26 Januar 2023

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis

 Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis, 2023

KLAPPENTEXT

Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.

Rezensionen (Perlentaucher)

Bemerkenswert: In den Rezensionen wird auch deutliche Kritik geübt:

"Den Titel "Sex, Lies and Altpapier" hätte Rezensent Tobias Rüther passender gefunden für das neue Buch von Arno Geiger. [...] Was erstaunlicherweise überhaupt nicht berücksichtigt werde, sei, dass es sich bei den gelesenen Tagebucheinträgen oder Briefen ja wiederum selbst um inszenierte Texte handelt. Etwas peinlich findet der Kritiker außerdem, dass Geiger sich zwar für den "unstandesgemäßen" Aspekt seiner Müll-Kletterei schäme, nicht aber dafür, dass er damit im Grunde gegen das Briefschutzgesetz verstoße. Für Rüther eine unglückliche Veröffentlichung." (FAS 7.1.23)

Ich persönlich bin schon von den ersten Seiten fasziniert. von dem mutigen Unternehmen, sein Leben darauf zu bauen, dass man abgetanen Lebensstoff von anderen zu wertvollen Aussagen für andere verdichten kann.  

Zitate:

"Das Leben, wenn man jung ist, bietet viel Raum, in den man seine Hoffnungen verschieben kann, ein Gefühl auswegloser Beengtheit entsteht nicht so leicht. Wie ein Möbelstück schiebt man die Hoffnungen in den Raum, der Zukunft heißt, von einer Ecke in die andere. Platz findet sich immer. (S.40)

"Die schlechten Vorjahre gingen mir nach. Jetzt registrierte ich die sich an mir vollziehenden Veränderungen mit großer Erleichterung. Ich verspürte ungeheure Freude und Zuversicht. Leider vermochte ich meine Gefühle nicht zu dosieren. Wie ein Kind, das einen Kuchen backen will und die Dose mit dem Mail nicht so geschickt handhaben kann, wie bei der Mutter beobachtet, warf ich alles in die Schüssel. Meine Freude kippte in den Überschwang, meine Zuversicht in die Überheblichkeit. Das kam zu Recht und zum Glück nicht überall gut an." (Seite 42)

Bis Seite 207 schreibt Geiger eine sehr offene Biographie, sehr kurz für das, was er an Name-dropping hätte leisten können. Ein wenig war es schon weniger Lebensstoff als Rechtfertigung. Dafür war zuvor ungewöhnlich viel Offenheit. Die rechtfertigt aus meiner Sicht die sehr weitgehenden Auskünfte über seine Beziehungen, die durch das Verbergen hinter Anfangsbuchstaben sicher nur recht unvollkommen geschützt sind.  
Auf S.207 stehen dann die Sätze:
Keine Ahnung, was mit mir los ist. Immer packen mich Dinge an der Gurgel. Diese Hand an der Gurgel ist eine drastische Form der Ergriffenheit, eine seltsame Form von Talent." (S.207)
Danach beginnt nun ein Teil, wo es meiner Meinung nach nicht mehr darum geht, Leben treffend vorzustellen, sondern eher um Selbstrechtfertigung. 
Die beginnt mit dem Schopenhauerzitat: "Daher ist nun die erste, ja, schon beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, dass man etwas zu sagen habe."
Dazu Geiger: "Die meisten Menschen, wenn sie aus privaten Gründen schreiben, haben etwas zu sagen." (S.211)
Auf S.212 scheibt er dann über Philipp Roth, der ihm sei am Schluss "lebend das Leben ausgegangen" (S.212) und lobt ihn dafür, dass er das schließlich selbst gemerkt habe. 

Doch fast wirkt Geigers eigener Roman, als sei ihm der Lebensstoff ausgegangen. (Ist das Absicht?) Er schreibt, literaturkritische Gedanken, ohne sie in Form zu bringen, wiederholt sich, argumentiert nicht, sondern wechselt in schlechte Mündlichkeit, wird banal: "Mehr im Allgemeinen, wie soll ich sagen...", "Kunst wird von der strikten Einhaltung von Konventionen nicht befördert, darin sind wir uns, glaube ich einig. Auch darüber, dass [...] herrscht, glaube ich, Einigkeit." (S.221) "Natürlich weiß ich, dass es elegantere Arten gibt, ein Buch zu beenden. Aber ich lasse das Geschriebene so stehen, ein bisschen rau, stellenweise ungehobelt, als Ausdruck meiner selbst." (S.237)

Hier ist dann die Stelle, wo man sich als Leser schützend vor den Autor stellt: "Das schreibt dieser bewundernswerte Autor mit Absicht so." Sicher will er damit ironisch seine Formulierung "Jede Stilisierung ist Lüge" (S.210) bekräftigen!

Ein über weite Teile faszinierendes Buch, das auch auf den Seiten 208-237 Wichtiges enthält. 

Was schreibt Fontane als öffentliche Antwort auf  Kritik über die eine oder andere nichtssagende Formulierung in seinen Theaterkritiken:  Wenn dann der Bote der Zeitung schon in der Tür steht, um das Manuskript der Kritik abzuholen, dann schreibt man mal so etwas. 

(Ich hoffe, noch Zitate nachzuholen, aber genug für heute. Ich lass das mal so stehen.)

Trotz dieser Kritik am Formalen. Geiger ist zu Recht stolz auf seine hart erarbeitete lebensgesättigte Schreibweise, und ich will in der Tat manche seiner Aussagen aus diesem literaturkritischen Teil noch festhalten, weil sie wesentlich sind und nicht zurückgehalten werden sollten.
Der Kritik von Tobias Rüther kann ich durchaus nicht folgen. Es ist ein großer Gewinn, wenn man Lebenserfahrung in seinem Werk eingehen lässt, ohne dabei, wie es etwa bei Max Frisch und Thomas Mann vorkommt, in problematischer Weise das Leben anderer einzubeziehen. Bei Frisch seine Frau Marianne, bei Mann seinen Enkel Frido als Echo, "das Kind, indem er es unter grauenvollen Schmerzen an einer eitrigen Hirnhautentzündung sterben lässt." (Wikikipedia)*
Aber Kleist, dessen Werk nicht zuletzt von seinem ganz eigenen Stil lebt, wegen dieser Stilisierung in den Verdacht der Lüge zu stellen, ist zwar durchaus nicht verboten (Dass er "gegen das Briefschutzgesetz verstoße" (Rüther) empfinde ich durchaus nicht. Wenn er Lebensstoff anonymer Personen (die man schwerlich wird herausfinden können) in sein Werk eingehen lässt, ist das ein Gewinn. Und zusätzlich ist es ein Gewinn, wenn er berichtet, wie er an diesen seinen sehr hart erarbeiteten Zugang an Lebensstoff herangekommen ist. - Nur, große Teile der Weltliteratur (Ist nicht selbst Kafkas Weise, sich selbst und sein Weltverhältnis in sein Werk einzubringen, in erheblichen Anteil "Stilisierung"? Zu Recht gibt es das Wort "kafkaesk") abzuwerten, weil sie nicht dieselbe Art des Zugangs hatten? - Nein, das hat Geiger gewiss nicht gewollt mit seiner Kritik an Stilisierung. (Für mich ist "Mein Herz so weiß" ein Fall, wo diese Kritik aus meiner Sicht angebracht wäre.)

* Dennoch würde ich es nicht wagen wollen, Werken wie Buddenbrooks und  Der alte König in seinem Exil, die ohne eine gewisse Grenzüberschreitung nicht möglich gewesen wären, diese Grenzüberschreitung vorzuwerfen. - Wo sie zu weit geht, werden von Fall zu Fall die Meinungen auseinandergehen. 

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