17 September 2017

Johnson: Jahrestage 12. September

"[...] Die Angestellte Cresspahl wird gebeten, sich nachmittags für eine Fahrt zum Flughafen Kennedy verfügbar zu halten; es wird dort ein Brief zu übersetzen sein. Eine Stunde vor Dienstschluß wird die Angestellte Cresspahl abgeholt von einem Mann in Livree, einem schweren alten Menschen von dunkler Haut, der ernst wie ein Börsendiener sich vorstellt als der Fahrer des Vizedirektors de Rosny, sie zu dessen Dolmetscherin ernennt und hinzufügt: Ich bin Arthur. In seinen kurzen krummen Haaren sind weiße Stränge, und er hält beim Sprechen die Uniformmütze in der Gegend des Herzens. Es gelingt der Angestellten Cresspahl nicht, ihm die Hand zu geben, er ist ihr schon aus dem Weg getreten. Sie sagt ihm, überrumpelt, halbherzig, ihren Vornamen, und er antwortet ernst, nachsichtig: Das ist ganz in Ordnung, Mrs. Cresspahl.
Mrs. Cresspahl muß hinter ihm gehen wie hinter einem Diener. Seine Uniform, seine gemessenen Schritte, seine blicklose Miene stören die lässigen Feierabendgespräche zwischen den Maschinenkonsolen des offenen Büroraums, er läßt ihr nicht Zeit zu Abschieden, schon hält er ihr die Tür zum Hauptkorridor auf und läßt sie hindurchgehen wie etwas, das er nicht sieht. Vor dem Fahrstuhl besteht er darauf, ihr die Mappe abzunehmen. Während der Niederfahrt, allein mit ihr, macht er eine Bemerkung übers Wetter, das Gesicht gegen den Stockwerksanzeiger gerichtet, überhört ihre Antworten und wiederholt: Sehr wohl, madam, bis er im Keller sich vor ihr und de Rosnys Wagen verbeugen kann, den Schlag zudrückt und die Mütze aufsetzt. Sie fühlt sich angeliefert, befördert und eingeschlossen wie ein bestelltes Paket. [...]
Auf der Rückfahrt ist die Trennscheibe der Limousine hinter Arthurs Bank versenkt, er hat nur eine Hand am Rad, den anderen Arm auf der Lehne zum bequemeren Umwenden, de Rosny sitzt in der passenden Diagonale, und beide erzählen einander aus ihrem neueren Leben.
Mr. de Rosny kommt keineswegs stracks von Honolulu. Er ist in Kalifornien ausgestiegen, er hat sich in Italien diesen Anzug machen lassen, er hat zwei Tage unter der pariser Küche gelitten, er hat noch einen Platz bei einer amerikanischen Fluggesellschaft gefunden, er sieht New York mit Vorfreude entgegen. Und du, Arthur?
Arthur hat seiner Frau eine neue Waschmaschine gekauft. Sein zweitjüngster Sohn hat sein medizinisches Examen bestanden, nicht ausgezeichnet, aber gut. Arthur hat das Wochenende in Connecticut verbracht, er lobt sich jetzt den Rasen hinter seinem Haus. Die Frau ist nervös wegen des Lehrerstreiks, die kleineren Kinder verpassen Unterricht, wenngleich die Forderungen der Lehrer, insbesondere nach kleineren Klassen und höherem Gehalt …
– Und wie bist du mit ihr ausgekommen? sagt der Chef, mit einem Kopfschwenken auf Mrs. Cresspahl. Sie war in Ordnung: sagt Arthur, und Mrs. Cresspahl erwischt einen Blick lang seine Augen im Rückspiegel. Er zeigt ihr kein Zwinkern, nur einen winzigen, beruhigenden Aufschlag der Lider.
 
Ich hätte wissen sollen, daß der Chef dir den Arm um die Schultern legt, dir die Tür aufhält, dich einen Platz aussuchen läßt. Gesine, oder wie immer du heißt.
In Ordnung, Arthur. Und fahr zur Hölle, Arthur." (12.9.1967)

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