Wenn nun aber alle Religionen und alle Philosophen Gott nicht zu fassen vermögen, warum ihn suchen? Weil wir müssen. Gott selbst werden wir nie begreifen, wohl aber Stücke seines Waltens im Rauschen des Waldes wie der Schlacht. Und diese Stücke müssen wir gierig suchen: Der kleinste Splitter genügt, uns in frommem Schauer der Ehrfurcht das unausdrückbar Erhabene Gottes ahnen zu lassen. Und wie waltet Gott? Durch Gesetze, durch Notwendigkeiten, die sich so unvermeidlich vollziehen, wie der Donner dem Blitz folgt, wie der Schleuderstein endlich zur Erde fällt. Daher ist auch die Freiheit des Menschen nicht Willkür, sondern Notwendigkeit. Frei sein! Was ist's? Es ist, seine Eigenart darleben können. [...]
Ich habe erkannt, daß das Glück der Menschen durchaus nicht der Zweck der Welt ist, sonst wäre sie ein höchst mißlungenes Stümperwerk. Sondern es will sich ein ewiger Wille vollenden. Ihm dient der Trotz wie der Gehorsam. Ihm muß das Böse, ihm will das Gute dienen.« [...]
Merowedi, warum lebst du dann?« »Weil ich das Gute tun, das Wahre suchen, das Schöne genießen kann, will, muß. Weil es – trotz allem Weh – des Lebens lohnt. Weil mir Gott seine ganze große, herrlich schöne Welt geschenkt hat, darin meine Eigenart darzuleben. Das tu ich gern. Mit Freude tu ich's. Mich freut es, meinem alten Vater helfen, meinem Volke, meinen Freunden dienen zu können. Es beglückt mich, das Wackere zu tun. Ich lebe nicht für mich, ich lebe für die Meinen. Aber nicht für die Menschheit, die ist ein hohler Schall! Der Mensch dient der Menschheit, indem er seinem Volke dient. Einen Menschen im allgemeinen hab ich noch nicht gesehen. So will ich leben, so will ich sterben: furchtlos und treu. [...]
›Entsage ganz, so bist du frei von Schmerzen! Zerbrich der Selbstsucht schnöde Zwingherrschaft, Begreif das Notwend'ge, und sei frei. Dem Gott, dem Ew'gen, diene treu und stark. Dem Ganzen opfre dich, dem du gehörst. Das höchste Gut des Mannes ist sein Volk, Ihm sollst du leben, sollst du sterben auch! So wird der Friede ziehn in deine Seele: Wunschlos versöhnst der Welt du dich und Gott, Und lebst und stirbst, ein jeder Zoll ein Held.‹ [...]
Felix Dahn: Julian der Abtrünnige, III,16 (81)
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