07 August 2010

Diderot und Grimm

Obgleich ich seit meiner Rückkehr von Venedig eben so wenig von Diderot wie von meinem Freunde Roguin gesprochen habe, so hatte ich sie gleichwohl beide nicht vernachlässigt, und namentlich mit ersterem wurde das freundschaftliche Verhältnis von Tage zu Tage inniger. Wie ich eine Therese, hatte er eine Nanette; dies gab unserer beiderseitigen Lage eine Aehnlichkeit mehr.[...]
Diese beiden Schriftsteller [Diderot und d'Alembert] hatten vor kurzem das Dictionnaire encyclopédique begonnen, welches anfangs nur eine Art Übersetzung von Chambers sein sollte, ungefähr der des Dictionnaire de Médecine von James ähnlich, welche Diderot so eben beendet hatte. Dieser wollte mich zur Betheiligung an dieser zweiten Unternehmung heranziehen und schlug mir den musikalischen Theil vor, dessen Bearbeitung ich übernahm und in den drei Monaten, die er mir wie allen übrigen Mitarbeitern bewilligt hatte, in höchster Eile und äußerst schlecht ausführte. Aber ich war der einzige, der zu der festgesetzten Zeit fertig war. Ich überreichte ihm mein Manuscript, das ich von einem Lakaien des Herrn von Francueil, einem gewissen Dupont, der sehr gut schrieb, hatte ins Reine schreiben lassen. Ich zahlte ihm dafür zehn Thaler aus meiner eigenen Tasche, die mir nie zurückerstattet sind. Diderot hatte mir seitens der Verleger eine Belohnung versprochen, von der später zwischen uns nie mehr die Rede gewesen ist.
Die Herausgabe der Encyclopädie wurde durch seine Verhaftung unterbrochen. Die »Philosophischen Gedanken« hatten ihm einige Unannehmlichkeiten zugezogen, die jedoch keine Folgen hatten. Einen übleren Erfolg sollte sein »Brief über die Blinden« für ihn haben. Er enthielt nichts, was man ihm hätte zum Vorwurfe machen können, als einige persönliche Anspielungen, über welche sich Frau Dupré von Saint-Maur und Herr von Réaumur beleidigt fühlten und um deren willen er in den vincenner Gefängnisthurm gesperrt wurde. Ich bin nicht im Stande, die Angst zu schildern, die mich beim Unglücke meines Freundes befiel. Meine unselige Einbildungskraft, die alles Ueble gleich von der schlimmsten Seite erblickt, erhitzte sich. Ich sah ihn schon in lebenslänglicher Gefangenschaft. Mir schwindelte fast der Kopf. Ich schrieb an Frau von Pompadour, um sie zu beschwören, ihm die Freiheit zu verschaffen oder mich mit ihm einsperren zu lassen. Ich bekam keine Antwort auf meinen Brief; er war zu wenig vernünftig, um eine Wirkung hervorbringen zu können, und ich schmeichle mir nicht, daß er zu den Erleichterungen beigetragen habe, die man einige Zeit nachher in der Gefangenschaft des armen Diderot eintreten ließ. Wenn sie aber noch einige Zeit mit der nämlichen Strenge gewährt hätte, so würde ich, davon bin ich überzeugt, am Fuße dieses unglückseligen Thurmes vor Verzweiflung gestorben sein. Wenn mein Brief übrigens wenig Erfolg gehabt hat, so habe ich mir auf ihn auch nicht sehr viel zu Gute gethan, denn ich erwähnte seiner nur gegen sehr wenige Leute und nie gegen Diderot selber. [...] (7. Buch)

Ich hatte eine ziemlich große Anzahl von Bekannten, aber nur zwei Freunde eigener Wahl, Diderot und Grimm. Ich war allzu sehr beider Freund, um nicht bei dem lebhaften Wunsche, den ich stets hege, alles, was mir theuer ist, zusammen zu führen, dahin zu trachten, daß sie es auch bald unter einander würden. Ich sorgte für ihre gegenseitige Bekanntschaft; sie gefielen sich und schlossen einen noch engeren Freundschaftsbund unter einander, als sie mit mir unterhielten. Diderot hatte zahllose Bekannte, aber Grimm, der ein Fremdling und erst vor kurzem angekommen war, hatte das Bedürfnis, Bekanntschaften zu machen. Ich verlangte nichts Besseres, als ihm solche zu verschaffen. Hatte ich ihn mit Diderot befreundet, so gewann ich ihm nun auch die Freundschaft Gauffecourts. Ich führte ihn zu Frau von Chenonceaux, zu Frau von Epinay und zu dem Baron von Holbach, mit dem ich fast wider Willen in freundschaftlichem Verkehre stand. Alle meine Freunde wurden die seinigen; das war ja ganz einfach. Aber keiner der seinigen wurde je der meinige, und das war befremdender. (8. Buch 1750-52)

Unter andern war ich bei Frau Dupin mit dem jungen Erbprinzen von Sachsen-Gotha und dem Baron von Thun, seinem Hofmeister, bekannt geworden. [...]  In dem Gefolge des Prinzen befanden sich noch zwei Deutsche, der eine, welcher Klüpffell hieß und viel Geist besaß, war sein Kaplan und wurde später, nachdem er den Baron verdrängt hatte, sein Hofmeister, und der andere war ein junger Mann, Namens Grimm, der ihm, bis er eine Stelle fände, als Vorleser diente. [...]  Als ich mich zwei Tage später abends gegen neun Uhr zu Frau von Epinay begab, bei der ich zu Nacht speisen wollte, kreuzte unmittelbar vor ihrer Hausthür ein Fiaker meinen Weg. Der darin sitzende Fahrgast winkte mir zu ihm hineinzusteigen; ich stieg ein; es war Diderot. Er redete mit mir von der Pension mit einem Feuer, das ich in Betreff eines solchen Gegenstandes von einem Philosophen nicht erwartet hätte. Er legte es mir nicht als Verbrechen aus, daß ich dem Könige nicht hatte vorgestellt werden wollen, erblickte aber ein ganz erschreckliches in meiner Gleichgiltigkeit gegen die Pension. Er erklärte mir, daß, wenn ich auch für meine Person uneigennützig wäre, ich es doch im Hinblick auf Frau Le Vasseur und ihre Tochter nicht sein dürfte; daß ich ihnen schuldig wäre, kein ehrliches Mittel zu ihrem Unterhalte unbenutzt zu lassen, und da man nach allem nicht behaupten könnte, ich hätte die Pension abgelehnt, so beharrte er dabei, daß ich bei der offenbaren Geneigtheit, sie mir zu bewilligen, mich um sie bewerben und sie um jeden Preis zu erlangen suchen müßte. Obgleich ich von seinem Eifer gerührt wurde, konnte ich seinen Grundsätzen doch nicht beistimmen, und wir hatten hierüber einen sehr lebhaften Streit, den ersten, den ich mit ihm hatte. Alle unsere späteren Zwistigkeiten entstanden übrigens auf dieselbe Weise, indem er mir vorschreiben wollte, was ich seiner Ansicht nach thun müßte, während ich mich dagegen verwahrte, weil ich es nicht thun zu müssen glaubte. [...]
Seit jener Zeit schienen es sich Diderot und Grimm zur Aufgabe zu machen, mir Therese und ihre Mutter zu entfremden, indem sie ihnen zu verstehen gaben, daß es, wenn sie nicht in angenehmeren Verhältnissen lebten, lediglich in meinem üblen Willen läge, und daß sie von mir nie etwas zu hoffen hätten. Sie suchten sie zu veranlassen, sich von mir zu trennen, [...] (8. Buch 1752)

Nach Marmontel verbreitete Diderot eine Darstellung, wonach er Rousseau erst auf den Gedanken gebracht habe, die Preisfrage von Dijon so zu beantworten, dass Künste und Wissenschaften schädlich gewesen seien: »Eines Tages, als wir zusammen spazieren gingen, sagte er mir, die Akademie von Dijon hätte eine interessante Preisfrage ausgestellt, und er fühlte Lust, sich an sie zu wagen. Diese Preisfrage lautete: ...›Wofür werden Sie sich entscheiden?‹ fragte ich ihn. – »Daß sie zur Veredelung der Sitten beigetragen haben.« – »Das ist die Eselsbrücke. Alle mittelmäßige Geister werden diesen Weg einschlagen. Der entgegengesetzte bietet der Philosophie und der Beredtsamkeit ein neues, reiches und fruchtbares Feld dar.« – »Sie haben Recht,« sagte er nach augenblicklichem Ueberlegen. »Ich werde Ihren Rath befolgen.« (wiedergegeben nach einer Anmerkung im 8. Buch)
Dies widerspricht Rousseaus eigener Darstellung so diametral, dass dieser eine solche Darstellung als heimtückisch verstanden haben muss (unabhängig davon, wer mit seiner Darstellung im Recht ist).


In Ermangelung eines Freundes, der ganz mein gewesen wäre, hatte ich Freunde nöthig, deren Antrieb meine Trägheit überwand. Deshalb behielt ich nicht nur mein altes freundschaftliches Verhältnis mit Diderot und dem Abbé von Condillac bei, sondern knüpfte es noch enger, schloß eine neue, noch innigere Freundschaft mit Grimm [...] (9. Buch)

Noch weit mehr überraschte es mich indessen zu vernehmen, daß außer den geheimen Unterredungen, welche Diderot und Grimm oft mit der einen wie der andern gehabt, um sie mir abwendig zu machen, was jedoch an Theresens Widerstand gescheitert war, beide seitdem mit ihrer Mutter häufig im Geheimen unterhandelten, ohne daß sie über den Gegenstand dieser Abmachungen etwas hätte erfahren können. Sie wußte nur, daß es dabei kleine Geschenke gegeben hätte und ein öfteres Gehen und Kommen stattfände, daß man ihr zu verheimlichen suchte und dessen Beweggrund ihr völlig unbekannt war. Schon lange vor unserem Scheiden von Paris pflegte Frau Le Vasseur Grimm monatlich zwei- oder dreimal zu besuchen und bei ihm einige Stunden in so geheimer Unterredung zuzubringen, daß selbst Grimms Lakai regelmäßig fortgeschickt wurde. (9. Buch)
Seit meiner Beziehung der Eremitage hatte Diderot nicht aufgehört mich zu quälen, sei es persönlich oder durch Deleyre, und aus des letzteren Witzeleien über meine Waldausflüge entnahm ich bald, mit welcher Lust sie den Einsiedler in einen galanten Schäfer verkleidet hatten. Aber nicht darum handelte es sich bei meinen Reibereien mit Diderot; diese hatten ernstere Ursachen. Nach der Veröffentlichung des »Natürlichen Sohnes« hatte er mir ein Exemplar desselben übersandt, das ich mit dem Interesse und der Aufmerksamkeit, die man den Werken eines Freundes zollt, gelesen hatte. Als ich die Art dialogisirter Poetik las, die er als Anhang hinzugefügt hat, wurde ich überrascht und sogar ein wenig unangenehm überrascht, darin unter mehreren nicht sehr höflichen, aber doch erträglichen Stellen gegen die Freunde der Einsamkeit auf jene bittre und harte, in schroffster Form aufgestellte Sentenz zu stoßen: »Nur der Böse ist gern allein.« Diese Sentenz ist meines Erachtens doppelsinnig und läßt eine mehrfache Deutung zu, eine sehr wahre und eine sehr falsche, da es völlig unmöglich ist, daß ein Mensch, der allein ist und sein will, jemandem schaden kann und will, und folglich auch unmöglich schlecht sein kann. Der Spruch an sich erheischte also eine Erklärung; noch mehr erheischte er sie von Seiten eines Schriftstellers, der, als er diesen Spruch niederschrieb, einen in die Einsamkeit zurückgezogenen Freund hatte. Es schien mir beleidigend und unredlich, daß er bei der Veröffentlichung an diesen einsamen Freund nicht gedacht hatte, oder daß er, wenn er seiner nicht vergessen, nicht wenigstens im Allgemeinen die ehrenwerthe und gerechte Ausnahme gemacht hatte, die er nicht allein diesem Freunde, sondern so vielen geachteten Weisen schuldig war, die zu allen Zeiten in der Zurückgezogenheit Ruhe und Frieden gesucht haben und die zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt sich ein Schriftsteller herausnimmt, mit einem einzigen Federstriche unterschiedslos in eben so viele Verbrecher zu verwandeln.

Ich liebte Diderot zärtlich, ich achtete ihn aufrichtig und verließ mich mit vollem Vertrauen auf die nämlichen Gefühle seinerseits. Aber gelangweilt von seiner unermüdlichen Hartnäckigkeit, meinem Geschmack, meinen Neigungen, meiner Lebensweise, kurz allem, was mich allein anging, ewig entgegenzutreten; empört zu sehen, wie ein Mann, der jünger war als ich, mich mit aller Gewalt wie ein Kind leiten wollte; angewidert von seiner steten Bereitwilligkeit, Versprechungen zu machen, und von seiner Saumseligkeit, sie zu halten; überdrüssig der vielen zwischen uns verabredeten und von ihm stets versäumten Zusammenkünfte und seiner Geneigtheit, immer neue zuzusagen, um abermals auszubleiben; peinlich davon berührt, ihn drei oder vier Mal im Monat an den von ihm selbst bestimmten Tagen vergeblich zu erwarten und dann am Abende allein zu speisen, nachdem ich ihm bis Saint-Denis entgegen gegangen war und den ganzen Tag auf ihn gewartet hatte: war mir das Herz von seinen sich stets mehrenden Kränkungen schon voll genug. Die letzte schien mir ernster und betrübte mich mehr. Ich schrieb an ihn, um mich darüber zu beklagen, aber mit einer Sanftmuth und Rührung, die mich das Papier mit meinen Thränen netzen ließ; und mein Brief war rührend genug, um ihm selbst Thränen zu entlocken. Man wird nie errathen, wie seine Antwort auf diese Klage lautete. Ich gebe sie hier wörtlich wieder (Heft A, Nr. 33): »Ich freue mich, daß mein Werk Ihnen gefallen, daß es Sie gerührt hat. Sie theilen meine Ansicht über die Einsiedler nicht. Sagen Sie ihnen soviel Gutes nach, wie Sie wollen; Sie werden der Einzige in der Welt sein, von dem ich es ebenfalls denken werde. Es ließe sich noch viel darüber sagen, wenn man mit Ihnen reden könnte, ohne Sie zu erzürnen. [...] (9. Buch)
Frau von Houdetot, Diderots begeisterte Anhängerin, verlangte, daß ich ihn in Paris besuchen und alle entgegenkommenden Schritte zu einer Versöhnung thun sollte, die, so aufrichtig und vollkommen sie von meiner Seite auch war, sich dennoch als wenig dauerhaft erwies. Das von ihr angewendete Mittel, durch welches sie den Sieg über mein Herz gewann, war, daß Diderot in diesem Augenblick unglücklich wäre. Außer dem gegen die Enzyklopädie erregten Sturm hatte sich damals noch ein sehr heftiger gegen sein Stück erhoben, welches man ihn trotz der voraufgeschickten kleinen Geschichte von Anfang bis zu Ende aus Goldoni entlehnt zu haben beschuldigte. Diderot, der noch empfindlicher gegen Kritiken war als Voltaire, war zu jener Zeit davon ganz niedergeschmettert. Frau von Graffigny hatte sogar die Bosheit gehabt, das Gerücht zu verbreiten, daß ich bei dieser Gelegenheit mit ihm gebrochen hätte. Ich hielt es für gerecht und edelmüthig, öffentlich das Gegentheil nachzuweisen, und ich brachte zwei Tage nicht allein mit ihm, sondern auch bei ihm, in seinem eigenen Hause zu. Dies war seit meiner Uebersiedlung nach der Eremitage meine zweite Reise nach Paris. Die erste hatte ich unternommen, um zu dem armen Gauffecourt zu eilen, der einen Schlaganfall, von dem er sich nie wieder völlig erholte, gehabt hatte, und von dessen Bette ich erst nach Beseitigung jeglicher Gefahr wich.

Diderot nahm mich gut auf. Viel, viel Kränkungen kann die Umarmung eines Freundes vergessen machen! Welcher Groll kann da noch in einem Herzen haften! Wir gaben uns nur kurze Erklärungen. Bei gegenseitigen Verletzungen sind sie unnöthig. Es handelt sich dabei nur um eins, nämlich sie zu vergessen. Es waren, wenigstens meines Wissens, keine heimlichen Ränke vorgekommen; es verhielt sich nicht wie mit Frau von Epinay. Er zeigte mir den Entwurf des Familienvaters. »Das ist,« sagte ich zu ihm, »die beste Verteidigung des ›Natürlichen Sohnes‹. Beobachten Sie darüber Stillschweigen, arbeiten Sie dieses Stück sorgfältig aus und schleudern Sie es dann Ihren Feinden statt jeglicher Antwort plötzlich ins Gesicht.« Er that es und es war ihm nicht leid. Vor fast sechs Monaten hatte ich ihm die beiden ersten Abtheilungen der »Julie« zugesandt, um mir sein Urtheil darüber mitzutheilen. Er hatte sie noch nicht gelesen. Wir lasen ein Heft derselben zusammen. Er fand alles feuillet, dies war seine Bezeichnung, nämlich mit Worten überladen und phrasenreich. Ich hatte es schon selbst sehr wohl gefühlt; aber es war das Geplauder des Fiebers; ich habe es nie verbessern können. Die letzten Abtheilungen sind nicht so. Namentlich die vierte und sechste sind stilistische Meisterwerke. (9. Buch)
Selbst Diderot machte mich im Anfange mehrmals darauf aufmerksam, daß Grimm, dem ich so großes Vertrauen schenkte, nicht mein Freund wäre. Späterhin, als er selbst aufgehört hatte, der meinige zu sein, führte er eine andere Sprache.
Bei der Art der Verfügung über meine Kinder bedurfte ich niemandes Beihilfe. Ich machte indessen meine Freunde damit bekannt, lediglich um sie damit bekannt zu machen, damit ich in ihren Augen nicht besser erschien als ich war. Diese Freunde waren ihrer drei: Diderot, Grimm, Frau von Epinay; Duclos, meines Vertrauens am würdigsten, war der einzige, dem ich es nicht schenkte. Er erfuhr trotzdem meine Handlungsweise. Durch wen? Ich weiß es nicht. Es läßt sich nicht gut annehmen, daß diese Treulosigkeit von Frau von Epinay ausgegangen sein sollte, die wußte, daß, wenn ich Gleiches mit Gleichem vergelten wollte, (wenn ich dessen überhaupt fähig gewesen wäre), ich mich grausam hätte rächen können. Es bleibt demnach nur Grimm und Diderot übrig, die damals in so vielen Dingen, namentlich wenn es wider mich ging, eng verbündet waren, daß sie, wie es mehr als wahrscheinlich ist, dieses Verbrechen gemeinschaftlich begangen haben. Ich möchte darauf wetten, daß Duclos, dem ich mein Geheimnis nicht anvertraut habe und der folglich nicht gebunden war, der einzige ist, der es mir bewahrt hat.
Bei ihrem Vorhaben, mir Therese und ihre Mutter zu nehmen, hatten sich Grimm und Diderot Mühe gegeben, ihn zum Eingehen auf ihren Plan zu bewegen; er weigerte sich beständig mit Verachtung. Erst später erfuhr ich von ihm alles, was in dieser Hinsicht zwischen ihnen vorgefallen war; aber schon damals erfuhr ich von Therese genug, um daraus zu ersehen, daß es sich bei dem allen um einen geheimen Plan handelte, und daß man, wenn auch nicht gegen meinen Willen, so doch ohne mein Wissen über mich verfügen wollte, oder daß man sich dieser beiden Personen als Werkzeuge zu einer geheimen Absicht bedienen wollte. Dies alles war sicherlich kein Zeichen von Redlichkeit. Duclos' Widerstand beweist es unwiderleglich. Möge es glauben, wer da wolle, daß es Freundschaft gewesen sei.
Diese vorgebliche Freundschaft war mir innerhalb des Hauses eben so verderblich wie außerhalb desselben. Die langen und zahlreichen Unterredungen mit Frau Le Vasseur hatten diese Frau seit mehreren Jahren merklich gegen mich verändert, und diese Veränderung war mir sicherlich nicht günstig. Was besprachen sie denn bei diesen sonderbaren Zusammenkünften? Weshalb dieses tiefe Geheimnis? War denn die Unterhaltung mit dieser alten Frau so angenehm, um jede Gelegenheit dazu wahrzunehmen, und so wichtig, um sie in ein so tiefes Geheimnis zu hüllen? Während der drei oder vier Jahre, daß diese Zwiegespräche dauerten, waren sie mir lächerlich vorgekommen; als ich jetzt wieder ihrer gedachte, fing ich mich darüber zu wundern an. Dieses Wundern wäre bis zur Unruhe gestiegen, hätte ich schon damals gewußt, welche Veranstaltungen diese Frau gegen mich traf.
Trotz des vergeblichen Eifers für mich, mit dem sich Grimm nach außen hin brüstete, und der sich mit dem Tone, den er mir gegenüber annahm, schwer vereinigen ließ, kam mir von keiner Seite etwas von ihm zu, das mir zum Vortheil gereicht hätte, und seine heuchlerische Theilnahme für mich hatte weit weniger den Zweck, mir zu dienen, als mich zu erniedrigen. So weit es in seiner Macht lag, nahm er mir sogar die Einnahmen aus dem Geschäfte, das ich mir gewählt hatte, indem er mich als schlechten Abschreiber ausschrie; allerdings sagte er darin die Wahrheit, aber es war nicht seine Sache, sie zu sagen. [...]
Alles dies zusammengenommen brachte endlich meine Vernunft dahin, meiner alten Voreingenommenheit, die noch immer sprach, Schweigen zu gebieten. Ich hielt seinen Charakter wenigstens für sehr verdächtig und was seine Freundschaft anlangte, so war sie meines Erachtens falsch. In Folge dessen entschlossen, ihn nicht mehr zu sehen, setzte ich Frau von Epinay von dieser Absicht in Kenntnis, indem ich meinen Entschluß auf mehrere unwiderlegliche Thatsachen gründete, die ich jetzt jedoch vergessen habe.
Sie bekämpfte diesen Entschluß heftig, ohne gegen die Gründe, auf welche er sich stützte, etwas Bestimmtes anführen zu können. Sie hatte sich mit ihm noch nicht besprochen; am nächsten Tage überreichte sie mir aber, anstatt sich mündlich mir gegenüber zu erklären, einen sehr geschickt abgefaßten und von ihnen gemeinschaftlich entworfenen Brief, in welchem sie ihn, ohne auf die einzelnen Thatsachen einzugehen, durch seinen verschlossenen Charakter rechtfertigte und indem sie meinen Verdacht seiner Treulosigkeit gegen einen Freund mir als ein Verbrechen auslegte, mich zur Versöhnung mit ihm aufforderte. Dieser Brief machte mich schwankend. In einer Unterredung, die wir darauf hatten und in der ich sie besser als das erste Mal vorbereitet fand, ließ ich mich vollends besiegen. Ich kam dahin zu glauben, daß ich falsch geurtheilt haben könnte und daß ich in diesem Falle einem Freunde wirklich schweres Unrecht zugefügt hätte, das ich wieder gut machen müßte. Kurz, wie ich schon Diderot und dem Baron Holbach gegenüber halb aus gutem Willen, halb aus Schwäche gethan hatte, so ließ ich mich auch diesmal wieder zu einem freundlichen Entgegenkommen verleiten, welches ich mit Recht hätte verlangen können. Ich ging wie ein zweiter George Dandin, um mich bei ihm wegen der Beleidigungen, die er mir zugefügt hatte, zu entschuldigen, immer in der falschen Ueberzeugung, die mich mein Lebenlang zu tausend Demüthigungen vor meinen falschen Freunden getrieben hat, daß es keinen Haß gebe, den man nicht durch Sanftmuth und freundliches Benehmen entwaffnen könne; während im Gegentheile der Haß der Bösen durch die Unmöglichkeit, einen Grund zu ihm zu finden, nur noch mehr zunimmt, und das Gefühl ihrer eigenen Ungerechtigkeit nur eine neue Quelle ihres Hasses wird. (9.Buch)
[...] seit zwei Jahren in die Einsamkeit zurückgezogen, ohne schriftlichen Verkehr, ohne Beziehung zu den Welthändeln ohne von etwas unterrichtet oder aus etwas neugierig zu sein, lebte ich vier Meilen von Paris, von dieser Hauptstadt durch meine Sorglosigkeit eben so getrennt, wie ich es auf der Insel Tinian durch das Meer gewesen wäre.

Grimm, Diderot, von Holbach dagegen, im Mittelpunkte des Strudels, lebten in den Kreisen der vornehmsten Welt, die sie fast alle unter sich vertheilt hatten. Große, Schöngeister, Schriftsteller, Juristen, Frauen, alle schenkten ihnen offenes Ohr. Man sieht schon den Vortheil, welchen diese Stellung drei gegen einen Vierten in der meinigen fest verbundenen Menschen giebt. Allerdings waren Diderot und Holbach (ich kann es wenigstens nicht glauben) nicht die Leute, um ganz schändliche Verschwörungen anzuzetteln, der Eine besaß nicht die dazu nöthige Bosheit,  und der Andere nicht die Geschicklichkeit, aber gerade das war für das Gelingen des Planes nur um so günstiger. Grimm allein entwarf ihn in seinem Kopfe und zeigte den beiden anderen von ihm nur soviel, als sie zur Mitwirkung bei der Ausführung sehen mußten. Das Uebergewicht, welches er über sie gewonnen hatte, erleichterte diese Mitwirkung und die Wirkung des Ganzen entsprach der Ueberlegenheit seines Talentes.

Da er den Vortheil einsah, welchen er aus unsern beiderseitigen Stellungen ziehen konnte, entwarf er mit diesem überlegenen Talente den Plan, meinen Ruf völlig zu vernichten und mir den gerade entgegengesetzten zu verschaffen, ohne sich bloßzustellen, indem er rings um mich her eine Wand von Finsternis zu errichten begann, die es mir zu durchdringen unmöglich war, um seine Kunstgriffe aufzuhellen, und ihn zu entlarven.

Dieses Unternehmen war insofern schwierig, als er dessen Schlechtigkeit in den Augen derjenigen, welche dabei seine Helfershelfer sein sollten, bemänteln mußte. Er mußte die Ehrenmänner täuschen; er mußte jedermann von mir entfernen, mir nicht einen einzigen Freund lassen, weder einen großen noch einen kleinen. Was sage ich? Er durfte nicht ein einziges Wort der Wahrheit zu mir dringen lassen. Wäre ein einziger edelgesinnter Mann zu mir gekommen, um mir zu sagen: »Sie spielen den Tugendhaften, aber hören Sie, wie man Sie behandelt und wie man über Sie urtheilt. Was sagen Sie dazu?« Die Wahrheit hätte triumphirt, und Grimm wäre verloren gewesen. Er wußte es; aber er hat sein eigenes Herz geprüft und die Menschen nur nach dem geschätzt, was sie werth sind. Um der Ehre der Menschheit willen betrübt es mich, daß er so richtig gerechnet hat.

Wollte er auf solchen Schleichwegen einhergehen, mußten seine Schritte, um sicher zu sein, langsam sein. Seit zwölf Jahren verfolgt er seinen Plan, und das Schwierigste, das ganze Publikum zu betrügen, bleibt noch zu thun. Es giebt noch Augen, die ihm in größerer Nähe gefolgt sind, als er denkt. Er befürchtet es und hat noch nicht den Muth, seinen Anschlag offen dem hellen Tageslichte auszusetzen. (1) Aber er hat das wenig schwierige Mittel gefunden, die Macht zum Beitritt zu bestimmen, und diese Macht hat das Verfügungsrecht über mich. Von diesem Beistand unterstützt, schreitet er mit weniger Gefahr vorwärts. Da sich die Satelliten der Macht für gewöhnlich nicht viel auf ihre Redlichkeit und noch viel weniger auf ihren Freimuth etwas zu Gute thun, so hat er die Unbedachtsamkeit eines Ehrenmannes nicht leicht zu befürchten, denn er hat vor allem nöthig, daß ich von undurchdringlicher Finsternis umgeben und mir seine Verschwörung fortwährend verborgen sei, weil er wohl weiß, daß sie, wie künstlich er sie auch angezettelt haben möge, meine Blicke doch nie aushalten würde. Seine große Geschicklichkeit besteht darin, daß er unter dem Scheine der Schonung meinen Ruf untergräbt und seiner Treulosigkeit noch den Anschein des Edelmuthes giebt. (10. Buch)
Fußnote Rouseeaus:
(1)Seitdem dies geschrieben ist, hat er den Schritt mit dem vollsten und unbegreiflichsten Erfolge gethan. Ich glaube, daß ihm Tronchin den Muth und die Mittel gegeben hat. 

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