24 März 2018

Ulla Hahn: Aufbruch (2009)

Ulla Hahn: 1. Das verborgene Wort, 2001

Ulla Hahn: 2. Aufbruch, 2009

Ulla Hahn: 3. Spiel der Zeit, 2014


Ulla Hahn: 4. Wie werden erwartet, 2017

Ulla Hahn: Aufbruch,  2009 (Über das Buch: dva; Wikipedia)

Interview
"[...] Mich beschäftigt der lange Weg, den wir alle gehen müssen, ehe wir zu einer wirklich erwachsenen, selbständigen Person werden. Als ich vor gut fünfzehn Jahren begann, die Lebensgeschichte der Hildegard Palm zu erzählen, sollte die Figur als Studentin die politischen und kulturellen Umbrüche der sechziger Jahre erleben. Doch beim Schreiben stellte ich sehr bald fest, dass mich nicht nur interessierte: Wie ist diese Zeit gewesen?, sondern auch und vor allem die Antwort auf die Frage: Was ist den Sechzigern vorausgegangen? Sowohl im Leben Hilla Palms als auch im Heranwachsen der Bundesrepublik. Und so habe ich Das verborgene Wort in den fünfziger Jahren beginnen lassen. Aufbruch spielt Anfang und Mitte der sechziger Jahre. [...]
Ohne ein Heraufbeschwören der damaligen Lebensbedingungen ließ sich die Geschichte Hilla Palms nicht schreiben und lässt sie sich nicht verstehen. Ich habe mich also nicht nur in die Figuren, sondern auch in die Zeit hineinbegeben. An vielen Details – zum Beispiel wurde Ester Ofarim noch 1967 der Zutritt in die Bar eines Hamburger Fünf-Sterne-Hotels verweigert, weil sie Hosen trug! – ist mir noch einmal klar geworden, wie versunken diese Zeit ist. Vieles, was in den sogenannten Achtundsechzigern geschehen ist, versteht man nur, wenn man sie als Folge der frühen sechziger Jahre erlebbar macht. Auch die Auschwitz-Prozesse spielten eine wichtige Rolle im Heranwachsen Hillas, typisch für die politische Bewusstwerdung ihrer Generation.

Ich selbst dazu 2011:
"Im zweiten Roman (Aufbruch) stehen Godehards Steine für lebensfernens systematisches Wissen und als Edelsteine für äußeren Reichtum, der - ähnlich wie bei einem Teufelspakt - mit dem Verlust der Geliebten einhergeht, so dass Godehard keine wahre neue Bindung eingehen kann.

Einen ähnlichen Seelenverlust erlebt Hildegard nach ihrer Vergewaltigung. Das Versprechen des weißen Steins versucht sie - nach einer Phase seelischer Erstarrung (theologisch gesprochen: Gottesferne) - jetzt aus eigener Kraft wahr zu machen. Dafür muss sie seelische Berührung durch Dichtung vermeiden und Buchgelehrsamkeits-Germanistik betreiben.

Angenehm berührt an den Romanen auch die intensive Einbeziehung von Arbeitswelt und ihren Konflikten und die des dörflichen und familiären Milieus, die durch den sehr gezielten Einsatz von Dialekt an emotionaler Eindruckskraft gewinnt.
Erfreulich ist auch das Hereinnehmen von Zeitgeschichte in Gestalt der Auschwitzprozesse, wobei die Schuldleugnung der Täter ein Gegenbild darin findet, dass nach ihrer Vergewaltigung sie sich die Schuld gibt.
Dass Täter wie Opfer die Kraft zum Weiterleben dadurch finden, dass sie sich weigern, das Tatgeschehen anzuerkennen und zu verarbeiten, wird im Roman nicht angesprochen, diese Parallele kann nur interpretatorisch hineingelegt werden.
... erschrieb sich vor meinen träumenden Augen eine Geschichte. Stein um Stein [...]. Wie schön, dachte ich, erwachend, vollkommen, nur schade, dass ich nichts behalten konnte. Aber ich würde sie weitersuchen, die Geschichte, meine Geschichte."

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