»Schiff ahoi, hast du den weißen Wal gesehen?« So schrie Ahab und rief noch einmal ein Schiff an, das die englische Flagge trug. Es sank am Heck tief ein. Der Alte stand mit dem Schallrohr am Munde in dem aufgeheißten Kapitänsboot. Der fremde Kapitän konnte das künstliche Bein deutlich erkennen; er lehnte sich nachlässig gegen den Bug seines eigenen Bootes. Er war dunkelfarbig, stämmig und sah gutmütig aus. Er hatte feine Gesichtszüge, mochte gegen sechzig sein und trug eine weite Jacke, die wie ein blaues Lotsentuch um ihn herumflatterte. Ein freier Ärmel hing ihm hinten aus der Jacke, wie der gestickte Ärmel eines Husarenmantels.
»Hast du den weißen Wal gesehen?«
»Können Sie das sehen?«
Er zog aus den Falten, die ihn verborgen hatten, einen weißen Arm hervor, der aus den Knochen eines Pottwals angefertigt war und der wie ein Hammer in einen Holzstiel auslief.
»Mann, mein Boot!« rief Ahab gebieterisch und stieß an die Ruder in seiner Nähe. »Klar bei Boote! Herunterlassen!«
In weniger als einer Minute wurden er und seine Mannschaft, ohne daß er das kleine Schiff zu verlassen brauchte, zu Wasser gelassen. Bald waren sie längsseits des Fremden. Aber da zeigte sich eine merkwürdige Schwierigkeit. In der Aufregung hatte Ahab vergessen, daß er niemals, seitdem er sein Bein verloren hatte, auf ein fremdes Schiff gegangen war. Dann ist es nicht ganz einfach – die Walfischer, die stündlich daran gewöhnt sind, bilden eine Ausnahme –, vom Boote aus auf offener See ein Schiff zu erklettern. Die großen Wellen heben das Boot mal hoch bis zur Reling, mal lassen sie es bis zum Innenkiel herabfallen. Da Ahab des einen Beines beraubt war und das fremde Schiff die Einrichtung des »Pequod«, die des Kapitäns wegen da war, nicht kannte, kam sich Ahab wie ein ungeschickter Landbewohner vor. Als er die Höhe des anderen Schiffes betrachtete, hatte er kaum Hoffnung, hinaufzukommen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß jeder unvorhergesehene Umstand, der aus seinem Mißgeschick indirekt abzuleiten war, Ahab reizte und bis zur Verzweiflung brachte. Das wurde noch durch den Anblick der beiden Offiziere des fremden Schiffes, die sich über die Seite lehnten, gesteigert, ebenso durch die hin und her schwingende Schiffsleiter und durch die beiden schmuckvollen Geländerseile. Daß ein Mann mit einem Bein sich bewußt werden mußte, daß er ein Krüppel war, wenn er diese Geländerdocke benutzen sollte, daran dachten sie natürlich nicht. Aber das dauerte nur eine Minute. Der fremde Kapitän sah mit einem Blick, wie sich die Sache verhielt. Er schrie: »Ich sehe es! Weg mit dem Zeugs! Los, Jungens, und werft den Flaschenzug hinüber!«
Das Glück wollte es, daß sie vor ein paar Tagen einen Wal längsseits gehabt hatten. Die großen Flaschenzüge hingen noch oben, und der kolossale Speckhaken, der nun rein und trocken war, war auch noch am Ende dran. Der wurde nun schnell für Ahab heruntergelassen. Er begriff es schnell, was er damit sollte. Er steckte das gesunde Bein in die Krümmung des Hakens – so, wie man in den Ankerflügel oder in die Gabelung eines Apfelbaumes klettert –, dann gab er das Stichwort, hielt sich fest und half durch sein eigenes Gewicht mit, daß er hochgezogen wurde, und zog mit übereinandergreifenden Händen an den Seilen des Flaschenzuges. Dann wurde er behutsam über die hohe Reling gelassen und landete unversehrt oben auf dem Gangspill. Der andere Kapitän warf seinen künstlichen Arm in jovialer Weise zum Gruß vor, ging auf Ahab zu, der sein künstliches Bein vorstreckte, und indem sie die künstlichen Glieder übereinander kreuzten, wie zwei Sägefische ihre Sägen, rief Ahab rauh wie ein Walroß: »Nun wollen wir uns mal gegenseitig die Knochen reichen, den Arm und das Bein! Einen Arm, der niemals zusammenschrumpfen kann, und ein Bein, das nicht laufen kann. Wo hast du den weißen Wal gesehen? Wie lang ist das her?«
»Den weißen Wal?« sagte der Engländer und zeigte mit dem künstlichen Arm nach Osten. Dabei glitt er mit einem traurigen Blick daran entlang, wie an einem Fernrohr. »Da sah ich ihn, auf dem Äquator, in der letzten Walfischzeit.«
»Und er hat dir den Arm abgerissen, nicht wahr?« fragte Ahab, der nun von dem Gangspill herunterglitt und sich auf die Schulter des Engländers stützte.
»Ja, der war schuld daran, und der war auch wohl schuld an dem Bein da?«
»Erzähl' mir die Geschichte!« sagte Ahab. »Wie kam das?«
»Das war das erstemal, wo ich auf dem Äquator kreuzte«, sagte der Engländer. »Ich wußte damals noch nicht, daß es einen weißen Wal gibt. Nun, eines Tages ließen wir wegen einer Herde von vier oder fünf Walen die Boote herunter. Mein Boot kriegte einen fest. Das war ein richtiges Zirkuspferd. Er ging in einer Tour mit einem herum, daß meine Mannschaft sich nur dadurch im Gleichgewicht halten konnte, daß sie sich mit dem Hintern auf das äußerste Dollbord setzte. Auf einmal kam von tief unten ein großer Wal hervorgeschossen. Hatte einen Kopf und einen Höcker von milchweißer Farbe, hatte Krähenfüße und ebensolche Runzeln!«
»Das war er, das war er!« schrie Ahab und gab plötzlich den angehaltenen Atem frei.
»Und Harpunen steckten nahe bei der Steuerbordflosse.«
»Ja, ja! Die waren von mir. Meine Eisen!« schrie Ahab ganz außer sich vor Aufregung. »Aber weiter!«
»Einen Augenblick doch mal,« sagte der Engländer in guter Laune: »Nun, dieser alte Urgroßvater mit dem weißen Kopf und weißen Höcker schießt mit tollem Schaum zwischen die Herde und schnappt wie ein Blödsinniger an meiner festgemachten Leine.«
»Ja, ich verstehe es; er wollte sie losmachen, er wollte den festen Fisch befreien. Das ist sein alter Trick, den kenne ich wohl!«
»Wie es genau war,« fuhr der Kapitän mit dem einen Arm fort, »weiß ich nicht. Aber er mußte wohl mit seinen Zähnen in die Leine gebissen haben: sie war mit einemmal ab und fing sich irgendwo fest. Aber wir wußten das damals nicht. Als wir dann an der Leine zogen, plumpsten wir mit einemmal gegen seinen Höcker, und der andere Wal ging windwärts davon und machte eine riesige Dünung. Als ich sah, wie sich die Sache verhielt und erkannte, was das für ein edles großes Tier war – es war wohl der edelste und größte Wal, den ich jemals in meinem Leben gesehen habe –, nahm ich mir vor, ihn zu fangen – trotz der großen Wut, in der er sich offenbar befinden mußte. Und da ich dachte, daß die verunglückte Leine losgehen würde oder sich um den Zahn gewickelt hätte, und daß es deshalb leicht wäre, daran zu ziehen – ich habe eine verteufelte Mannschaft, die sich auf Walleinen versteht –, da sprang ich in das Boot meines ersten Maaten. Das ist Mister Mountopp hier – (nebenbei, Kapitän-Mountopp; Mountopp-Kapitän). Wie gesagt, sprang ich in das Boot von Mountopp, das dicht neben mir war, kriegte die erste Harpune zu fassen und warf sie dem alten Urgroßvater ins Gesicht. Aber, Herr du meines Lebens, in einem Augenblick konnt' ich nichts mehr sehen, beide Augen waren mit dickem Schaum umgeben und beinah erblindet. Der Schwanz des Wals baumelte hoch in der Luft wie ein Pendel und sah wie ein marmorner Kirchturm aus. Es hatte keinen Sinn, kehrt zu machen. Ich starrte in eine Sonne von leuchtenden Kronenjuwelen, durch die man blind werden konnte. Ich griff nach der zweiten Harpune, und gerade sollte es losgehen, da kam der Schwanz wie ein Turm von Lima herab, schlug mir das Boot in zwei Stücke und es gab tausend Splitter. Der weiße Höcker ging mit den Schwanzflossen rückwärts durch das Wrack, als ob es lauter Schiffe wären, und wir flogen aus dem Boot. Um den gefährlichen Dreschflegeln zu entgehen, hielt ich mich am Harpunenstiel fest und klebte daran wie ein Fisch. Aber ein Wellenkamm riß mich fort, und zu gleicher Zeit machte der Fisch einen guten Satz vorwärts. Tauchte unter wie ein Blitz, und die Spitze der verdammten zweiten Harpune ging mir hier vorbei (er schlug mit seiner Hand an eine Stelle unterhalb seiner Schulter!) Ja, ging bis hierher und riß mich in die Flammen der Hölle hinunter. Da ging zum Glück die Spitze an dem Fleisch entlang und kam dicht an meinem Handgelenk wieder heraus. So kam ich wieder nach oben, und dieser Herr hier wird Ihnen das übrige erzählen. (Nebenbei, Kapitän – Doktor Bunger, der Schiffsarzt, mein lieber Bunger – der Kapitän.) Nun, mein lieber Bunger, packen Sie mal aus, was Sie wissen.«
Der so familiär bezeichnete Herr hatte die ganze Zeit daneben gestanden und hatte durch nichts verraten können, was seine Beschäftigung an Bord war. Er hatte ein ungewöhnlich rundes, aber ehrbares Gesicht und trug einen abgetragenen blauen Wollrock und geflickte Hosen.
»Es war eine furchtbare Wunde,« so fing der Arzt des Walschiffes an, »und auf meinen Rat ließ Kapitän Boomer hier unseren alten Sammy –«
»›Samuel Enderby‹ ist der Name meines Schiffes«, unterbrach der einarmige Kapitän und wandte sich an Ahab.
»Weiter, Junge!«
»Ließ unseren alten ›Sammy‹ den Kurs nordwärts nehmen, um aus dem glühendheißen Wetter des Äquators wegzukommen. Aber es hatte keinen Zweck. Ich tat alles, was ich konnte. Ich saß die Nächte mit ihm zusammen und hielt sehr strenge auf Diät!«
»Oh, sehr streng, sehr streng!« rief der Patient dazwischen. Dann änderte er den Ton der Stimme. »Er trank mit mir jede Nacht heiße Grogs, bis er nicht mehr die Binden unterscheiden konnte.«
»Was wurde denn aus dem weißen Wal?« rief nun Ahab, der ungeduldig dies Intermezzo zwischen den beiden Engländern mit angehört hatte.
»Oh,« rief der einarmige Kapitän, »ja, ja. Nachdem er untergetaucht war, sahen wir ihn eine Zeitlang nicht wieder. Wie ich schon sagte, wußte ich damals nicht, welcher Wal mir diesen Streich gespielt hatte! Erst einige Zeit später, als wir wieder zurück zum Äquator kamen, hörten wir von Moby-Dick, wie einige ihn nennen, und dann wußte ich, wer es gewesen war.«
»Hast du denn nicht sein Kielwasser wieder gekreuzt?«
»Zweimal.«
»Aber konntet ihr ihn denn nicht festkriegen?«
»Das wollt' ich nicht wieder versuchen. Ist es nicht an einem Glied genug? Was sollte ich mit dem anderen Arm machen? Und ich glaube, Moby-Dick kann noch besser schlucken als beißen!«
»Nun,« unterbrach Bunger, »dann geben Sie ihm doch den linken Arm als Köder, um den rechten wiederzukriegen. Wissen Sie auch, meine Herren?« dabei verbeugte er sich mit mathematischer Exaktheit vor den Kapitänen nacheinander, »wissen Sie auch, meine Herren, daß die Verdauungsorgane des Wales von der göttlichen Vorsehung so weise eingerichtet sind, daß es ihnen ganz unmöglich ist, den Arm eines Menschen vollständig zu verdauen? Das weiß er auch selbst. Was man für Bosheit hält, ist nur seine Ungeschicklichkeit. Er will niemals ein einziges Glied verschlingen. Er will nur durch Verstellung Furcht einjagen. Aber manchmal ist er wie der alte Gaukler, der mal in Ceylon mein Patient war, und der so tat, als ob er Messer schlucken könnte. Einmal schluckte er wirklich eines herunter, wo es dann ein Jahr und mehr steckenblieb. Und als ich ihm ein Brechmittel gab, holte er es in kleinen Rucken herauf. Er hatte keine Möglichkeit, das Messer zu verdauen und es seinem allgemeinen Körpersystem einzuverleiben. Nun, Kapitän Boomer, wenn Sie den Arm als Pfand geben wollen, um den anderen anständig zu beerdigen, dann haben Sie Ihren Arm wieder.«
»Nein, danke, Bunger«, sagte der englische Kapitän. »Den Arm, den er hat, kann er behalten, da ich es doch einmal nicht ändern kann, und ich ihn damals noch nicht kannte. Aber den anderen soll er nicht haben! Die weißen Wale können mir überhaupt gestohlen bleiben! Ich habe einmal die Boote herabgelassen seinetwegen, und das genügt mir. Es wäre ja recht schön, wenn man ihn töten könnte, und er hat eine ganze Schiffsladung voll prächtigen Walratöls. Aber man läßt ihn am besten zufrieden. Meinen Sie es nicht auch, Kapitän?« und warf dabei einen Blick auf das künstliche Bein.
»Das schon. Aber man muß ihn trotzdem jagen. Was man verflucht und was man am besten in Ruhe ließe, verlockt einen am meisten. Er ist wie ein Magnet! Wie lange ist es her, daß du ihn das letztemal gesehen hast? Welche Richtung nahm er?«
»Herrgott nochmal!« schrie Bunger, der sich verbeugte und um Ahab herumging, wobei er merkwürdig schnupperte, wie ein Hund. »Man fühle sich das Blut dieses Menschen an, das Thermometer her! Es ist ja siedend heiß! Die Schiffsplanken werden ja durch diesen Puls geschlagen!« Er nahm eine Lanzette aus der Tasche und ging auf den Arm Ahabs zu.
»Wegbleiben!« brüllte Ahab und stieß ihn gegen die Reling. »Klar bei Boot! Welchen Weg nahm er?«
»Herrgott nochmal!« schrie der englische Kapitän, an den die Frage gerichtet war. »Was ist denn los? Er ging ostwärts, glaube ich. Ist Euer Kapitän verrückt?« flüsterte er Fedallah zu.
Aber Fedallah legte einen Finger auf die Lippen, schlüpfte über die Reling, um das Steuerruder zu nehmen. Ahab ließ den Flaschenzug herankommen und befahl den Matrosen des Schiffes, beim Herablassen behilflich zu sein.
Einen Augenblick stand er im Heck des Bootes, und die Manilaleute sprangen mit einem Satz an die Ruder. Vergeblich rief der englische Kapitän ihm etwas zu. Ahab hatte dem fremden Schiff den Rücken gekehrt und blickte starr nach seinem eigenen. So stand er aufrecht da, bis er längsseits des ›Pequod‹ kam.
»Schock und Schwerenot!« sagte Ahab, der sich tastend an dem Schiffsgeländer entlang nach seinem gewöhnlichen Standort einen Weg suchte. Aber plötzlich fand er sich zurecht, als vorspringende Feuerlanzen von Blitzen ihn alles deutlich erkennen ließen.
Wie der an einem Kirchturm angebrachte Blitzableiter zu Lande das gefährliche Fluidum in den Boden fortleiten soll, so ist der Leiter, den einige Schiffe auf der See an jedem Mast tragen, dazu bestimmt, es in das Wasser zu leiten. Aber dieser Leiter muß bis in eine ziemliche Tiefe reichen, und das Ende desselben darf mit dem Schiffskörper nicht in Berührung kommen. Wenn er dort dauernd befestigt wäre, würden viele Mißhelligkeiten eintreten. So könnte er mit Teilen des Takelwerkes in Berührung kommen und in höherem oder geringerem Grade dem Schiff auf seinem Wege hinderlich sein. Daher hängen die unteren Teile der Blitzableiter eines Schiffes nicht immer über Bord. Sie haben im allgemeinen die Form von langen, dünnen Kettengliedern, damit sie um so leichter in die Ketten an der Außenseite aufgeholt werden können und man sie in die See werfen kann, wenn es die Umstände erfordern.
»Die Blitzableiter, die Blitzableiter!« rief Starbuck der Mannschaft zu, da er plötzlich durch den mächtigen Blitzstrahl zur Wachsamkeit ermahnt wurde, der gerade Flammenbündel ausgestrahlt hatte, um Ahab nach seinem Posten zu leuchten. »Sind sie über Bord? Werft sie vorn und hinten aus! Aber schnell!«
»Laß das!« rief Ahab. »Wir wollen fair sein, wenn wir auch die Schwächeren sind. Ich will mitmachen, wenn es sich darum handelt, Blitzableiter auf dem Himalaja und den Anden anzubringen, auf daß die ganze Welt etwas davon hat, aber wir wollen nichts besonderes für uns haben! Laßt das!«
»Sieh nach oben!« rief Starbuck. »Das Elmsfeuer! das Elmsfeuer!«
Alle Rahenenden hatten an der Spitze ein bleiches Feuer. Die Blitzableiter gingen in drei Spitzen aus und zeigten drei weiße Flammen, und jeder der drei großen Mäste brannte in der phosphoreszierenden Luft in aller Stille wie drei riesige Wachskerzen vor einem Altar.
»Das verdammte Boot! Laßt es zum Teufel fahren!« rief Stubb in diesem Augenblick, als eine Sturzwelle hochkam und das eigene kleine Fahrzeug berührte, wobei das Dollbord desselben ihm gehörig die Hand quetschte, als er an einem Zurring vorbeiging. »Verdammt noch mal!« Als er aber rückwärts an Deck schlich, erblickte er oben die Flammen, und sofort änderte er den Ton und schrie: »Mag sich das Elmsfeuer unser erbarmen!«
Bei Matrosen sind Flüche etwas Gewöhnliches. Sie fluchen, wenn sie vor lauter Windstille irrsinnig werden und auch dann, wenn sie der Gewalt des Sturmes ausgeliefert sind. Aber auf allen meinen Reisen habe ich selten erlebt, daß jemand geflucht hätte, wenn der brennende Finger Gottes auf das Schiff gelegt und sein »Mene, Mene, Tekel Upharsin« in die Wanten und Taue des Schiffes hineingewebt war.
Als dies bleiche Feuer hoch oben brannte, hörte man von der besessenen Mannschaft kaum ein Wort. Sie standen in einem dichten Haufen auf dem Vorderdeck und stierten in das bleiche, phosphoreszierende Licht wie nach einem Sternbild in der Ferne. In dem geisterhaften Licht ragte der riesige Neger Daggoo mit seiner pechschwarzen Farbe in seiner dreifachen Größe hervor. Er schien die schwarze Wolke zu sein, aus der der Donner herabgekommen war. Der geöffnete Mund Tashtegos machte die haiweißen Zähne frei, die seltsam glänzten, als ob sie Elmsfeuer ausstrahlten. Und von dem übernatürlichen Licht angezündet, brannten die Tätowierungen Queequegs wie blaue Flammen des Satans auf seinem Körper.
Als das bleiche Licht oben ausging, schwand auch dies Gemälde ganz und gar. Und so war denn der »Pequod« und jede Seele auf dem Deck in ein Leichentuch eingehüllt. Als einige Augenblicke vergangen waren, rannte Starbuck auf seinem Wege gegen jemand. Es war Stubb. »Wie kommst du dir nun vor, Mann? Ich hörte dich schreien. Das klang nicht so wie in deinem Liede!«
»Nein, nein! So war das nicht. Ich sagte, das Elmsfeuer möchte mit uns Erbarmen haben. Und ich hoffe, daß es das tun wird. Aber hat es nur Erbarmen mit Leuten, die vor Angst lange Gesichter machen? Hat es keinen Sinn für ein richtiges Lachen? Aber sehen Sie her, Mister Starbuck; es ist zum Hersehen zu dunkel. Hören Sie mich denn! Die Flamme oben am Mast nehme ich für ein gutes Zeichen, das uns Glück bringt; denn die Maste stecken in einem Schiffsboden, der mit seinem Walratöl eine Art Staukeil werden kann. Und so wird denn das ganze Pottwalöl in den Masten aufsteigen wie der Saft in einem Baum. Unsere drei Maste werden wie drei Kerzen aus Walfischöl werden, und so haben wir denn ein gutes Vorzeichen gesehen.«
In demselben Augenblick erblickte Starbuck das Gesicht von Stubb, das anfing zu leuchten. Und als er nach oben sah, rief er: »Sieh da! Sieh da!!«
Und noch einmal erkannte man die spitz zulaufenden Flammen in der Höhe, und die bleiche Farbe schien doppelt übernatürlich zu sein.
»Mag das Elmsfeuer mit uns allen Erbarmen haben!« rief Stubb wieder.
Unten am Hauptmast, gerade unter der Dublone und der Flamme kniete der Parse an der Vorderseite von Ahab. Aber das gebeugte Haupt war von ihm abgewandt. In der Nähe hatten verschiedene Matrosen eine Spiere festmachen wollen und hingen nun, von dem Lichtschein beunruhigt, wie Pendel nebeneinander, wie ein Haufen betäubter Wespen an einem herabhängenden Baumzweig. Andere waren in verschiedenen Zauberstellungen wie an Deck festgewurzelt, mal stehend, mal schreitend, mal laufend, wie die Menschenskelette in Herkulanum. Aber alle hatten die Augen nach oben gerichtet.
»Leute,« rief Ahab, »seht hinauf und merkt es euch wohl! Die weiße Flamme leuchtet uns den Weg nach dem weißen Wal. Reicht mir die Kettenglieder für den Hauptmast! Ich möchte gern diesen Puls fühlen und meinen dagegen schlagen lassen; Blut gegen Feuer!«
Als er sich umdrehte, hielt er das letzte Kettenglied in der linken Hand und setzte den Fuß auf den Parsen.
Mit starren, nach oben gerichteten Augen und mit dem emporgeworfenen rechten Arm stand er aufrecht da vor der Dreieinigkeit der drei Flammenspitzen.
»Du klarer Geist des reinen Feuers, den ich wie ein persischer Feueranbeter einstmals auf diesen Meeren verehrt habe, bis ich von dir in dem feierlichen Akt das Mal eingebrannt bekam, das ich bis zur Stunde trage, ich erkenne dich nun, und ich weiß, daß die richtige Verehrung der Trotz ist! Der Liebe und der Ehrfurcht bist du nicht zugänglich. Und wenn man dir Haß entgegenbringt, so kannst du nur töten, und alle werden getötet. Der dir jetzt Trotz bietet, ist kein Narr, der die Furcht nicht kennt.
Ich besitze deine Macht, die ohne Worte ist und keinen Ort kennt. Ich habe sie mir nicht entwinden lassen und gebe auch die Kettenglieder in meiner Hand nicht frei. Du kannst mich blenden, aber dann finde ich tastend meinen Weg. Du kannst mich verzehren, aber dann kann ich doch wenigstens zu Asche werden. Nimm die Verehrung meiner armseligen Augen und geschlossenen Hände entgegen. Ich würde sie nicht annehmen!
Der Blitz saust mir durch den Schädel. Die Augen schmerzen mich. Das besiegte Hirn kommt mir wie gerädert vor und treibt auf betäubendem Grunde. Wenn ich auch hundertmal geblendet bin, so will ich doch zu dir reden. Aber ich bin Finsternis, die vom Licht herkommt, und das Licht kommt von dir! Die Pfeile des Blitzes lassen nach. Die Augen auf! Sehe ich oder sehe ich nicht? Dort brennen die Flammen! Du Wesen voll Großmut und Hochherzigkeit! Nun erhöhe ich den Ruhm meines Geschlechts! Aber du mit dem Feuergeist bist mein Vater oder meine sanfte Mutter. Ich weiß nicht, welches von beiden! Das ist mein Geheimnis; aber das deinige ist größer.
Du weißt nicht, wie du entstanden bist, daher nennst du dich ungezeugt. Du weißt gewiß nicht, wann dein Anfang war. Daher nennst du dich ohne Anfang.
Was du nicht von dir weißt, das weiß ich von mir, Allmächtiger! Hinter dir, klarer Geist, liegt etwas, das nicht auszuschöpfen ist, und im Vergleich dazu ist alle deine Ewigkeit nur Zeit und deine Schöpfungskraft nichts als Mechanik.
Durch dich, durch dein flammendes Selbst, erkennen meine versengten Augen undeutlich diese Macht.
Auch du, Feuer, das wie der Findling seine Herkunft nicht kennt, du Einsiedler außer allem Zusammenhang mit der Zeit, hast dein Rätsel, das niemand mitgeteilt werden kann, und dein Leid, das du allein tragen mußt!
Hier lese ich mit Stolz und Angst in dem Schicksalsbuch meines Allvaters. Spring' gegen den Himmel und schlag' ihn! Ich will dir nachspringen und mit dir brennen! Ich möchte zu einem Wesen mit dir zusammengeschweißt werden. Voller Trotz verehre ich dich!«
»Das Boot, das Boot!« rief Starbuck. »Siehe dir dein Boot an, Alter!«
Die Harpune Ahabs, die er am Feuer von Perth geschmiedet hatte, blieb an den bekannten Haken festhängen, so daß sie über dem Bug des Walfischbootes hinausragte. Aber die See, die den Boden desselben eingeschlagen hatte, hatte auch den losen Lederüberzug beseitigt. Aus der scharfen Stahlspitze der Harpune kam nun eine wagerechte, bleiche Feuerflamme von der Form einer Gabel. Als die Harpune wie die Zunge einer Schlange brannte, faßte Starbuck Ahab an den Arm und sagte: »Gott ist gegen dich. Gib es auf! Es ist eine üble Reise, schlecht angefangen und schlecht fortgesetzt! Laß mich die Rahen vierkant brassen, wenn es geht, und laß uns versuchen, einen günstigen Wind für die Heimreise zu bekommen. Wir wollen dann eine bessere Reise unternehmen, als die, auf der wir jetzt sind.«
Die von einer wilden Panik befallene Mannschaft hörte nicht auf Starbuck und stürzte sich an die Brassen, obwohl nicht ein Segel oben übriggeblieben war. Einen Augenblick schien es, als ob die Gedanken des erschrockenen Maaten auch die ihrigen wären. Sie stießen einen Ruf aus, der beinahe wie Meuterei klang. Aber Ahab schleuderte die klirrenden Kettenglieder und Blitzableiter auf das Deck, packte die brennende Harpune und schwenkte sie wie eine Fackel unter ihnen. Und schwor, daß er den ersten Matrosen damit durchbohren würde, der nicht das Tauende losließe. Vor diesem Anblick wie zu Stein erstarrt, und von dem Feuergeschoß, das er in der Hand hielt, zurückschaudernd, fielen die Leute wieder in Entsetzen, und Ahab sagte ihnen wieder: »Was ihr geschworen habt, daß ihr den weißen Wal jagen wolltet, ist ebenso bindend, wie das, was ich gesagt habe. Der alte Ahab ist mit Herz, Seele und Körper, mit seiner Lunge und seinem Leben dazu verpflichtet. Und damit ihr erkennt, wie es mit meinem Mute bestellt ist, so seht her! So blase ich den letzten Rest von Furcht aus.« Und mit einem einzigen Stoß seines Atems löschte er die Flamme aus.
Ahab stand lange Zeit für sich allein, wie unter dem Bann einer innerlichen Stille. Wenn das schwankende Schiff seinen Bugspriet senkte, wandte er sich um, die Strahlen der leuchtenden Sonne vorn am Bug zu betrachten. Und wenn das Schiff am Heck tief niederging, wandte er sich nach hinten um, und sah sich die Sonne von rückwärts an. Und beobachtete, wie dieselben gelben Lichtstrahlen mit dem Kielwasser des Schiffes verschmolzen.
Plötzlich wurde er durch einen Gedanken aufgeschreckt. Er stürmte an das Steuer und erkundigte sich schroff, in welcher Richtung denn das Schiff fahre.
»Ostsüdost, Kapitän«, sagte der erschrockene Steuermann.
»Du lügst«, und er hielt ihm die geballte Faust entgegen. »Du hast den Kurs nach Osten zu dieser Morgenstunde, und die Sonne steht am Heck!«
Jedermann war über diese Erscheinung entsetzt; denn was Ahab gerade bemerkt hatte, war den anderen entgangen.
Ahab steckte den Kopf halb in das Kompaßhäuschen und streifte mit einem Blick die Kompasse. Der Arm, der drohend in die Höhe gehalten war, fiel langsam herunter; einen Augenblick lang schien er zu schwanken. Starbuck stand hinter ihm und sah auch hin. Wahrhaftig! Die beiden Kompasse zeigten nach Osten und der »Pequod« fuhr unfehlbar nach Westen!
Aber bevor der erste wilde Schrecken draußen unter den Leuten Fuß fassen konnte, rief der Alte mit einem kalten Lachen aus:
»Ich hab' es! Das ist schon früher vorgekommen. Mister Starbuck, das Gewitter von gestern abend hat unsere Kompasse umgedreht. Das ist alles. Du hast doch früher schon von solchen Dingen gehört?«
»Ja, aber ich habe das nie vorher erlebt, Kapitän«, sagte der bleich gewordene Maat in düsterer Stimmung.
An dieser Stelle muß gesagt werden, daß derartige Vorfälle bei Schiffen, die heftige Stürme durchgemacht haben, mehr als einmal vorgekommen sind. Der Magnetismus der Kompaßnadeln ist, wie alle wissen, mit der Elektrizität identisch, die wir im Gewitter wahrnehmen. Daher ist es kein Wunder, daß solche Dinge vorkommen. Wenn der Blitz das Schiff gehörig geschüttelt hat, so daß einige Spiere und Teile vom Takelwerk zerschmettert sind, dann ist die Nadel manchmal in Mitleidenschaft gezogen worden. Es ist vorgekommen, daß der ganze Magnetismus vernichtet wurde und der Magnetstahl so überflüssig geworden war, wie der Strickstock eines alten Frauenzimmers. Aber in dem einen wie dem anderen Fall bekommt die Magnetnadel aus eigener Kraft niemals wieder den früheren Magnetismus.
Ahab stand nachdenklich vor dem Kompaßhäuschen und betrachtete die umgerichteten Nadeln. Da nahm er mit der ausgebreiteten Hand den genauen Stand der Sonne, und als er beruhigend festgestellt hatte, daß die Nadeln tatsächlich umgekehrt waren, rief er, daß man den Kurs des Schiffes demzufolge ändern sollte. Die Rahen wurden gerichtet, und noch einmal stieß der »Pequod« seine Kiele unerschrocken in den Gegenwind; denn der vermeintliche günstige Wind hatte das Schiff betrogen.
Starbuck ließ nicht erkennen, wie er im geheimen darüber dachte. Er sagte nichts und führte in aller Ruhe die notwendigen Befehle aus. Stubb und Flask, die im geringen Grade seine Gefühle zu teilen schienen, beruhigten sich ebenfalls, ohne zu murren. Was die übrige Mannschaft betraf, so war ihre Furcht vor Ahab, wenn auch einige leise knurrten, größer als ihre Furcht vorm Schicksal.
Wie bei früheren Gelegenheiten, machten die Vorgänge auf die heidnischen Harpuniere fast gar keinen Eindruck. Wenn sie überhaupt einem Eindruck unterlagen, so war es ein gewisser Magnetismus, der von dem unerschütterlichen Ahab in ihre verwandten Herzen überströmte.
Eine Zeitlang spazierte der Alte in rollenden Traumbildern an Deck herum. Zufällig stieß er mit seinem Fuß aus Walfischbein auf die zerschmetterten Kupfer-Fernrohre des Quadranten, den er am Tage vorher gegen das Deck geschleudert hatte.
»Du armseliger und eingebildeter Himmelsgucker und Sonnenlotse! Gestern habe ich dich zerschmettert, und heute hätten mich die Kompasse liebend gern zerschmettert, so, so! Aber Ahab ist noch Herr über den Magneten. Mister Starbuck, eine Lanze ohne Stange her, einen Seemannshammer und die allerkleinsten Nadeln des Segelmachers! Aber schnell!«
Was er nun vorhatte, entsprang einer gewissen Vorsicht, um vielleicht den Mut seiner Mannschaft durch eine Äußerung seiner schlauen Geschicklichkeit neu zu beleben. Durch eine Handlung, die ebenso wunderbar war wie die umgekehrten Kompaßnadeln. Der Alte wußte wohl, daß man mit umgekehrten Nadeln, wenn es auch möglich war, nicht steuern konnte, und man auf den Aberglauben der Matrosen Rücksicht nehmen mußte, die darüber erschraken und es als übles Vorzeichen auffaßten.
»Leute,« sagte er, und wandte sich gefaßt an die Mannschaft, als der Maat ihm die verlangten Dinge übergab, »Leute, der Donner hat die Nadeln des alten Ahab umgedreht, aber aus diesem bißchen Stahl kann Ahab eine eigene Nadel machen, die ebensogut wie eine andere zeigen wird.«
Die Matrosen tauschten verlegene Blicke als Zeichen erstaunter Unterwürfigkeit untereinander aus, als er dies sagte. Mit faszinierten Augen warteten sie darauf, was für ein Wunder folgen würde. Aber Starbuck sah fort.
Ahab schlug mit einem Hammer den Stahlteil der Lanze ab, überreichte das lange Eisenteil dem Maaten und forderte ihn auf, es senkrecht zu halten, ohne daß es das Deck berührte. Dann legte er die stumpfe Nadel mit dem Ende oben darauf, nachdem er den oberen Teil der Eisenrute wiederholt mit dem Hammer geschlagen hatte. Dann hämmerte er nicht mehr so stark, und der Maat hielt das Eisen noch gerade so wie vorhin. Er machte dann verschiedene seltsame Bewegungen mit derselben – ob das zum Magnetisieren des Stahles notwendig war oder nur die Ehrfurcht der Mannschaft erhöhen sollte, war ungewiß – und verlangte dann einen Zwirnsfaden. Er ging nach dem Kompaßhäuschen, nahm die beiden umgekehrten Nadeln heraus und hängte die Segelnadel in horizontaler Richtung mitten über eine der Bussolen auf. Zunächst ging der Stahl rundherum und zitterte an beiden Enden. Aber schließlich kam er an der richtigen Stelle zum Stehen, als Ahab, der auf dieses Ergebnis ausdrücklich gewartet hatte, von dem Kompaßhäuschen zurücktrat, mit ausgestrecktem Arm darauf zeigte und ausrief: »Nun seht selbst hin, ob Ahab keinen Magneten machen kann! Die Sonne steht im Osten, und der Kompaß zeigt es euch!«
Da starrte einer nach dem anderen die Nadel an, denn nur mit ihren Augen konnten sie solch eine Dummheit bezeugen, und einer nach dem anderen schlichen sie davon.
Dann konnte man Ahab mit seinen feurigen Augen voller Verachtung und Siegesbewußtsein in seinem verhängnisvollen Stolz sehen.
Als der »Pequod« nach der magnetisierten Nadel Ahabs südostwärts steuerte und den zurückgelegten Weg allein mit Hilfe des Logs und der Leine feststellte, nahm er den Kurs in der Richtung des Äquators. Wie er nun durch unbefahrene Meere fuhr, wo er keine Schiffe erblickte, und wie er durch unveränderliche Winde, die für Handelsschiffe günstig sind, seitwärts getrieben wurde, und eintönige und milde Wellen ihn bespülten, war diese merkwürdige Stille ein Vorzeichen für eine Szene voll Aufruhr und Verzweiflung. [...]
Die Felseninseln, an denen das Schiff vorbeigefahren war, wurden von großen Mengen Seehunden aufgesucht. Einige junge Seehunde, die ihre Muttertiere verloren hatten, vielleicht waren es auch Muttertiere, die ihre Jungen verloren hatten, gingen in der Nähe des Schiffes in die Höhe und leisteten ihnen Gesellschaft, wobei sie schrien und in der Art der Menschen wehklagten. Das machte auf einige Matrosen einen um so größeren Eindruck, als die meisten den Seehunden ein abergläubisches Gefühl entgegenbringen. Nicht nur, weil sie so merkwürdig schreien; wenn sie in Not geraten, sondern auch weil sie wegen ihrer runden Köpfe und ihres halbintelligenten Gesichtsausdrucks wie Menschen aussehen, wenn man sie, Umschau haltend, längsseits aus dem Wasser auftauchen sieht. Auf der See hat man unter bestimmten Umständen die Seehunde mehr als einmal für Menschen gehalten.
Die Vorahnung der Mannschaft erfüllte sich in dem Schicksal, das einen Matrosen aus ihrer Mitte am Morgen ereilte. Bei Sonnenaufgang ging ein Mann von seiner Hängematte nach dem Mast oben am Vorderdeck. Ob er nun noch halb im Schlafe war – denn die Matrosen gehen manchmal in einem halben Schlafzustand hinauf – oder ob sonst etwas los war, genug, er befand sich noch nicht lange an seinem Sitz, als man einen Schrei und ein Klatschen hörte. Als man aufsah, erblickte man in der Luft eine fallende Erscheinung. Und als man in die See sah, stiegen mehrere weiße Blasen in der blauen See auf.
Die Rettungsboje, eine lange, dünne Tonne war vom Heck gefallen, wo sie immer, eines Federdrucks gewärtig, hing. Keine Hand erhob sich, um sie zu packen. Als die Sonne lange genug auf die Tonne geschienen hatte, war sie zusammengeschrumpft. Langsam füllte sie sich mit Wasser, und das ausgedörrte Holz war bis zu jeder Pore vollgesogen. So kam es denn, daß die eisenbeschlagene Tonne dem Matrosen in die Tiefe nachfolgte, als ob ihm ein weiches Kissen, das sich sehr hart anfühlen mußte, nachgetragen wurde.
So war denn der erste Mann vom »Pequod«, der nach dem weißen Wale vom Maste aus hatte Umschau halten wollen, auf dem eigenen Grunde des weißen Wales in der Tiefe untergegangen.
Man mußte nun für die verlorengegangene Rettungsboje Ersatz schaffen. Starbuck wurde damit beauftragt. Aber da man kein Faß fand, das leicht genug gewesen wäre, und da bei der fieberhaften Tätigkeit in Erwartung der kommenden Krise alle Hände mit großem Eifer an Dinge angelegt wurden, die mit dem Schluß derselben direkt in Verbindung standen (und was das auch für ein Schluß sein mochte!), wollte man am Heck des Schiffes keine Rettungsboje wieder anbringen lassen.
Da wies Queequeg mit seltsamen Handbewegungen auf seinen Sarg hin. »Eine Rettungsboje aus einem Sarg!« rief Starbuck und schoß auf.
»Das kommt mir aber sehr merkwürdig vor«, sagte Stubb.
»Das wird schon gehen,« sagte Flask, »der Zimmermann kann ihn leicht zurechtmachen.« [...]
57. Kapitel
Am nächsten Tage wurde ein großes Schiff, die »Rachel«, gemeldet, die direkt auf den »Pequod« losfuhr. – Auf allen Spieren derselben wimmelte es von Menschen. Der »Pequod« sauste gerade mit großer Geschwindigkeit durchs Wasser. Als aber das fremde Schiff mit den weit ausgebuchteten Segeln windwärts dicht auf ihn zuschoß, klappten seine prahlerischen Segel zusammen wie weiße, platzende Wasserblasen.
»Schlechte Nachrichten! Das Schiff bringt schlechte Nachrichten«, brummte der alte Mann von der Insel Man. Aber bevor der Kapitän mit dem Schallrohr am Mund im Boot stand, und bevor er hoffnungsvoll etwas zurufen konnte, hörte man die Stimme Ahabs.
»Hast du den weißen Wal gesehen?« –
»Ja, gestern. Habt ihr ein Walboot treiben sehen?« –
Mit erstickter Freude verneinte Ahab diese unerwartete Frage. Gern wäre er an Bord des Fremden gegangen. Da sah man, wie der fremde Kapitän selbst, der sein Schiff gestoppt hatte, an der Seite ausstieg. Nach einigen kräftigen Ruderschlägen machte man den Bootshaken an den Hauptketten des »Pequod« fest, und der Kapitän sprang an Deck. Sofort erkannte Ahab ihn als einen Bekannten aus Nantucket. Eine formelle Begrüßung fand nicht statt.
»Wo war er denn? Er ist nicht getötet! Nicht getötet!« schrie Ahab und kam näher. »Wie ging das zu?«
Anscheinend war es spät am Nachmittag des vorhergehenden Tages gewesen, als drei von den Booten mit einer Walfischherde beschäftigt waren, wobei die Mannschaft etwa vier oder fünf Meilen vom Schiff abgekommen war. Und als sie windwärts auf scharfer Jagd waren, war Moby-Dick mit seinem weißen Höcker und Kopfe plötzlich aus dem Wasser aufgetaucht, an der Leeseite in nicht zu großer Entfernung vom Schiff. Darauf hatte man das vierte aufgetakelte Boot, das als Reserve diente, sofort herabgelassen, um die Verfolgung aufzunehmen.
In weiter Entfernung hatte man das Boot in Punktgröße gesehen, dann war schnell ein Strahl von aufzischendem weißen Wasser gekommen. Und weiter war nichts mehr zu sehen gewesen. Man hatte aus dieser Tatsache geschlossen, daß der getroffene Wal mit seinen Verfolgern, wie es oft der Fall ist, aufs Geratewohl fortgeeilt war. Man war wohl etwas besorgt gewesen, war aber bis jetzt noch nicht bestürzt. Man hatte im Takelwerk Signale aufgesteckt, die zur Rückkehr aufforderten. Dann war die Dunkelheit gekommen, und man war gezwungen gewesen, die drei Boote, die weit windwärts waren, aufzunehmen. Bevor man das vierte in der genau entgegengesetzten Richtung aufgesucht hatte, war das Boot bis Mitternacht notgedrungenerweise seinem Schicksal überlassen worden. Man hatte sich sogar im gegenwärtigen Augenblick von dem Boot weit entfernt. Als aber die Mannschaft endlich sicher an Bord gebracht war, hatte das Schiff alle Segel beigesetzt, um das fehlende Boot aufzusuchen. Man hatte in den Schmelzhäfen Feuer angemacht, das als Signal dienen sollte, und jedermann hatte sich oben auf dem Ausguckposten befunden. Als das Schiff weit genug gesegelt war und den vermutlichen Platz der fehlenden Matrosen erreicht hatte, wo sie zuletzt gesichtet waren, hatte das Schiff haltgemacht und alle übrigen Boote herabgelassen, um in der unmittelbaren Umgebung herumzusuchen. Da man nichts vorgefunden hatte, war man weiter gestürmt. Man hatte wieder haltgemacht, hatte die Boote herabgelassen. Obwohl nun dies Verfahren bis zum Morgenanbruch gedauert hatte, hatte man von dem fehlenden Boot keine Spur entdeckt!
Als der fremde Kapitän den Sachverhalt erzählt hatte, ging er sofort dazu über und teilte mit, weshalb er an Bord des »Pequod« gekommen wäre. Er wünschte, daß das Schiff mit seinen eigenen Leuten das verlorene Boot aufsuchte. Man wollte einige vier oder fünf Meilen parallel zueinander über das Meer fahren und so eine doppelte Fläche bestreichen.
»Ich wette,« flüsterte Stubb Flask zu, »daß einer in dem fehlenden Boot den besten Rock vom Kapitän mit hat. Vielleicht auch seine Uhr, und daß er es deshalb so verdammt eilig hat. Hat man schon mal gehört, daß zwei Walschiffe in aller Eintracht einem fehlenden Boot mitten in der Walfischzeit nachgefahren wären? Sieh nur mal hin, wie bleich er aussieht! Und bleich sind auch die Pupillen in seinen Augen. Es war nicht der Rock. Es muß wohl –«
»Mein Junge, mein eigener Junge ist dabei! Um's Himmels willen. Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie!« rief der fremde Kapitän aus, da Ahab seiner Bitte bisher mit eisiger Kälte begegnet war. »Lassen Sie mich für achtundvierzig Stunden Ihr Schiff chartern. Ich will das gerne zahlen, und es soll mir nicht darauf ankommen, wenn es keinen anderen Weg gibt. Für achtundvierzig Stunden nur! Das müssen Sie tun!«
»Seinen Sohn hat er verloren,« schrie Stubb, »seinen eigenen Sohn. Ich nehme das mit dem Rock und der Uhr zurück. Was sagt Ahab? Wir müssen den Jungen retten.«
»Er ist gestern abend mit den anderen ertrunken«, sagte der alte Matrose von der Insel Man, der hinter ihm stand. »Ich hab' es gehört; ihr alle habt die Geister gehört.«
Wie es sich bald herausstellte, wurde der Unglücksfall, der die »Rachel« betroffen hatte, noch durch den Umstand vergrößert, daß sich nicht nur ein Sohn des Kapitäns unter der fehlenden Bootsmannschaft befand, sondern daß unter der Mannschaft des anderen Bootes sich noch ein Sohn befunden hatte. So befand sich denn der unglückliche Vater in der allerfurchtbarsten Situation. In derartigen Fällen entscheidet sich der Obermaat immer dafür, daß das Boot mit der stärksten Mannschaft zuerst aufgenommen wird.
Aber der Kapitän hatte aus unbekannten Gründen alles dies nicht erwähnt. Erst als er durch das eiskalte Verhalten Ahabs dazu gezwungen wurde, sprach er von dem einen Jungen, der immer noch fehlte. Es war ein kleiner Kerl, erst zwölf Jahre alt. Sein Vater hatte ihn mit aller Kühnheit der Vaterliebe eines Nantucketer, ohne etwas Böses zu ahnen, mit den Gefahren und Herrlichkeiten seines Berufes vertraut machen wollen, und hatte kaum an das Geschick, dem sein ganzes Geschlecht ausgeliefert war, gedacht. Es kommt häufig vor, daß die Kapitäne von Nantucket einen Sohn in solch zartem Alter auf ein anderes Schiff für eine Fahrt schicken, die drei oder vier Jahre dauert. Die ersten Eindrücke, die sie von dem Leben eines Walfischers aufnehmen, sollen nicht durch die natürliche und unpassende Parteilichkeit des Vaters und ebensowenig durch unangebrachte Angst und Sorge verwischt sein.
Inzwischen bemühte sich der Fremde immer noch um die Gefälligkeit Ahabs. Ahab stand immer noch wie ein Amboß da, der jeden Stoß aufnahm, aber nicht im geringsten selbst dadurch erschüttert wurde.
»Ich gehe nicht,« sagte der Fremde, »bis Sie ›Ja‹ gesagt haben. Handeln Sie so, wie Sie es von mir in einem ähnlichen Fall erwarten würden. Sie haben doch auch einen Jungen, Kapitän Ahab, wenn er auch noch ein zartes Kind ist und nun zu Hause sicher und geborgen ist. Sie geben nach. Ich sehe es. Lauft, Leute, und helft, die Rahen vierkant brassen!«
»Hütet euch und rührt nicht das Kabelgarn an!« brüllte Ahab. Und dann sagte er mit einer Stimme, wobei jedes Wort besonders geformt wurde: »Kapitän Gardiner, ich mache es nicht. Gerade jetzt kann ich keine Zeit verlieren. Adjö, adjö! Gott möge dir helfen, Mann, und möge ich mir selbst vergeben. Aber ich muß gehen. Mister Starbuck, sieh nach der Kompaßuhr und sage in drei Minuten allen Fremden ab! Laß dann vorwärtsbrassen und das Schiff segeln wie vorher.« [...]
Mal kämpfte das Schiff gegen einen Wellenberg, mal wurde es von der See weitergeschleudert. Und indessen saßen auf den Masten und Rahen, dicht gedrängt, Menschen wie auf drei hohen Kirschbäumen, wenn die Jungen am Kirschenpflücken sind und sich bis zu den Zweigen hinauswagen.
Aber da es immer noch von Zeit zu Zeit stoppte und beidrehte, konnte man daraus schließen, daß das Schiff, das vom Meeresschaum wie von Tränen gebadet war, immer noch keine Ruhe gefunden hatte.
Es war wie Rahel, die um ihre Kinder weinte, weil sie fehlten.
[...] Und so ging er denn Tag für Tag und Nacht für Nacht nicht mehr unter die Planken. Was er aus der Kabine brauchte, ließ er sich von dort holen.
Er aß in derselben offenen Luft; er nahm nur zwei Mahlzeiten. Frühstück und Mittag. Das Abendessen rührte er nie an. Er schnitt sich auch nicht den Bart, der dunkel und ganz knorrig geworden war, so wie nicht in der Erde steckende Baumwurzeln, die fortgeweht sind, an einer freien Stelle weiterwachsen, aber im grünen Gebüsch umkommen.
Obwohl sein ganzes Leben nun eine Wache an Deck geworden war, und obwohl die geheimnisvolle Wache des Parsen ebensowenig unterbrochen wurde, schienen die beiden niemals miteinander zu reden, wenn nicht in langen Unterbrechungen eine vorübergehende Sache es erforderte; und obwohl die zwei durch einen mächtigen Zauber insgeheim verbunden zu sein schienen, so machten sie vor der angsterfüllten Mannschaft den Eindruck, als ob sie jeder einen Pol darstellten. Wenn sie bei Tage durch Zufall ein Wort miteinander sprachen, so waren sie in der Nacht so gut wie taub, soweit der leiseste Austausch eines Wortes in Frage kam. Manchmal standen sie lange Stunden, weit voneinander getrennt, im Sternenlicht, ohne sich etwas zuzurufen; Ahab in seiner Luke und der Parse an dem Hauptmast. Aber ihre Blicke waren starr aufeinander gerichtet, als ob Ahab in dem Parsen seinen vorangeworfenen Schatten, und der Parse in Ahab seine aufgegebene Substanz erblickte.
Sobald der erste Schimmer der kommenden Dämmerung sichtbar wurde, hörte man seine eisenharte Stimme vom Achterdeck: »Die Mastspitzen bemannen!« So ging es den ganzen Tag bis nach Sonnenuntergang, und nach dem Dunkelwerden hörte man alle Stunden, wenn die Glocke des Steuermanns ertönt: »Was seht ihr? Scharf aufpassen! Scharf aufpassen!«
[...]
»Ich werde den Wal wohl selbst zuerst zu sehen kriegen«, sagte er. »Ja, Ahab muß sich selbst die Dublone verdienen!« Und dann wickelte er mit seinen eigenen Händen ein Bündel Bugleinen, die an einen Korb gebunden waren, los und schickte jemand mit einem einrolligen Flaschenzug hinauf, um sie oben an der Hauptmastspitze festzubinden. Er selbst nahm dann die beiden Enden des nach unten gehenden Seiles in Empfang. Er band das eine Seilende an den Korb und das andere Ende an einen Pflock, um es an der Reling zu befestigen. Als das geschehen war, hatte er das eine Ende noch in der Hand und stand so neben dem Pflock, wobei er nach der Mannschaft sah, die von einem Ende zum anderen sauste. Er betrachtete Daggoo, Queequeg und Tashtego sehr lange, wich aber Fedallah aus. Als er dann einen festen, vertrauensvollen Blick auf den Obermaaten richtete, sagte er: »Nimm das Seil, ich übergebe es dir, Starbuck.«
Als er sich dann mit seiner Person in den Korb verfügt hatte, gab er den Befehl, daß sie ihn zu seinem Sitz hinaufziehen sollten. Starbuck gab dann schließlich auf das Seil acht und stellte sich später daneben. Und indem Ahab sich so mit der einen Hand an der Oberbramstange festhielt, hielt er meilenweit in der Runde auf die See Umschau, nach vorn, nach hinten und nach der Seite und nach dem weiten, ausgedehnten Horizont, der von einer so außerordentlichen Höhe beherrscht wird.
Ahabs Verfahren war daher nicht ungewöhnlich. Es schien nur recht merkwürdig zu sein, daß Starbuck, der ja der einzige war, der es gewagt hatte, ihm in der schonendsten Weise entgegenzutreten, als er seinen Entschluß faßte, – und er war noch einer von denen, deren Zuverlässigkeit auf dem Ausguckposten er etwas in Zweifel gezogen hatte – es war recht merkwürdig, sage ich, daß er gerade diesen Mann gewählt hatte, und er so sein Leben den Händen eines Menschen aus freien Stücken anvertraute, dem er sonst nicht ganz traute.
Als Ahab zum erstenmal dort oben hockte, – und es waren kaum zehn Minuten vergangen, kam einer von den wilden Seefalken mit den roten Schnäbeln, die so oft dicht um die bemannten Mäste der Walfischer in jenen Breiten kreisen, flog mit großem Geschrei in einem Wirrwarr von geschwind gezogenen Kreisen, deren Spur man nicht feststellen konnte, um seinen Kopf, schoß dann tausend Fuß hoch in die Luft, ließ sich spiralförmig herunter, und wirbelte dann wieder um seinen Kopf herum.
Aber Ahab hielt den Blick starr auf den trüben und fernen Horizont gerichtet und bemerkte den wilden Vogel einscheinend nicht.
»Achten Sie auf Ihren Hut, Kapitän«, schrie plötzlich der Matrose von Sizilien, der auf dem Besanmast postiert war und unmittelbar hinter Ahab stand, wenn es auch etwas tiefer war.
Aber schon war die düstere Schwinge vor den Augen des Alten und der lange hakenförmige Schnabel an seinem Kopf. Und mit einem kreischenden Schrei schoß der schwarze Falke mit seiner Beute fort.
Ein Adler flog dreimal um den Kopf des Tarquinius, nahm ihm die Mütze ab und ersetzte sie ihm durch eine andere, worauf Tanaquil, seine Gemahlin, erklärte, daß er König von Rom werden würde. Aber nur dadurch, daß die Mütze durch eine andere ersetzt wurde, wurde das Omen für gut befunden. Ahab bekam seinen Hut nicht wieder. Der wilde Falke flog damit immer weiter und immer weiter ab vom Schiffsbug. Schließlich verschwand er, während von der Stelle aus, wo er mit dem Hut verschwunden war, ein ganz kleiner schwarzer Fleck undeutlich erkennbar wurde, der von gewaltiger Höhe in das Meer fiel.
Der »Pequod« segelte mit starker Geschwindigkeit weiter. Die rollenden Wogen gingen wie die Tage an ihm vorüber. Der zur Rettungsboje umgeformte Sarg schwang immer noch leicht hin und her. Da wurde ein neues Schiff gemeldet, das in seinem Elend den falschen Namen »Delight« führte. Als es näher kam, waren alle Augen auf die breiten Deckbalken gerichtet, die bei einigen Walschiffen in einer Höhe von acht oder neun Fuß über das Achterdeck gehen. Sie dienen dazu, die übrigen unfertigen und nicht gebrauchsfähigen Boote zu tragen.
Auf den Deckbalken des fremden Schiffes sah man die zerschlagenen weißen Schiffsrippen und ein paar zersplitterte Schiffsplanken von einem ehemaligen Walboot. Aber nun sah man durch das Wrack hindurch wie durch das abgezogene, kaum noch zusammenhängende und bleichfarbige Gerippe eines Pferdes.
»Hast du den weißen Wal gesehen?«
»Sieh da!« erwiderte der hohlwangige Kapitän von seinem Heckbord und wies mit seinem Schallrohr auf das Wrack.
»Hast du ihn getötet?«
»Die Harpune ist noch nicht geschmiedet, die das zustande bringt«, antwortete der andere und sah mit traurigen Blicken auf eine ausgefüllte Hängematte auf Deck, deren zusammengesuchte Teile einige Matrosen in aller Stille zusammennähten.
»Nicht geschmiedet?« damit faßte Ahab nach dem Eisen Perths, nahm es vom Haken und streckte es mit den Worten hin: »Sieh her, Nantucketer, seinen Tod halte ich in dieser Hand! Diese Harpune ist in Blut und vom Blitz gehärtet, und ich schwöre, daß ich sie dreifach an der heißen Stelle hinter der Flosse härten werde, wo der weiße Wal sein verfluchtes Leben spürt.«
»Möge dich Gott beschützen, Alter, siehst du da,« – und er zeigte auf die Hängematte – »daß ich einen von fünf wackeren Leuten beerdige, die gestern noch am Leben, aber heute noch vor Abend tot waren. Ich beerdige nur den einen, die übrigen wurden beerdigt, bevor sie starben. Ihr segelt auf ihrem Grabe.« Dann wandte er sich an seine Mannschaft. »Seid ihr fertig? Legt die Planke auf die Reling und hebt den Toten darauf! Möge denn Gott dir« – worauf er mit aufgehobenen Händen auf die Hängematte zuschritt – »die Auferstehung und das Leben –«
»Nach vorn brassen! Das Ruder hoch!« fuhr Ahab wie ein Ungewitter seine Leute an.
Aber mochte der »Pequod« auch noch so plötzlich losgefahren sein, es war doch nicht schnell genug, um dem Geräusch des Klatschens zu entgehen, das der Leichnam machte, als er auf die See fiel. Er war auch nicht schnell genug, daß nicht einige von den fliegenden Wasserblasen seinen Schiffsrumpf mit ihrer geisterhaften Taufe bespritzt hätten.
Als Ahab nun dem Bereich des verworfenen »Delight« entglitt, wurde die merkwürdige Rettungsboje, die am Heck des »Pequod« hing, sichtbar.
»Seht da, Leute!« rief eine ahnungsvolle Stimme im Kielwasser des Schiffes. »Vergeblich flieht ihr Fremden vor unserem traurigen Begräbnis davon. Ihr wendet uns euer Heck zu und zeigt uns euren Sarg!«
Es war ein klarer Tag und blau wie Stahl. Luft und See konnte man in dem alles durchdringenden Azurblau kaum auseinanderhalten. Die nachdenkliche Luft war durchleuchtend und so rein und sanft wie der Blick einer Frau. Das Meer dünte in seiner männlichen Stärke mit seinen langen und starken Atemzügen und hob sich wie Simsons Brust im Schlaf. [...]
»Starbuck!« –
»Kapitän?« –
»Ach, Starbuck! Es weht ein sanfter Wind und der Himmel sieht milde aus. Grad an solch einem Tage – es war gerade so mildes Wetter – tötete ich meinen ersten Wal. Ich war damals Harpunier, ein Junge von achtzehn Jahren. Das war vor vierzig – ja vierzig Jahren! Vierzig Jahre lang bin ich nun ununterbrochen auf der Waljagd! Vierzig Jahre lang habe ich Entbehrungen, Gefahren und stürmische Zeiten durchgemacht! Vierzig Jahre lang bin ich auf der See, die kein Mitleid kennt! Vierzig Jahre lang hat Ahab das friedliche Land verlassen, und vierzig Jahre lang hat er mit den Schrecken der Tiefe Krieg geführt.
Ja, ja! Was für ein Narr, was für ein großer Narr ist der alte Ahab in diesen vierzig Jahren gewesen! Wozu dieser Kampf bei der Jagd? Wozu diese Müdigkeit und wozu ist der Atem am Ruder, am Eisen und an der Lanze erlahmt? Ist Ahab nun dadurch reicher oder besser geworden? Sieh her, Starbuck! Ist mein Leid, an dem ich trage, nicht schwer, daß das eine Bein mir unter dem Leibe weggerissen ist? Streich mein altes Haar zur Seite! Es blendet mich, und es kommt mir so vor, als ob ich weinte. Wenn man solche grauen Haare hat, so können sie nur aus Asche entstanden sein! Aber sehe ich so alt, so furchtbar alt aus, Starbuck? Ich komme mir todesschwach, vor Alter gebeugt wie mit einem Buckel vor, als ob ich Adam wäre, der unter der Last von Jahrhunderten, die seit dem Paradiese verflossen sind, umherschwankte. Gott! Du lieber Gott, laß mein Herz zerbrechen und meine Stirn zerschellen! Welcher Spott, welch bitterer Spott, daß ich graue Haare habe! Habe ich denn Freude genug erlebt, um ihrer würdig zu sein? Und nun komme ich mir so unerträglich alt vor! Komm! komm dicht zu mir, Starbuck, laß mich in das Auge eines Menschen sehen. Es ist besser, als wenn man in die See oder in den Himmel sieht und besser noch, als wenn man in das Auge Gottes sieht. Bei der grünen Farbe des Landes, bei dem leuchtenden Schein des heimatlichen Herdes! Dies ist der Zauberspiegel! Mann, wenn ich in dein Auge sehe, so sehe ich mein Weib und mein Kind. Bleibe an Bord, nein, bleibe an Bord! Gehe nicht ins Boot, wenn ich es tue, wenn Ahab mit seinem Brandmal Moby-Dick jagt. Du sollst nicht diesem Wagespiel zum Opfer fallen! Nein, keinesfalls! Ich will nicht an die Heimat in der Ferne denken, wenn ich in das verruchte Auge sehe!« –
– »Mein lieber Kapitän! Hat man es denn nötig, daß man den verhaßten Fisch jagt! Fahr mit fort, laß uns aus diesen todesgeweihten Gewässern entfliehen! Laß uns nach Hause fahren! Auch Starbuck hat Weib und Kind. Und hat gerade so wie du in deinem liebebedürftigen Alter, als Vater nach Weib und Kind Verlangen. Laß uns fortfahren! Laß mich noch in diesem Augenblick den Kurs umstellen! In welcher Stimmung und in welcher Fröhlichkeit wollen wir dann auf unserem Weg dahinrollen, um das alte Nantucket wiederzusehen! Es kommt mir so vor, als ob sie in Nantucket gerade so sanfte, blaue Tage hätten, wie wir hier!«
–»Es ist so. Ich habe mal einige Sommermorgen erlebt. Um diese Zeit, wo man gerade seinen Mittagsschlaf hält, wacht der Junge mit seinem Strampeln auf. Richtet sich in seinem Bett auf, und die Mutter erzählt ihm von mir, dem alten Kannibalen, wie ich in der Fremde auf der tiefen See bin, und daß ich doch wiederkomme und ihn auf den Armen schaukeln werde.«–
»Genau so ist meine Mary. Sie hat mir gesagt, daß sie meinen Jungen alle Morgen nach den Dünen tragen würde, damit er als erster das Segel seines Vaters sehen sollte. Nun wollen wir aber nicht mehr daran denken! Wir wollen den Kurs nach Nantucket nehmen! Komm, Kapitän, nimm den richtigen Kurs und laß uns fortfahren!« –
Aber Ahabs Blick kehrte sich um; er schüttelte sich wie ein verdorrter Obstbaum und warf den letzten aschenfarbigen Apfel herab auf den Boden.
»Was für ein namenloses, unerforschbares und unirdisches Ding, was für ein betrügerischer, im Verborgenen wirkender Herr, und welcher grausame, gewissenlose Tyrann beherrscht mich? – Daß ich, allen natürlichen Gefühlen der Liebe und der Sehnsucht entgegen, fortwährend auf dem Sprunge bin und mich dazu dränge und mich auf die Dinge stürze! Daß ich mich unbekümmert zu dem bereit erkläre, was ich in meinem eigenen natürlichen Herzen nicht wagen dürfte? Ist Ahab denn wirklich Ahab? Bin ich es denn, lieber Gott, oder ist es ein anderer, der diesen Arm hochhebt? – Wenn die erhabene Sonne sich nicht aus eigener Kraft bewegt, sondern nur ein Wanderer am Himmelsgewölbe ist, und kein einziger Stern ohne Hilfe einer unsichtbaren Kraft sich um sich selbst drehen kann – wie kann dann dies kleine Herz schlagen und wie kann dieses kleine Gehirn denken, wenn nicht Gott im Herzen schlägt und nicht Gott im Gehirn denkt! Beim Himmel! Wir werden in dieser Welt herumgewirbelt, wie das Windspill dort drüben, und das Schicksal ist die Handspeiche. Und sieh die ganze Zeit den lächelnden Himmel und die bodenlose See an, sieh dir den Albicore da drüben an! Wer hat ihn gelehrt, den fliegenden Fisch zu jagen und zu fangen? Wie weit werden es noch die Mörder treiben, Mann! Wen soll man verurteilen, wenn der Richter selbst vor die Schranken des Gerichts geschleppt wird? Aber es ist ein sanfter, milder Wind, und der Himmel sieht recht ruhig aus. Die Luft duftet so, als ob sie von einer Wiese in der Ferne käme. Sie haben wohl irgendwo an den Abhängen der Anden Heu gemacht, Starbuck, und die Schnitter halten unter dem frischgemähten Gras ihren Mittagsschlaf? Arbeiten wir, solange wir können! Wir werden schließlich alle mal auf dem Felde schlafen. Und wir werden in dem grünen Gras einrosten, so wie die Sensen des vorigen Jahres zerklirren und in den halbgeschnittenen Grasschwaden liegenbleiben, nicht wahr, Starbuck!«
Aber Starbuck, der vor Verzweiflung bleich geworden war wie ein Leichnam, hatte sich inzwischen davongemacht.
Ahab ging über das Deck, um an der anderen Seite hinüberzusehen. Aber vor zwei nachdenklichen starren Augen, die in das Wasser sahen, fuhr er zurück. Es war Fedallah, der bewegungslos sich über dieselbe Reling lehnte.
Als der Alte in jener Nacht in der mittleren Wache aus der Luke, in der er angelehnt dastand, gewohnheitsgemäß in gewissen Zwischenräumen hervortrat und nach seinem Standort an Deck ging, fuhr er plötzlich mit dem Gesicht erregt auf. Und er schnüffelte in der Seeluft herum, wie ein Hund mit seiner Spürnase, als er in die Nähe einer Barbareninsel kam. Er erklärte, daß ein Wal in der Nähe sein müßte. Bald spürte die ganze Wache den eigentümlichen Geruch, der manchmal in einer großen Entfernung von dem lebendigen Pottwal ausgeht. Kein Matrose war daher überrascht, als Ahab, nachdem er die Kompaßnadel aufmerksam betrachtet und sich überzeugt hatte, daß der Geruch aus unmittelbarer Nähe kommen müßte, sofort befahl, daß der Kurs des Schiffes ein wenig geändert und die Segel eingezogen werden sollten.
Bei Tagesanbruch bekam diese scharfe Weisung, die diese Bewegungen anordnete, durch den Anblick einer langen Glätte auf der See, ihre Erklärung. Man sah sie unmittelbar in der ganzen Länge vorn vom Schiff. Sie war glatt wie Öl und glich mit den gefalteten Wasserrunzeln, die ihre Grenzen bildeten, dem metallischglänzenden Zeichen eines mit aller Plötzlichkeit erfolgenden Gezeitenrisses, der dicht vor einer tiefen, reißenden Strömung erfolgt.
»Die Mastspitzen bemannen! Alle Mann rufen!« [...]
Als alle Segel gesetzt waren, warf er die Rettungsleine aus, die dafür bestimmt war, um ihn oben an die Oberbramstange zu befördern, und in wenigen Augenblicken wurde er hinaufgezogen. Als nur zwei Drittel des Weges nach oben zurückgelegt waren und Ahab von oben her auf eine freie Stelle am Horizont zwischen dem Hauptmarssegel und dem oberen Segel hindurchschaute, schrie er wie eine Möve in der Luft: »Dort bläst sie! dort bläst sie! Ein Höcker, wie ein Schneeberg, es ist Moby-Dick!«
Von dem Ruf angefeuert, der gleichzeitig von den drei Ausgucksposten aufgenommen wurde, stürmten die Leute an Deck und nach dem Takelwerk, um den berühmten Wal von Angesicht zu sehen, den sie solange verfolgt hatten. Ahab war nun oben an seinem Sitz angekommen und befand sich einige Fuß über den anderen Ausgucksposten. Tashtego stand gerade unter ihm auf der höchsten Spitze des Obermastes, so daß der Kopf des Indianers mit Ahabs Fersen in gleicher Höhe war. Von dieser Höhe aus konnte man den Wal in einer Entfernung von einer Meile ungefähr beobachten. Wenn die See Wellen schlug, wurde jedesmal der hohe leuchtende Höcker sichtbar, und regelmäßig spritzte seine Fontäne in aller Ruhe in die Luft. Die abergläubischen Matrosen bildeten sich ein, daß es dieselbe ruhige Fontäne gewesen wäre, die sie solange vorher in dem mondglänzenden Atlantischen und Indischen Ozean gesehen hätten.
»Hat es denn keiner von euch vorher gesehen?« schrie Ahab den Leuten zu, die rund um ihn herum in den Masten saßen.
»Ich hab' ihn in demselben Augenblick gesehen wie der Kapitän! Und ich hab' ihn gemeldet«, sagte Tashtego.
»Nicht im selben Augenblick! Das ist nicht wahr! Die Dublone gehört mir. Das Schicksal hat die Dublone für mich aufbewahrt. Keiner von euch hätte den weißen Wal zuerst erblicken können, dort bläst sie, dort! Wieder dort! da!« schrie er in langgezogenem, systematischen Tonfall, der zu den allmählichen Verlängerungen der sichtbaren Fontäne des Wales paßte. »Er taucht gleich! In die Stunsegel! Die oberen Segel herunter. Drei Boote bereithalten, Starbuck. Denk daran und bleib an Bord und paß auf das Schiff! Das Steuerruder! Einen Strich anluven! So! Feste Mann, feste! Da sind die Schwanzflossen! Nein, nein. Es ist nur dunkles Wasser! Ist alles fertig an den Booten? Bereithalten! Laß mich herab, Starbuck! Herab! Herab, schnell, schneller!« Und er glitt durch die Luft auf Deck.
»Er geht gerade leewärts nach vorn, Kapitän«, schrie Stubb. »Er schwenkt von uns rechts ab; er kann das Schiff noch nicht gesehen haben.« –
»Halt den Mund, Mann. Stehe an den Brassen! Halt! das Steuer herunter! Aufbrassen! Boote her! Boote!« [...]
So schwamm denn Moby-Dick in der heiteren Stille des tropischen Meeres durch Wellen, die mit ihrem klatschenden Geräusch eine ungewöhnliche Raubgier verdeckten, weiter und ließ den Schrecken seines untergetauchten Rüssels nicht erkennen, der das Entsetzen seines zermalmenden häßlichen Kiefers ganz und gar verbarg. Aber bald erhob sich der Vorderteil langsam aus dem Wasser. In einem Augenblick bildete sein marmorweißer Körper einen hohen Bogen wie die Naturbrücke in Virginia; wie zur Warnung hob er sein Bannerzeichen, die Schwanzflossen, in die Luft, und der große Gott zeigte sich in voller Größe, tauchte unter und war nicht mehr zu sehen. Die weißen Seevögel suchten sich noch zu halten, tauchten mit den Flügeln ins Wasser und beugten sich dann verlangend über die schwankende Stange, die noch zu sehen war. [...]
»Die Vögel! die Vögel!« rief Tashtego. In einer langen Reihe flogen die weißen Vögel, wie Reiher in der Luft, auf Ahabs Boot zu. Und als sie einige Yards davon entfernt waren, flatterten sie über das Wasser und zogen mit lustigem, erwartungsvollen Schrei einen Kreis um ihn. Ihre Sehkraft war stärker als die eines Menschen; Ahab konnte in der See nichts erkennen. Als er aber plötzlich in die Tiefe schaute, sah er einen lebendigen Fleck dort unten, der nicht größer als ein weißes Wiesel war. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit stieg er auf und vergrößerte sich, als er höher kam, drehte sich dann mit einem Mal um, und es zeigten sich ganz deutlich zwei lange, krumme Reihen von weißen, glitzernden Zähnen, die aus dem unerkennbaren Meeresgrund auftrieben. Es war der offene Mund von Moby-Dick und der geschnörkelte Unterkiefer! Sein riesenhafter, vom Schatten bedeckter Rumpf zerschmolz noch mit dem Blau des Meeres zur Hälfte. Der glitzernde Mund sperrte sich unter dem Boot auf wie ein geöffnetes Marmorgrab. Ahab gab dem Boote mit dem Steuerruder seitwärts einen Stoß, um es dieser furchtbaren Erscheinung zu entreißen. Dann forderte er Fedallah auf, den Platz mit ihm zu wechseln, ging auf den Bug los, faßte die Harpune von Perth und befahl seinen Leuten, die Ruderstangen festzuhalten und am Heck bereitzustehen. Ahabs Absicht war, dem Bug des Bootes durch eine rechtzeitig erfolgte Drehung eine dem Kopf des Wales entgegengesetzte Richtung zu geben, solange er sich noch unter Wasser befand. Aber, als ob er diese List bemerkt hätte, glitt Moby-Dick mit der ihm zugeschriebenen boshaften Schlauheit seitwärts und schoß in einem Nu seinen Kopf mit den vielen Falten in der ganzen Länge unter das Boot.
In jeder Planke, in jeder Rippe und in jeder Fuge krachte es in einem Augenblick; der Wal lag schräg auf dem Rücken, wie ein zubeißender Hai und nahm langsam und spürbar den ganzen Bug in das Maul, so daß der lange, schmale, schneckenförmige Unterkiefer bis hoch in die offene Luft ragte und ein Zahn in ein Ruderloch faßte. Das bläuliche, perlweiße Innere des Kiefers war sechs Zoll von Ahabs Kopf entfernt und reichte wohl noch höher hinauf. In dieser Stellung schüttelte nun der weiße Wal das dünne Zedernboot, wie eine nicht übermäßig grausame Katze eine Maus. Fedallah starrte mit ruhigen Augen die Szene an und kreuzte die Arme. Aber die Mannschaft mit den tigergelben Gesichtern taumelte übereinander und suchte das äußerste Heck zu erreichen. Während nun die beiden elastischen Dollborde hin und her schnellten, als der Wal mit dem todgeweihten Schiff auf teuflische Weise spielte, und der Wal, der mit seinem Körper unterhalb des Bootes getaucht war, so daß er von dem Bug aus nicht getroffen werden konnte – denn die Buge waren gleichsam in ihm drin – und während die anderen Boote unwillkürlich stoppten, wie vor einer schnellen Krise, der man nicht widerstehen kann, da geschah es, daß der monomanische Ahab, der die furchtbare Nähe seines Feindes nicht ertragen konnte, und lebendig und hilflos den verhaßten Kiefern preisgegeben war, in seiner Wut mit seinen bloßen Händen den langen Kieferknochen anpackte und ihn mit wilder Kraft loszureißen suchte. Als er nun diesen vergeblichen Versuch machte, entglitt ihm der Kiefer; die gebrechlichen Dollborde bogen sich zurück, krachten und zerbrachen, und die beiden Kiefer des Wals glitten, wie ein riesiger Querbalken, weiter achterwärts, rissen das Boot vollständig in zwei Teile und schlossen sich schnell wieder in der See in der Mitte zwischen den beiden treibenden Wracks. Als diese abtrieben und die gebrochenen Teile niedergingen, hielten sich die Leute an dem Heck des Wracks an den Dollborden fest und griffen nach den Ruderstangen, um sich weiterzubringen.
Bevor das Boot zerbrochen war, hatte Ahab an dem schlauen Aufschnellen des Kopfes die Absicht des Wales erkannt. Bei dieser Bewegung lockerte sich der feste Griff des Wales einen Augenblick, sofort machte er mit der Hand seinen letzten Versuch, das Boot dem Biß des Wales zu entreißen. Aber da das Boot noch tiefer in das Maul gerutscht und dabei seitlich umgekippt war, hatte es die Lockerung des Kiefers bewirkt. Als Ahab sich dabei nach vorn beugte, wurde er aus dem Boot geworfen und fiel so mit dem flachen Gesicht auf das Meer.
Moby-Dick hatte sich unter kräuselndem Wellenschlag von seiner Beute zurückgezogen und lag nun in geringer Entfernung da und streckte seinen schrägen weißen Kopf senkrecht in den Wellen nach oben und nach unten; dabei drehte sich sein ganzer Körper wie eine Spindel gleichzeitig langsam um, und als nun seine riesige Stirn mit den vielen Falten aus dem Wasser kam – wohl bis zu einer Höhe von zwanzig Fuß und darüber –, schlugen die nun anhebenden Dünungen der gleichzeitig kommenden Wellen stürmisch dagegen. Rachsüchtig spritzten sie ihren Schaum noch weit höher in die Luft.
Er nahm bald seine horizontale Lage wieder ein und schwamm schnell um die schiffbrüchige Mannschaft herum. Er ließ rachsüchtig das Kielwasser seitwärts aufschäumen, als ob er sich zu einem noch furchtbareren Todesangriff aufraffen wollte. Der Anblick des zersplitterten Bootes schien ihn toll zu machen, wie der Saft der Weintrauben und Maulbeeren, die in dem Buch der Makkabäer den Elefanten des Antiochus vorgeworfen werden. Inzwischen wurde Ahab halb erstickt im Schaum des Schwanzes des unverschämten Wales herumgetrieben. Um schwimmen zu können, war er zu sehr Krüppel. Immerhin konnte er sich sogar mitten in solch einem Strudel oben halten. Man erkannte den Kopf des hilflosen Ahabs, dem wie eine hin und her gestoßene Wasserblase bei der geringsten Kleinigkeit das Allerschlimmste passieren konnte. Aus dem Heck des Bootes, das nur noch ein Wrack war, sah ihn Fedallah uninteressiert und sanft an. Die am anderen Ende treibende Mannschaft konnte ihm keine Hilfe bringen. Es war schon viel, daß sie sich selbst helfen konnten. Der Anblick des weißen Wales war so schrecklich, und er trieb sich wie ein Planet in dem sich immer mehr zusammenziehenden Kreise um sie herum, daß es so schien, als ob er in wagerechter Richtung auf sie zustoßen wollte. Obwohl die anderen Boote unbeschädigt waren und immer noch in nächster Nähe hielten, wagten sie dennoch nicht, sich in den Strudel zu begeben, damit das nicht das Zeichen für die völlige Vernichtung der wagehalsigen Schiffbrüchigen würde. Und wenn das geschah, so hatten sie selbst kaum Hoffnung, sich zu retten. Mit starren Blicken hielten sie sich an dem äußeren Rande der Zone des Entsetzens, deren Mittelpunkt nun der Kopf des Alten geworden war.
Inzwischen hatte man von den Masten des Schiffes aus diese Vorgänge beobachtet; das Schiff hatte vierkant gebraßt und nahm nun den Kurs auf die Szene zu und war nun so nahe, daß Ahab ihm vom Wasser aus zurief: »Auf den –« aber in demselben Augenblick trieb ihn eine hohe See von Moby-Dick ab, und er wurde für eine Zeit überwältigt. Er kämpfte sich aber daraus hervor und rief dann, als er zufällig oben auf einen riesig hohen Wellenkamm kam: »Auf den Wal zusegeln! Treibt ihn zurück!«
Die Schiffsbuge des »Pequod« wurden gerichtet. Das Schiff zerbrach den Zauberkreis und trennte tatsächlich den weißen Wal von seinem Opfer. Als der Wal mürrisch davonschwamm, flogen die Boote zur Rettung herbei.
Ahab wurde mit blutunterlaufenen, nahezu geblendeten Augen in das Boot von Stubb gezogen, und weißer salziger Schaum bedeckte seine Falten. Nun ließ ihn die lange körperliche Spannung zusammenbrechen. Hilflos wie einer, der von den Beinen von Elefantenherden zertreten ist, lag er unten in Stubbs Boot wie zerschlagen. Aus seinem Innern kamen namenlose Klagerufe aus weiter Ferne, schmerzhafte Laute aus einer Schlucht.
»Ist die Harpune noch ganz?« sagte Ahab, der sich soeben aufrichtete und den einen Arm gebeugt hielt, auf den er sich stützte.
»Ja, Kapitän; sie ist nicht abgeschossen. Da ist sie«, sagte Stubb und zeigte sie.
»Leg' sie vor mich hin! Fehlen Leute?«
»Eins, zwei, drei, vier, fünf – es waren fünf Ruder und fünf Leute sind da, Kapitän.«
»Es ist gut. Hilf mal, Mann. Ich will stehen. So, so. So sehe ich ihn. Da ist er. Er ist noch immer an der Leeseite. Die Fontäne spritzt ja furchtbar! Die Hände von mir weg! Das Blut steigt wieder in meinen alten Knochen auf. Die Segel setzen! Die Ruder 'raus! Und das Steuer!«
Es geschieht oft, daß, wenn ein Boot eingeschlagen ist, die Mannschaft desselben, sofern sie von einem anderen Boot aufgefischt ist, beim zweiten Boot mithilft. Die Jagd wird dann mit doppelsitzigen Rudern fortgesetzt. Das war auch hier der Fall. Aber die vereinte Kraft des Bootes war der vereinten Kraft des Wales nicht gewachsen; man hatte den Eindruck, als ob seine Flossen »dreisitzig« wären. Er schwamm mit einer Geschwindigkeit, woraus deutlich hervorging, daß, wenn es auf diese Weise weiterging, die Jagd bis ins Unermeßliche dauern würde, sofern sie überhaupt Aussicht auf Erfolg hatte. Dann konnte es keine Mannschaft wegen der ununterbrochenen übermäßigen Anstrengung an den Rudern solange aushalten.
Das Schiff stand unter den besten Vorbedingungen einer erfolgreichen Jagd. Die Boote, die gerade bereitgestellt waren und bald an den Rollenzügen hochgezogen wurden – man hatte die beiden Teile des zerbrochenen Bootes vorher in Sicherheit gebracht –, streckten ihre Sturmsegel nach der Seite aus wie die doppelten Schwingen eines Albatros. So nahm denn der »Pequod« seinen Kurs auf das Kielwasser an der Leeseite des Moby-Dick. Nach den wohlbekannten methodischen Zwischenzeiten wurde die glitzernde Fontäne des Wales von der Bemannung der Mäste regelmäßig gemeldet.
Und als man die Meldung brachte, daß er gerade untergetaucht wäre, sah Ahab auf die Uhr, ging über Deck und hatte die Kompaßuhr in der Hand. Als die letzte Sekunde der veranschlagten Stunde vorüber wir, hörte man seine Stimme.
»Wem gehört denn nun wohl die Dublone? Seht ihr ihn?« Und wenn die Antwort war: »Nein, Kapitän«, befahl er ihnen unverzüglich, ihn an seinen Sitz hochzuziehen. Auf diese Weise ging der Tag zu Ende. Mal war Ahab oben in der Luft, ohne sich zu bewegen, mal schritt er ruhelos über die Schiffsplanken. [...]
»Können die Fontäne jetzt nicht sehen, Kapitän, zu dunkel!« rief eine Stimme aus der Luft.
»Wohin ging sie denn, als ihr sie zuletzt saht?«
»Wie vorhin, gerade nach der Leeseite.«
»Gut! Der Wal wird heute nacht langsamer schwimmen. Das Oberbramsegel und die Stunsegel am oberen Mars einziehen! Starbuck! Vor morgen werden wir kaum auf ihn stoßen. Er macht jetzt seine Rundreise und wird wohl jetzt eine Weile beilegen. Ans Ruder! Das Ruder vor dem Wind in acht nehmen! Ihr da oben, kommt herunter! Stubb, schick' einen neuen Mann oben an den Vordermast und bemanne ihn bis zum Morgen.« Dann ging er auf die Dublone am Hauptmast zu. »Leute, dies Goldstück gehört mir, ich hab' es verdient. Aber ich lasse es hier, bis der weiße Wal tot ist. Und wer ihn dann zuerst sichtet an dem Tage, wo er getötet werden soll, dem soll das Goldstück gehören. Wenn ich ihn an diesem Tage wieder sichte, so will ich die zehnfache Summe unter euch allen verteilen. Los jetzt! Du hast die Aufsicht auf Deck.«
Als er das sprach, stellte er sich auf halbem Wege in die Luke, zog den Hut über den Kopf und blieb bis zum Morgengrauen dort stehen, höchstens, daß er von Zeit zu Zeit sich aufreckte, um zu sehen, ob die Nacht nicht bald vorüber wäre.
Als der Tag anbrach, wurden die drei Mäste auf die Minute neu bemannt.
»Seht ihr ihn?« schrie Ahab, nachdem er abgewartet hatte, bis sich das Licht ausbreitete.
»Sehe nichts, Kapitän.« [...]
Als die beiden Mannschaften in dem Strudel herumgetrieben wurden und die sich drehenden Seiltrommeln, die Ruder und das sonstige schwimmende Mobiliar zu fassen suchten, während der kleine Flask auf abschüssiger Bahn wie eine leere Flasche auf- und niedertanzte und seine Beine hochhob, um den gefürchteten Kiefern der Haie zu entgehen, und Stubb nach jemand Ausschau hielt, der ihn aus dem Wasser fischte, und die Leine des Alten die Möglichkeit bot, aus dem schäumenden Pfuhl einen x-beliebigen Mann herauszuziehen, und das unbeschädigte Boot Ahabs von unsichtbaren Drähten gen Himmel gezogen zu werden schien, da kam der weiße Wal mit einem Male wie ein Pfeil aus der See herausgeschossen, schlug mit seiner breiten Stirn von unten gegen das Boot und warf es kopfüber in die Luft. Bis es dann wieder herunterfiel – mit dem Dollbord nach unten – und Ahab und seine Leute sich aus dem umgekehrten Boot herauskämpften wie Seehunde aus einem am Meeresufer stehenden Käfig.
Bei dem ersten Aufsteigen war der Wal, als er die Meeresoberfläche berührte, aus der Richtung gekommen, und so wurde er wider Willen eine kleine Strecke von dem Ort seiner Zerstörung abgetrieben. Dieser befand sich in seinem Rücken; so blieb er denn einen Augenblick liegen und fühlte mit seinen Flossen in der Gegend herum. Und jedesmal, wenn ein herrenloses Ruder, ein Plankenstück oder der geringste Überrest von den Booten seine Haut streifte, zog er geschwind den Schwanz zurück und schlug von der Seite gegen die See.
Aber als er sich zu seiner Zufriedenheit davon überzeugt hatte, daß seine Arbeit diesmal getan war, trieb er seine Stirn mit den vielen Falten durch den Ozean und zog die verwickelten Leinen hinter sich her; er setzte dann seinen Weg an der Leeseite fort, wie es ein Reisender tut, der nach einer bestimmten Methode reist.
Wie früher hatte das aufmerksame Schiff den ganzen Kampf mitangesehen. Nun kam es wieder zur Rettung herangefahren. Man ließ ein Boot herunter, fischte die herumtreibenden Matrosen auf, ebenso die Seiltrommeln, die Ruder und was man sonst fassen konnte. Es wurde alles sicher an Deck untergebracht: einige verstauchte Schultern, Handgelenke und Knöchel, bleich aussehende Leute mit Quetschungen, verbogene Harpunen und Lanzen, nicht mehr auseinanderzubringende Stücke der Leine und zersplitterte Ruder und Planken. Alles das war reichlich vorhanden. Aber niemand schien einen ernsthaften Schaden genommen zu haben. Wie es am Tage vorher bei Fedallah der Fall gewesen war, so fand man nun Ahab; er hielt sich an seinem halben, zerbrochenen Boot wutverzerrt fest. So kam er noch verhältnismäßig leicht davon, und außerdem war er nicht so erschöpft wie an dem unglücklichen vorhergehenden Tage.
Aber als man ihm beim Besteigen des Decks behilflich war, richteten sich alle Augen fest auf ihn. Statt auf eigenen Füßen zu stehen, hing er halb an der Schulter von Starbuck, der ihm zu allererst Hilfe gebracht hatte. Das Bein aus Walfischknochen war ihm abgerissen, und es blieb nur noch ein kurzer, scharfer Splitter übrig.
»Ja, ja, Starbuck, es ist schön, wenn man sich manchmal anlehnen kann, und mag das auch sein, wer will. Es wäre besser gewesen, wenn der alte Ahab sich öfter mal angelehnt hätte.«
»Der Eisenring hat nicht gehalten, Kapitän«, sagte der Zimmermann, der nun herankam. »Ich habe mir bei dem Bein große Mühe gegeben.« [...]
Die Befürchtung des Alten erfüllte sich. Als sich die Mannschaft versammelte, war der Parse nicht da.
»Der Parse –«, rief Stubb. »Der Parse muß wohl –«
»Das gelbe Fieber soll dich fressen! Lauft alle nach oben, nach unten, in die Kabine, auf das Vorderdeck, und sucht, wo er ist! Er kann doch nicht fort sein!«
Aber bald kamen sie mit der Nachricht wieder, daß der Parse nirgends zu finden wäre. »Er muß wohl zwischen Ihre Leine gekommen sein. Mir kommt es so vor, als ob ich ihn gesehen hätte, wie er heruntergezogen wurde.«
»Unter meine Leine! meine Leine? Er ist wirklich fort? Was kann dies eine Wort bedeuten? Was für eine Totenglocke kann nur darin klingen, daß der alte Ahab zusammenfährt, als ob er ein Glockenturm wäre? Wo ist denn die Harpune? Werft mal das Gerümpel da durcheinander! Seht ihr sie? Ich meine das geschmiedete Eisen, Leute, die Harpune des weißen Wals! Nein, nein, nein! Ich blöder Narr! Ich hab' sie ja mit dieser Hand abgeschossen! Sie steckt ja im Fisch drin! Ihr da oben! Habt ihn gut im Auge! Schnell, alle Mann an das Takelwerk der Boote! Die Ruder her, Harpuniere, die Eisen! die Eisen! Zieht die Oberbramsegel höher! Ran an die Schotten! Ans Ruder! Arbeitet, was ihr könnt! Ich will zehnmal um den unermeßlichen Erdball herumfahren, ja, und in ihm untertauchen, bis ich ihn erschlagen habe!« [...]
[...] Er gab ein Zeichen, und indem er immer noch um sich in die Runde blickte, wurde er durch die aufgeklaffte blaue Luft auf das Deck niedergelassen.
In entsprechender Zeit wurden die Boote herabgelassen, aber als Ahab im Heck seiner Schaluppe stand und vor dem Hinabsteigen etwas zögerte, winkte er dem Maaten, der eins von den Rollenseilen an Deck hielt, und bat ihn, einen Augenblick einzuhalten.
»Starbuck!«
»Zum drittenmal tritt das Schiff meiner Seele diese Reise an, Starbuck.«
»Ja, Kapitän, du willst es so haben.«
»Einige Schiffe segeln aus ihren Häfen ab und immer fehlen sie später, Starbuck.«
»Das ist Wahrheit, Kapitän, furchtbare Wahrheit.«
»Einige sterben zur Ebbezeit, einige im niedrigen Wasser und einige mitten in der Flut. Ich komme mir jetzt wie eine Welle vor, die nur ein riesiger einziger weißer Kamm ist, Starbuck. Ich bin alt, gib mir die Hand, Mann!«
Ihre Hände begegneten sich, ihre Blicke lagen fest ineinander, und aus Starbucks Augen leuchtete eine Träne.
»Ach, Kapitän, du edler Mensch, geh nicht fort. Sieh, es ist ein tapferer Mensch, der weint. Wie groß muß da der Schmerz seines Glaubens sein!«
»Niederlassen!« schrie Ahab. Und er stieß den Arm des Maaten von sich. »Sei der Mannschaft behilflich!«
Im Augenblick ruderte das Boot dicht an der Heckseite.
»Die Haifische! die Haifische!« schrie eine Stimme aus dem unteren Kabinenfenster. »Herr, mein Herr, komm doch zurück!«
Aber Ahab hörte es nicht, denn seine eigene Stimme wurde hoch in die Luft geworfen; dann tanzte das Boot weiter. [...]
Als er wieder an ihnen vorbeischoß, ertönte ein kurzer Schrei. Ganz und gar an den Rücken des Wales festgebunden und von den Leinen mehrfach gefesselt, die dieser während der vergangenen Nacht um ihn gewickelt hatte, wurde nun mit einem Male der halbzerrissene Körper des Parsen sichtbar!! Seine schwarzen Kleider waren in Fetzen zerrissen, und seine starren weiten Augen sahen den alten Ahab an.
Als er das sah, fiel ihm die Harpune aus der Hand.
»Ich werde verrückt, verrückt!« Und er atmete lang auf. »Ja, Parse! ich sehe dich wieder. Ja, und du gehst vor mir! und das – ist also die Totenbahre, die du versprochen hast, aber ich halte dich an den genauen Wortlaut deiner Rede. Wo ist die zweite Totenbahre? Fort, Maate, nach dem Schiff! Diese Boote sind jetzt nutzlos! Repariert sie rechtzeitig, wenn es möglich ist – und kehrt zu mir zurück. Wenn nicht, so genügt es, wenn Ahab hier allein stirbt. – Los, Leute, wer zuerst den Versuch macht, aus dem Boot zu springen, in dem ich stehe, den harpuniere ich! Ihr seid nicht etwas anderes! Ihr seid nur meine Arme und meine Beine, und so müßt ihr mir denn gehorchen. Wo ist der Wal? Ist er wieder untergegangen?« [...]
Einen Augenblick lang stand die im Erstarrungszustand befindliche Mannschaft still, dann wandte sie sich um. »Wo ist das Schiff? Um's Himmels willen, wo ist das Schiff?« Bald sahen sie durch trübe, beunruhigende Luft hindurch ein seitlich dahinschwimmendes Phantom wie bei einer gasförmigen Fata Morgana. Nur die höchsten Enden der Mäste standen aus dem Wasser hervor. Erstarrt hielten die heidnischen Harpuniere aus Eitelkeit, aus Treue oder aus Schicksalsergebenheit auf ihren einstmals so hohen Sitzen aus, die nun in die See sanken. Nun faßten konzentrische Ringe das übriggebliebene Boot und die ganze Mannschaft; jede Ruderstange, jeder Lanzenschaft und jedes belebte und unbelebte Wesen wurde nun in einen Strudel gezogen, und langsam kam der kleinste Überrest vom »Pequod« außer Sicht.
Aber als die Flut allmählich über den gesunkenen Kopf des Indianers am Hauptmast zu schlagen drohte, blieben noch ein paar Zoll der emporgerichteten Spiere sichtbar, wie auch von den langen flackernden Yards der Flagge, die in aller Ruhe mit ironischer Begleitung über den verheerenden Wellen wogte, die sie fast berührten. In demselben Augenblick wurden ein roter Arm und ein Hammer an der Backbordseite in die offene Luft gehoben, der sich alle Mühe gab, die Flagge an der nachgebenden Spiere immer fester zu schlagen. Ein vom Himmel kommender Seefalke, der höhnischerweise dem Flaggenknopf am Hauptmast von seiner natürlichen Heimat unter den Sternen nach unten gefolgt war, hackte an der Flagge und belästigte dort Tashtego. Dieser Vogel schlug nun mit seiner breiten, flatternden Schwinge zwischen den Hammer und das Holz. Vielleicht fühlte der untergetauchte Wilde darunter zu gleicher Zeit den ätherischen Schauer, und so hielt er denn in der Umklammerung des Todes seinen Hammer mit eingefrorener Faust fest. Der Vogel des Himmels stieß mit erzengelhaften Rufen und seinem majestätischen Schnabel nach oben, wobei er mit seiner ganzen Gestalt in der Flagge Ahabs eingeschlossen und gefangen war. So ging er denn mit dem Schiff unter, das wie Satan nicht zur Hölle sinken wollte, ohne daß es ein lebendes Stück Himmel mit in die Tiefe gerissen und damit sein Haupt bedeckt hätte.
Nun flogen kleine Vögel schreiend über den Schlund, der sich noch immer weit auftat. Eine weiße Brandung schlug mürrisch gegen die steilen Ufer derselben. Dann krachte alles zusammen, und das große Leichentuch des Meeres rollte weiter, wie es schon vor fünftausend Jahren gerollt war.
Epilog
»Und
ich bin allein entkommen, um es dir zu sagen.«
Hiob.
Das Drama ist zu Ende. Wozu will denn einer noch weitergehen? Weil ein einziger das Wrack überlebt hat.
Das ging so zu. Nach dem Untergang des Parsen war ich derjenige, den das Schicksal dazu bestimmte, den Platz des Bootsmannes von Ahab auszufüllen. Ich war derselbe, der am Heck niederging, als an dem letzten Tage die drei Leute aus dem schaukelnden Boot geworfen wurden. Angesichts der darauffolgenden Szene, als die saugende Bewegung des Meeres, die das versunkene Schiff schon verschlungen hatte, an mich herankam, wurde ich langsam auf den Strudel zugezogen, der allem ein Ende machte. Als ich ihn erreicht hatte, war ein schäumender Pfuhl an die Stelle getreten; so bewegte ich mich denn um die Achse des sich langsam drehenden Kreises auf die knopfartige schwarze Wasserblase zu wie ein zweiter Ixion. Bis dann schließlich die schwarze Wasserblase, als sie gegen das lebendige Zentrum stieß, oben barst. Ich war nun infolge dieses günstigen Umstandes befreit und dank der Tatsache, daß der zur Rettungsboje umgeformte Sarg infolge seines leichten Auftriebs der Länge nach aus dem Meer hervorgeschossen kam, überkippte und neben mir hertrieb. Als ich von jenem Sarg gerettet war, trieb ich fast einen ganzen Tag und eine ganze Nacht auf einem unruhigen und grabähnlichen weiten Meer umher.
Die Haifische taten mir nichts und glitten an mir vorüber, als ob sie Schlösser vor ihren Mäulern hätten. Die wilden Seefalken flogen vorbei, als ob ihre scharfen Schnäbel in der Scheide steckten. Am zweiten Tage kam ein Segler heran und nahm mich schließlich auf. Es war die in falschen Zonen kreuzende »Rachel«, die auf der immer noch währenden Suche nach ihren verlorengegangenen Kindern nur ein anderes Waisenkind fand.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen