Francesca Melandri: Alle, außer mir
Es gibt Bücher, die lese ich am besten, indem ich sie immer wieder einmal nach dem Zufallsprinzip aufschlage. Dazu gehören Musils "Mann ohne Eigenschaften" und Joyce' "Ulysses", denn ich will mir nicht die Mühe machen, ihr Kompositionsprinzip zu erschließen.
Francesca Melandris: Alle, außer mir lese ich zwar auch nach der Methode. Das liegt aber daran, dass es so geschrieben ist, dass jede Passage reizvoll bleibt, auch wenn sie für sich steht.
Und bei Gelegenheit werde ich einmal dem Perlentaucher-Link folgen und prüfen, ob ich vielleicht trotzdem systematischer lesen will.
Jetzt ist die Gelegenheit:
Melandri "stellt die Schlüsselfragen unserer Zeit: Was bedeutet es, zufällig im "richtigen" Land geboren zu sein, und wie entstehen Nähe und das Gefühl von Zugehörigkeit?" (Klappentext)
"Sie erzählt von den Spätfolgen des Angriffs auf Äthiopien und schildert aktuelle Entwicklungen, die vor allem schockieren, weil die Parolen der Rechten von heute so sehr an damals erinnern." (Die ZEIT, 12.7.2018)
"Und das "richtige Blut" ist es wiederum, das heute allen fehlt, die siebzig Jahre später aus den von Bürgerkriegen und Gewaltherrschaft verheerten Staaten Afrikas fliehen. Ebenso wie "der Junge", in dessen Pass ja der Name Attilaprofeti steht. In Äthiopien drohen ihm, einem Lehrer, wie so vielen regimekritischen Bürgern, Verschleppung und Hinrichtung. Sein Cousin wurde totgefoltert, er selbst musste "raus": das lapidare Kürzel für eine jahrelange Flucht, erst nach Norden durch die Wüste, dann in die Hölle eines libyschen Lagers, übers Meer bis an die Küste Italiens, wo nach monatelangem Warten in wenigen Minuten sein Schicksal, die Ablehnung des Asylantrags, entschieden wird. [...] Deutschen Lesern muss dieses fiktiv-reale Bild einer westlichen Demokratie nahegehen, dieses Italiens, das sich mit der Wahl einer rechtspopulistischen Partei den alten Dämonen heute wieder an den Hals wirft: "Plötzlich hörte man Sachen, die fünfzig Jahre lang ein nostalgisches Schattendasein geführt hatten. Meinungen, die für jedermann mit demokratischen Ambitionen unaussprechlich waren, erklangen in den Äußerungen der höchsten institutionellen Ämter. [...] Francesca Melandri verknüpft auch in ihrem dritten Roman Privates und Politisches in einer Geschichte der Gewalt. In Eva schläft von 2010 war es die Zwangsitalianisierung Südtirols, in Über Meereshöhe aus demselben Jahr der Terror der "Brigate rosse". In Alle, außer mir flicht sie die unterschiedlichen Erzählstränge und wechselnden Perspektiven in ein Gerüst aus versetzten Zeitebenen zusammen. Deutschen Lesern muss dieses fiktiv-reale Bild einer westlichen Demokratie nahegehen, dieses Italiens, das sich mit der Wahl einer rechtspopulistischen Partei den alten Dämonen heute wieder an den Hals wirft: "Plötzlich hörte man Sachen, die fünfzig Jahre lang ein nostalgisches Schattendasein geführt hatten. Meinungen, die für jedermann mit demokratischen Ambitionen unaussprechlich waren, erklangen in den Äußerungen der höchsten institutionellen Ämter."
Francesca Melandri verknüpft auch in ihrem dritten Roman Privates und Politisches in einer Geschichte der Gewalt. In Eva schläft von 2010 war es die Zwangsitalianisierung Südtirols, in Über Meereshöhe aus demselben Jahr der Terror der "Brigate rosse". In Alle, außer mir flicht sie die unterschiedlichen Erzählstränge und wechselnden Perspektiven in ein Gerüst aus versetzten Zeitebenen zusammen." Julia Schröder: Die Lebenslügen des Signor Profeti Die ZEIT 29/2018 12.7.18)
"Melandris Roman stößt tiefer in die Vergangenheit vor als die Romane von Elena Ferrante, versichert Geißler, die aber auch die Gegenwart sehr verstörend verhandelt sieht."(FR 11.7.18)
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