30 März 2021

Deutsche Epen

 Mit dem Messias (damals noch Meßias geschrieben) hatte Klopstock 1773 das erste deutsche Epos in Hexametern (dem Vermaß Homers) vorgestellt. Im Untertitel nannte er es "ein Heldengedicht" und es handelte - anders als die Evangelien - vom Kampf zwischen Gut und Böse. 

1793 brachte Goethe sein erstes Werk in Hexametern, Reineke Fuchs heraus. Darin wird - wie hier bereits angeführt - im 9. Gesang die Vorgeschichte der Ilias berichtet:

"                          [...] wie Paris von Troja

Eines Tages am Brunnen saß, drei göttliche Frauen

Vor sich sah, man nannte sie Pallas und Juno und Venus.

Lange stritten sie erst, denn jegliche wollte den Apfel

Gerne besitzen, der ihnen bisher zusammen gehörte;

Endlich verglichen sie sich: es solle den goldenen Apfel

Paris der Schönsten bestimmen, sie sollt allein ihn behalten.


Und der Jüngling beschaute sie wohl mit gutem Bedachte.

Juno sagte zu ihm: ›Erhalt ich den Apfel, erkennst du

Mich für die Schönste, so wirst du der erste vor allen an Reichtum.‹

Pallas versetzte: ›Bedenke dich wohl und gib mir den Apfel,

Und du wirst der mächtigste Mann; es fürchten dich alle,

Wird dein Name genannt, so Feind' als Freunde zusammen.‹

Venus sprach: ›Was soll die Gewalt? was sollen die Schätze?

Ist dein Vater nicht König Priamus? deine Gebrüder,

Hektor und andre, sind sie nicht reich und mächtig im Lande?

Ist nicht Troja geschützt von seinem Heere? und habt ihr

Nicht umher das Land bezwungen und fernere Völker?

Wirst du die Schönste mich preisen und mir den Apfel erteilen,

Sollst du des herrlichsten Schatzes auf dieser Erde dich freuen.

Dieser Schatz Ist ein treffliches Weib, die Schönste von allen,

Tugendsam, edel und weise, wer könnte würdig sie loben?

Gib mir den Apfel, du sollst des griechischen Königs Gemahlin,

Helena mein ich, die Schöne, den Schatz der Schätze, besitzen.‹


Und er gab ihr den Apfel und pries sie vor allen die Schönste.

Aber sie half ihm dagegen die schöne Königin rauben,

Menelaus' Gemahlin, sie ward in Troja die Seine."


Doch was hier in feierlicher Sprache vorgetragen wird, ist Teil einer Lügengeschichte, die Reineke erzählt, um der Todesstrafe für seine Verbrechen zu entgehen. 

In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie vergiftet das Versprechen ist, mit dem sich Venus (Aphrodite) den Schönheitspreis von Paris erkauft. Nicht Reichtum oder Macht, sondern den "Schatz der Schätze", die schönste Frau, soll er erhalten, und sie hilft ihm auch gleich, sie zu rauben. Damit hilft Venus, die Stadt Troja, deren Macht sie gelobt hat, in Schutt und Asche zu legen.

Vom Heldengedicht über den Sohn Gottes hat in 20 Jahren das Epos den Weg zum Antihelden, dem Betrüger, gefunden. 

Klopstock hat mit der Bezeichnung Heldenlied sein Epos in Beziehung zu dem 1755 durch Jacob Hermann Obereit wiederentdeckten Heldenepos Nibelungenlied gesetzt (ob er es kannte, ist ungewiss). Dagegen hat er den Heliand, ein altsächsisches Epos, das erst 1830 herausgegeben wurde, nicht gekannt.  Die Wikipedia schreibt über dieses Epos:

"Der Verfasser übertrug daher die biblischen Personen in den Rahmen der sächsischen Gesellschaft analog der Ständeordnung; für Christus und seine Jünger wählte er bewusst das Gefolgschaftsverhältnis. Die biblischen Städte werden zu sächsischen Burgen, die Wüste Juda zum niederdeutschen Urwald. Die germanischen Züge des Heliand sind somit Anschauungsformen, die das Neue der christlichen Religion für den noch in heidnischer Tradition stehenden Germanen fassbar machten (Akkommodation)." (Heliand)

Soweit die Entwicklung vom Heliand als Gefolgsherr zur eleganten Verhöhnung des Löwenkönigs, der den Mörder und Lügner Reineke Fuchs zu seinem Kanzler macht.


Eine andere Entwicklungslinie geht von Goethes Preis des bürgerlichen Ethos in Hermann und Dorothea zu Thomas Manns ebenfalls in Hexametern vorgetragenen privaten Erfahrungen mit dem geliebten Säugling Elisabeth im Gesang vom Kindchen.


Ganz wichtige Epen, die bei diesem kurzen Blick auf die Zeiten übergangen wurden, sind selbstverständlich die von Hartmann von Aue*, Gottfried von Straßburg*und Wolfram von Eschenbach*.

Denen gegenüber unwichtig sind die Verserzählungen von Gerhart Hauptmann. Sie sind eher bezeichnend dafür, dass Hauptmann wie Goethe ein umfassendes, alle Gattungen erfassendes Werk schaffen wollte.

Vergleichsweise wichtiger sind die frühmittelhochdeutschen und spätmittelhochdeutschen Epen.


 *ErecGregorius oder Der gute SünderDer arme HeinrichIwein

Tristan

ParzivalWillehalm  und das kurze mehrteilige Fragment Titurel.

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