05 März 2021

Aus Fontanes Briefen 1881/82

 Über Wagner:

"Und nun das große Ziel, das Weltenrätsel und das erlösende Wort, [...]

Er ist, aller glänzenden Rekapitulationen unerachtet, doch in einer totalen Konfusion steckengeblieben; deshalb steckengeblieben, weil er sich eine Aufgabe stellte, die entweder überhaupt nicht zu lösen war oder für die wenigstens seine Kräfte, so respektabel sie an sich an und für sich waren, nicht ausreichten.
Und welches war nun diese Aufgabe? Die Verschmelzung zweier Sagen oder Fundamentalsätze, von denen jeder einzelne gerade Schwierigkeiten genug bot. Erster Fundamentalsatz: An der Gier, an dem rücksichtslosen Verlangen hängt die Sünde, das Leid, der Tod. Wer den Goldring der Nibelungen hat, der hat ihn immer nur zum Unheil und Verderben. Zweiter Fundamentalsatz: Die Götter sind gebunden und regieren nur durch Vertrag. Auch dem Himmel kann gekündigt werden. Wächst der Mensch, so sinken die Götter; der eigentliche Weltenherrscher ist der freie Geist und die Liebe. [...] Satz 1 ist die alte Evageschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Konsequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen:

"Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich; dass sich die Menschen ihren Gott geschaffen, ist gewiss." [...]

Ich bin der Mann der langen Briefe, dieser ist aber doch einer der längsten geworden. Heine sagte zu dem älteren Dumas: "Lieber Dumas, Sie haben gut schreiben, aber wer soll es lesen?" Auch das also ist schon dagewesen." (an Karl Zöllner 13.7.1881)

"Übrigens steht dies in durchaus keinem Widerspruch zu meinen vier Bänden "Wanderungen"; ich habe überall liebevoll geschildert, aber nirgends glorifiziert, nicht einmal meinen Liebling Marwitz. Ich habe sagen wollen und habe wirklich gesagt: "Kinder,
so schlimm wie ihr es macht, ist es nicht", und dazu war ich berechtigt; aber es ist Torheit aus diesen Büchern herauslesen zu wollen, ich hätte eine Schwärmerei für Mark und Märker. So dumm war ich nicht". (An Emilie 12.8.1882)

"Goethe hat einmal gesagt: die Produktion eines anständigen Dichters und Schriftstellers entspricht allemal dem Maß seiner
Erkenntnis." Furchtbar richtig. Man kann auch ohne Kritik mal was Gutes schreiben, ja vielleicht etwas so Gutes wie man später mit Kritik nie wieder zustande bringt. Das alles soll nicht bestritten werden. Aber das sind dann die "Geschenke der Götter", die, weil es Göttergeschenke sind, sehr selten kommen. Einmal im Jahr, und das Jahr hat 365 Tage. Für die verbleibenden 364 entscheidet die Kritik, das Maß der Erkenntnis. In poetischen Dingen habe ich die Erkenntnis dreißig Jahre früher gehabt als in der Prosa; daher lese ich meine Gedichte mit Vergnügen oder doch ohne Verlegenheit, während meine Prosa aus der selben Zeit mich beständig geniert und erröten macht." (An Emilie 17.8.1882)

"Ich bin erst in dem Unglücksjahre 76 ein wirklicher Schriftsteller geworden; vorher war ich ein beanlagter Mensch, der was schrieb. Das aber ist nicht genug." (An Emilie 28.8.1882)

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