Zuordnung und Unterscheidung
Will Vesper, bekanntester Roman: "Das harte Geschlecht", Nacherzählung u. Nachdichtung mittelhochdeutscher Epen (Hartmann von Aue: Lieder, Der arme Heinrich (Nachdichtung), 1906;Tristan und Isolde (Nacherzählung); Parzival (Nacherzählung), 1911; Nibelungensage (Nacherzählung), 1921; Gudrunsage (Nacherzählung), 1922.
Von ihm liegt mir ein handschriftlicher Brief vor
Will Vesper Herausgeber den "Neuen Literatur" z.Zt. [unleserlich] Ostpr[eußen] Meißen Badgasse 2 Fernsprecher: Meißen 3345
Bernward Vesper Sohn von Will, Lebensgefährte von Gudrun Ensslin (Rote Armee Fraktion)
Hauptwerk: Der "Romanessay" Die Reise ("wertvolles Zeitdokument der 68er-Generation. Vesper setzte sich darin u. a. mit seinem Vater, dem Nazi-Dichter Will Vesper, und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Gudrun Ensslin auseinander." -Wikipedia"
"Und dann gab Joseph Göbbels er seinen Kindern Gift, dann erschoss er seine Frau und sich und im Garten der Reichskanzlei schlugen, neben den brennenden Geheimakten, die Flammen über ihm zusammen und auf Berlin hämmerte die russische Artillerie, ganz Deutschland ein Feuermeer, holladihi! Wenn wir abtreten müssen, dann werden wir den sagt Deckel zuschlagen, dass es an den Westen des Himmels wieder halt! Ende. Sollten die deutschen unwürdig der Ihnen aufgetragenen geschichtlichen Mission, zu sehen, wie sie allein fertig würden, führerlos.
Und dann, nach dem pünktlichen Abendessen, während meine Mutter in der Küche und der Geruch angebrannten Lebkuchens durch die Flure zog, lag er auf dem durchgesessenen Biedermeiersofa, das Weinglas in der Hand, die Linke an den Eiern (Prostata). (S. 451/52)
"Wir richten den Blick nicht auf die Geschenktische, sondern verharren schweigend, in die Betrachtung des Baumes versunken. Die erzgebirgischer Klingelei läutet. Wir singen jetzt 'Stille Nacht', ein Lied, das wir uns für diese Stunde aufgespart haben. Dann greift mein Vater, der mit dem Rücken zum Baum, im unteren Teil der Halle steht, zur Bibel, einer Fassung für die Jugend, die er selbst bearbeitet hat. Während er liest, läuft in meinem Kopf der Originaltext "mit Maria, seinem vertrauten Weibe. Und als sie..", "und die war schwanger", denke ich. (Und die Hirten auf dem Felde, ihre wehenden Mäntel, die Eiskruste in den Bärten, und die Schafe stehen bis zu den Zitzen im torfigen Schnee.)
Kühle Luft kriecht in die weiten Hosenbeine meines schwarzen Tanzstunden- und Konfirmationsanzusg, die Heizungen sind abgestellt, der Baum darf nicht frühzeitig nadeln.(S. 459)
"Und während ich sang, dachte ich an das Gedicht, das mein Vater dem Führer gewidmet hatte, Fühl unsere Herzen schlagen, wie in Dein Herz gebannt und wage, was du mußt wagen, wozu dich Gott gesandt, und ich merkte, wie wir alle, die wir hier standen, in eins verschmolzen, das können Sie uns nicht nehmen.. (S. 460)
"Das Christentum zu bekämpfen war ein Fehler der Partei", sagte mein Vater. "Man kann nicht das alte deutsche Weihnachtsfest in ein heidnisches Lichtfest zurück verwandeln. Diesen Fehler haben Rosenberg und Bäumen zu verantworten. Der Führer selbst war religiös, schon aus Ehrfurcht vor seiner Mutter, die eine fromme Frau war. Bormann war überhaupt in allen Dingen der böse Geist des Führers, der ihn zum Schluß sogar verrät. Der Führer hat von alledem nichts gewußt." (Was war das für ein Führer, der diese Verräter um sich herum nicht durchschaute?) "Luther und Bach waren Christen – waren sie keine guten Deutschen?" rief er, "ich habe schon 1935 mein "Bekenntnis" zum Christentum veröffentlicht. Dafür bin ich angefeindet worden. Ich habe ein Parteiverfahren gegen mich beantragt, denn im Programm steht, die Partei steht auf dem Boden eines positiven Christentums, man hat das Verfahren abgewürgt. Und was haben die Herren Widerständler getan, die mich heute wieder verfolgen?" Tränen traten ihm in die Augen, wenn er Musik hörte oder seine eigenen Gedichte vorlas. "Übrigens", sagte er, "Luther und Bach stammen aus denselben Dörfern wie die Vorfahren meiner Mutter, es ist gut möglich, daß wir mit ihnen verwandt sind." (S. 462)
LSD kann eben so wenig zurückgenommen werden wie die neunte Sinfonie. (S. 505)
Guntram Vesper, geboren 1941 in Frohburg in Sachsen. Hauptwerk: Frohburg
Über die Rezension der Süddeutschen Zeitung: "Tausend Seiten Bewusstseinsstrom verspricht Rezensent Helmut Böttiger mit Guntram Verspers neuem Roman "Frohburg", der ihn an epochale Werke wie Uwe Johnsons "Jahrestage" erinnert. Autobiografische Aspekte wechseln sich mit fiktiven ab, essayistische, analytische und erzählerische Passagen gehen Hand in Hand, informiert der Kritiker, der sich gebannt und atemlos dem assoziationsreichen Erzählfluss hingibt. Er erlebt mit Vesper in dessen Herkunftsort "Frohburg" grausame Racheaktionen der sowjetischen Besatzer in den vierziger Jahren, liest von dessen Flucht im Jahre 1957 nach Westdeutschland und lauscht Aufnahmen des Rilke-Gedichte rezitierenden Will Quadfliegs. Gelegentlich versinkt der Rezensent ganz hingerissen in bild- und sprachgewaltigen Passagen, etwa wenn er mit dem Autor durch das Erzgebirge streift. Vor allem aber bewundert Böttiger jene Stellen, in denen Vesper über Literatur sinniert und so kann er dieses ebenso "sinnlich-pralle" wie feinsinnige Buch nur unbedingt empfehlen."
Vorstellung einer Textpassage aus Guntram Vesper "Frohburg"
Der Erzähler ist vom Berghotel ("Banff Springs Hotel") aus etwas aufgestiegen und wurde dann von einem Raben angegriffen und am Kopf verletzt. Am unteren Rande der Lichtung entdeckt er einen Dickhornwidder, der von etwa 20 Rabenvögeln angegriffen und "abgehäutet und seziert, zerschrotet" (S. 435) wird. Vom Hotel aus geht er schnell zur Bahn und trifft nach der Ankunft in Vancouver auf den Esten aus dem Hotel. Dieser ist sein Gastgeber im Auftrag des kanadischen Schriftstellerverbandes. Nach seinen Erfahrungen mit ihm fürchtet er sich, und es gelingt ihm nur mit Mühe einzuschlafen. (Seite 434-36)
Zitat:
"Ich träumte von den Krähen, Raben, Dohlen auf der Banffer Lichtung, mein Klassenlehrer der neunten und zehnten Oberschule Klasse in Geithain, Schnupprich genannt, tauchte plötzlich neben mir auf, mit einemmal stand er vertraulich dicht bei mir im Hochwald, sah mich nach der Lichtung und dem angefressenen Dickhornwidder spähen und sagte, nun kapiert doch endlich mal, daß das gesunde Volksempfinden eine starke Kraft sein und Recht haben kann, wer wie das Dickhornschaf da drüben unterliegt, er sagte unterliegt, ich weiß es genau weil ich es gleich nach dem Erwachen aufgeschrieben habe, das Schaf lag ja auch wirklich unten, wer unterliegt, ist nicht wert weiterzuleben. Hoppla, dachte ich im Traum mit der alten Reserve, die ich schon 1957 ihm gegenüber gehabt habe, ein Kleinbürger mit / Eltern, die ein Haushaltswarengeschäft am Geithainer Markt hatten, will in den neulackierten mitteldeutschen fünfziger Jahren nicht anecken, er paßt sich an und spricht doch, wenn wir unter uns sind, wie Adolf in seinen Tischgesprächen, achtundsechzig als Taschenbuch von dtv unter die Leute gebracht, dem Volk mit fünfundzwanzigjähriger Verspätung bekannt gemacht, was der Mann gedacht hatte, als er an der Ostfront das besetzte Europa hinter sich, vier lange endlos lange Jahre gegen Stalin, dass politische Genie, wie er sagte, kämpfen ließ. Hitlers Gequassel im Kreis seiner Entourage interessierte mich bei Erscheinen nicht, wenn man sein Agieren kannte, war das Schwadronieren von nachgeordneter Wichtigkeit, [...]" (S. 436/37)
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