31 Januar 2023

Zwei Halbvergessene

Mit 'Halbvergessene' meine ich beide, Siegburg und Chateaubriand - nämlich, soweit es die Siruation in Deutschland betrifft.

 Friedrich Sieburg

François-René de_Chateaubriand  

Freilich: "In Frankreich gehört er zum Schulstoff und ist so bekannt wie in Deutschland Goethe.[9] " (Wikipedia)

Wenn man heute 20 - 40-jährige nach diesen Namen fragt, wüssten wohl die Wenigsten etwas damit zu verbinden. Das sagt gewiss nichts über ihre Lebensleistung aus.

Sieburgs Darstellung ist ganz auf Stil ausgerichtet, er erzählt nicht, sondern in einer stilistisch schwungvollen Weise verwendet er eine große Menge von Material zur Beschreibung seiner Sicht auf die Person. Interessanterweise listet er nicht in einem Literaturverzeichnis, die Titel auf, die er herangezogen hat und die den Hintergrund seiner Arbeit bieten, sondern er berichtet davon, was er gelesen hat, macht aber keine präzisen Angaben über Titel, Jahreszahl, Verlag und so weiter.

Zitate:

"Als ein langes Leben zu Ende war, bettete man den glorreichen Toten in das gewünschte Felsengrab.
Die Bestattung war ein feierliches Ereignis, die ganze Bevölkerung der bretonischen Hafenstadt und viele Leute vom Lande drängten sich auf den alten Befestigungsmauern und den Klippen und sahen ergriffen dem kleinen Zuge zu, der gegen den Sturm ankämpfte. [...] Unter den Klängen einer schwermütigen Musik wurde der Sarg in das ausgehobene Grab gesenkt. Eine Granitplatte, ein Kreuz, sonst nichts, kein Name, keine Inschrift. So hatte es der große Mann bestimmt. Sein Stolz, sein Sinn für die erhabene Einsamkeit duldeten nur die Stimme des Meeres, die sich in Ruhe wie in Erregung ewig gleich bleibt.
Dies Grab ist wie sein Leben, wie er selbst: einsam, romantisch und ein wenig theatralisch. François-René de Chateaubriand ist auf einem Felsen begraben, den das Meer umspült und vom Lande trennt, aber diese Stätte liegt dicht an der Küste, sie liegt in Reichweite des menschlichen Treibens, nicht draußen im unabsehbaren Ozean wie etwa der Sterbefelsen seines großen Gegenspielers Napoleon." (S. 479)

"Mit Chateaubriand begann die farbige und indiskrete Vermischung von Liebe, Literatur und Politik, die aus allen diesen Lebensäußerungen ein einziges Strömen romantischer Exaltation machte. Sein ganzes Wesen, so scheint es, war darauf gerichtet, ein möglichst großes Stück Welt und Dasein in sich zu schlingen – und doch war sein ständiger Lebensüberdruss, über den er so gerne sprach, mehr als eine Pose." (S.481)
Er glaubte, "dass der Autor sich eine Haltung schuldig sei, die er einst so unvergleichlich in seinem Jugendroman geschildert hatte: 'Vom Beginn meines Lebens an habe ich stets Kummer gehabt: ich trug einen Keim in mir, wie der Baum den Keim seiner Frucht trägt. Ein unbekanntes Gift mischte sich in alle meine Empfindungen. Ich bin ein quälender Traum. Das Leben langweilt mich, die Langeweile hat mich immer verzehrt; was die anderen Menschen interessiert, berührt mich überhaupt nicht. Hirte oder König – was hätte ich mit meinem Stab oder Zepter angefangen! Ich wäre des Ruhmes wie der Entbehrung, der Arbeit wie der Muße, des Wohlergehens wie des Missgeschicks gleich müde geworden. Ich bin tugendhaft ohne Genugtuung; wenn ich ein Verbrecher wäre, so wäre ich es ohne Reue. Alles ödet mich an, ich schleppe meine Langeweile mit meinen Tagen dahin, und überall verbringe ich mein Leben mit Gähnen.' [...]
er hat auf seine Art einen hartnäckigen Kampf mit Napoleon geführt und doch schöner sein Lob gesungen als irgendein anderer Schriftsteller seiner Zeit, er hat den Bourbonen mit musterhafter Treue gedient und sie doch verachtet, er hat viele Tausende von Seiten mit seiner berauschenden Prosa beschrieben und doch meistens nicht gewusst, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Wenn er eine diplomatische Note an eine fremde Macht schrieb, hatte er nur den einen Wunsch, in die Arme seiner Geliebten zu eilen. Wenn er eine Frau umschlungen hielt, dachte er an die Rede, Die er demnächst als Pair von Frankreich halten wollte. [...]
Sein Stil, dessen prachtvolle Gefühlskraft und oft übermäßige Schönheit wie ein Gewitter auf seine Zeit gewirkt haben, wäre ohne dieses taedium vitae nicht denkbar." (S. 482)

"Die Person, die er wirklich liebte und an der er bis in die äußersten Konsequenzen echten Anteil nahm, war er selbst." (S. 483)

Friedrich Sieburg über sein Buch:
"In der Literatur sind die Tatsachen nicht wahrer als das Erdachte. Wenn ich sage, dass diese Lebensbeschreibung Chateaubriands nur Tatsachen aufführt, also Dinge, die wirklich geschehen und uns überliefert sind, so will ich damit nicht den Wahrheitsgehalt des Buches erhöhen, sondern nur auf eine bestimmte Arbeitsweise hindeuten. In dieser Biografie ist nichts erfunden, nichts arrangiert oder ausgesponnen. Nur die Darstellung, die Deutung und der Bezug auf uns sind Sache des Verfassers. Ich habe mich von der Figur dieses großen Franzosen, dessen Leben sich über dramatische Ereignisse und Epochen der modernen Geschichte erstreckt, einst ergreifen lassen und in ihm eine so vollkommene Spiegelung des künstlerischen Menschen schlechthin gefunden, dass es mein Wunsch wurde, sein Leben möglichst getreu zu beschreiben." (S.723)

Doch der Schluss seines Lebensberichts über Chateaubriand lautet:

"Der Sterbende, der nicht mehr sprechen kann, folgt ihr mit angstvollen Augen, in seinem fieberglänzenden Blick drückt sich die Furcht aus, sie könne nicht zurückkommen. Sein Gesicht entspannt sich erst, wenn sie ihren Platz an seinem Bett wieder einnimmt. Seine Züge sind ganz durchsichtig geworden vor Krankheit und Schmerzen, immer wieder sucht er Juliettes Hand. Er, der die Freiheit über alles geliebt hat, will nicht, dass dieses Band sich lockere. An sie gebunden will er sterben. Aber sie sieht ihn nicht sterben, sie hebt den Kopf mit den blinden Augen, um auf seine Atemzüge zu lauschen. Jetzt hört sie nichts mehr. Sie sinkt in die Knie und legt ihr Gesicht auf den Rand des Bettes. So bleibt sie lange, so finden sie die jungen Männer des Polytechnikums, die in ihren Paradeuniformen erscheinen, um die Totenwache anzutreten. Sie sehen das majestätische Gesicht des Toten, über dessen Stirn die weißen Locken stehen. [...]"

"[...] nur Tatsachen [...], also Dinge, die wirklich geschehen und uns überliefert sind" ist wohl doch eine etwas ungenaue Kennzeichnung der Schilderung dieser Sterbeszene, in der Sieburg die Gefühle des - stummen - Sterbenden zu kennen vorgibt.

"Chateaubriands Nachruhm als Autor beruht vor allem auf seiner Autobiografie Mémoires d’outre-tombe (Erinnerungen von jenseits des Grabs) sowie den Kurzromanen Atala und René, die seit 1805 meist gemeinsam in einem Band, aber separat von Le Génie du Christianisme, gedruckt werden. Er gilt als einer der großen Autoren der französischen Literatur und insbesondere als einer der Väter der französischen Romantik. In Frankreich gehört er zum Schulstoff und ist so bekannt wie in Deutschland Goethe.[9] Die Bewunderung seiner Zeitgenossen zeigt der Ausspruch Victor Hugos von 1816: „Je veux être Chateaubriand ou rien.“ (Ich möchte Chateaubriand werden oder nichts). Proust lobte die Erinnerungsblitze in seinen Recherchen. Flaubert erfreute sich an „seinem herrlichen Stil mit dem königlichen Bogenschlag und seinem wogenden Satz“.[10] Roland Barthes sprach von der „atemberaubenden Schönheit“ in Chateaubriands Sprache.[11] "(Wikipedia)


Übersetzung eines Teils des französischen Wikipediaartikels zu Mémoires d’outre-tombe:

Kindheit und Jugend
Chateaubriand beginnt seine Erzählung mit einer langen Erklärung über seinen familiären Hintergrund und insbesondere über die Missgeschicke seiner Onkel und seines Vaters. Diesem war es nämlich gelungen, das Ansehen seiner Familie zu verbessern und ihre wirtschaftliche Situation wiederherzustellen. Chateaubriands Vater war streng und stur, ein autoritärer Mann, der auf strenge und manchmal bedrückende Weise für Ordnung in seiner Familie sorgte. Nach seinem Tod behielt Chateaubriand jedoch einige bewegte und respektvolle Erinnerungen an ihn und sah seinen Erzeuger mit anderen Augen, die mit dem Abstand der Jahre verständnisvoller wurden.
Der junge François-René verbrachte seine Kindheit und Jugend zwischen Saint-Malo und dem Schloss Combourg, das sein Vater nach Jahren der Vernachlässigung wieder in Besitz genommen hatte. Chateaubriand führte dort ein geregeltes Leben nach den Wünschen seines Vaters, nutzte jedoch seine freien Momente für lange Spaziergänge im Schlosspark und in den nahegelegenen Wäldern, die seine Melancholie und Fantasie beflügelten: So bildete sich in ihm ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit der Natur, das ihn in tiefe, leidenschaftliche Träumereien versetzte, in denen er zum ersten Mal den Ruf seiner Muse hörte. Die auf diesen einsamen Spaziergängen entstandenen Leidenschaften seines jugendlichen Herzens werden insbesondere eine große Inspirationsquelle für seinen autobiografischen Roman René sein. Trotz seines starken christlichen Glaubens zweifelte Chateaubriand manchmal an sich selbst und versuchte eines Tages beinahe, sein Leben mit einer Schusswaffe zu verkürzen, die sich jedoch nicht löste. Durch diesen missglückten Versuch in seiner Notwendigkeit bestärkt, trotz seines Unglücks und seiner Leidenschaften zu leben, sah Chateaubriand darin ein Zeichen für die Liebe Gottes zu ihm und wandte sich mit großem Eifer dem Christentum zu.
Chateaubriand ist das jüngste von sechs Kindern - er hat vier Schwestern und einen älteren Bruder - aus einer in der Bretagne lebenden Familie von Edelmännern. Als jüngstes Geschwisterkind wird er nicht so behandelt wie sein älterer Bruder. Er wird von seinen Eltern vernachlässigt, schlecht gekleidet und zunächst bis zum Alter von drei Jahren als Amme in Plancoët zwischen Dinan und Saint-Malo bei seiner Großmutter mütterlicherseits aufgezogen. Anschließend kehrte er nach Saint-Malo zu seinen Eltern zurück, die seine Erziehung bis zum Alter von sieben Jahren vernachlässigten. François-René wurde den Dienstboten überlassen und musste sich mit einer minimalen Bildung begnügen, die ihm ein Lehrer vermittelte, der ihm einige Kenntnisse in Zeichnen, Englisch, Hydrographie und Mathematik vermittelte. Er sagt, er habe eine müßige Kindheit gehabt, die es ihm auch erlaubt habe, zu spielen und die Umgebung um ihn herum zu genießen.
Chateaubriands Kindheit war jedoch auch eine glückliche Zeit, die von einer großen Komplizenschaft mit seinen Schwestern geprägt war, insbesondere mit Lucile, an der er sein ganzes Leben lang sehr hängen sollte. Ihre kindliche Vorstellungswelt ließ sie das Schloss Combourg als unheimlichen Ort wahrnehmen, als Ort aller Fantasien und Ängste. Der kleine François-René und seine Schwestern lesen abends gerne gruselige Bücher, die ihre Fantasie beflügeln. Einige Seiten der Memoiren, die Combourg als einen Ort beschreiben, der tagsüber friedlich und majestätisch, nachts aber unheimlich und voller Gespenster ist, nehmen daher die Züge einer Gothic Novel an.

Die Geschichte führt uns in das ländliche Frankreich des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, genauer gesagt in die Bretagne, das Land, in dem Chateaubriand seine Kindheit verbracht hat.

Man lernt die Sitten der damaligen Zeit in einem sehr traditionellen Frankreich kennen. Dieses Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist kodifiziert: Die Gesellschaft ist in verschiedene soziale Klassen eingeteilt, die sich nicht vermischen. Die Chateaubriands haben eine adlige Herkunft und legen großen Wert auf ihre Genealogie.

Man sieht auch die Bedeutung des Glaubens und das Gewicht der Religion, die die Feste und Ausflüge der Familie strukturiert. Vor der Revolution wird die Erziehung von Geistlichen übernommen.

Man entdeckt, dass Frankreich auch im Ausland in Schlachten verwickelt war, und stellt fest, dass das Schicksal vieler der vom Autor erwähnten Personen während der Revolution umschlug: Viele verloren ihr Leben, darunter auch die Familie Chateaubriands.

Die Revolution
Chateaubriand berichtet dann ausführlich über seinen Aufenthalt in Paris, als diese Stadt die mit der Französischen Revolution verbundenen Umwälzungen erlebte. Tief beeindruckt von einigen blutigen Demonstrationen der Sansculotten (insbesondere von einem Kopf, der vor seinem Fenster auf einem Spieß montiert war), beschloss Chateaubriand, sich nach Amerika einzuschiffen, um dem drohenden Tumult zu entgehen.

Reise nach Amerika
Um der Revolution zu entgehen, die einen Teil seiner Familie mit sich reißen würde, segelte Chateaubriand nach Amerika, um eine Nordpassage zwischen dem Atlantik und dem Pazifischen Ozean zu finden. Er behielt sehr starke Erinnerungen an seinen Aufenthalt, seine Begegnungen und die Bräuche der Eingeborenenstämme, die ihn zum Schreiben von "Genius des Christentums", "Atala" und "René" inspirierten.

Napoleon
Chateaubriand erhielt zunächst eine Stelle an der französischen Botschaft in Rom: Napoleon versuchte nämlich, die Gunst der Monarchisten zu erlangen, indem er einen Adligen wie Chateaubriand auf diese Weise begünstigte.

Obwohl er Napoleon seit der Ermordung des Herzogs von Enghien stark ablehnte, widmete Chateaubriand dem Kaiser lange Seiten, in denen sich die Faszination für das Genie des Generals und das Misstrauen gegenüber einem Größenwahn, den er als verhängnisvoll für die Menschen und für Frankreich betrachtete, mischten.

Analyse
Die Mémoires d'outre-tombe weisen zwar Züge auf, die sie der literarischen Gattung der Memoiren (im klassischen Sinne des Wortes, wie die Mémoires de Saint-Simon von Saint-Simon) annähern, doch sie sind auch von Rousseaus Confessions inspiriert, und zwar in dem Sinne, dass Chateaubriand - neben den politischen und historischen Ereignissen, denen er beiwohnt - auch Details aus seinem Privatleben und seinen persönlichen Bestrebungen behandelt. Der Autor behandelt also die wichtigsten historischen Ereignisse, deren Zeuge er war (Revolution, Republik, Kaiserreich, Restauration, Julimonarchie), enthüllt uns aber gleichzeitig sein inneres Ich in einem ebenso nahen wie intimen Vertrauen zu seinem Leser.

In diesem Werk finden sich auch einige der besten französischen Beispiele für poetische Prosa, ein Genre, in dem sich Chateaubriand besonders auszeichnete. (frz. Wikipedia)

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Sieburg schwelgt in seinen Deutungen, macht sich nicht gemein mit trocknen Daten, mit Anmerkungen und Belegen, man soll seinem Manneswort vertrauen, dass alles belegbar ist. Er steht in der Tradition Stefan Zweigs, nur dass er keine Miniaturen schreibt wie Zweig in seinen Sternstunden,, sondern eine vollständige Biographie.

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