09 Juli 2018

Moltke: Unter dem Halbmond - Die Schlacht bis Nisib Asbusu

60. Die Schlacht bis Nisib Asbusu
bei Malatia, den 12. Juni 1839
Du bist sehr lange ohne direkte Nachricht von mir geblieben, weil in der letzten Zeit die Ereignisse sich so drängten, dass kein Augenblick zum Schreiben blieb. Jetzt sitze ich wieder in meinem schattigen Quartier auf der Brücke unter dem Corneliuskirschbaum in Asbusu; aber manches hat sich geändert, seit ich diesen Ort verließ. Zu unserem festen Lager zu Biradschik standen wir so unbeweglich den ganzen Monat Juni still, dass die Schwalben anfingen sich Nester an meinen Zeltstangen zu bauen und Zeit und Weile uns lang wurde. Ein furchtbares Ereignis unterbrach jedoch die Einförmigkeit, als am 29. Mai mittags unser Pulvermagazin mit mehr als 1000 Zentner fertiger Munition in die Luft flog; man hatte zur Unterbringung derselben ein Hann oder gewölbtes steinernes Gebäude am Ufer des Murad innerhalb unserer Stellung gewählt. Nur auf wiederholte Vorstellung war es mir gelungen, sechzig Mann Wache aus dem inneren Hof des vierseitigen Gebäudes zu entfernen, die dort kochten und rauchten; es ging aber später noch, wie bei allen türkischen Pulvermagazinen, so arg her, dass ich bei dem ersten Knall keinen Augenblick im Zweifel war, welches Unglück uns betroffen hatte. Mein Zelt stand etwa tausend Schritt weit auf einer Höhe, die Tür gegen das Hann gewendet, entfernt genug, um außer aller Gefahr zu sein, nahe genug, um das Schauspiel deutlich mit anzusehen. Sobald der erste heftige Knall meine Aufmerksamkeit erregte, sah ich eine Feuergarbe aus dem inneren Hof emporsteigen, wo man eben Kisten mit Infanteriemunition öffnete; unmittelbar darauf flog das Hann selbst auf. Eine dichte Rauchsäule erhob sich bis zu einer unglaublichen Höhe in die klare blaue Luft, aus ihr aber zuckten helle Blitze, und ein Regen von Gewölbsteinen und Kugeln rasselte herab; das Platzen mehrerer hunderter gefüllter Granaten in derselben Minute verursachte ein Getöse, das viele Stunden weit in den Bergen widerhallte. Nun musst du wissen, dass in einer Entfernung von 80 Schritt zu beiden Seiten des Hanns 200 geladene Munitions- und Granatwagen standen; eine Protze flog wirklich in die Luft, und doch wurde wunderbarerweise der ganze Rest des Fuhrwerks gerettet. Einer meiner Kameraden, der Hauptmann Laue, war in größter Gefahr gewesen; er arbeitete zur Zeit der Explosion nur einige hundert Schritt weit vom Magazin und wurde an drei Stellen leicht verwundet; dennoch war er der Erste, der mit Hilfe einiger Artilleristen eine bereits brennende Granatprotze wieder löschte. Als wir mit der Infanterie herbeikamen, wurden schnell alle Munitionswagen aus der Nähe des Vulkans fortgezogen;
[...]
Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs war auf der Seite der Pforte, aller Vorteil aber wurde aufgehoben durch einen Kardinalfehler: In Syrien befehligte ein Mann, um dessen Existenz es sich handelte; in Asien vier unabhängige Feldherren, jeder mit besonderen Interessen und einer eifersüchtig auf den anderen. So kam es, dass wir schon in Scharmützel verwickelt waren mit dem Gegner, als das Korps Isset-Paschas noch in Kalsarieh 150 Stunden rückwärts stand und das Hadschi-Aly-Paschas zu Konieh sich in einer solchen Passivität verhielt, dass Ibrahim diese Pässe fast von allen Verteidigern entblößen und sich dadurch verstärken konnte. Hafiz-Pascha wollte den Krieg und war gewiss, dadurch den geheimsten Wünschen seines Gebieters zu entsprechen; den Vorwand suchte er in einigen Plänkeleien der Araber. Es war mir zu jener Zeit sehr peinlich, immer abzuwehren, stets der Hemmschuh für alle Unternehmungen zu sein, immer auf die Ankunft der übrigen Korps zu verweisen und es blieb mir, um meinen Kredit zu retten, nur übrig, den tätigsten Anteil an solchen Expeditionen zu nehmen, deren Ausführung zu hintertreiben mir nicht gelungen. Ibrahim-Pascha hatte offenbar nicht die mindeste Lust den Streit anzufangen, er ließ sich viel gefallen. In einem Gefecht der irregulären Truppen hatten wir ihm achtzig Gefangene abgenommen und unsere Rekognoszierungen, bei der die Kavallerie ihre gänzliche Untauglichkeit dokumentierte, überschritten fünf Stunden weit die Grenzen; in Aintab hatten die Einwohner ihre Garnison in die Zitadelle gesperrt; diese hielt eine sehr schwache Kanonade aus, ergab sich aber nicht nur gegen Zusicherung ihres rückständigen Soldes von achtzehn Monaten, sondern nahm sogar Dienst bei uns. Das war nun mehr, als der syrische Generalissimus vertragen konnte, und am 20. Juni erschien er mit seinem ganzen Heer, überschritt gegen Mittag das Defilee von Misar und lagerte in dichten Haufen diesseits desselben, nur anderthalb Stunden vor unserer Front. [...]
Nachdem wir einmal auf unsere gute Stellung von Biradschik freiwillig verzichtet hatten, mussten wir die Schlacht da annehmen, wo Ibrahim sie uns bot. Es kam jetzt darauf an, schnell eine neue Front herzustellen, deshalb ließ ich den rechten Flügel, die große Batterie und die Garden stehen, sie bildeten den rechten der neu zu nehmenden Aufstellung; links von ihnen kamen drei Linien-Infanteriebrigaden; die Rediffs oder Landwehrbrigaden blieben in Reserve, eine hinter dem rechten, eine hinter dem linken Flügel und zwei hinter der Mitte. In der ersten Linie standen 14 Bataillone und 92 Geschütze, in der zweiten Linie 13 Bataillone, in der Reserve 24 Bataillone, 9 Kavallerieregimenter und 13 Geschütze. Vor der Front befanden sich zwei während der Nacht durch den Hauptmann von Mühlbach aufgeworfene Schanzen, der rechte Flügel lehnte an Ravins, der linke stand in einem lichten Olivenwald; die Reserve befand sich in einer Vertiefung des Terrains, ungesehen, die irregulären Truppen waren ganz links in das Gehölz gestellt.
Nachdem jedes Bataillon, jede Batterie und jedes einzelne Kavallerieregiment auf seinen Platz gestellt war, befand sich der Gegner noch auf dem Marsch in Richtung Biradschik. Ich hatte Zeit, mit dem Hauptmann Laue ein Huhn gemächlich zu verzehren, wobei die Umstehenden unseren guten Appetit bewunderten: Dann ritt ich noch etwa tausend Schritt vor die Stellung und brachte dem Pascha, der noch immer um seine linke Flanke besorgt war, die Versicherung zurück, dass dem rechten ebenso bedeutende Massen gegenüberstanden wie dem linken Flügel. Ibrahim-Pascha hatte in allen früheren Schlachten diesen Flügel umgangen und sein Marsch am Morgen deutete dieselbe Ansicht an. In der Schlacht am 24. Juni aber fand durchaus kein Überfall statt, und der Umgehung war vor Anfang des Gefechtes bereits durch eine neue Aufstellung begegnet. Alles stand seit einer Stunde bereit und die Soldaten hatten ihre Tornister hinter sich gelegt, um bequemer zu feuern. Die Bataillone der ersten Linie hatten deployiert, die des linken Flügels ihre Tirailleurs vorgezogen, die Reserveinfanterie stand in Kolonne nach der Mitte.
Im gerechten Vertrauen auf die Untüchtigkeit unserer Kavallerie hatte der Feind in Entfernung von einer Stunde vor unserer Front seinen Flankenmarsch ausgeführt; uns zunächst marschierte der größte Teil seiner Kavallerie und Artillerie, wohl 120 Geschütze, rechts derselben die Infanterie und die Reserve von allen Waffen; die Tiefe dieser Kolonne betrug wohl drei Viertelstunden. Es wurde ein kurzer Halt gemacht, dann ging die Artillerie im Trab vor und eröffnete ihr Feuer; die Infanterie blieb anfangs ganz aus unserer Schussweite zurück, zur Deckung der Artillerie ging die Kavallerie mit vor. Diese Anordnung war sehr verständig, sie hatte die Folge, dass unser sehr lebhaftes Feuer sich auf einen weiten Raum zersplitterte und die feindliche Reserve gar nicht erreichte, während das des Gegners den ganzen Raum unserer Aufstellung mit Kugeln überschüttete. Die feindliche Artillerie war in sehr großer Entfernung abgeprotzt, von unserem rechten Flügel war sie gewiss 2000 Schritt entfernt, auf dem linken etwas näher, sie schoss daher mit einem großen Erhöhungswinkel. Die Kanonenkugeln kamen wie die Granaten von oben herab, auch so matt, dass man sie mit den Augen verfolgen konnte; dieser Umstand war besonders ungünstig für uns: Rückte der Feind gleich nahe heran, so konnte die erste Linie allerdings noch mehr leiden, die zweite aber stand schon zum Teil, die Reserve ganz gegen den geraden Schuss gedeckt; so aber hatten wir schon in wenig Minuten kaum ein einziges Bataillon, das nicht durch Verluste moralisch erschüttert worden wäre. Sieben Achtel dieser Leute hatten noch nie eine Kugel sausen gehört; wenn zuweilen eine Granate in eine Kolonne einschlug und dort krepierte, so stäubten ganze Kompanien auseinander. [...]
Unter dem Vorwand, Verwundete wegzubringen, entfernten sich Trupps von vier, fünf Mann; die Reserve rückte hin und her, um dem Strichfeuer auszuweichen; kurz, moralisch war die Schlacht schon verloren. Eine lebhafte Kanonade war allerdings das Unangenehmste, was dieser Truppe begegnen konnte. Ein Bataillon von 480 Mann hatte nach Aussage des Kommandeurs 60 Tote. Die des linken Flügels werden wohl ebenso viel gehabt haben, dennoch glaube ich nicht, dass wir auf dem Schlachtfeld mehr als 1000 Tote und Verwundete gehabt haben.
In dem Augenblick, als ich den Pascha aufmerksam darauf machte, dass es unerlässlich sei, den linken Flügel wieder vorzunehmen, stürzte die Gardekavalleriebrigade ohne Befehl, wohl nur aus Unbehagen, aus der Reserve zu einem Angriff vor, der nicht einmal bis über unsere erste Infanterielinie hinaus gekommen ist; einige Granaten schlugen in diese Massen ein, sie kehrten in wilder Eile um und brachten die Infanterie in Verwirrung. Der Pascha war nach dem rechten Flügel geritten, wo er wohl den Tod suchte. Er selbst führte die Fahne eines Garderediffbataillons vor, aber das Bataillon folgte nicht. Von dem weiteren Verlauf der Schlacht lässt sich wenig sagen: Die Brigade Halid-Paschas wurde durch den Tod ihres tapferen Anführers erschüttert, dem eine Kugel den Kopf fortriss, während er vor der Front durch sein Fernglas sah; die Brigaden Ismael und Mustapha wichen zuletzt zurück, nachdem sie einen Kavallerieangriff abgeschlagen hatten; das erste Regiment der Brigade Heider-Pascha, das zuerst seinen Platz auf dem linken Flügel verlassen hatte, hielt nachher am längsten stand gegen die feindliche Infanterie, und sein Anführer wurde gefangen genommen; sonst aber ist ein eigentliches Nahgefecht gar nicht vorgekommen. Die Infanterie feuerte in ungeheurer Entfernung, oft aus der Kolonne, das Gewehr in die Höhe ab, die Kavallerie zerstreute sich und bald löste sich alles auf. Die Artillerie hatte sich eigentlich noch am besten gewehrt.
Da ich so glücklich gewesen war mit meinen zwei Kameraden gegen Ende des Gefechts im Zentrum zusammenzutreffen, so beschlossen wir uns aneinander zu halten. Uns kam es besonders darauf an, einen Vorsprung vor den Flüchtlingen zu gewinnen, denn sobald der Rückzug angefangen hatte, waren alle Bande der Disziplin gelöst. Die Kurden, und diese bildeten die größere Hälfte unseres Korps, waren unsere Feinde; sie schossen auf ihre eigenen Offiziere und Kameraden, sperrten die Gebirgswege und machten mehrere Angriffe auf Hafiz-Pascha persönlich. Andere Flüchtlinge warfen die Gewehre weg, streiften die lästige Uniform ab und wanderten fröhlich und singend ihren Dörfern zu. Wir gelangten am Abend bis Aintab, neun Stunden weit; dort aber ergriffen noch in derselben Nacht sämtliche Einwohner die Flucht aus Frucht vor Ibrahims Rache; wir mussten daher auch diese Nacht noch mit unseren müden Pferden aufbrechen, ritten den ganzen folgenden Tag ohne Lebensmittel für uns und ohne Gerste für die Tiere und trafen abends an einem Bach, vier Stunden vor Marasch ein, wo sich wenigstens Wasser und Gras vorfand.
Ich selbst war bis zur gänzlichen Kraftlosigkeit erschöpft, als wir am 26. morgens in Marasch eintrafen, wo wir einige Erholung fanden. Mein Pferd hatte ich in der Nacht vor der Schlacht, dann während derselben und zwei Tage und eine Nacht danach geritten, ohne dass das Tier etwas anderes als dürres Gras zu fressen bekam.
In Marasch sammelten sich allmählich viele Flüchtlinge. Bemerkenswert schienen mir die Äußerungen der Offiziere, welche die früheren Schlachten von Homs, Baylan und Konieh mitgemacht hatten, wo die Türken ihren Gegnern an Zahl weit überlegen gewesen waren; sie behaupteten, dass die von Nisib weit blutiger und der Widerstand besser und kräftiger als in allen vorhergehenden Gefechten gewesen sei!! Der Rückzug aber kostete fünf Sechstel des ganzen Korps und außerdem das ganze Material der Artillerie; die Landwehr ging fast in corpore nach Hause. Die Brigade Mahmud-Paschas besteht heute aus 65 Mann, die von Bekir-Pascha, welche 5800 Mann stark war, aus 351 usw. Nur die Kavallerie, welche aus Spahis (Lehnsmänner) besteht, ist größtenteils beisammen. Du siehst hieraus, mit was für Elementen wir zu tun hatten.
Die Unordnung in Ibrahims Korps muss indes fast ebenso groß gewesen sein. Am Tage einer siegreichen Schlacht gingen zwei Bataillone zu uns über und ägyptische Kürassiere begleiteten unsere Reiter auf ihrer Flucht; 3000 Gewehre wurden an diesem Tag im Lager von Biradschik von Flüchtlingen abgeliefert, die sich dort über den Euphrat retteten, und es wurde behauptet, dass Ibrahim auf seine eigenen zurückweichenden Bataillone gefeuert habe, was ich jedoch nicht für bestimmt ausgeben kann. So hing die Entscheidung an einem Fädchen, und so kam es, dass der Sieger auch nicht die kleinste Verfolgung unternahm. Bei der Disposition unserer Truppen schien dies freilich kaum noch nötig, aber dadurch wurde es möglich, dass der größte Teil der Flüchtlinge sich rechts in die Berge warf und auch Hafiz-Pascha den Weg nach Rumkaleh und Bohesne einschlug, auf dem aber kein einziges Geschütz fortgebracht werden konnte.
Mein Weg vom Schlachtfeld hatte mich durch unser altes Lager geführt und ich ritt heran, um zu sehen, was aus meinen Leuten und Pferden geworden war. Vor meinem von einer Kugel durchlöcherten Zelt fand ich einen meiner Maulesel erschossen, in dem Zelt meine sämtlichen Sachen zum Aufladen bereit und einen fremden Menschen; die Dienerschaft aber mit acht Pferden war davon. Unsere eigene irreguläre Reiterei war die erste gewesen, welche die Zelte plünderte, wobei sie von feindlicher Kavallerie gestört worden zu sein scheint. Der Tschausch, der mich im Gefecht begleitete, hatte sich auch etwas früh fortgemacht, ich traf ihn aber glücklicherweise später wieder, und unter diesen Umständen war eine türkische Bedeckung für unsere Sicherheit unentbehrlich. Ich bedauere hauptsächlich den Verlust eines Teils meiner Karten, von denen ich keine Kopien besitze. [...]
Nachdem ich zwei Tage in Marasch der Ruhe genossen, die unentbehrlich war, und wir erfahren hatten, dass Hafiz-Pascha nach Malatia gegangen sei , brachen wir dahin auf. Alle direkte Kommunikationen waren jedoch durch die Kurden und durch die turkmenischen Wanderstämme unterbrochen; wir schlossen uns daher 80 Reitern an, die unter Mystik-Bey in Payas einen kleinen Insurgentenkrieg geführt hatten und auf dem Umweg durchs Gebirge zur Armee zurückzukehren suchten. [...] 
Nachdem ich zwei Tage in Marasch der Ruhe genossen, die unentbehrlich war, und wir erfahren hatten, dass Hafiz-Pascha nach Malatia gegangen sei , brachen wir dahin auf. Alle direkte Kommunikationen waren jedoch durch die Kurden und durch die turkmenischen Wanderstämme unterbrochen; wir schlossen uns daher 80 Reitern an, die unter Mystik-Bey in Payas einen kleinen Insurgentenkrieg geführt hatten und auf dem Umweg durchs Gebirge zur Armee zurückzukehren suchten."
(Moltke: Unter dem Halbmond, Kapitel 60)

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