Eigne Ernten stets die liebsten.
Sang den jungen Joukahainen
In den Sumpf nur immer tiefer.
Ward dem jungen Joukahainen
Endlich gar zu angst und bange,
Steckt schon bis zum Kinn im Sumpfe,
Mit dem Barte in dem Boden,[37]
Hat den Mund voll Moos und Erde,
Streift die Sträucher mit den Zähnen.
Sprach der junge Joukahainen:
O du weiser Wäinämöinen,
Zaubersprecher aller Zeiten,
Sing zurück den Zaubersang doch,
Gönn' mir noch mein liebes Leben,
Laß mich aus dem Loche kommen,
Fort schon zieht der Fluß die Füße
Und der Sand ätzt mir das Auge.
Wendest du die Zauberworte,
Tust du ab den bösen Bannspruch,
Geb' ich Aino, meine Schwester,
Geb' ich meiner Mutter Tochter,
Daß sie dir die Stube kehre,
Rein den Raum dir immer halte,
Blank die Bütten spül' und scheure,
Deines Bettes Tücher breite,
Goldne Decken wirk' und webe,
Honigbrot dir fleißig backe.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Wurde nun gar froh und munter,
Daß er Joukahainens Schwester
Für sein Alter so gewonnen.
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