27 September 2017

Euripides: Iphigenie in Aulis (Klytämestra, Achilles, Iphigenie, Agamemnon)

Klytämestra hat Agamemnons zweiten Brief nicht erhalten und trifft mit Iphigenie und Orest im Heerlager der Griechen ein. Dort erfährt sie, dass Agamemnon Iphigenie opfern will. Sie teilt das Achilles mit. Der verspricht ihr zu helfen. 

Klytämestra: Und gibt's im Himmel Götter, mußt du, edler Mann,
              Lohn ernten – gibt es keine, was bemühn wir uns?

Obwohl immer wieder von der göttlichen Herkunft der adligen Helden gesprochen wird, zweifelt Klytämestra bei Euripides also an der Existenz der Götter, verwendet aber eine verkürzte Form der Pascalschen Wette, zur Rechtfertigung ihres Glaubens. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen Agamemnon.


KLYTAIMESTRA.
Nun denn, so höre: offen will ich reden und
Nicht, wie zum Vorspiel, mehr in Rätseln sprechen hier.
Fürs erste – um von diesem Vorwurf auszugehn –:
Du nahmst zur Frau mich wider Willen mit Gewalt,
Nachdem du Tantal, meinen ersten Mann, in Fehd
Erschlagen, mein Kind von der Brust mir mit Gewalt
Gerissen hattest und zur Beute hingetan.
Und Zeusens Zwillingssöhne, meine Brüder, zwar,
Zu Rosse blinkend, überzogen dich mit Krieg,
Allein mein alter Vater Tyndar schirmte dich,
Den Flehnden, und verlieh dir wieder meine Hand.
Mit dir versöhnt dann, wirst du selbst bezeugen, wie
Ich dir ein tadelloses Weib im Hause war,
In keuscher Treue sittsam, daß der Segen wuchs
In deiner Wohnung und du wiederkehrend stets
Froh und zufrieden, wenn du ausgingst, glücklich warst. [...]
Du opferst sie! Was sprichst du für Gebet' dabei?
Wie willst du Segen dir erflehn beim Kindesmord?
Und ziemt es mir, um Segen wohl für dich zu flehn?
Oh, dann für sinnlos hielt ich wohl die Götter, wenn
Ich dem gewogen wäre, der die Meinen schlug!
Und willst du deine Kinder herzen, heimgekehrt?
Du hast das Recht verscherzet! Keines blickt dich an,
Nachdem du ihrer eines hin zur Schlachtung gabst.
Sprich, hast du dieses schon erwogen? [...]

IPHIGENIE
Und statt des Ölzweigs leg ich flehend meinen Leib,
Den hier die Mutter dir geboren, dir ans Knie:
Vernichte meine Blüte nicht! Dies Licht zu schaun
Ist süß! Oh, stoß mich nicht hinab ins finstre Reich!
Ich war die erste, die dich Vater nannte, die
Du Tochter nanntest, die, gewiegt auf deinem Knie,
Liebkosung, holde, gab und hold entgegennahm.
Da sprachst du manchmal: »Werd ich dich, mein Kind, dereinst
In einem reichbeglückten Hause glücklich sehn,
Gesund und blühend, wie es meiner würdig ist?«
Und ich dagegen, deinen Wangen angeschmiegt,
Denselben, die jetzt bittend meine Hand berührt:
»Und ich, mein Vater, wenn du alt bist, werd ich dich
Mit holdem Willkomm grüßen unter meinem Dach,
Mit Pfleg und Wartung dir die Mühn vergelten wohl?«
Und diese Rede lebt in meinem Herzen noch –
Du hast sie nun vergessen, töten willst du mich!
[...]
      Was geht mich Alexanders Liebschaft an und was
Helena? Wie geriet sie mir zum Untergang?
Oh, blick mich an! Oh, gönn mir Kuß und Auge doch
Und laß mich dies zum Angedenken wenigstens
Mitnehmen, wenn dich meine Rede nicht erweicht!
O Bruder, zwar ein schwacher Beistand bist du mir,
Doch hilf mir gleichwohl weinen, flehn zum Vater hier:[898]
Er soll die Schwester nicht ermorden. Mitgefühl
Für Leiden haben selbst ja zarte Kinder auch!
Sieh her, mein Vater, schweigend fleht das Kind dich an.
O hege Scheu! O fühl Erbarmen! Schone mein!
Zwei Kinder flehn an deinen Wangen! Ja! du mußt,
Und alle Gründe faßt das eine siegend Wort:
Dies Licht zu schaun ist Menschen süß, das Süßeste!
Jenseits ist nichts! Ein Tor ist, wer den Tod begehrt!
Ein elend Dasein besser als ein schöner Tod!
CHOR.
O arges Weib, Helena, du und deine Lieb,
Ihr schafft den Atreuskindern diese große Not!
AGAMEMNON.
Ich hab ein Herz und fühle wohl, was rührend ist,
Und liebe meine Kinder; sinnlos wär ich sonst!
Entsetzlich ist es, wenn die Tat geschieht, o Frau,
Entsetzlich, wenn ich's weigere – doch sie muß geschehn.
Seht diesen Wall von Schiffen, dieses Kriegerheer,
In Erz und Harnisch diese Griechenfürsten-Schar,
Für die es keine Fahrt zu Ilions Mauern gibt
Und keine Eroberung jener stolzen Felsenburg,
Wofern ich nicht dich opfere, wie der Seher spricht.
Ein toller Eifer hat das Griechenheer gepackt,
In Eile hinzusteuern nach der welschen Stadt,
Einhalt zu tun den Räuberein an Griechenfraun.
Ihr Grimm ermordet in Myken die Mädchen mir
Und mich und euch, erfüll ich nicht den Seherspruch.
Nicht Menelas ist's, der mich knechtet, liebes Kind,
Nicht seinem Willen frön ich, hab ich mich gefügt:
Nein, Hellas ist es, dem ich, wollend oder nicht,
Dich opfern muß; denn wider dieses sind wir nichts.
Frei muß, mein Kind, soviel an dir liegt und an mir,
Das Vaterland sein, nicht den Welschen untertan,
Und Griechenfrauen nicht der Welschen Beute sein!
[...]

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