26 September 2017

Johnson: Jahrestage 21. September

21. September, 1967    Donnerstag
Unser Haus am Riverside Drive hat einen anderen Eingang im Keller, wo die 96. Straße den Damm unterläuft, unvermutet eine bleigraue Tür nach den offenen Höhlen der drei Garagen, vor dem schwärzlichen Ansatz der Brücke, die Öffnung eines Ganges zwischen geknickten Wänden. Hinter der offenen Tür, die heute näßliches braunes Laub aus dem Park eingesogen hat, sind alle verschlossen: die zur inneren Feuertreppe, die zu den Fahrstühlen, die übrigen, hinter denen Werkzeug und Müllofen stecken. Heute abend ist Mrs. Cresspahl der niedrige Gang zu eng, drückt sie ohne Geduld auf den Knopf, der Mr. Robinson nach unten rufen soll: nicht weil sie eingeregnet ist, nicht weil sie mit Einkaufstüten in beiden Armen schlecht sich wehren könnte: an einem solchen Gang (berichtet die New York Times)
im Keller eines Hauses an der 181. Straße West [...] fand der Verwalter, Mr. Hartnett, gestern zwei Kabinenkoffer, laut Anhänger »Eigentum von Anne Solomon«. Ihr Witwer wußte von solchen Koffern nichts und stellte Mr. Hartnett frei, sie zu öffnen. Der eine war leer. Im anderen befanden sich die Leichen von drei Kindern, eingeschnürt in Dachpappe und Abendzeitungen vom Januar 1920, März 1922 und Oktober 1923, so gut wie Mumien erhalten. Nach Mr. Solomon, der seine Anne erst 1933 geheiratet hat, ist sie vorher Dienstmädchen in White Plains gewesen. Den Koffer kann sie erst 1935, nach dem Einzug in die 181. Straße, heimlich untergestellt haben, um darüber noch bis 1954, zu ihrem eigenen Tod zu leben.

– Eine amerikanische Mutter: sagt Mr. Robinson, denn er bemerkt Mrs. Cresspahls Blick auf die Daily News, die auf dem Hocker neben ihm im Fahrstuhl ausgebreitet ist. Er steht mit dem Gesicht zum Gitter, während er sie aus dem untersten Geschoß nach oben fährt. – Eine amerikanische Mutter: sagt er mit seiner dünnen harten spanischen Stimme: das erste Mal mit 14, dann mit 16, dann mit 17 Jahren, und hat doch noch mit 27 geheiratet. Was hatte sie Jacob Solomon zu sagen?
Mr. Robinson, »Robinson mit dem Profil des Adlers«, seit zwei Jahren einer der drei Fahrstuhlführer in diesem Haus, begann bald Mrs. Cresspahl zu grüßen mit Äußerungen, die klangen wie Auff’iddesen oder gudnmong’, und fand sich widerwillig ab mit ihren englischen Antworten. Mr. Robinson hat Jugendjahre in Deutschland verbracht. Er glaubt diese Ausländerin verstanden zu haben. [...]
Er geht Mrs. Cresspahl aus der Kabine voran und tippt auf ihren Klingelknopf, bis Marie die Tür aufzieht, heute nur bis zum Spielraum der Kette, vorsichtig und nicht ganz erleichtert bei seinem Anblick.
Es wurde gemacht wie du gesagt hast: verspricht er dem Kind, das ihn mit einem erinnernden, wartenden Blick aufhält: Wir haben nachgesehen. Puedes estar segura. En nuestra casa no hay cementerio* particular.
Im Umwenden zwinkert er Mrs. Cresspahl zu. Mitten im Zwinkern hebt er die Hand und betupft sich die Haut im linken Augenwinkel, mehrmals, mit behutsamen Fingern, wie immer, wenn wir sicher glauben daß er lügt. (21.9.1967)

*Friedhof

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