Das Buch wurde 1978 geschrieben, ich habe es 1980 oder etwas später an der Europäischen Schule behandelt. Es kann sein, dass es an den Europäischen Schulen in einem Jahrgang fürs Abitur Pflichtlektüre für Deutsch als Muttersprache war.
Für mich ist es Ingeborg Drewitz' wichtigstes Buch, das mich zu anderen hingeführt hat und sie als Person zu schätzen gelehrt hat. Sie schildert da ihre Familiengeschichte mit sehr viel Einfühlung in die Personen und die jeweilige Zeitepoche. Eben habe ich in ihren Text über ihre Mutter hineingesehen: "Ich wünschte sie mir immer am Klavier".
Mit 16, 17 Jahren hat Drewitz ihre Mutter aufgefordert, sich, die Künstlerin, durchzusetzen auch in der Ehe gegen ihren Mann. Und weiter schreibt sie: "Da habe ich noch nicht gewusst, dass es auch guttun kann, nur für andere zu leben. Da habe ich noch nicht gewusst, was das heißt: zuhören zu können. [...]
Dann begreif' ich etwas, das wir so ganz vergessen haben: die Fähigkeit, Liebe zu geben. Ich weiß nicht, ob die der Frau vorbehalten ist, ich möchte eher meinen, nein. Sie ist unabhängig vom Geschlecht. Sie ist eine Gnade, auch ein Wort, das wir nicht mehr benutzen, eine Gabe, / die der Mensch nicht wegwerfen kann, dem sie geschenkt worden ist, (auch wenn sie ihn quält)." (Drewitz: "Die ganze Welt umwenden". Ein engagiertes Leben. Claassen Verlag, Düsseldorf 1987, S.82/83)
Drewitz wusste diese "Gnade" noch zu schätzen. Heute wird "Selbstlos bis zur Selbstverleugnung" (Drewitz über ihre Mutter) allgemein als Schwäche angesehen. I. Drewitz hat bei allem sozialen Engagement für ihre Selbstbestimmung gekämpft, weit mehr als ihre Mutter. Und dennoch bezeichnet sie ihre Mutter als ihr großes Vorbild. Eben deshalb, weil sie mit ihrer Liebe ihrer Tochter die Voraussetzung dafür schuf, soziales Engagement selbstbestimmt leben zu können.
Wie sehr das auch der Tatsache geschuldet war, dass sie mit 22 Jahren - trotz all der Strapazen der unmittelbaren Nachkriegszeit - von der Nazidiktatur befreit war, davon legt "Gestern war heute" Zeugnis ab. Ein Buch ohne dessen Lektüre auch umfangreichen Studien zur Nazizeit noch viel fehlt.
Hier kurz die Frage: Günter Grass: Die Blechtrommel oder Drewitz: Gestern war heute:
Welches Buch bringt mehr zum Verständnis von Nazizeit und Nachkriegszeit?
Dass "Die Blechtrommel" literarisch wertvoller ist, ist damit nicht in Frage gestellt.
Wikipedia: Gestern war heute: Hundert Jahre Gegenwart
Behandlung des Romans von Klaus Dautel bei der ZUM
Ingeborg Drewitz: Gestern war heute: Hundert Jahre Gegenwart (meine Aufbereitung für Unterricht mit Inhaltsangabe)
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