Reineke Fuchs hat, kaum durch List dem Galgen entronnen, den Hasen Lampe getötet und den Widder Bellyn mit dem Haupt des Getöteten an den Hof des Königs geschickt, und ihm eingeredet, er führe da eine Botschaft an den König mit sich, die ihm sehr zur Ehre gereichen werde. Nun hat ihn der Löwe wieder vor seinen Thron geladen, um ihn endgültig zu bestrafen:
Und ich hoffte Beßrung von dir. Nun seh ich zum Anfang,
Wie du Lampen gemordet; es mußte Bellyn dir zum Boten
Dienen, der brachte das Haupt im Ränzel getragen und sagte
Öffentlich aus, er bringe mir Briefe, die ihr zusammen
Ausgedacht und geschrieben, er habe das Beste geraten.
Und im Ränzel fand sich das Haupt, nicht mehr und nicht minder.
Mir zum Hohne tatet ihr das. Bellynen behielt ich
Gleich zum Pfande, sein Leben verlor er; nun geht es an deines.«
Reineke sagte: »Was hör ich? Ist Lampe tot? und Bellynen
Find ich nicht mehr? Was wird nun aus mir? Oh, wär ich gestorben!
Ach, mit beiden geht mir ein Schatz, der größte, verloren!
Denn ich sandt Euch durch sie Kleinode, welche nicht besser
Über der Erde sich finden. Wer sollte glauben, der Widder
Würde Lampen ermorden und Euch der Schätze berauben?
Hüte sich einer, wo niemand Gefahr und Tücke vermutet.«
Zornig hörte der König nicht aus, was Reineke sagte,
Wandte sich weg nach seinem Gemach und hatte nicht deutlich
Reinekens Rede vernommen, er dacht ihn am Leben zu strafen;
Und er fand die Königin eben in seinem Gemache
Mit Frau Rückenau stehn. Es war die Äffin besonders
König und Königin lieb. Das sollte Reineken helfen.
Unterrichtet war sie und klug und wußte zu reden;
Wo sie erschien, seh jeder auf sie und ehrte sie höchlich.
Diese merkte des Königs Verdruß und sprach mit Bedachte:
»Wenn Ihr, gnädiger Herr, auf meine Bitte zuweilen
Hörtet, gereut' es Euch nie, und Ihr vergabt mir die Kühnheit,
Wenn Ihr zürntet, ein Wort gelinder Meinung zu sagen.
Seid auch diesmal geneigt, mich anzuhören, betrifft es
Doch mein eignes Geschlecht! Wer kann die Seinen verleugnen?
Reineke, wie er auch sei, ist mein Verwandter, und soll ich,
Wie sein Betragen mir scheint, aufrichtig bekennen: ich denke,
Da er zu Rechte sich stellt, von seiner Sache das Beste.
Mußte sein Vater doch auch, den Euer Vater begünstigt,
Viel von losen Mäulern erdulden und falschen Verklägern!
Doch beschämt' er sie stets. Sobald man die Sache genauer
Untersuchte, fand es sich klar: Die tückischen Neider
Suchten Verdienste sogar als schwere Verbrechen zu deuten.
So erhielt er sich immer in größerem Ansehn bei Hof als
Braun und Isegrim jetzt: denn diesen wäre zu wünschen,[533]
Daß sie alle Beschwerden auch zu beseitigen wüßten,
Die man häufig über sie hört; allein sie verstehen
Wenig vom Rechte, so zeigt es ihr Rat, so zeigt es ihr Leben.«
Doch der König versetzte darauf: »Wie kann es Euch wundern,
Daß ich Reineken gram bin, dem Diebe, der mir vor kurzem
Lampen getötet, Bellynen verführt und frecher als jemals
Alles leugnet und sich als treuen und redlichen Diener
Anzupreisen erkühnt, indessen alle zusammen
Laute Klagen erheben und nur zu deutlich beweisen,
Wie er mein sicher Geleite verletzt und wie er mit Stehlen,
Rauben und Morden das Land und meine Getreuen beschädigt.
Nein! ich duld es nicht länger!« Dagegen sagte die Äffin:
»Freilich ist's nicht vielen gegeben, in jeglichen Fällen
Klug zu handeln und klug zu raten, und wem es gelinget,
Der erwirbt sich Vertrauen; allein es suchen die Neider
Ihm dagegen heimlich zu schaden, und werden sie zahlreich,
Treten sie öffentlich auf. So ist es Reineken mehrmals
Schon ergangen; doch werden sie nicht die Erinnrung vertilgen,
Wie er in Fällen Euch weise geraten, wenn alle verstummten.
Wißt Ihr noch, vor kurzem geschah's. Der Mann und die Schlange
Kamen vor Euch, und niemand verstund die Sache zu schlichten;
Aber Reineke fand's, Ihr lobtet ihn damals vor allen.«
[Es folgt die Fabel vom Mann und der Schlange.]
(Goethe: Reineke Fuchs 9. Gesang, S.533/34)
»O mein König!« sagte darauf der listige Redner;
»Laßt mich, edelster Fürst, vor meinen Freunden erzählen,
Was Euch alles von mir an köstlichen Dingen bestimmt war.
Habt Ihr sie gleich nicht erhalten, so war mein Wille doch löblich.«
»Sage nur an«, versetzte der König, »und kürze die Worte.«
»Glück und Ehre sind hin! Ihr werdet alles erfahren«,
Sagte Reineke traurig. »Das erste köstliche Kleinod
War ein Ring; ich gab ihn Bellynen, er sollt ihn dem König
Überliefern. Es war auf wunderbarliche Weise
Dieser Ring zusammengesetzt und würdig, im Schatze
Meines Fürsten zu glänzen, aus feinem Golde gebildet.
Auf der inneren Seite, die nach dem Finger sich kehret,
Standen Lettern gegraben und eingeschmolzen; es waren
Drei hebräische Worte von ganz besonderer Deutung.
Niemand erklärte so leicht in diesen Landen die Züge;
Meister Abryon nur von Trier, der konnte sie lesen.
Es ist ein Jude, gelehrt, und alle Zungen und Sprachen
Kennt er, die von Poitou bis Lüneburg werden gesprochen;
Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders.
Als ich den Ring ihm gezeigt, da sagt' er: ›Köstliche Dinge
Sind hierinnen verborgen. Die drei gegrabenen Namen
Brachte Seth, der Fromme, vom Paradiese hernieder,
Als er das Öl der Barmherzigkeit suchte; und wer ihn am Finger
Trägt, der findet sich frei von allen Gefahren. Es werden
Weder Donner noch Blitz, noch Zauberei ihn verletzen.‹
Ferner sagte der Meister: er habe gelesen, es könne,
Wer den Ring am Finger bewahrt, in grimmiger Kälte[540]
Nicht erfrieren; er lebe gewiß ein ruhiges Alter.
Außen stand ein Edelgestein, ein heller Karfunkel,
Dieser leuchtete nachts und zeigte deutlich die Sachen.
Viele Kräfte hatte der Stein: er heilte die Kranken;
Wer ihn berührte, fühlte sich frei von allen Gebrechen,
Aller Bedrängnis, nur ließ sich der Tod allein nicht bezwingen.
Weiter entdeckte der Meister des Steines herrliche Kräfte:
Glücklich reist der Besitzer durch alle Lande, ihm schadet
Weder Wasser noch Feuer; gefangen oder verraten
Kann er nicht werden, und jeder Gewalt des Feindes entgeht er.
Und besieht er nüchtern den Stein, so wird er im Kampfe
Hundert überwinden und mehr. Die Tugend des Steines
Nimmt dem Gifte die Wirkung und allen schädlichen Säften.
Ebenso vertilgt sie den Haß, und sollte gleich mancher
Den Besitzer nicht lieben, er fühlt sich in kurzem verändert.
Wer vermöchte die Kräfte des Steines alle zu zählen,
Den ich im Schatze des Vaters gefunden und den ich dem König
Nun zu senden gedachte? Denn solches köstlichen Ringes
War ich nicht wert; ich wußt es recht wohl; er sollte dem einen,
Der von allen der Edelste bleibt, so dacht ich, gehören:
Unser Wohl beruht nur auf ihm und unser Vermögen,
Und ich hoffte, sein Leben vor allem Übel zu schützen.
Ferner sollte Widder Bellyn der Königin gleichfalls
Kamm und Spiegel verehren, damit sie meiner gedächte.
Diese hatt ich einmal zur Lust vom Schatze des Vaters
Zu mir genommen, es fand sich auf Erden kein schöneres Kunstwerk.
O wie oft versucht' es mein Weib und wollte sie haben!
Sie verlangte nichts weiter von allen Gütern der Erde,
Und wir stritten darum; sie konnte mich niemals bewegen.
Doch nun sendet ich Spiegel und Kamm mit gutem Bedachte
Meiner gnädigen Frauen, der Königin, welche mir immer
Große Wohltat erwies und mich vor Übel beschirmte;
Öfters hat sie für mich ein günstiges Wörtchen gesprochen;
Edel ist sie, von hoher Geburt, es ziert sie die Tugend,[541]
Und ihr altes Geschlecht bewährt sich in Worten und Werken:
Würdig war sie des Spiegels und Kammes! die hat sie nun leider
Nicht mit Augen gesehn, sie bleiben auf immer verloren.
Nun vom Kamme zu reden. Zu diesem hatte der Künstler
Pantherknochen genommen, die Reste des edlen Geschöpfes,
Zwischen Indien wohnt es und zwischen dem Paradiese.
Allerlei Farben zieren sein Fell, und süße Gerüche
Breiten sich aus, wohin es sich wendet, darum auch die Tiere
Seine Fährte so gern auf allen Wegen verfolgen;
Denn sie werden gesund von diesem Geruche, das fühlen
Und bekennen sie alle. Von solchen Knochen und Beinen
War der zierliche Kamm mit vielem Fleiße gebildet,
Klar wie Silber und weiß von unaussprechlicher Reinheit,
Und des Kammes Geruch ging über Nelken und Zimmet.
Stirbt das Tier, so fährt der Geruch in alle Gebeine,
Bleibt beständig darin und läßt sie nimmer verwesen,
Alle Seuche treibt er hinweg und alle Vergiftung.
Ferner sah man die köstlichsten Bilder am Rücken des Kammes
Hocherhaben, durchflochten mit goldenen zierlichen Ranken
Und mit rot und blauer Lasur. Im mittelsten Felde
War die Geschichte künstlich gebildet, wie Paris von Troja
Eines Tages am Brunnen saß, drei göttliche Frauen
Vor sich sah, man nannte sie Pallas und Juno und Venus.
Lange stritten sie erst, denn jegliche wollte den Apfel
Gerne besitzen, der ihnen bisher zusammen gehörte;
Endlich verglichen sie sich: es solle den goldenen Apfel
Paris der Schönsten bestimmen, sie sollt allein ihn behalten.
Und der Jüngling beschaute sie wohl mit gutem Bedachte.
Juno sagte zu ihm: ›Erhalt ich den Apfel, erkennst du
Mich für die Schönste, so wirst du der erste vor allen an Reichtum.‹
Pallas versetzte: ›Bedenke dich wohl und gib mir den Apfel,
Und du wirst der mächtigste Mann; es fürchten dich alle,
Wird dein Name genannt, so Feind' als Freunde zusammen.‹[542]
Venus sprach: ›Was soll die Gewalt? was sollen die Schätze?
Ist dein Vater nicht König Priamus? deine Gebrüder,
Hektor und andre, sind sie nicht reich und mächtig im Lande?
Ist nicht Troja geschützt von seinem Heere? und habt ihr
Nicht umher das Land bezwungen und fernere Völker?
Wirst du die Schönste mich preisen und mir den Apfel erteilen,
Sollst du des herrlichsten Schatzes auf dieser Erde dich freuen.
Dieser Schatz Ist ein treffliches Weib, die Schönste von allen,
Tugendsam, edel und weise, wer könnte würdig sie loben?
Gib mir den Apfel, du sollst des griechischen Königs Gemahlin,
Helena mein ich, die Schöne, den Schatz der Schätze, besitzen.‹
Und er gab ihr den Apfel und pries sie vor allen die Schönste.
Aber sie half ihm dagegen die schöne Königin rauben,
Menelaus' Gemahlin, sie ward in Troja die Seine.
Diese Geschichte sah man erhaben im mittelsten Felde.
Und es waren Schilder umher mit künstlichen Schriften;
Jeder durfte nur lesen, und so verstand er die Fabel.
Höret nun weiter vom Spiegel! daran die Stelle des Glases
Ein Beryll vertrat von großer Klarheit und Schönheit;
Alles zeigte sich drin, und wenn es meilenweit vorging,
War es Tag oder Nacht. Und hatte jemand im Antlitz
Einen Fehler, wie er auch war, ein Fleckchen im Auge,
Durft er sich nur im Spiegel besehn, so gingen von Stund an
Alle Mängel hinweg und alle fremden Gebrechen.
Ist's ein Wunder, daß mich es verdrießt, den Spiegel zu missen?
Und es war ein köstliches Holz zur Fassung der Tafel,
Sethym heißt es, genommen, von festem, glänzendem Wuchse,
Keine Würmer stechen es an und wird auch, wie billig,
Höher gehalten als Gold, nur Ebenholz kommt ihm am nächsten.
Denn aus diesem verfertigt' einmal ein trefflicher Künstler
Unter König Krompardes ein Pferd von seltnem Vermögen,
Eine Stunde brauchte der Reiter und mehr nicht zu hundert
Meilen. Ich könnte die Sache für jetzt nicht gründlich erzählen,
Denn es fand sich kein ähnliches Roß, solange die Welt steht. [...]
(Goethe: Reineke Fuchs, 10. Gesang)
So entführt Reineke den Löwenkönig aus der Fabelwelt in eine Märchenwelt völliger Wunscherfüllung.
Entkam er beim vorigen Male dem Galgen, indem er die Gier des Königs weckte, versucht er es jetzt mit völliger Wunscherfüllung.
Goethe hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass sich das Motiv der Befreiung vom Todesurteil wiederholt, und begegnet ihr durch noch märchenhaftere Ausschmückung.
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