In dem 'Schönen' Gespräch*, das zu belauschen wir Gelegenheit hatten, jenem abendlichen Wechselgesang zwischen Jaakob und seinem fehlhaften Liebling am Brunnen, hatte der Alte beiläufig auch des Eliezer Erwähnung getan, der dem Ahnen während seines und seines Anhanges Aufenthalt in Damaschki von einer Sklavin geboren worden sei. Nichts ist klarer, als dass er mit diesem Eliezer nicht denjenigen gemeint haben konnte, der – ein gelehrter Greis und freilich ebenfalls der freigelassene Sohn einer Sklavin, wahrscheinlich sogar ein Halbbruder Jaakobs – auf dessen eigenem Hofe lebte, auch allerdings zwei Söhne namens Damasek und Elinos hatte und den Knaben Joseph unter dem Unterweisungsbaum in vielen nützlichen und übernützlichen Kenntnissen zu fördern pflegte. Man kann es wohl sonnenklar nennen, dass er, den er meinte, der Eliezer war, dessen erstgeborenen Sohn Abraham, der Wanderer aus Ur oder Charran, lange Zeit als seinen Erben hatte betrachten müssen: so lange nämlich, bis zuerst Ismael, dann aber, gelächtervollerweise, obgleich es der Sarai schon nicht mehr nach der Weiberart gegangen und Abraham selbst so alt gewesen war, dass man ihn einen Hundertjährigen nennen konnte, ich Jizchack oder Isaak, der wahrhafte Sohn, das Licht erblickt hatte. Aber die Klarheit der Sonne ist eine und eine andere des Mondes Klarheit, die ja bei jenem übernützlichen Gespräch wunderbar obgewaltet hatte. In ihr nehmen die Dinge sich anders aus als in jener, und sie mochte diejenige sein, die damals und dort dem Geist als die wahre Klarheit erschien. Darum sei unter uns gesagt und zugegeben, dass Jakob mit 'Eliezer' dennoch seinen eigenen Hausvogt und ersten Knecht gemeint hatte, – ihn nämlich, beide auf einmal also, und nicht nur beide, sondern den Eliezer überhaupt: denn seit dem ältesten zu seiner Zeit hatte es auf den Höfen der Häupter ihn, den freigelassenen Eliezer oft gegeben, und oft hatte er Söhne mit Namen Damasek und Elinos gehabt.
Diese Meinung und Gesinnung Jaakobs war denn auch – des hatte der Alte sicher sein können – durchaus die Meinung und Gesinnung Josephs gewesen, der weit entfernt war, zwischen Eliezer, dem Ur-Knecht, und seinem alten Lehrer sonnenklar zu unterscheiden, und umso weniger Ursache dazu hatte, als dieser selbst es nicht tat, sondern, wenn er von 'sich' sprach / zu einem guten Teil Eliezer, den Knecht Abrahams, meinte. So zum Beispiel hatte er dem Joseph mehr als einmal die Geschichte, wie er Eliezer, bei des Hauses Verwandten in Mesopatamien Rebekka, die Tochter Bethuels und Labans Schwester, für Jizhak gefreit hatte, haargenau bis auf die kleinen Monde und Mondsicheln, die an den Hälsen der zehn Dromedare geklingelt, bis auf den präzisen Schekelwert der Nasenringe, Armspangen, Festkleider und Gewürze, die den Mahlschatz und Kaufpreis für Rebekka, die Jungfrau, gebildet hatten, als seine eigene Geschichte und Lebenserinnerungen erzählt und sich nicht genugtun können in der Beschreibung von Rebekka's liebreizender Milde, als sie an jenem Abend am Brunnen vor Nahors Stadt den Krug vom Kopf auf die Hand herab gelassen und und ihn zum Trunke geneigt hatte für ihn, den Durstigen, den sie, was er ihr besonders hoch anrechnete, 'Herr' genannt; von dem züchtigen Anstand, mit dem sie beim ersten Anblick Isaaks, der zur Klage um seine kürzlich geschiedene Mutter aufs Feld gegangen, von ihrem Kamel gesprungen war und sich verschleiert hatte. Dem hörte Joseph mit einem Ergötzen zu, das durch keinerlei Befremdung über die grammatische Form beeinträchtigt wurde, in der Eliezer es zum Besten gab, und dem jede Anstoßnahme fern blieb daran, dass des Alten Ich sich nicht als ganz fest umzirkt erwies, sondern gleichsam nach hinten offen stand, ins Frühere, außer als seiner eigenen Individualität Gelegene überfloss und sich Erlebnisstoff einverleibte, dessen Erinnerungs- und Wiedererzeugungsform eigentlich und bei Sonnenlicht betrachtet die dritte Person statt der ersten hätte sein müssen. Aber was heißt denn hier 'eigentlich', und ist etwa des Menschen Ich überhaupt ein handfest in sich geschlossen und streng in seine zeitlich- fleischlichen Grenzen abgedichtetes Ding? Gehören nicht viele der Elemente, aus denen es sich aufbaut, der Welt vor und außer ihm an, und ist die Aufstellung, dass jemand kein anderer sei und sonst niemand, nicht nur eine Ordnungs- und Bequemlichkeitsannahme, welche geflissentlich alle Übergänge außer Acht lässt, die das Einzelbewusstsein mit dem allgemeinen verbinden? Der Gedanke der Individualität steht zuletzt in derselben Begriffsreihe wie derjenige der Einheit und Ganzheit, der Gesamtheit, des Alls, und die Unterscheidung zwischen Geist überhaupt und individuellen Geist besaß bei weitem nicht immer solche Gewalt über die Gemüter wie in dem Heute, dass wir verlassen haben, um von einem anderen zu erzählen, dessen Ausdrucksweise ein getreues Bild seiner Einsicht gab, wenn es für die Idee der 'Persönlichkeit' und 'Individualität' nur dermaßen sachliche Bezeichnungen kannte wie 'Religion' und 'Bekenntnis'.
(Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Die Geschichten Jaakobs Zweites Hauuptstück Jaakob und Esau. Mondgrammatik, S.89/90)
* "Joseph verstand, dass das Gespräch 'schön' werden sollte, ein 'Schönes Gespräch', das hieß: ein solches, das nicht mehr dem nützlichen Austausch diente und der Verständigung über praktische oder geistliche Fragen, sondern der bloßen Aufführung und Aussagung des beiderseits Bekannten, der Erinnerung, Bestätigung und Erbauung, und ein redender Wechselsang war, wie die Hirtenknechte ihn tauschten des Nachts auf den Feldern und anfingen: 'Weißt du davon? Ich weiß es genau.' "(Am Brunnen. Zwiegesang)
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