"Die Fresken im Kloster draußen großenteils verdorben; monochrom. Erhalten eigentlich nur eines der Seitenbilder: der Leichnam des heiligen Franziskus, umgeben von trauernden Mönchen und Volk. Der Meister, schwerlich Crescenzio, hat die streng auf die Sache losgehende Art des Giotto. Schmerz, andächtig rührungsvolles Schauen in die stillen Züge des Toten, diese Affekte in ihrer Einfachheit, ohne Zusatz feinerer Mischung, aber auch ohne abflachende Rundungen, und nur um so ergreifender. Die ausgewachsene Kunst füllt Formen und Ausdruck, spielt aber stets an der Grenze hin und über sie, wo das fühlbare Zeigen ihres Könnens beginnt. An der vollen Krone des Baums, der in Sommersmitte prangt, findet man immer schon einige welke Blätter. – Eigentümlich hat mich der tote Franziskus berührt, der tiefe Friede in seinen hageren Büßerzügen. Was ist es, worin er liegt? Ein gläserner Sarg? Nicht mehr zu erkennen. – Als Ort wird Assisi zu denken sein. –
*
Jetzt weiß ich, wohin! – Der Fremde im Rückweg lange schweigsam. Ich auch. »Die Bilder,« beginnt er endlich, »haben mich seltsam ergriffen, – auch darum, weil die Szene, die wir zuletzt gesehen, in Assisi vorzustellen ist. Ich habe eine traurige Nachricht: der Tod zielt jetzt eben in meine Verwandtschaft.« – Er nennt mir seinen Namen, sein Vaterland Schweden, seinen Heimatsort Gotenburg und seinen Stiefbruder – Erik. Dessen Witwe, ein Juwel aller Frauen, liege todkrank nieder in Assisi. – Zu Schiff, zu Schiff!
*
Neapel. So weit wär' ich. Der Seesturm überstanden, ich wußte gut, daß er mir nichts anhaben könne. Das Dampfschiff gilt für altersschwach, es müsse noch dienen, solange es halte; der Kapitän stand immer an der Maschine, sah hinab, horchte, ob sie noch gehe. Bald alles seekrank außer mir und der Bedienung des Fahrzeuges. Halte mich am Mast und schaue und höre. Ton durchaus wie von Millionen Trommlern, die mit anwachsender Schlaggewalt zum Sturme wirbeln, immer wieder von vorn beginnend. Womöglich furchtbarer das dünne, schneidend scharfe Pfeifen des Winds in den Tauen, wie wenn einer auf der schermesserschmalen Kante von Papier pfeift, – dies ins Unendliche gesteigert. Wogen – eine Welt; nicht jede gelingt, die gelungenen herrlich in der Linie ihrer Hohlkehlen und Roßhalsrücken, drüber die Schaummähnen, die der Sturm flockig hinausbläst. Wälzt sich eine heran, man meint jedesmal, sie müsse das Schiff umstoßen oder überflutend begraben, doch sie nimmt es auf ihre Schultern, dann schießt es ins nächste Wogental hinab. Welches Brausen und Donnern! Kann sonst den Wind nicht ausstehen; so gefällt er mir, wie neulich in Sorrent auf der Klippe: wenn einmal doch, dann auch recht! – Weinen, Jammern, Beten ringsum. Ich lasse mir stark den Syrakusaner munden; der Kellner preßt sich, um einschenken zu können, an Mastbaum oder Wand, wenn ich dann nicht schnell trinke, ist der Wein fort, als schlüge jemand mit Gewalt unten ans Glas. Nacht, unmöglich oben zu bleiben, ich muß hinab in meine Koje und wie ich entkleidet bin, beschleicht mich eine kurze Anwandlung von Feigheit. Was doch Kleider, namentlich Stiefel, ein Gefühl von Halt geben! – Da unten ist's unheimlich; an der Schiffwand höre ich mitten unter dem dumpfen Brummstoß der Wellen und dem Aechzen aller Rippen des hohlen Baues manchmal etwas wie Saugen und Gurgeln, als lutschten da draußen die Mollusken so vorläufig am Holz in Aussicht auf bessere Speise. Auf der Treppe sitzt ein großer, schöner Kerl mit langem Bart, in flotter Uniform, Leibjäger irgend eines vornehmen Herrn, und weint wie ein Kind; – vielleicht ein andermal beherzt; sind halbantike Menschen, lassen alles heraus. [...] – Gegen Morgen ermattet die Sturmwut; man kann auf das Verdeck, doch als ich mich auf einen Feldstuhl gesetzt und eingenickt, rollt mich ein Ruck wie eine Kugel das Verdeck entlang. Hat mich gefreut, daß ich wieder hell lachen kann. – Der Sturm mit all seinem Lärm ist mir ganz still vorgekommen im Vergleich mit dem höllischen Traum, mit dem stummen Brüten in der Luft, das den Larven voranging, und mit ihren Hohnrufen.
*
Rom. Nur eine Wanderung hier über das Kapitol hinaus. Morgen vorerst Perugia. – Dum Capitolium scandet cum tacita virgine pontifex. Horaz hatte doch Momente. Cum tacita virgine – begleite mich, Bild der priesterlichen Jungfrau – mit ihren, ihren Zügen! – Ueber das Forum hinaus ein Stück in die Campagna, an diesem stillen Abend im Mondschein. Mein Leben wird Vergangenheit, es ist müdes, weiches Verdämmern ohne Empfindungsschwäche. Tiefes Weh nur, wenn ich vergleiche. Trümmer von so großem – und mein Dasein niemals mit vollem Band an großes geknüpft. Schäme mich vor den Geistern, die hier schweben. Horaz kann sich doch wenigstens rühmen, das äolische Versmaß der lateinischen Sprache angeeignet zu haben. Aber die Männer, die Helden! Und ich? Ja einmal, einmal, da wollte es werden, habe gekämpft für ein Vaterland. Kurzer Traum! – Ihr Gewaltigen habt Reiche besiegt, habt die Welt beherrscht.
Wohl seh' ich auch im Geist, wie blondlockige Gotenscharen dort auf den Palatinus hinaus und ins Kolosseum dringen und die Mauern brechen. Alte Geschichten. Mein Deutschland schläft wieder, nachdem eine Halbheit auf zweifelhaften Wegen zustande gekommen. Man muß auch das lernen: hingehen, ohne ein Vaterland erlebt zu haben. Gefaßt, ganz gefaßt. Und so wird's wieder ruhig in mir, sanft. Ich fange eure Größe ein in süßem Diebstahl, ihr Trümmer, atme Heldenluft in großer Stille.
*
Was haben die deutschen Künstler da drin im Café Greco? Haschen heftig nach den Zeitungen. Wird auch der Mühe wert sein! – Mich kümmern keine Neuigkeiten mehr.
*
Perugia. Es ist so, sie liegt drüben in Assisi; man hat sie in die freiere Bergluft gebracht, zur Muhme Cornelia. Ihr Vater, ihre Söhne bei ihr. Habe an ihn geschrieben, ob ich erscheinen darf. Mir war nur still und feierlich zumute: jetzt bin ich nicht mehr so ruhig. Mutarm, schwer, bang, daß mir fast Arm und Fuß den Dienst versagt, bis Antwort da ist. – Stehe wieder vor dem Geburtshaus ihrer Mutter, verwechsle sie immer, und wenn ich da nach der Loggia hinaussehe, sehe ich statt ihrer Cordelia als Kind dort zwischen den Oleandern herabschauen.
*
Man erwartet mich, soll kommen, schnell. Mir wird schon leichter. Ich darf.
*
Es ist gewesen. Es ist. Ja, wie dort auf dem Bilde des Kölner Meisters die heilige Jungfrau, so umgeben von Weinenden, Vater, Kindern, so lag sie. Und auch wie der selige Geist im blauen Lichtmeer der verklärten geheimnisvollen Grotte.
*
Kniend an ihrem Bett – sie weint – weint sie auch um mich? – Es gibt Krieg, sagt sie. – Ich wußte nichts von der Welt draußen. – Der Vater bestätigt: Krieg Deutschlands mit Frankreich. – Ist die Stunde wieder da, wo in Christiania – ihr Aufruf –? Sie mahnt nicht, diesmal nicht. – In mir Entschluß, augenblicklich. Nun weiß ich meinen Weg, sage ich, – sie schweigt, sie weint, reicht mir die Hand, die weiße, bleiche, – hebt sie, nachdem ich sie lang gehalten, und legt sie auf mein Haupt, segnend, Worte flüsternd, unhörbar, meine Tränen strömen, – sie bedarf Ruhe – Leb wohl! leb wohl! – Ein sanftes »wohl« kann ich noch vernehmen – ein Blick ruht auf mir – ich werd' ihn ewig sehen. Und du, Erik! – dein Geist über uns – ich sah ihn freundlich nicken. – Ja, ja, nun weiß ich meinen Weg. –
*
Der Erdenstoff verzehrt sich sacht und mild, Sei, Bild, mein Schild, solang der heiße Tag Die Blicke, die, dem reinen Kinde gleich, Vielleicht ist doch in nicht zu ferner Zeit |
*
Hier endigt das Tagebuch. Weitere Aufzeichnungen haben sich nicht gefunden; nur die Tage der Schlachten jenes Sommers sind noch eingetragen, zuletzt der Entscheidungstag von Sedan.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen