Max Frisch: Ignoranz als Staatsschutz; Rezension auf faz.net ; Bericht auf 3sat.de; lul.to
Was mir sonst nie gelingt. Hier glaube ich, mich in Frisch hineinversetzen zu können.
Als er von der Fichen-Affäre gehört hat, als erste Reaktion nicht ein Erschrecken über den Übergriff des Kraken Staat, wie wir es angesichts Snowdens Enthüllungen über die NSA hatten, sondern ein empörtes "Was soll denn das?" Ein "Ich habe frei, öffentlich geredet." Ein "Im Privaten habe ich - trotz aller öffentlichen Selbstentblößung manches ja nicht preisgegeben. Aber im Politischen? Da war ich meiner Solidarität mit der Schweiz so sicher, dass ich schon aus Solidarität alle Kritik deutlich heraus gesagt habe." "Und nun das?" "Diese Idioten!"
Und dann bei der ersten Entdeckung eines Fehlers die sofortige Absicht, nachzuweisen, dass sie alles falsch gemacht haben, dass jeder Leser seiner Schriften besser über den wahren Frisch informiert ist als diese idiotischen Spürhunde, deren Geruchsvermögen durch Idiotie paralysiert ist.
Und aus diesem Affekt heraus kommt das Bedürfnis, nachzuweisen, dass er, Frisch, sein Leben besser kennt als diese Beobachter. Und darüber will er nicht wahrhaben, dass das Gedächtnis so oft fehl geht und dass er selbst ja gar nicht zu wissen meint, wer er ist. Denn, was in Literaturform nicht selten Kunstfigur ist, war im Leben ja intensive Erfahrung gewesen, bevor sie zur Material der Kunst wurde.
Oder sollte ich damit ganz falsch liegen? Auch da unfähig, diesen Großen zu verstehen?
Peter Bichsel: Die schöne Schwester Langeweile (2023)
vor 11 Stunden
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