09 Februar 2021

Telemachs Zwiegespräch mit Athene oder wie es Götter mit der Wahrheit halten

Pallas Athene kommt in der Gestalt des Mentes an den Hof von Odysseus, wo Penelope von Freiern bedrängt wird, die ihr Hab und Gut verprassen.

Pallas erblickte zuerst Telemachos, ähnlich den Göttern.

Unter den Freiern saß er mit traurigem Herzen; denn immer

Schwebte vor seinem Geiste das Bild des trefflichen Vaters:

Ob er nicht endlich käme, die Freier im Hause zerstreute

Und, mit Ehre gekrönt, sein Eigentum wieder beherrschte.

Dem nachdenkend, saß er bei jenen, erblickte die Göttin

Und ging schnell nach der Pforte des Hofs, unwillig im Herzen,

Daß ein Fremder so lang an der Türe harrte; empfing sie,

Drückt' ihr die rechte Hand und nahm die eherne Lanze,

Redete freundlich sie an und sprach die geflügelten Worte:

Freue dich, fremder Mann! Sei uns willkommen; und hast du

Dich mit Speise gestärkt, dann sage, was du begehrest.

Also sprach er und ging; ihm folgete Pallas Athene. [...]

Aber Telemachos neigte das Haupt zu Pallas Athene

Und sprach leise zu ihr, damit es die andern nicht hörten:

Lieber Gastfreund, wirst du mir auch die Rede verargen?

Diese können sich wohl bei Saitenspiel und Gesange

Freun, da sie ungestraft des Mannes Habe verschwelgen,

Dessen weißes Gebein vielleicht schon an fernem Gestade

Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewälzt wird. [...]

Bist du in Ithaka noch ein Neuling oder ein Gastfreund

Meines Vaters? Denn unser Haus besuchten von jeher

Viele Männer, und er mocht auch mit Leuten wohl umgehn.

Drauf antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene:

Dieses will ich dir alles, und nach der Wahrheit, erzählen.

Mentes, Anchialos' Sohn, des kriegserfahrenen Helden,

Rühm ich mich und beherrsche die ruderliebende Taphos. [...]

[Telemach:] Alle werben um meine Mutter und zehren das Gut auf.

Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung

Nicht ausschlagen und nicht vollziehn. Nun verprassen die Schwelger

All mein Gut und werden in kurzem mich selber zerreißen!

Und mit zürnendem Schmerz antwortete Pallas Athene:

Götter, wie sehr bedarfst du des langabwesenden Vaters,

Daß sein furchtbarer Arm die schamlosen Freier bestrafe! [...]

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