Wie ist es nun mit der mythologischen Trübung? – Ich nenne sie, diese Bilderwelt der Religion, kurzweg Pigment. – Dies führt auf eine Betrachtung, die bei der reinen, verzweifelten Ratlosigkeit anlangt. Die Sache liegt schlechthin amphibolisch, antinomisch.
Für –: Ohne Pigment keine Religion – denn Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinschaft sehr vieler und ein Kultus sein. Es kann keine farblose Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas zum Anreden haben, also vorgestellte übersinnliche Person, Personen und, zum Anschauen, Ansingen, auch Tatsachen. Woher sollte die Kirchenmusik – und Musik ist doch das Unentbehrlichste zum Kultus – ihren Text nehmen? – Das weiter zu demonstrieren, wäre vom Ueberfluß. Kurz, »Stützen«, wie es Lessing nennt.
Gegen –: Diese Stützen sind ebensosehr Spieße ins Mark der Religion. Der tiefstliegende Schaden ist: sie dienen als Surrogate fürs Wesen; die Menschen, wie sie einmal in Mehrheit sind, meinen, sie dürfen sich dafür, daß sie an das Pigment glauben, die Religion ersparen. Da haben wir nun den »Glauben«, der = Religion gilt. Millionen Seelen, die nie von einer Ahnung des Unendlichen, nie von einem Gefühl der erhebenden Tragödie des Lebens durchhaucht worden sind, gelten nun sich und der Welt als religiös, weil sie glauben. Diese schnöde Verwechslung hat sich als allgemeines Vorurteil fixiert, mit Macht bekleidet, hat gefoltert, verbrannt, gekreuzigt, gepfählt, lebendig geschunden, Gedärme aus dem Leib gehaspelt, geblendet, verstümmelt, lebendig begraben, erdolcht, gespießt, vergiftet, – es gibt keine so wildviehische und keine so teuflisch durchdachte Grausamkeit, die nicht die gläubige Verfolgungswut mit technischer Vollendung ausgeübt hätte. Bekreuzt euch nicht davor, stillgläubige Seelen! Das folgt haarscharf aus der Verwechslung des Pigments mit dem Wesen! Bekreuzt euch nicht, gebildete Konsistorien! Ihr verbrennt, kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr moralisch das Herz gebrochen, das Gewissen mißhandelt habt, indem ihr sie in die Wahl stießet: gläubiges Bekenntnis gegen die eigne bessere Ueberzeugung oder mit Weib und Kind zum Bettelstab greifen! Und du, zahmer Vermittler, sage nur ja nicht, der tote Glaube tauge freilich nichts, der Auferstandene müsse Leben in uns werden, und wie du es sonst schön ausdrücken magst. Nein! nein! Glauben und Religion sind zweierlei, und jener hat dieser von je mehr geschadet als genützt. Was, »den Glauben beleben«? Nichts da, fort mit dem Glauben, und die Religion kann leben!
*
Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt sein Distichon:
»Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, |
Aber ihr lest es im gewohnten Dusel und seid zu denkfaul, zu begreifen, was es besagt, was daraus folgt.
*
[...] Wir sind der christlichen Bilderwelt entwachsen, und sie ist uns zum freien ästhetischen Schein geworden, wie die alte Mythologie. Doch nein, wir, auch wir stehen nicht gleich zu beiden. An jene knüpft sich für uns eine Rührung, die einen Anklang an Glauben hat, ohne eigentlich Glauben zu sein, – innige Reminiszenz unsrer Kinderzeit. Faust am Osterfest, – Weihnachtsrührung, – und am stärksten: Versetzung in die Schönheit des Madonnenideals, der heidnischen Göttin, deren Bild das durchweichte und entzückte Herz des Mittelalters mit der Ahnung aller Unschuld und sittlichen Güte echter Weiblichkeit durchläutert hat. [...]
Eigentlich ist auch die reine Religion allerdings nicht farblos. Zur Farbe hat sie nichts Geringeres als die Weltgeschichte, die mythenlos wahre. Das aber ist von viel zu langer Hand, mit dieser ungeheuren Palette kann der religiöse Volkserzieher nicht malen, da braucht es einen idealen Auszug, nämlich eben die Mythen. Und so fallen denn die Armen ins Leere, die über das mythisch illustrierte Christentum hinaus sind. Es liegt in der Tat so traurig, daß man jammern möchte. Die alte Ehrfurcht sind sie los, für eine neue können sie die Begründung nicht finden. Moral ruht schlechterdings auf Religion, und da sie mit der bunten Religion die reine wegwerfen, so werden sie Lumpenhunde, lassen sich in den Wirbel der Hetzjagd reißen, die jetzt los ist, der Hetzjagd nach dem Glück, das keines ist. Ihnen sagt niemand, zeigt niemand einfach aus dem inneren Wesen der Seele und aus dem Verhältnis der Einzelseele zur Seele der Menschheit, daß und warum es keinem Menschen wohl wird, außer im Guten. Sagt man es ihnen je, so hängt man doch den Märchenkram wieder daran, den sie nicht mehr ertragen, und so laufen sie weg. [...]
Luther ließ einen guten Teil des Pigments stehen, dessen bedurfte ja die Mehrheit, und wenn jetzt die Mehrheit dem entwächst, so ist sie doch nicht die Allheit, ein Rest Bedürftiger bleibt in alle Zeit. Wie sollte nun ein neuer Luther etwas schaffen können für beide: für die, welche der Kinderkost bedürfen, und für die andern, die sie nicht mehr verdauen? – Oder bildet sich vielleicht eine Gemeinschaft für die reine Religion, die sich allmählich ausdehnt? Nichts, nichts, da ist ja kein Kultus möglich!"
(Vischer: Auch Einer, Kapitel 26)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen