Vorwort des Verfassers.
Ich fing diese Erzählung vor zwei Jahren zu Rom an. Als ich mich nach Neapel begab, legte ich sie beiseite, um »Die letzten Lage von Pompeji« zu schreiben, welche den Vorteil des Aufenthaltes in der Nähe der beschriebenen Schauplätze mehr als »Rienzi« erforderten. Das Schicksal des römischen Tribunen nahm indessen fortwährend mein Interesse in Anspruch, und einige Zeit nachdem »Pompeji« herausgegeben war, machte ich mich wieder an mein früheres Unternehmen. In der Tat betrachtete ich die Vollendung dieser Bände als eine Art von Pflicht; denn da ich Gelegenheit gehabt, die Originalurkunden zu lesen, aus welchen neuere Geschichtschreiber ihre Berichte über das Leben Rienzis geschöpft haben, gewann ich die Ansicht, daß ein sehr merkwürdiger Mann oberflächlich beurteilt, und eine sehr wichtige Epoche nicht genau geprüft worden sei. Siehe den Anhang.Und diese Ansicht war stark genug, um mich zuerst zu veranlassen, meine Gedanken auf ein ernsteres Werk über das Leben und die Zeiten Rienzis zu richten. Ich habe die Benennung Rienzi statt Rienza angenommen, da die Leser im allgemeinen vertrauter damit sind. Doch ist die letztere vielleicht die richtigere, da der Name eine Volkskorruption von Lorenzo war.Verschiedene Gründe vereinigten sich gegen diesen Plan – und ich gab die Lebensbeschreibung auf, um die Dichtung anzufangen. Ich habe mich indessen mit mehr Treue, als in Romanen gebräuchlich ist, an die Hauptbegebenheiten in dem öffentlichen Leben des römischen Tribunen gehalten; und der Leser wird vielleicht in diesen Blättern einen vollständigeren und genaueren Bericht über das Steigen und Fallen Rienzis finden, als in irgend einem anderen, mir bekannten englischen Werke. Ich habe allerdings seinen Charakter in verschiedener Hinsicht anders betrachtet als Gibbon oder Sismondi. Dies ist das unbestreitbare Vorrecht des Romans. Aber es ist in allen ihren Hauptzügen eine Ansicht, zu welcher ich, wie ich beweisen zu können glaube, nicht weniger durch die Tatsachen der Geschichte, als durch die Gesetze der Dichtung berechtigt bin. Da ich indessen die Urkunden, aus welchen ich die Beschreibung des Hauptcharakters schöpfte, angeführt habe, so hat der Leser hinreichende Data für sein eigenes Urteil.
Der Plan dieses Werkes, welcher im allgemeinen die wirkliche Chronologie von Rienzis Leben beibehält, erstreckt sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren und enthält diejenige Verschiedenheit von Charakteren, welche zu einer der Wahrheit getreuen Beschreibung der Ereignisse nötig ist. Die Erzählung kann daher den interessantesten Begebenheiten nicht gerade in der Ordnung folgen, welche in streng und echt dramatischen Dichtungen gefunden wird, in welchen, wenigstens nach meiner Meinung die Zeit möglichst beschränkt, und die Zahl der Charaktere möglichst klein sein sollte – wo gegen das Ende des Werkes kein neuer Charakter von einiger Wichtigkeit mehr eingeführt werden sollte. Wenn ich das Wort episch in seiner bescheidensten und anmaßungslosesten Bedeutung anwenden darf, so gehört diese Dichtung, ob sie sich gleich dramatische Darstellungen erlaubt, als ein Ganzes mehr zur epischen als zur dramatischen Schule. Ein Werk, welches die Verbrechen und Irrtümer einer Nation zu seinem Gegenstände wählt, welches, wenn auch mit wenig Erfolg, es wagt, das Wirkliche und Wesentliche auf der höchsten Stufe der Leidenschaft oder Handlung zu suchen, kann meiner Meinung nach nur selten die melodramatischen Wirkungen annehmen, welche durch gemeine Kunst oder durch humoristischen Bühneneffekt hervorgerufen werden. Dieser letztere zieht, indem er aus unbedeutenden Eigentümlichkeiten der Charaktere entsteht, die Aufmerksamkeit des Lesers von der Größe oder vom Verbrechen ab und leitet sie auf die Schwäche oder die Torheit. Auch läßt eine Dichtung, welche sich mit solchen Gegenständen beschäftigt, nur selten überflüssige oder genaue Beschreibungen von Sitten und Gebräuchen zu. – In betreff der Sitten und Gebräuche habe ich in der Tat einen minder ehrgeizigen und minder bestreitbaren Beweggrund gehabt, mich zu fassen, obgleich diejenigen, welche ich beschreibe, hoffentlich ganz getreu sind; – ich schreibe von einem Feudalzeitalter und trage nach den unnachahmlichen und unvergänglichen Gemälden, welche wir von Walter Scott über die Sitten derselben besitzen, kein Verlangen, mehr als nötig ist, darüber zu sagen. Ich sage soviel, um den Leser vorzubereiten, was er von den folgenden Bänden zu erwarten hat – eine Pflicht, welche jedem bescheidenen und wohlgesinnten Schriftsteller obliegt, und eine Vorsicht, welche, indem sie ihn selbst manchmal vor Kränkungen schützt, dem Leser nicht minder selten Täuschungen erspart. – Ich muß zugeben, daß dieser Eingang etwas ominös klingt! – Wenig von Gebräuchen, noch weniger von Geheimnis, nichts von Humor! Was bleibt denn da für Interesse oder Belustigung? Ach! in der Leidenschaft, den Charakteren und der Handlung bleibt Stoff genug, wenn der arme Bearbeiter sie nur gehörig zu verbinden weiß!
In dem Gemälde des römischen Volkes sowie in dem der römischen Edeln des vierzehnten Jahrhunderts folge ich buchstäblich den hinterlassenen Beschreibungen; sie sind nicht geschmeichelt, aber treu – es sind Portraits. In einem großen Teile meines Werkes werden diejenigen, welche glauben, daß die Menge – gleichviel zu welcher Zeit oder in welchem Lande, stets recht habe, vielleicht eine konservative Moral finden, dessen andere mich schwerlich in Verdacht haben könnten. Aber auch nur sehr sinnreiche Köpfe können diese Bände so auslegen, als dienten sie den Parteizwecken unserer Zeit – wenigstens liegt meinem Wunsche, meiner Absicht nichts ferner. Die der Geschichte entnommene Dichtung, wie die Geschichte selbst, kann von den ruhigen und anerkannten Lehren der Vergangenheit handeln, aber sie schweift von ihrer Aufgabe ab, wenn sie zu den heftigen und zweideutigen Streitigkeiten der Gegenwart unpassende Analogien aufstellt.
Ich kann nicht schließen, ohne der gewandten und talentvollen Verfasserin des Trauerspiels »Rienzi« (Miß Mitford) den Tribut meines Lobes und meiner Huldigung abzustatten. In Betracht, daß unser Held derselbe ist – daß wir den Stoff zu unseren Arbeiten aus denselben Materialien nahmen – hoffe ich, man werde finden, daß ich mir selten, oder nie erlaubte, etwas schon Gesagtes zu geben. Mit der einzigen Ausnahme einer Liebesintrige zwischen einer Verwandten Rienzis und einem von der Gegenpartei, welche den Plan zu dem Trauerspiele der Miß Mitford gibt, und welche in meinem Roman nicht viel mehr als eine Zwischenhandlung ist, da sie auf das Benehmen des Helden wenig, auf sein Schicksal gar keinen Einfluß hat, kenne ich keine Aehnlichkeit zwischen den beiden Werken, und auch dieses Zusammentreffen hätte ich leicht vermeiden können, wenn ich es für rätlich gehalten hätte: – aber es würde mir beinahe geschadet haben, wenn ich nichts gegeben hätte, das einem Werke gleicht, welches nachzuahmen, man sich zur Ehre rechnen darf.
In der Tat, die reichen Materialien der Geschichte – die satten Farben von Rienzis Charakter – vereint mit dem Vorteile, welchen der Romanschreiber hat, alles aufzunehmen, was der Dramatiker verwerfen muß – sind hinreichend, um zu verhindern, daß Dramatiker und Romanschreiber einander Eintrag tun.
Dann, letzter Tribun, nahen wir uns deinem Leben,
Von tausend Tyrannen ist es stets umgeben
Befreier von der Schmach, die hart dein Land betroffen,
Petrarcas Freund – Italiens letztes Hoffen,
Rienzi, letzter Römer! Es hat der Baum
Der Freiheit nur für wenig Blätter Raum.
Laß für dein Grab dir Kränze daraus winden;
Des Forums Kämpe, du, des Volkes Haupt,
Laß Rom in dir den neuen Numa finden.
Childe Harold, IV, 114.
Inmitten dieser Begeisterung und Beredsamkeit wurden Italien und Europa durch eine Revolution überrascht, die für einen Augenblick dessen glänzendste Träume verwirklichte.
Erstes Buch.
Zeit, Ort und Menschen.
Erstes Kapitel.
Die Brüder.
Der gefeierte Name, welcher den Titel dieses Werkes bildet, sagt dem Leser schon, daß der Anfang meiner Geschichte in die erste Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts fällt.
An einem Sommerabende konnte man zwei Jünglinge an den Ufern der Tiber entlang wandeln sehen, nicht weit von jener Stelle ihres sich schlängelnden Laufes, wo sie den Fuß des Berges Aventino bespült. Der Weg, den sie gewählt, war abgelegen und ruhig. Nur in der Ferne sah man die an den Ufern zerstreuten, schmutzigen Häuser, zwischen denen dunkel und zahlreich das hohe Dach und die ungeheuren Türme sich erhoben, welche das feste Schloß eines römischen Edlen erkennen ließen. Auf dem einen Ufer des Stromes erhob sich hinter den Hütten der Fischer der Berg Ianiculus mit seinem dichten, dunklen Laubwerk, durch welches an mehreren Stellen die grauen Mauern vieler mit Türmen versehener Paläste sowie die Turmspitzen und Säulen von hundert Kirchen schimmerten; auf der entgegengesetzten Seite stieg der verlassene Aventino jäh und steil, mit dichtem Grün bedeckt, empor, während von der Höhe aus verborgenen, aber zahlreichen Klöstern durch die ruhige Landschaft und die sich kräuselnden Wellen nicht unharmonisch der Schall der heiligen Glocke drang.
Der ältere der beiden eben erwähnten Männer, der das zwanzigste Jahr zurückgelegt haben mochte, war von hohem, ja sogar Achtung gebietendem Wuchse, und es lag in seiner Haltung etwas Auffallendes, beinahe Edles, trotz der bescheidenen Kleidung, die aus dem langen, fliegenden Oberkleide und der einfachen Tunika, beide von dunkelgrauer Sarsche, bestand, wie sie damals von den anspruchsloseren Schülern getragen wurde, welche die Klöster solcher gewöhnlicher Kenntnisse wegen besuchten, deren Erwerb in jenen Zeiten eine karge Belohnung für angestrengte Arbeiten gewährte. Seine Züge waren schön und wären ohne jenen ungewissen, zerstreuten und schwärmerischen Blick – der so häufig eine Neigung zu Träumereien und Betrachtungen andeutet und verrät, daß Vergangenheit oder Zukunft dem Sinne mehr entsprechen als der Genuß oder die Vorfälle der gegenwärtigen Stunde – in ihrem Ausdruck eher heiter als nachdenklich gewesen.
Der Jüngere, damals noch Knabe, hatte weder in Gestalt noch Zügen etwas besonders Bemerkenswertes, wenn nicht ein außerordentlich lieblicher und freundlicher Ausdruck so genannt werden soll; es lag beinahe etwas Weibliches in der zarten Hingebung, mit der er seinen Begleiter anzuhören schien. Er trug die den niederen Klassen gewöhnliche Kleidung, wenngleich vielleicht etwas zierlicher und neuer; die zärtliche Eitelkeit einer Mutter sprach sich in der Sorgfalt aus, mit welcher die langen, seidenen Locken gekämmt und so abgeteilt waren, daß sie sich unter der Mütze hervordrängten und halb auf die Schultern herabfielen.
Während sie so, jeder den Arm um den Leib des anderen legend, an dem lispelnden Schilfe des Flusses hingingen, war nicht nur in den Manieren und in dem Gange, sondern in der Jugend und augenscheinlichen Liebe der Brüder – denn solche waren sie – eine Anmut und ein Gefühl zu bemerken, welche die Niedrigkeit des Standes, dem sie anzugehören schienen, noch höher hob.
»Lieber Bruder,« sagte der ältere, »ich kann dir nicht sagen, welchen Genuß mir diese Abendstunden bereiten. Ich fühle, daß du allein mich nicht für einen Schwärmer und Träumer hältst, wenn ich von der dunklen Zukunft rede und meine Luftschlösser baue. Unsere Eltern hören auf mich, als ob ich ihnen schöne Dinge aus einem Buche sagte, und meine geliebte Mutter, der Himmel möge sie segnen! wischt die Augen und sagt: »Horch, wie gelehrt er ist!« Wenn ich von meinem Livius aufblicke und rufe: Noch einmal sollte Rom das werden – so staunen die Mönche, gaffen und runzeln die Stirn, als ob ich eine Ketzerei ausgesprochen hätte. Du aber, geliebter Bruder, sympathisierst, wenn du auch meine Gedanken nicht teilst, so gütig mit allen ihren Erzeugnissen – du scheinst meine wilden Pläne zu billigen, meine ehrgeizigen Hoffnungen zu ermutigen – daß ich bisweilen unsere Geburt, unsere Vermögensumstände vergesse und zu Gedanken mich erkühne, als ob nur das Blut des teutonischen Kaisers in unsern Adern flösse.«
»Mich dünkt, geliebter Cola,« sagte der jüngere Bruder, »daß die Natur uns einen schändlichen Streich gespielt – dir gab sie die, wenn auch dunkel von der Familie unseres Vaters stammende königliche Seele; mir nur den ruhigen, demütigen Geist von meiner Mutter niedriger Herkunft.«
»Nein,« erwiderte Cola rasch, »da hättest du das bessere Teil – denn ich wäre nur barbarischen, du aber königlichen Ursprungs. Es gab eine Zeit, wo es höher galt, ein einfacher Römer als ein römischer König zu sein. – Nun, nun, wir können noch große Veränderungen erleben!«
»Ich werde es erleben, daß ich dich als einen großen Mann sehe, und damit will ich zufrieden sein,« entgegnete der jüngere Bruder, liebevoll lächelnd; »daß du ein großer Gelehrter bist, darin kommen schon jetzt alle überein: unsere Mutter weissagt dir Glück, so oft sie von unserer freundlichen Aufnahme bei den Colonna hört.«
»Die Colonna!« sagte Cola mit bitterem Lächeln, »die Colonna – die Pedanten! Die geistlosen Seelen geben sich den Anschein, als kennten sie die Vergangenheit, spielen den Herrn und zitieren das Lateinische falsch bei ihren Gelagen! Sie sehen mich gern an ihrem Tische, weil die römischen Doktoren mich gelehrt heißen, und weil die Natur mir einen kühnen Witz gab, der sie mehr ergötzt als die abgenutzten Scherze eines gemieteten Possenreißers. Ja, sie wollen mein Glück fördern – aber wie? durch eine Stelle im öffentlichen Dienst, welche eine entehrte Kasse durch noch empfindlichere Erpressungen von dem sauer erworbenen Gelde unserer verhungernden Bürger füllen würde! Wenn es auf der Welt ein gemeines Geschöpf gibt, so ist dies ein Plebejer, der durch die Patrizier erhoben wurde, nicht um seinem eigenen Stande Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern um in ihrem Interesse zu kuppeln. Er, der aus dem Volke stammt, wird zum Verräter an seiner Geburt, wenn er sich zu einem Spielzeug ihrer tyrannischen Gleißnerei hergibt, damit sie ihre Hände erheben und rufen: seht, welche Freiheit wir in Rom haben, wenn wir, die Patrizier, einen Plebejer so erheben! – Erhoben sie je einen Plebejer, wenn er die Gesinnungen eines Plebejers hatte? Nein, Bruder; sollte ich über meinen Stand erhoben werden, so soll dies auf den Armen, nicht auf dem Nacken meiner Mitbürger geschehen.«
»Ich hoffe nur, Cola, daß du in deinem Eifer für deine Mitbürger nicht vergessen wirst, wie teuer du uns bist. Keine Größe könnte mich je mit dem Gedanken aussöhnen, daß sie dir Gefahr bringe.«
»Und ich könnte jeder Gefahr lachen, wenn sie zur Größe führte. – Aber Größe – Größe! Eitler Traum! Verspüren wir ihn für den nächtlichen Schlaf. Genug von meinen Plänen; jetzt, teuerster Bruder, von den deinigen.«
Und der junge Cola verbannte mit der ihm eigenen zuversichtlichen und heiteren Kraft alle wilderen Gedanken und zwang seinen Geist, auf die einfacheren Pläne seines Bruders zu hören und in dieselben einzugehen; das neue Boot, das festtägliche Gewand, die an einem vor dem Ueberfalle der Adeligen sicheren Ort erbaute Hütte und solche ferneren Lieblingsgemälde, wie ein feuriges Auge und fröhliche Lippen sie in den unbestimmten Gefühlen eines angehenden Jünglings heraufbeschwören. Auf Pläne und Bestrebungen, deren Grenzen solche Gegenstände waren, horchte der Gelehrte mit minder strenger Stirn und freundlichem Lächeln; oft noch fiel ihm im späteren Leben diese Unterredung ein, wenn er bei der Frage an sein eigenes Herz, welcher Ehrgeiz der weiseste sei, zurückschrak.
»Und dann,« fuhr der jüngere Bruder fort, »möchte ich nach und nach genug zusammensparen, um ein Fahrzeug zu kaufen, wie wir hier eines sehen, unzweifelhaft beladen mit Korn und Kaufmannswaren – diese würde ich verkaufen – ach, ich würde sie mit so viel Nutzen verkaufen, daß ich dein Zimmer mit Büchern anfüllen könnte und nie mehr eine Klage hören dürfte, du seiest nicht reich genug, um ein altes, in Staub zerfallenes Mönchsmanuskript zu kaufen. Ach, das würde mich so glücklich machen!« Cola lächelte und drückte den Bruder fester an seine Brust.
»Guter Junge,« sagte er, »möge es lieber meine Aufgabe sein, für deine Wünsche zu sorgen. Aber mich dünkt, die Herren jenes Fahrzeuges sind in keinem beneidenswerten Besitze; sieh, wie ängstlich die Leute um sich blicken, vor- und rückwärts: wenn es gleich friedliche Kaufleute sind, so fürchten sie, wie es scheint, selbst in dieser Stadt, einst dem Stapelplatze der zivilisierten Welt, die Verfolgung eines Seeräubers, und ehe die Reise beendigt sein wird, mögen sie diesen Seeräuber in einem römischen Edlen finden. Wie weit sind wir zurückgekommen!«
Das erwähnte Fahrzeug glitt rasch den Fluß hinab, und drei oder vier bewaffnete Männer auf dem Verdeck beobachteten in der Tat aufmerksam die beiden Ufer, als ob sie einen Feind vermuteten. Bald war indessen die Barke aus dem Gesicht verschwunden, und die Brüder verfielen wieder auf jene Gegenstände, welche nur der Zukunft angehören dürfen, um anziehend für die Jugend zu werden.
Als endlich der Abend dunkler wurde, erinnerten sie sich, daß die gewöhnliche Stunde der Heimkehr vorüber sei, und traten den Rückweg an.
»Halt,« sagte Cola plötzlich, »wie unser Gespräch mich alles vergessen ließ! Vater Uberto versprach mir eine seltene Handschrift, die nach dem Geständnis des guten Mönches das ganze Kloster in Verlegenheit setzte. Ich sollte deshalb heute abend in seine Zelle kommen. Warte hier wenige Minuten. Es ist nur noch halbwegs auf den Aventino. Bald bin ich wieder hier.«
»Kann ich dich nicht begleiten?«
»Nein,« antwortete Cola mit ruhiger Freundlichkeit, »du hast den ganzen Tag gearbeitet und mußt müde sein; meine Anstrengungen, wenigstens die körperlichen, waren leicht genug. Du bist überdies zart und scheinst bereits erschöpft; die Ruhe wird dir wohl tun. Ich halte mich nicht auf.«
Der Knabe ließ es sich gefallen, obwohl er lieber seinen Bruder begleitet hätte; aber er war sanft und nachgiebigen Gemütes und widersprach selten dem geringsten Geheiß derer, die er liebte. Er setzte sich auf eine kleine Bank am Ufer nieder, und bald waren der feste Tritt und die hohe Gestalt seines Bruders in dem dichten Laubwerk seinen Blicken entschwunden.
Zuerst saß er ruhig, erfreute sich der kühlen Abendluft und dachte über die Geschichten des alten Rom nach, die ihm sein Bruder während des Spazierganges erzählt hatte. Endlich fiel ihm bei, daß seine jüngere Schwester, Irene, ihn gebeten, ihr einige Blumen nach Hause zu bringen; er sammelte solche, die in der Nähe wuchsen (und manche Blume blühte wild und in Mengen an diesem einsamen Orte), setzte sich wieder und fing an, sie in eines jener Gewinde zu flechten, für welche das südliche Landvolk noch immer die alte Neigung und etwas von der klassischen Geschicklichkeit bewahrt hat.
Während der Knabe so beschäftigt war, hörte man in einiger Entfernung Huftritte und laute Männerstimmen. Sie kamen näher und näher.
»Wahrscheinlich der Zug eines Edlen, der von einem Feste heimkehrt,« dachte der Knabe; »das wird ein hübscher Anblick – ihre weißen Federn und scharlachfarbenen Mäntel. Ich sehe ein solches Schauspiel gern, will ihnen aber doch aus dem Wege gehen.«
So näherte sich der junge Römer, indem er mechanisch immer an seinem Gewinde arbeitete, die Augen nach dem Orte gerichtet, von wo er den Zug erwartete, mehr und mehr dem Flusse.
Jetzt wurde der Zug sichtbar, in der Tat ein stattlicher Trupp; voran Reiter, zu zweien nebeneinander, wo es der Weg erlaubte; ihre Pferde trugen sehr schöne Decken, ihre Federn wehten lustig, und der Glanz ihrer Bruststücke schimmerte durch die Schatten des dämmernden Zwielichtes. Ein großer, bunter Haufen, alle bewaffnet – die einen mit Pike und Panzer, andere mit weniger kriegerischen oder zeitgemäßen Kampfwerkzeugen – folgte den Reitern, und hoch über Federn und Piken wallte das blutrote Banner der Orsini mit in glänzendem Golde gesticktem Wahlspruch und Devise, worin mit Pracht das guelphische Abzeichen und die Schlüssel des heiligen Petrus dargestellt waren. Eine augenblickliche Furcht befiel das Gemüt des Knaben, denn in dieser Stadt schien zu jener Zeit ein von Kriegern umgebener Edler den Plebejern fürchterlicher als ein wildes Tier; aber zur Flucht war es bereits zu spät – der Zug war beinahe an ihn herangekommen.
»He, Knabe!« rief der Anführer der Reiter, Martino di Porto, ein Anhänger des mächtigen Hauses der Orsini; »hast du ein Boot auf dem Flusse gesehen? – Doch, du mußt es gesehen haben – wie lange ist es her?«
»Ich sah ein großes Boot vor etwa einer halben Stunde,« erwiderte der Knabe, durch die rauhe Stimme und das herrische Benehmen des Ritters erschreckt.
»Gerade vorwärts segelnd, mit grüner Flagge an dem Steuer?«
»Dasselbe, edler Herr.«
»Vorwärts denn! eh' der Mond aufgeht, wollen wir ihrem Laufe Einhalt tun,« sagte der Anführer. »Vorwärts! – nehmt den Knaben mit, damit er nicht zum Verräter werde und die Colonna alarmiere.«
»Orsini, Orsini!« schrie der Haufe; »vorwärts, vorwärts!« und ungeachtet seiner Bitte und Vorstellungen wurde der Knabe in die Mitte genommen und atemlos, beinahe unter Tränen fortgeschleppt, während das arme, kleine Gewinde noch immer an seinem Arme hing und ihm eine Schleuder in die widerstrebende Hand gedrückt wurde. Trotz seiner inneren Unruhe fühlte er noch immer eine kindliche Neugierde, den Ausgang der Verfolgung anzusehen.
Aus der lauten und heftigen Unterhaltung seiner Umgebung erfuhr er, daß das Boot, das er gesehen, Proviant für eine oben an dem Flusse von den Colonna besetzte Feste enthalte, welche damals in tödlicher Fehde mit den Orsini lagen, und Zweck des Unternehmens, in das der Knabe auf so unglückliche Weise geraten, war, die Zufuhr abzufangen und sie für die Mannschaft von Martino di Porto zu verwenden. Diese Nachricht vermehrte seine Bestürzung einigermaßen, denn der Knabe gehörte einer Familie an, welche unter dem Schutze der Colonna stand.
Aengstlich blickte er unter Tränen alle Augenblicke nach dem sich an dem Aventino emporziehenden Pfade; aber noch immer erschien sein Beschützer, sein Beschirmer nicht.
Sie waren eine Strecke weitergekommen, als plötzlich eine Straßenbiegung ihnen den Gegenstand ihrer Verfolgung zeigte, wie er bei dem Lichte der ersten Sterne rasch auf dem Strome dahinglitt.
»Jetzt seien die Heiligen gesegnet,« rief der Anführer; »sie ist unser!«
»Halt!« flüsterte ein deutscher Hauptmann, indem er zu Martino heranritt; ich höre bei den Bäumen da unten Töne, die ich nicht liebe – horch! das Wiehern eines Pferdes! – bei meiner Ehre, dazu noch der Schimmer eines Panzers.«
»Eilen wir, meine Herren,« rief Martino; »der Reiher soll dem Adler nichts anhaben – treibt die Pferde an!«
Unter fortwährendem Geschrei drängten die Leute zu Fuß vorwärts, bis, als sie beinahe das von dem Deutschen bezeichnete Buschholz erreicht hatten, eine kleine, dichte, von Kopf bis zu Fuß bewaffnete Reiterschar unter den Bäumen hervorstürzte und mit eingelegter Lanze die Reihen der Verfolger angriff.
»Colonna! Colonna – Orsini, Orsini!« tönte es laut und ungestüm von beiden Seiten. Martino di Porto, ein Mann, von kräftigem Körperbau und durch seine Wildheit ausgezeichnet, hielt mit seinen, hauptsächlich aus deutschen Söldlingen bestehenden Reitern den Angriff, ohne zu wanken, aus. »Nehmt euch vor den Griffen des Bären in acht,« rief der Orsini, als sein Gegner, Roß und Reiter, vor seiner Lanze zurückwich.
Der Kampf war kurz und hitzig, die vollständige Rüstung der Reiter auf beiden Seiten schützte dieselben vor Wunden – nicht so unverletzt kamen die halbbepanzerten Fußgänger der Orsini durch, wie sie, hart aufeinander drängend, gegen die Colonna anrückten. Nach einem Hagel von Steinen und Wurfpfeilen, die wirklich nur wie Hagelkörner auf die dicken Panzer der Reiter fielen, schlossen sie ihre Reihen und hemmten durch ihre Zahl den Lauf der Pferde, während Speer, Schwert und Streitaxt ihrer Gegner eine unbarmherzige Verheerung in der nicht an Zucht und Ordnung gewöhnten Schar anrichteten. Und Martino, der sich wenig darum bekümmerte, wie viele von diesem niedrigen Pöbel gemordet wurden, gab, als er seinen Feind durch das ungestüme Drängen und den sich bildenden Kreis seines Fußvolkes in die Enge getrieben sah (denn der Kampfplatz war, obwohl breiter als die Straße, doch beschränkt enge), einigen seiner Reiter ein Zeichen, und war eben im Begriff, auf das jetzt beinahe dem Auge entschwundene kleine Fahrzeug zuzuschreiten, als ferner Hörnerschall durch einen der in der Nähe befindlichen Feinde beantwortet wurde und das Geschrei: »Colonna zu Hilfe!« aus der Ferne wiedertönte. In wenigen Augenblicken sah man einen zahlreichen Reitertrupp in vollem Galopp, mit dem stattlich wehenden Banner der Colonna an der Spitze.
»Daß diese Zauberer die Pest bekommen! wer hätte gedacht, daß sie uns so schlau geahnt haben!« murmelte Martino; »wir sind dieser Ueberlegenheit nicht gewachsen!« und die Hand, welche vorher zum Angriff Befehl erteilt, gab jetzt das Zeichen zum Rückzuge.
Fest geschlossen wandten sich Martinos Reiter in der größten Ordnung zur Flucht; der zu Fuße gehende Volkshaufen, welcher der Beute wegen gekommen war, blieb jetzt zurück, um sich niedermetzeln zu lassen. Sie versuchten es, dem Beispiel ihrer Führer zu folgen, wie hätten sie aber alle den fliegenden Schlachtrossen und den scharfen Lanzen ihrer Gegner entkommen wollen, deren Blut durch den Kampf erhitzt war und welche die in ihrer Gewalt befindlichen Leben ansahen, wie ein Knabe das Wespennest, das er zerstört. Die Menge zerstreute sich nach allen Richtungen – Einige entkamen wirklich auf die Hügel, wo die Pferde keinen festen Fuß fassen konnten – andere stürzten sich in den Fluß und schwammen an das entgegengesetzte Ufer – die weniger Erfahrenen, welche geradeaus flohen, erleichterten dadurch, daß sie dem Feinde den Weg verstopften, ihren Anführern die Flucht, fielen aber selbst Leiche auf Leiche, niedergemetzelt von den grausamen und unwiderstehlichen Verfolgern.
»Keine Gnade den Räubern – jeder erschlagene Orsini ist ein Räuber weniger – kämpfet für Gott, den Kaiser und die Colonna!« Dieses und ähnliches Geschrei hörten die entmutigten und fallenden Flüchtlinge gleich einer Totenglocke. Unter denen, welche gerade auf dem den Reitern am meisten zugänglichen Wege flohen, war Colas jüngerer, so unschuldigerweise zu dem Streit gekommener Bruder. Eilig floh er, schwindelig vor Schrecken – armer Knabe, der vorher kaum von der Seite der Eltern oder des Bruders gekommen war! die Bäume schwanden an ihm vorüber – die Ufer wichen zurück – fort stürzte er, und hart hinter ihm tönten die Hufschläge – das Geschrei – das Fluchen – das rohe Gelächter des über Tote und Sterbende hinjagenden Feindes. Jetzt war er an der Stelle, wo sein Bruder ihn verlassen hatte; eilig blickte er rückwärts und sah, wie des Reiters eingelegte Lanze und starrender Helmschmuck ihn beinahe erreichte; verzweifelnd blickte er auf, und siehe da! sein Bruder trat aus dem blühenden Farngesträuch, mit dem die Anhöhe bewachsen war, und eilte ihm zu Hilfe.
»Rette mich, rette mich, Bruder!« schrie er laut, und der Ton drang zu Colas Ohr; – das Schnauben der hitzigen Rosse fühlte er heiß; – einen Augenblick später fiel er mit dem wilden Schrei: »Gnade, Gnade!« zu Boden – eine Leiche; die Lanze des Verfolgers war vom Rücken bis zur Brust durch und durch gedrungen und spießte ihn gerade an den Rasen, auf dem er voll Jugendblüte und sorgloser Hoffnung noch vor nicht ganz einer Stunde gesessen hatte.
Der Reiter zog seinen Speer heraus und eilte, seinen Gefährten folgend, fort nach neuen Opfern. Cola war herangekommen, – war an der Stelle – kniete neben dem gemordeten Bruder. Unter Hörner- und Trompetenklang kam jetzt eine vornehmere Gruppe, als die eben beschriebene, näher, welche auch wirklich nur der Vortrab der Colonna gewesen war. An ihrer Spitze ritt ein bejahrter Mann, dessen lange, weiße Haare unter dem mit Federn geschmückten Helm hervorguckten und sich mit dem ehrwürdigen Barte vermengten. »Was ist das?« fragte der Anführer, indem er sein Pferd anhielt, »was ist geschehen, junger Rienzi?«
Der Jüngling blickte in die Höhe, als er diese Stimme hörte, und warf sich dann vor das Pferd des alten Nobile, rang die Hände und rief in kaum verständlichen Tönen aus: »Es ist mein Bruder, edler Stephan, – ein Knabe, ein reines Kind! – das beste – das sanfteste! Seht, wie sein Blut sich mit dem Grase mischt; – zurück, zurück – die Hufe eurer Pferde treten in des Blutes Strom! Gerechtigkeit, o Herr, Gerechtigkeit! – Ihr seid ein mächtiger Mann!«
»Wer erschlug ihn? Ein Orsini ohne Zweifel; es soll Gerechtigkeit dir werden.«
»Dank, tausend Dank,« murmelte Rienzi, wankte wieder zu seinem Bruder, hob das Antlitz von dem Grase auf und wollte die Schläge seines Herzens fühlen; eilig zog er seine Hand zurück, denn sie war blutrot, hob sie in die Höhe und rief laut: »Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!«
Die um den alten Stephan Colonna versammelte Gruppe wurde, obwohl an solche Auftritte gewöhnt, von dem Anblick ergriffen. Ein hübscher Knabe, dem dicke Tränen über die Wangen rollten, und der heute neben Colonna ritt, zog sein Schwert: »Herr,« sagte er halb schluchzend, »nur ein Orsini kann ein so unschuldiges Wesen morden; lasset uns keinen Augenblick verlieren – eilen wir den Schurken nach!«
»Nein, Adrian, nein,« erwiderte Stephan, indem er die Hand auf des Knaben Schulter legte, »dein Eifer ist lobenswert, aber wir müssen uns vor einem Hinterhalte hüten. Unsere Leute haben sich zu weit gewagt. – Heda! – blaset zum Rückzug!«
In wenigen Minuten brachten die Hörner die Verfolger zurück, – unter ihnen den Reiter, dessen Lanze einen so verhängnisvollen Stoß geführt hatte. Er war der Anführer derer, welche mit Martina di Porto im Kampfe lagen, und das aus seine Rüstung gepreßte Gold sowie die Verzierungen seines Schlachtrosses ließen seinen Rang vermuten.
»Dank, mein Sohn, Dank,« sagte der alte Colonna zu diesem Ritter, »du hast dich gut und tapfer gehalten. Aber sage mir, wenn du es weißt, denn du hast ein Adlerauge, welcher von den Orsini erschlug diesen armen Knaben? – schändliche Tat; seine Familie steht überdies unter unserem Schutze!«
»Wen? Jenen Knaben?« erwiderte der Reiter und nahm den Helm vom Kopfe, um sich die heiße Stirn zu wischen; »saget Ihr so? Wie kam er denn zu Martinos Schurken? Ich fürchte, der Irrtum kam ihm teuer zu stehen. Ich konnte nur Orsinisches Gesindel in ihm vermuten, und so – und so –«
»Ihr erschluget ihn!« rief Rienzi mit einer Donnerstimme und stand vom Boden auf. »Nun denn, Gerechtigkeit! Stephan, mein Gebieter, Gerechtigkeit! Ihr habt sie mir versprochen, und ich fordere sie!«
»Mein armer Jüngling,« sagte der alte Mann mitleidig, »gegen die Orsini habe ich dir Rache versprochen; siehst du aber nicht, daß hier ein Irrtum obgewaltet? Ich wundere mich nicht, daß dein Kummer zu groß ist, als daß du jetzt der Vernunft Gehör geben könntest. Wir müssen diese Sache für dich ausmachen.«
»Und lasset hierfür Messen für des Knaben Seele lesen; der Unfall geht mir sehr nahe,« sagte der jüngere Colonna, indem er eine Goldbörse hinwarf. »Kommt nächste Woche zu uns in den Palast, junger Cola – nächste Woche. Mein Vater, es wäre wohl am besten, wir kehren zu dem Boote jetzt zurück: vielleicht sind wir zu deinem Schutze nötig.«
»Gewiß, Gianni; einige von euch bleiben zurück, um für die Leiche des armen Kindes zu sorgen: – ein schmerzlicher Zufall! Wie konnte es geschehen?«
Der Trupp ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war: außer Adrian blieben nur zwei gemeine Soldaten da; der erstere wartete noch einige Augenblicke und versuchte Rienzi zu trösten, der, als wäre er seiner Sinne beraubt, bewegungslos dastand, dem stattlichen Zuge, während er dahinritt, nachsah und in sich hineinmurmelte: »Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! sie muß mir dennoch werden.«
Den weinenden widerstrebenden Adrian rief die laute Stimme des älteren Colonna hinweg. »Laß mich dir Bruder sein,« sagte der wackere Junge, indem er leidenschaftlich die Hand des Schülers an sein Herz drückte; »ich habe einen Bruder wie dich nötig.«
Rienzi gab keine Antwort; er gab nicht auf ihn acht und hörte ihn nicht – trübe und ernste Gedanken, Gedanken, in welchen der Keim zu einer mächtigen Umwälzung lag, beschäftigten sein Inneres. Mit einem Schauder wachte er aus demselben auf, während die Soldaten nun ihre Schilde zusammenfügten, um eine Art Bahre daraus für den Leichnam zu machen, brach dann in Tränen aus, als er hastig sie aufbrechen ließ, und drückte den Toten an seine Brust, bis er buchstäblich von dem strömenden Blute durchdrungen war.
Der Blumenkranz des armen Kindes hatte selbst beim Fallen sich nicht von seinem Arme losgemacht und hing, in sein Gewand verwickelt, noch immer an ihm. Dieser Anblick rief in Cola all die Zärtlichkeit, das gütige Herz und die gewinnende Anmut seines teuren Bruders – seines einzigen Freundes zurück! Er schien das vorzeitige und unverdiente Schicksal des unschuldigen Knaben noch unmenschlicher zu machen. »Mein Bruder! mein Bruder!« seufzte der Ueberlebende, »wie soll ich vor unsere Mutter treten? – wie ohne dich Nacht und Einsamkeit ertragen? – so jung, so unschuldig! Seht, ihr Männer, er war nur zu sanft. Und sie wollen uns nun Gerechtigkeit verweigern, weil sein Mörder ein Edler und ein Colonna ist. Und auch noch dieses Gold – Gold für das Blut eines Bruders! Wollen sie« – und die Augen des jungen Mannes funkelten wie Feuer – »wollen sie uns keine Gerechtigkeit verschaffen? Die Zeit wird es lehren!« Während er so sprach, beugte er sein Haupt über die Leiche, seine Lippen bewegten sich wie im Gebet, und sein Antlitz war blaß wie der Tote neben ihm – nicht aber war es mehr der Kummer, der diese Blässe verursachte!
Als ein umgeschaffenes Wesen erhob sich Cola von dem blutenden Körper und dem innerlichen Gebet. Mit seinem jüngeren Bruder erstarb seine eigene Jugend. Ohne dieses Ereignis wäre der zukünftige Befreier Roms vielleicht nur ein Träumer, ein Gelehrter, ein Dichter – der friedliche Nebenbuhler Petrarcas, ein Mann voll Gedanken, nicht voll Taten geblieben. Von diesem Moment an vereinigten sich dagegen alle seine Gaben, seine Tätigkeit, seine Gedanken, die Richtung seines Geistes in einem einzigen Punkt. Vaterlandsliebe, bis jetzt nur ein Traumbild, mischte sich in die lebendige und kräftige, beständig entflammte, standhaft verhärtete und durch Pietät geheiligte Leidenschaft – aus Rache!
Der Text des Romans findet sich hier.
Der Wikipediaartikel zum historischen Cola di Rienzo hier.
Der Wikipediaartikel zu Edward Bulwer-Lytton hier.
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