Die Gewässer wimmelten im strengsten Sinne des Worts von Fischen, und ohne viele Mühe, mit bloßen Handnetzen, wurden zuweilen in Quilitz an einem Tage über 500 Tonnen gefangen. In den Jahren 1693, 1701 und 1715 gab es bei Wriezen der Hechte, die sich als Raubfische diesen Reichtum zunutze machten, so viele, daß man sie mit Keschern fing und selbst mit Händen greifen konnte. Die Folge davon war, daß in Wriezen und Freienwalde eine eigne Zunft der Hechtreißer existierte. An den Markttagen fanden sich aus den Bruchdörfern Hunderte von Kähnen in Wriezen ein und verkauften ihren Vorrat an Fischen und Krebsen an die dort versammelten Händler. Ein bedeutender Handel wurde getrieben, und der Fischertrag des Oderbruchs ging bis Böhmen, Bayern, Hamburg, ja die geräucherten Aale bis nach Italien. Kein Wunder deshalb, daß in diesen Gegenden unter allem Haus- und Küchengerät der Fischkessel obenan stand und so sehr als wichtigstes Stück der Ausstattung betrachtet wurde, daß er, nach gesetzlicher Anordnung, beim Todesfalle der Frau, wenn andres Erbe zur Verteilung kam, dem überlebenden Gatten verblieb.
In großer Fülle lieferte die Bruchgegend Krebse, die zuzeiten in solchem Überfluß vorhanden waren, daß man zu Colerus' Zeiten, ausgangs des sechzehnten Jahrhunderts, sechs Schock schöne, große Krebse für sechs Pfennige meißnerischer Währung kaufte. Zu Küstrin wurde von 100 Schock durchgehender Krebse ein Schock als Zoll abgegeben, bei welcher Gelegenheit der vorerwähnte Colerus versichert, daß dieser Zoll in einem Jahre 325 000 Schock Krebse eingetragen habe. Danach wären denn bloß in dieser einen Stadt in einem Jahre 32½ Millionen Schock Krebse versteuert worden. Im Jahre 1719 war das Wasser der Oder, bei der großen Dürre, ungewöhnlich klein geworden; Fische und Krebse suchten die größten Tiefen auf, und diese wimmelten davon. Da das Wasser aber von der Hitze zu warm wurde, krochen die Krebse aufs Land ins Gras oder wo sie sonst Kühlung erwarteten, selbst auf die Bäume, um sich unter das Laub zu bergen, von welchen sie dann wie Obst herabgeschüttelt wurden. Auch die gemeine Flußschildkröte war im Bruch so häufig, daß sie von Wriezen fuhrenweise nach Böhmen und Schlesien versendet oder vielmehr abgeholt wurde.
Ein so lebendiges Gewimmel im Wasser mußte notwendig sehr vielen anderen Geschöpfen eine mächtige Lockspeise sein. Schwärme von wilden Gänsen bedeckten im Frühjahr die Gewässer, ebenso Tausende von Enten, unter welchen letzteren sich vorzugsweise die Löffelente, die Quackente und die Krickente befanden. Zuweilen wurden in einer Nacht so viele erlegt, daß man ganze Kahnladungen voll nach Hause brachte. Wasserhühner verschiedener Art, besonders das Bleßhuhn, Schwäne und mancherlei andre Schwimmvögel belebten die tieferen Gewässer, während in den Sümpfen Reiher, Kraniche, Rohrdommeln, Störche und Kiebitze in ungeheurer Zahl fischten und Jagd machten. Im Dorfe Letschin trug jedes Haus drei, auch vier Storchnester. [...]
Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß die Brücher in allem, was geistlichen Zuspruch und geistiges Leben anging, von den Brosamen lebten, die von des Herren Tische fielen. Die Toten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn die Fluten hätten die Gräber aufgewühlt), wurden auf dem Wriezener Kirchhof oder auf den Höhe-Dörfern begraben, und die Taufe der Kinder erfolgte vielleicht vier- oder sechsmal des Jahres in ganzen Trupps. Es wurden dann Boote nach der benachbarten Stadt abgefertigt, die dem dortigen Geistlichen die ganze Taufsendung zuführten, wobei sich's nicht selten ereignete, daß von diesen in großen Körben transportierten Kindern das eine oder andere auf der Überfahrt starb. Die geistige Speise, die geboten wurde, war spärlich und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht gekannt oder, wo sie gekannt war, als Feind und Eindringling verabscheut; ein weniges an Gemüse gedieh auf den »Kuhmistwällen«, sonst – Fisch und Krebse und Krebse und Fisch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein kräftiger Menschenschlag, wie jetzt noch, hier heimisch war und daß Leute von neunzig und hundert Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten. [...]
Dem gesamten Oderbruch aber ist als Hinterlassenschaft aus der Zeit wendischer Tracht her das schwarze seidene Kopftuch geblieben, das, jedem jugendlichen Gesichte gut stehend, die Oderbrücherinnen, zum Teil ziemlich unverdient, in den Ruf gebracht hat, ganz besondere Schönheiten zu sein.
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland. Das Oderbruch und seine Umgebungen. Das Oderbruch. Kapitel 1. Wie es in alten Zeiten war, S.21 - 23 und 3. Die alten Bewohner, S.33 - 36
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