Endlich kam der Tag der Trauung heran. Im weißen bräutlichen Gewande, dessen Falten schwer herniederflossen, den Myrthenkranz auf den dunkeln Locken, so führte die Mutter Helene in das Zimmer des Barons. Erich befand sich bereits bei ihm. Er sollte bald nach Helenens Hochzeit seine Reise antreten, und der Vater hatte gewünscht, die beiden Kinder, welche fast zu gleicher Zeit sein Haus verlassen sollten, noch einmal in besonderer Unterredung zu sprechen, ehe sie schieden.
Die Fenster des Gemaches waren geöffnet, die letzten Strahlen der Sonne fielen hinein. Ein starker Blumengeruch drang aus dem Garten empor, in den Blättern des Weinlaubes, das seine Ranken bis in die Fenster hineinbog, zwitscherten die Vögel. Sonst war Alles still, und die schöne Einfachheit, mit der das Zimmer ausgestattet war, gaben ihm in dieser Ruhe das Ansehen einer Kirche, während es zugleich einen würdigen Hintergrund bildete für die edle Gestalt seines Besitzers, der in schwarzer Kleidung, die Brust mit Ordenzeichen bedeckt, der Tochter entgegentrat, ihre beiden Hände erfaßte und sie schweigend eine Weile mit liebevollem Ernst betrachtete. Dann wendete er sich ab, umarmte ihre Mutter und auf die beiden Kinder zeigend sagte er: »Du hast mir treulich geholfen, sie so weit zu bringen, ich danke Dir!
Die Baronin umarmte ihn und küßte dann seine Hand, er ließ es ruhig geschehen. »Noch sind sie unser!« sprach er, »aber nur noch diese Stunde! Noch sind wir für sie verantwortlich! Welch ein Trost liegt darin, verantwortlich zu sein für die Menschen, die man liebt! Welch ein Trost, welch eine Erhebung! und ich darf es mir und Dir in dieser Stunde sagen, wir haben die Jugend unserer Kinder zu einer glücklichen gemacht. Nichts Unedles hat sie berührt, kein übles Beispiel ist ihnen gegeben worden. Mit edlem Namen, mit reiner Ehre und mit reinem Herzen entlassen wir sie bei ihrem Eintritt in die Welt.«
Die Mutter weinte, Helene war vor dem Vater niedergekniet, Erich ihrem Beispiele gefolgt. Da legte er seine Hände auf ihre Häupter, und mit bebender Stimme sagte er leise: »Sei das Gedächtniß an Eure Eltern Eure Schutzwehr gegen jedes Unrecht, und wo mein Auge Euch nicht mehr erreichen, meine Hand Euch nicht mehr leiten kann, da sei Gott mit Euch!«
Die Geschwister richteten sich empor, umarmten die Eltern, umarmten einander. Es war still im Zimmer und der Friede der äußeren Natur erhöhte die Feier dieses Augenblickes.
Als die Erschütterung ausgeklungen hatte, setzte sich der Baron auf seinen Divan und nöthigte die Anderen ebenfalls Platz zu nehmen. »Ihr werdet nun Beide in wenig Tagen in eine Welt gehen,« sagte er, »in der andere Ansichten, andere Begriffe, ja eine andere Ehre herrschen, als die, nach deren Grundsätzen ich Euch erzog. Der Ehrenbegriff der sogenannten großen Welt ist locker und dehnbar. Laßt ihn nie den Euren werden. Wortbruch, Treulosigkeit, Gesinnungslosigkeit, Leichtsinn, Coketterie, ja jeder Verrath lassen sich verbergen unter dem Deckmantel jener Gesellschaftsehre, jener Cavalierehre, die sich zur wahren Ehre eines Edelmannes verhält, wie der Paradedegen eines Hofmannes zu der festen Waffe, die unser Freund ist in der Stunde der Gefahr, wie fremdes Lob zu unserm eigenen Bewußtsein. Was Ihr nicht vertreten könntet hier vor mir zu jeder Stunde, das ist sündhaft und ehrlos, und wenn alle Welt das Gleiche thäte, und wenn alle Welt Euch darum lobte. Ich, der ich Euch erzog, der Euer Gewissen bildete, ich bin und bleibe Euer Richter, denn mir schuldet Ihr den Namen, den Ihr als Eure edelste Mitgift hinaus nehmt in das Leben, mir seid Ihr dafür verantwortlich. Erhaltet ihn rein, er ist der meine! Gebt mir die Hand darauf!«
Helene that es schweigend. Erich aber stand auf und seine Rechte in die des Vaters legend, sagte er: »Ich schwöre Dir, den Namen rein zu erhalten, der mein Stolz ist und den ich Dir als mein höchstes Gut verdanke! Ich schwöre Dir's!«
»So werden Deine Kinder einst Dich segnen, wie Dein Dank mich segnet!« entgegnete der Baron mit hoch erhobenem Haupte, umarmte seine Kinder nochmals, und hatte sie freigesprochen zur Wanderschaft in das Leben.
(Fanny Lewald: Wandlungen 1. Band, 19. Kapitel)
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