10. September, 1967 Sonntag
Die Landwirtschaft braucht Steuererleichterungen! Überhaupt muß der Fiskus die Abgaben in Naturalien annehmen! Das Tarifrecht muß geändert werden! Der Staat soll lieber was gegen die Zwischenhandelsspannen tun! Wenn Berlin wenigstens die Einfuhren drosseln würde!So: klagte Papenbrock senior: könne der Mecklenburgischen Ritterschaft vielleicht noch einmal über das Jahr 1931 geholfen werden! Der Alte schrie nicht einmal, vertuschte auch nicht sein Asthma in den Pausen, zu denen die Zigarre ihn zwang, lag schlaff bei halbgeschlossenen Augen, gegen sein Sesselpolster in den schiefen rötlichen Sonnenstrahlen, die seine Kontorfenster blind machten. Er wollte nur Zeit gewinnen gegen seinen Besucher, einen Menschen namens Cresspahl, der ihn auf dem Briefpapier des Lübecker Hofs um eine Unterredung angegangen war. Der Besucher gab sich zudem, als läge ihm ernstlich an den Sorgen des ostelbischen Adels.
– Die Steuerschulden der Herrschaften, die sind wohl zum Tapezieren: sagte Cresspahl ernst, im selben förmlichen Platt, gehörig steif auf dem Besuchssofa, den Blick auf Papenbrocks abendlich spiegelnder Glatze haltend. Der Vater der Braut erkannte beim besten Zwinkern nichts Unehrerbietiges.
Papenbrock wußte gegen den Mann nichts zu tun. Der Mann war kräftig, nicht verspeckt, nicht kleinzureden. Der Mann konnte sich das Zimmer im Lübecker Hof schon acht Tage leisten. In dem Telegramm, das er aus England bekommen hatte, war von Aufträgen die Rede, wenngleich Frieda Klütz, Telegrafistin von Jerichow, nicht imstande gewesen war, für Papenbrock eine genaue Übersetzung dieser Geschäfte anzufertigen. Die Tochter erzählte von dreitausend Pfund auf einem Konto bei der Surrey Bank of Richmond, und Papenbrock hatte sein verächtliches Pusten versteckt, denn er hielt was vom Baren. Der Mann hatte darauf verzichtet, dem künftigen Schwiegervater mit einem Konto in Jerichow zu imponieren, der hatte aus dem deutschen Bankenkrach vom Juli gelernt. Der Mann hatte gedient, den hatten Papenbrocks Kameraden an der Russenfront zum Unteroffizier gemacht. Der Mann war Mecklenburger. Aber Papenbrock konnte sich nicht zu dem Mann entschließen.
– Wenn Sie als ein geriebener Kaufmann für das Programm der Ritterschaft eintreten …: sagte Cresspahl auffordernd und nahm die Schultern ein wenig vor, als sei er neugierig auf Papenbrocks Absprachen in den Ministerien von Mecklenburg-Schwerin.
Papenbrock zögerte noch, diesem Cresspahl seine Freunde zu offenbaren. Der kam aus einer Gegend im Sudösten, in der Papenbrock einmal eine Gutspachtung verloren hatte. Dieser Cresspahl hatte womöglich im warener Rathaus hinter einem Schreibtisch gesessen, als Papenbrock seine Gewehre an eine Arbeiterkontrolle herausrücken mußte. Dieser Cresspahl hatte inzwischen zehn Jahre außer Landes gelebt, in den Niederlanden, in England, bei den Gewinnern des Krieges, und selbst der Hauptmann a. D. Papenbrock konnte einen solchen Schwiegersohn nicht leicht beim Stahlhelm annehmlich machen. Der Mensch benahm sich nicht einmal, als hätte Papenbrock vor wenig Jahren sein Vorgesetzter sein können. Dieser Mann, so bürgerlich ihm seine Sparsamkeit in den Geschäften Jerichows anzurechnen war, er saß doch bei Peter Wulff in der Hinterstube, über die Polizeistunde hinaus, und redete mit Leuten, die mit Fahrrädern aus Wismar kamen und von denen nicht einmal der Landjäger wußte, wo sie über Nacht abblieben. [...]
(10.9.1967)
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