Im Wartezimmer hatte ich die Gelegenheit, ein Vorwort zur Götterdämmerung aus DDR-Zeit zu lesen. Der Eifer, mit dem der Autor betonte, dass Wagner seinen ursprünglichen Entwurf 1848 verfasste und dass der Text der Tetralogie vom Ring der Nibelungen schon fertig gewesen sei, als Wagner noch ganz unter dem Einfluss Proudhons und Feuerbachs stand und noch nicht Schopenhauer gelesen hatte, war mir bemerkenswert. So viel Bemühen, Wagner als optimistischen Revolutionär im Kampf gegen das Kapital (Symbol: Gold) zu sehen! Auf die gekünstelt altdeutsche Sprache und den Antisemitismus ging der Autor, so weit ich im Wartezimmer gelesen habe, überhaupt nicht ein.
Da habe ich mir noch einmal den Wikipediaartikel vorgenommen und wenigstens zwei Textstellen herausgesucht. (Bei Gelegenheit füge ich im Anschluss an den Text noch die kritische Sicht Fontanes auf die Behandlung des Mythos und andererseits einen selbstironischen Text Wagners, der gar nicht zu meiner gefühlmäßigen Ablehnung von Wagnerschwulst passt.)
Meine Annäherung an Wagner kam sehr spät (2016); aber in ganz kleinen Happen, kann ich ihn inzwischen aufnehmen.
Richard Wagner: Götterdämmerung (Wikipedia)
1. Aufzug, 1. Szene
"[...] Das Geschwisterpaar erkennt den verschlagenen Hagen neidlos als Ratgeber an. Listig hält er ihnen vor, noch unvermählt zu sein, und fädelt einen geschickten Plan ein: Für Gunther weiß er ein „Weib“, „das herrlichste der Welt“ – Brünnhilde –, das indes nur Siegfried vom feuerumloderten Berg holen kann. Dieser aber werde Gunthers Bitte erfüllen, um dafür Gutrune als Ehefrau zu gewinnen. Gutrune mag nicht glauben, dass der „herrlichste Held der Welt“ sie begehren könne. Doch Hagen erinnert an einen Trank: Genösse Siegfried den, vergäße er, „daß je ein Weib ihm genaht“. Die Geschwister stimmen diesem Plan begeistert zu, ohne zu bedenken, welches Weib Siegfried vergäße. In Wahrheit freilich geht es Hagen ausschließlich um den Ring.
Auf seiner Rheinfahrt legt Siegfried bei der Gibichungenhalle an. Gutrune reicht ihm den von Hagen präparierten Begrüßungstrunk. Kaum hat er diesen „in einem langen Zuge“ geleert, hat er Brünnhilde vergessen. Er entbrennt in wilder Leidenschaft für Gutrune und ist sogleich bereit, für Gunther die gewünschte Braut – Brünnhilde – zu holen, wenn er dadurch „Gutrun zum Weib“ gewinnt. Er schließt mit Gunther Blutsbrüderschaft und drängt: „Frisch auf die Fahrt!“, denn, so erklärt er seinem Blutsbruder: „Um die Rückkehr ist’s mir jach!“. Gunther und Siegfried besteigen das Schiff. Hagen bleibt zurück und bewacht die Halle. Im Selbstgespräch höhnt er ihnen nach: „Ihr freien Söhne, frohe Gesellen, segelt nur lustig dahin! Dünkt er euch niedrig, ihr dient ihm doch, des Niblungen Sohn.“ [...]"
Text:
"Hagen
In sommerlich reifer Stärke
seh' ich Gibichs Stamm,
dich, Gunther, unbeweibt,
dich, Gutrun', ohne Mann.
Gunther
Wen rätst du nun zu frein,
daß unsrem Ruhm es fromm'?
Hagen
Ein Weib weiß ich,
das herrlichste der Welt:
auf Felsen hoch ihr Sitz;
ein Feuer umbrennt ihren Saal;
nur wer durch das Feuer bricht,
darf Brünnhildes Freier sein.
Gunther
Vermag das mein Mut zu bestehn?
Hagen
Einem Stärkren noch ist's nur bestimmt.
Gunther
Wer ist der streitlichste Mann?
Hagen
Siegfried, der Wälsungen Sproß:
der ist der stärkste Held.
Ein Zwillingspaar,
von Liebe bezwungen,
Siegmund und Sieglinde,
zeugten den echtesten Sohn.
Der im Walde mächtig erwuchs,
den wünsch' ich Gutrun' zum Mann.
Gutrune
Welche Tat schuf er so tapfer,
daß als herrlichster Held er genannt?
Hagen
Vor Neidhöhle den Niblungenhort
bewachte ein riesiger Wurm:
Siegfried schloß ihm den freislichen Schlund,
erschlug ihn mit siegendem Schwert.
Solch ungeheurer Tat
enttagte des Helden Ruhm.
Gunther
Vom Niblungenhort vernahm ich:
er birgt den neidlichsten Schatz?
Hagen
Wer wohl ihn zu nützen wüßt',
dem neigte sich wahrlich die Welt.
Gunther
Und Siegfried hat ihn erkämpft?
Hagen
Knecht sind die Niblungen ihm.
Gunther
Und Brünnhild' gewänne nur er?
Hagen
Keinem andren wiche die Brunst.
Gunther
Was weckst du Zweifel und Zwist!
Was ich nicht zwingen soll,
darnach zu verlangen machst du mir Lust?
Hagen
Brächte Siegfried die Braut dir heim,
wär' dann nicht Brünnhilde dein?
Gunther
Was zwänge den frohen Mann,
für mich die Braut zu frein?
Hagen
Ihn zwänge bald deine Bitte,
bänd' ihn Gutrun' zuvor.
Gutrune
Du Spötter, böser Hagen,
wie sollt' ich Siegfried binden?
Ist er der herrlichste Held der Welt,
der Erde holdeste Frauen
friedeten längst ihn schon.
Hagen
Gedenk des Trankes im Schrein;
vertraue mir, der ihn gewann:
den Helden, des du verlangst,
bindet er liebend an dich.
Träte nun Siegfried ein,
genöss' er des würzigen Tranks,
daß vor dir ein Weib er ersah,
daß je ein Weib ihm genaht,
vergessen müßt' er des ganz.
Nun redet: wie dünkt euch Hagens Rat?
Gunther
Gepriesen sei Grimhild',
die uns den Bruder gab!
Gutrune
Möcht' ich Siegfried je ersehn!
Gunther
Wie fänden ihn wir auf?
Hagen
Jagt er auf Taten wonnig umher,
zum engen Tann wird ihm die Welt:
wohl stürmt er in rastloser Jagd
auch zu Gibichs Strand an den Rhein.
Gunther
Willkommen hieß' ich ihn gern.
Vom Rhein her tönt das Horn."
[...]
3. Aufzug, 3. (letzte) Szene
Während der folgenden Trauermusik verwandelt sich die Bühne wieder in die Gibichungenhalle. Die von Albträumen gequälte Gutrune irrt durch die Nacht. Sie glaubt, sie habe Brünnhilde gesehen, wie sie zum Ufer des Rheines schritt. Der tote Siegfried wird gebracht. Hagen brüstet sich trotzig mit dem Mord, weil der Tote „Meineid sprach“. Er macht „Heiliges Beuterecht“ geltend und fordert den Ring. Gunther stellt sich ihm in den Weg, doch Hagen erschlägt ihn und „greift nach Siegfrieds Hand; diese hebt sich drohend empor“. Alles schreckt zurück. Jetzt erscheint Brünnhilde und befiehlt, einen Scheiterhaufen am Rande des Rheins zu errichten, in dessen Flammen Siegfried, sie selbst und Grane verbrannt werden sollen. Noch einmal preist sie den Toten. Den Rheintöchtern, die sie am Ufer besucht hat, dankt sie „redlichen Rat“. Sie weiß jetzt alles. Sie zieht den Ring von Siegfrieds Finger. Aus ihrer Asche sollen die Rheintöchter den durch das Feuer vom Fluch Gereinigten an sich nehmen. Dann wirft sie eine Fackel in den Holzstoß, besteigt Grane „und sprengt mit einem Satze in den brennenden Scheiterhaufen“. Als das Feuer am höchsten lodert, tritt der Rhein über die Ufer, der Brand erlischt, die Rheintöchter schwimmen heran. Als Hagen diese erblickt, stürzt er sich mit dem Ruf: „Zurück vom Ring!“ in die Flut. Doch die Rheintöchter ziehen ihn in die Tiefe. In einem hellen Feuerschein am Himmel sieht man das brennende Walhall. „Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.“
Text:
Brünnhilde (allein in der Mitte; nachdem sie lange, zuerst mit tiefer Erschütterung, dann mit fast überwältigender Wehmut das Angesicht Siegfrieds betrachtet, wendet sie sich mit feierlicher Erhebung an die Männer und Frauen)
Starke Scheite schichtet mir dort
am Rande des Rheins zuhauf!
Hoch und hell lodre die Glut,
die den edlen Leib
des hehrsten Helden verzehrt.
Sein Roß führet daher,
daß mit mir dem Recken es folge;
denn des Helden heiligste Ehre zu teilen,
verlangt mein eigener Leib.
Vollbringt Brünnhildes Wunsch!
(Die jüngeren Männer errichten während des Folgenden vor der Halle nahe am Rheinufer einen mächtigen Scheiterhaufen, Frauen schmücken ihn mit Decken, auf die sie Kräuter und Blumen streuen.)
Wie Sonne lauter strahlt mir sein Licht:
der Reinste war er, der mich verriet!
Die Gattin trügend, treu dem Freunde,
von der eignen Trauten, einzig ihm teuer,
schied er sich durch sein Schwert.
Echter als er schwur keiner Eide;
treuer als er hielt keiner Verträge;
lautrer als er liebte kein andrer:
und doch, alle Eide, alle Verträge,
die treueste Liebe trog keiner wie er!
Wißt ihr, wie das ward?
(Nach oben blickend.)
O ihr, der Eide ewige Hüter!
Lenkt euren Blick auf mein blühendes Leid,
erschaut eure ewige Schuld!
Meine Klage hör, du hehrster Gott!
Durch seine tapferste Tat,
dir so tauglich erwünscht,
weihtest du den, der sie gewirkt,
dem Fluche, dem du verfielest:
mich mußte der Reinste verraten,
daß wissend würde ein Weib!
Weiß ich nun, was dir frommt?
Alles, alles, alles weiß ich,
alles ward mir nun frei!
Auch deine Raben hör' ich rauschen;
mit bang ersehnter Botschaft
send' ich die beiden nun heim.
Ruhe, ruhe, du Gott!
(Sie winkt den Mannen, Siegfrieds Leiche auf den Scheiterhaufen zu tragen; zugleich zieht sie von Siegfrieds Finger den Ring und betrachtet ihn sinnend.)
Mein Erbe nun nehm' ich zu eigen.
Verfluchter Reif! Furchtbarer Ring!
Dein Gold fass' ich und geb' es nun fort.
Der Wassertiefe weise Schwestern,
des Rheines schwimmende Töchter,
euch dank' ich redlichen Rat.
Was ihr begehrt, ich geb es euch:
aus meiner Asche nehmt es zu eigen!
Das Feuer, das mich verbrennt,
rein'ge vom Fluch den Ring!
Ihr in der Flut löset ihn auf,
und lauter bewahrt das lichte Gold,
das euch zum Unheil geraubt.
(Sie hat sich den Ring angesteckt und wendet sich jetzt zu dem Scheiterhaufen, auf dem Siegfrieds Leiche ausgestreckt liegt. Sie entreißt einem Manne den mächtigen Feuerbrand, schwingt diesen und deutet nach dem Hintergrund.)
Fliegt heim, ihr Raben!
Raunt es eurem Herren,
was hier am Rhein ihr gehört!
An Brünnhildes Felsen fahrt vorbei.
Der dort noch lodert,
weiset Loge nach Walhall!
Denn der Götter Ende dämmert nun auf.
So – werf' ich den Brand
in Walhalls prangende Burg.
(Sie schleudert den Brand in den Holzstoß, der sich schnell hell entzündet. Zwei Raben sind vom Felsen am Ufer ausgeflogen und verschwinden nach dem Hintergrunde zu.
Brünnhilde gewahrt ihr Roß, welches zwei junge Männer hereinführen. Sie ist ihm entgegengesprungen, faßt es und entzäumt es schnell; dann neigt sie sich traulich zu ihm.)
Grane, mein Roß, sei mir gegrüßt!
Weißt du auch, mein Freund,
wohin ich dich führe?
Im Feuer leuchtend, liegt dort dein Herr,
Siegfried, mein seliger Held.
Dem Freunde zu folgen, wieherst du freudig?
Lockt dich zu ihm die lachende Lohe?
Fühl meine Brust auch, wie sie entbrennt;
helles Feuer das Herz mir erfaßt,
ihn zu umschlingen, umschlossen von ihm,
in mächtigster Minne vermählt ihm zu sein!
Heiajoho! Grane!
Grüß deinen Herren!
Siegfried! Siegfried! Sieh!
Selig grüßt dich dein Weib!
(Sie hat sich auf das Roß geschwungen und sprengt mit einem Satze in den brennenden Scheiterhaufen. Sogleich steigt prasselnd der Brand hoch auf, so daß das Feuer den ganzen Raum vor der Halle erfüllt und diese selbst schon zu ergreifen scheint. Entsetzt drängen sich die Männer und Frauen nach dem äußersten Vordergrunde. Als der ganze Bühnenraum nur noch von Feuer erfüllt erscheint, verlischt plötzlich der Glutschein, so daß bald bloß ein Dampfgewölk zurückbleibt, welches sich dem Hintergrunde zu verzieht und dort am Horizont sich als finstere Wolkenschicht lagert. Zugleich ist vom Ufer her der Rhein mächtig angeschwollen und hat seine Flut über die Brandstätte gewälzt. Auf den Wogen sind die drei Rheintöchter herbeigeschwommen und erscheinen jetzt über der Brandstätte. Hagen, der seit dem Vorgange mit dem Ringe Brünnhildes Benehmen mit wachsender Angst beobachtet hat, gerät beim Anblick der Rheintöchter in höchsten Schreck. Er wirft hastig Speer, Schild und Helm von sich und stürzt wie wahnsinnig sich in die Flut.)
Hagen
Zurück vom Ring!
(Woglinde und Wellgunde umschlingen mit ihren Armen seinen Nacken und ziehen ihn so, zurückschwimmend, mit sich in die Tiefe. Floßhilde, den anderen voran dem Hintergrunde zuschwimmend, hält jubelnd den gewonnenen Ring in die Höhe. Durch die Wolkenschicht, welche sich am Horizont gelagert, bricht ein rötlicher Glutschein mit wachsender Helligkeit aus. Von dieser Helligkeit beleuchtet, sieht man die drei Rheintöchter auf den ruhigeren Wellen des allmählich wieder in sein Bett zurückgetretenen Rheines, lustig mit dem Ringe spielend, im Reigen schwimmen. Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhalls, in welchem die Götter und Helden, ganz nach der Schilderung Waltrautes im ersten Aufzuge, versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saal der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.)
Zur Würdigung der Leistung der neuen Formsprache Wagners
In seiner "Mitteilung an meine Freunde" weist Wagner darauf hin, dass er die klassische Form der Oper Mit Arie, Duett, Chor und Ensemble nicht absichtlich aufgelöst habe, sondern dass er um der Aussage der Dichtung willen die Musiksprache um dieser Aussage willen jeweils der Aussage angepasst habe. Thomas Mann sagt dazu in "Richard Wagner und der 'Ring des Nibelungen'": "Wagners Dichtertum anzuzweifeln schien mir immer absurd ... Die wundervollen Laute, die hier der Musiker findet, verdankt er dem Dichter. Aber was auch wieder dankt nicht dieser alles dem Musiker." Der russisch/sowjetische Regisseur Konstantin Stanislawski (1863-1938) sagte über Wagners Gesamtkunstwerk: "Wagners Gefühl für die Inszenierung und sein Traum von den Festspielen in Bayreuth sind das Großartigste, was das 19. Jahrhundert auf dem Gebiete der Theaterkultur geschaffen hat." [Zitate nach Werner Wolf*]
Fontane über Wagners Ring:
"Er ist, aller glänzenden Rekapitulationen unerachtet, doch in einer totalen Konfusion steckengeblieben; deshalb steckengeblieben, weil er sich eine Aufgabe stellte, die entweder überhaupt nicht zu lösen war oder für die wenigstens seine Kräfte, so respektabel sie an sich an und für sich waren, nicht ausreichten.
Und welches war nun diese Aufgabe? Die Verschmelzung zweier Sagen oder Fundamentalsätze, von denen jeder einzelne gerade Schwierigkeiten genug bot. Erster Fundamentalsatz: An der Gier, an dem rücksichtslosen Verlangen hängt die Sünde, das Leid, der Tod. Wer den Goldring der Nibelungen hat, der hat ihn immer nur zum Unheil und Verderben. Zweiter Fundamentalsatz: Die Götter sind gebunden und regieren nur durch Vertrag. Auch dem Himmel kann gekündigt werden. Wächst der Mensch, so sinken die Götter; der eigentliche Weltenherrscher ist der freie Geist und die Liebe. [...] Satz 1 ist die alte Evageschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Konsequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen:
"Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich; dass sich die Menschen ihren Gott geschaffen, ist gewiss." [...]" (Fontane an Karl Zöllner 13.7.1881)
*Werner Wolf: "Richard Wagner und sein Bühnenfestspiel 'Der Ring des Nibelungen' in: R. Wagner: Götterdämmerung Leipzig 1960, S.24 u. 27
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