08 Juli 2018

Wie Shakepeare: "Love’s Labour’s Lost" mich an Doktor Faustus heranführte

So sehr ich Shakespeare schätze, die bloße Lektüre seiner Komödien hat sie mir selten näher gebracht. Es mussten Aufführungen sein.

Das war bei Erich Frieds Übersetzung von Love’s Labour’s Lost jetzt anders. Die Sprachspiele waren aktueller als das mir unvergessene "Bohrst du mir einen Esel" der Schlegelschen Übersetzung von Romeo und Julia und die Handlung nicht so verwirrend wie im Sommernachtstraum.
Doch als ich dann in Kindlers Literaturlexikon erfuhr, dass dieses Stück Thomas Mann dazu angeregt hat, es im 24. Kapitel seines Doktor Faustus aufzugreifen und von Adrian Leverkühn vertonen zu lassen, da habe ich auch wieder dieses für mich sperrige Werk aufgeschlagen und entdeckt, wie er auf Birons 'wütend ausgelassene Selbstverhöhnung' wegen seiner "Verfallenheit an die verdächtige black beauty" eingeht und dann "By the Lord, this love is mad as Ajax; it kills sheep, it kills sheep, I a sheep"* zitiert und auf die karikierenden Elemente der Komposition gerade dieser Textstelle zu sprechen kommt.
Der Erzähler Serenus Zeitblom findet in diesem Zusammenhang Worte zur Charakterisierung Leverkühns, die Mann gewiss als Kritik gemeint hat: "Diese Künstler geben wenig acht auf eine umgebende Gegenwart, die zu der Arbeitswelt, die sie umgibt, nicht in direkter Beziehung steht". Denn er hat sich in dieser Zeit - nicht zuletzt durch seine Radiosendungen Deutsche Hörer! - ja sehr wohl politisch engagiert. Aber dennoch enthält sie auch ein Stück Selbstkritik, nicht zuletzt durch den folgenden Halbsatz "und in der sie folglich nicht mehr als einen indifferenten, der Produktion mehr oder minder günstigen Lebensrahmen sehen."* Denn dass Manns Umwelt, nicht zuletzt seine Frau Katja, trotz ihres eigenen unermüdlichen Engagements zur Schaffung einer günstigen Arbeitsatmosphäre für ihn diese Vernachlässigung der Familie zugunsten der Konzentration auf sein Werk auch als Belastung empfunden hat, war ihm sicher klar. Und der letzte Satz des Kapitels ist gewiss auf Thomas Mann selbst gemünzt. Im ersten Halbsatz als Selbstkritik und im zweiten als Wunsch für sein Verhältnis zu Katja: 
"Es gibt Menschen, mit denen zu leben nicht leicht, und die zu lassen unmöglich ist."

So weit ich in der Gestalt Leverkühns nicht nur eine Allegorie auf das deutsche Volk sehen muss, das einen Teufelspakt mit Hitler eingegangen ist, sondern (über den Bezug auf Nietzsche hinaus) auch ein Stück kritisches Selbstporträt, fällt es mir leichter, mit diesem Text umzugehen. 


Zu herb habe ich die Kritik Max Frischs in Erinnerung, der mir sehr einfühlsam Brecht nahe gebracht hat, aber bei einer Lesung in Oxford über Mann sagte: Er habe jahrelang mehr oder minder in der Nachbarschaft Manns gelebt, aber nie das Bedürfnis nach geistigem Austausch mit ihm gehabt. 

*BIRON. "Der König jagt das Wild, ich hetze mich selbst; sie sind erpicht auf ihre Netze, ich bin umnetzt von Pech; Pech, welches besudelt; besudelt! ein garstiges Wort! – Nun, setze dich, Gram! – denn so, sagt man, sprach der Narr; und so sag' ich, ich, der Narr. Wohl bewiesen mein Witz! – Beim Himmel, diese Liebe ist so toll, wie Ajax, sie tötet Schafe: sie tötet mich, mich das Schaf. Abermals wohl bewiesen meinerseits! – Ich will nicht lieben: wenn ich's tue, hängt mich auf; auf Ehre, ich will's nicht. Ach, aber ihr Auge! Beim Sonnenlicht, wär's nicht um ihres Auges willen, ich würde sie nicht lieben; ja, um ihrer beiden Augen willen; wahrhaftig, ich tue nichts in der Welt als lügen, und in meinen Hals hineinlügen. Beim Himmel, ich liebe, und das lehrt mich reimen und schwermütig sein, und hier ist ein Stück von meinem Gereim und von meiner Schwermut. Nun, eins von meinen Sonetten hat sie schon: der Tölpel bracht' es, der Narr sandt' es, und das Fräulein hat es: süßer Tölpel, süßerer Narr, süßestes Fräulein! Bei Gott, ich wollte alles drum geben, wenn die drei andern auch soweit wären. Hier kommt einer mit einem Papier: gebe der Himmel, daß er seufzen möge!" (Shakespeare: Love’s Labour’s Lost 4. Akt)

Birons Lob der Liebe
"Biron.                                         Wahrlich, die thut not.
Auf, ins Gewehr, streitbare Liebesritter! –
Erwägt, was ihr zuerst beschworen habt; –
Fasten, studiren, keine Frauen sehn; –
Klarer Verrat am Königtum der Jugend.
Sagt, könnt ihr fasten? Ihr seid all zu jung;
Und die Enthaltsamkeit zeugt Krankheit nur;
Und als ihr zu studiren habt gelobt,
Da habt ihr euerm Buch schon abgeschworen.
Könnt ihr stets träumen, grübeln, darauf starren?
Wie hättet ihr, o Herr, und ihr, und ihr
Erforscht die Herrlichkeit der Wissenschaft,
Half euch die Schönheit nicht der Fraungesichter?
Aus Frauenaugen zieh' ich diese Lehre;
Sie sind der Grund, das Buch, die hohe Schule,
Aus der Prometheus echtes Feu'r entglüht.
Ei, stets sich abarbeiten, kerkert ein
Die raschen Lebensgeister im Geblüt,
Wie rastlos angestrengtes Wandern endlich
Die Sehnenkraft des Reisenden ermüdet.
Nun, wollt ihr nie ein Frauenantlitz schaun,
Habt den Gebrauch der Augen ihr verschworen,
Und auch das Studium, dem ihr euch gelobt.
Denn, welcher Autor in der ganzen Welt
Lehrt solches Wissen, wie ein Frauenauge?
Das Wissen ist ein Anhang nur zu uns,
Und wo wir sind, ist unser Wissen auch.
Drum, wenn wir uns in Mädchenaugen sehn,
Sehn wir nicht gleichfalls unser Wissen dort? –
O, wir gelobten Studien, werte Lords;
Mit dem Gelübd' entsagten wir den Büchern.
Wie hättet ihr, o Herr, und ihr und ihr,
Durch bleierne Betrachtung je ersonnen
So glüh'nden Vers, als den begeisternd Augen
Von Schönheitspflegerinnen euch gespendet? –
Das andre träge Wissen bleibt im Hirn,
Und deshalb finden seine dürren Knechte
Mühsel'ge Ernte kaum nach schwerem Dienst.
Doch Lieb', in Frauenaugen erst gelernt,
Lebt nicht allein vermauert im Gehirn,
Nein, mit der Regung aller edlen Geister
Strömt sie gedankenschnell durch jede Kraft,
Und zeugt jedweder Kraft zwiefache Kraft,
Weit höher als ihr Wirken und ihr Amt.
Die feinste Schärfe leiht sie dem Gesicht;
Wer liebt, dess' Auge schaut den Adler blind.
Wer liebt, dess' Ohr vernimmt den schwächsten Laut,
Wo selbst des Diebs argwöhnisch Horchen taub ist.
Die Liebe fühlt empfindlicher und feiner,
Als der beschalten Schnecke zartes Horn;
Schmeckt sie, wird Bacchus leckre Zunge stumpf;
Ist Lieb' an Kühnheit nicht ein Herkules,
Der stets der Hesperiden Bäum' erklimmt? –
Schlau wie die Sphinx, so süß und musikalisch
Wie Phöbus Lei'r, bespannt mit seinem Haar? –
Wenn Liebe spricht, dann lullt der Götter Stimme
Den Himmel ein durch ihre Harmonie;
Nie wagt's ein Dichter und ergriff die Feder,
Eh' er sie eingetaucht in Liebesseufzer! –
Dann erst entzückt sein Lied des Wilden Ohr,
Pflanzt in Tyrannen holde Menschlichkeit.
Drum wart ihr Thoren, diesen Fraun entsagend,
Und haltet ihr den Schwur, so bleibt ihr Thoren.
Der Weisheit halb, – ein Wort, das jeder liebt, –
Der Liebe halb, – ein Wort, das jeden liebt, –
Der Männer halb, die Schöpfer sind der Fraun, –
Der Frauen halb, durch die wir Männer sind,
Laßt uns den Eid vernichten, uns zu retten,
Sonst retten wir den Eid, vernichten uns.
's ist Religion, meineidig so zu werden,
Denn Gnade selber schrieb uns das Gebot;
Und wer mag Liebe trennen von der Gnade?"

Übersetzung von Schlegel/Tieck. Erich Fried übersetzt in den letzten beiden Zeilen statt 'Gnade' Nächstenliebe.

*Thomas Mann hat selbst in der "Entstehung" [des Doktor Faustus] von der "mich dauernd bestürzenden Rücksichtslosigkeit im Aufmontieren von faktischen, historischen, persönlichen, ja literarischen Gegebenheiten" gesprochen, wobei diese "Montage-Technik" aber zur "Idee des Buches" gehört habe. Möglich sei ihm diese Technik geworden, wegen des Charakters des Buches "als Geheimwerk und Lebensbeichte, der die Vorstellung seines öffentlichen Daseins überhaupt von mir fernhielt, solange ich daran schrieb". (Weites Feld 31.10. 2007)


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