05 Juli 2023

Wieland: Don Silvio (2. Teil)

 Spoilerwarnung:

Wenn man nicht eines nicht unwesentlichen Teils des Vergnügens der Lektüre dieses heiteren Romans beraubt werden will, empfiehlt es sich, die Lektüre mit dem ersten Teil des Romans zu beginnen, nämlich hier.

5. Buch, 1. Kapitel.

"Worinn der Autor das Vergnügen hat, von sich selbst zu reden.

Wir zweifeln sehr daran, ob, seit dem es Feen-Mährchen in der Welt gibt, ein von Feen beschützter Liebhaber, er mag nun ein Prinz, ein Ritter oder ein Schäfer gewesen seyn, sich jemals in so fatalen Umständen befunden habe, als diejenige waren, worinn wir unsern Helden zu Ende des vorigen Buchs verlassen mußten.

Es ist wahr, andre Feen-Helden haben auch ihre Anfechtungen; sie müssen sich oft mit Drachen, Meerwundern und blauen Centauren herum schlagen, sie kommen in Gefahr von Popanzen gefressen zu werden, sie werden von alten zahnlosen Feen entführt, die ihre Tugend auf die gefährlichsten Proben setzen, und am Ende sie oft gar in Papagayen, Kater oder Grillen verwandeln. Aber daß jemals eine so ausserordentliche Person wie der Günstling einer Königin der Salamander und der Liebhaber eines bezauberten Schmetterlings ist, von Gras-Menschern zerkratzt, und von Bauerjungen wäre abgeprügelt worden, davon wird man in der vollständigsten Sammlung aller Geschichten, die sich mit Es war einmal anfangen, vergebens ein Beyspiel suchen.

Der geneigte Leser wird hieraus die Folge ziehen, und weil er es vielleicht nicht thun möchte, so nimmt der Autor die Freyheit, es ihm hiemit zu verstehen zu geben, daß diese merkliche Verschiedenheit, die sich zwischen der Geschichte des Don Sylvio und andern Feen-Märchen findet, ein überaus günstiges Vorurtheil für die historische Treue und Wahrhaftigkeit des Autors erwecken müsse. Hätten wir unsern Helden in einem Wagen von Saphir mit Paradies-Vögeln bespannt reisen und alle Abend in einem bezauberten Pallast absteigen lassen, hätten wir ihm das rothe Hütchen des Prinzen Kobolt, den Pantoffel der Fee Moustasche, den Ring des Gyges, oder die Zauberruthe der königlichen Fee Trusio gegeben, um sich aus allen Nöthen heraus zu helfen; so hätte ein jedes Mädchen von zehen Jahren gemerkt, daß man ihm nur ein Mährchen erzähle. Aber ungeachtet unsre Geschichte so seltsam und wunderbar ist als irgend eine von denen, mit deren Anhörung sich der weise Sultan von Indien, Schach Baham, die Zeit zu vertreiben geruhte, so wird man uns doch nicht vorwerfen können, daß wir unserm Helden jemals ein Abentheuer aufstossen lassen, welches nicht vollkommen mit dem ordentlichen Lauf der Natur überein stimme, und dergleichen nicht alle Tage zu begegnen pflegen oder doch begegnen könnten, wie z. Ex. daß ein Frosch in Gefahr komme von einem Storchen verschlungen zu werden, oder daß einer ein Kleinod mit einem Bildniß finde, welches vermuthlich jemand anderer vorher verlohren hat. Wir haben ihn zu Fuß reisen lassen, und nicht einmal Sorge getragen, ihn vor Sümpfen und Froschgräben zu bewahren; wenn er schlief, so war es auf der harten Erde, oder in einem elenden Dorf-Wirthshause, wo ihm die Flöhe keine Ruhe liessen. An statt daß Rosenarmichte Nymphen oder Sylphen mit goldnen Flügeln ihm am blumichten Rande crystallner Brunnen, Nectar und Ambrosia hätten auftragen sollen, haben wir ihn aus dem Zwerch-Sack des Pedrillo bedient, und ganz neuer Dingen haben wir ihn nicht etwan von Riesen oder bezauberten Mohren, sondern von gemeinen Bauer-Jungen abpläuen lassen.

Wir hoffen, das sind Beweise, die für sich selbst reden, und wir wünschten, daß man von vielen berühmten Geschichtschreibern mit eben so gutem Fug sagen könnte, daß sie von der betrügerischen Neigung, ihre Gemählde und Charactere zu verschönern, oder ihren Begebenheiten einen Firniß von Wunderbarem zu geben, so entfernt gewesen seyn möchten, als wir, die wir uns bey Bekanntmachung dieser wahrhaften und glaubwürdigen Geschichte nicht etwan (wie junge, leichtsinnige Schwindelköpfe sich einbilden möchten) eine eitle Belustigung, sondern das gemeine Beste, und die Beförderung der Gesundheit unsrer geliebten Leser an Leib und Gemüth zum Endzweck vorgesetzt haben.

Vielleicht werden einige, deren Scharfsinn nicht tiefer als in die äussere Schaale der Dinge einzudringen pflegt, nicht begreiffen, wie die Geschichte des Don Sylvio zu einem so heilsamen Zweck sollte dienen können. Nun wär es uns zwar ein leichtes, sie aus den Schriften grosser Aertzte und Naturkündiger zu belehren, daß es ein gewisses Fieber gibt, dem die menschliche Seele vom vierzehenten Jahre ihres Alters bis zum grossen Stuffen-Jahre häuffig ausgesetzt ist, welches durch keine andere Arzney-Mittel sichrer vertrieben werden kan, als durch solche, die das Zwerchfell erschüttern, das Blut verdünnern, und die Lebensgeister aufmuntern, eben so wie der giftige Biß der Taranteln durch nichts anders als durch die sympathetische Kraft gewisser Tänze, die dem Krancken vorgespielt werden, geheilt werden kan. Wir könnten ihnen auch gar leicht mit vielen Gründen beweisen, daß die vorgedachten heilsamen Kräfte in dieser Geschichte verborgen liegen. Allein, da diese gedoppelte Bemühung, uns zum Mißvergnügen aller unsrer übrigen Leser zu lange von der Fortsetzung der Begebenheiten unsers Helden entfernen würde; so müssen wir es für dißmal zwar eines jeden eigenem Belieben überlassen, was er hievon dencken wolle; allein bey einer zweyten Ausgabe (wozu uns, ohne Ruhm zu melden, der gute Geschmack des Publici Hofnung macht) werden wir nicht unterlassen, ein medicinisches Gutachten über diese Materie, welches völlig zu unserm Vortheil ausfallen wird, beydrucken zu lassen, und zu dessen besserer Bestättigung ein Verzeichniß verschiedener merkwürdiger Curen beyzufügen, die einige Aerzte von unserer Bekanntschaft mit unserm Buche gemacht haben.

Inzwischen wünschten wir, daß irgend eine Europäische Academie, und wenn es auch nur die zu Pau in Bearn wäre, sich belieben lassen möchte, einen Preiß von fünfzig Ducaten auf die Untersuchung des manchfaltigen physicalischen, moralischen und politischen Nutzens zu setzen, welchen die menschliche Gesellschaft von Schriften, die (auf eine erlaubte Art) zu lachen machen, ziehen könnte; besonders auf die gründliche Erörterung der Frage: Ob es nicht dem gemeinen Besten so wohl als dem Vortheil der Buchhandlung, die bekanntlich einen so beträchtlichen Zweig des Europäischen Commercii ausmacht, weit zuträglicher wäre, wenn, an statt der Menge schlechter und mittelmäßiger moralischer Bücher in allen Formaten, welche unter viel versprechenden Titeln die arme Welt mit den alltäglichen Beobachtungen, schiefen, zusammen geraften und unverdauten Gedanken, frostigen Declamationen und frommen Wünschen ihrer langweiligen Verfasser bedrucken, alle halbe Jahre etliche Dutzend Bücher im Geschmack des Comischen Romans, des Baccalaureus von Salamanca, oder des Findlings, ja wenn es auch im Geschmack des Candid oder des Gargantua und Pantagruel wäre, auf die Messen kämen; Bücher, in denen die Wahrheit mit Lachen gesagt, die der Dummheit, Schwärmerey und Schelmerey ihre betrügliche Masken abziehen, die Menschen mit ihren Leidenschaften und Thorheiten, in ihrer wahren Gestalt und Proportion, weder vergrössert noch verkleinert abschildern, und von ihren Handlungen diesen Firniß wegwischen, womit Stolz, Selbstbetrug oder geheime Absichten sie zu verfälschen pflegen; Bücher, die mit desto besserm Erfolg unterrichten und bessern, da sie bloß zu belustigen scheinen, und die auch alsdann, wenn sie zu nichts gut wären, als beschäftigten Leuten in Erhohlungs-Stunden den Kopf auszustäuben, müßige Leute unschädlich zu beschäftigen, und überhaupt den guten Humor eines Volks zu unterhalten, immer noch tausendmal nützlicher wären als dieses längst ausgedroschne moralische Stroh, dieser methodische Mischmasch von mißgestalteten und buntscheckigten Ideen, diese frostigen oder begeisterten Capucinaden, welche hier gemeynt sind, und die (mit Erlaubniß der guten Absichten, wovon ihre Verfasser so viel Wesens machen) weit mehr am Kopf der Leser verderben, als sie an ihrem Herzen bessern können, und bloß deßwegen so wenig Schaden thun, weil sie ordentlicher Weise nur zum Einpacken anderer Bücher gebraucht werden.

Es wäre uns, um gewisser Ursachen willen, lieb gewesen, wenn wir Gelegenheit gefunden hätten, diese Anmerkung irgendwo dem Pedrillo, oder einer andern privilegirten Person von dieser Art in den Mund zu legen: denn einem Pedrillo, Launcellot Gobbo oder Gobbo Launcellot nimmt niemand übel, wenn er die Wahrheit sagt: Da es aber nicht füglich seyn konnte, so haben wir uns schon entschliessen müssen, sie im Vorbeygehen selbst zu sagen, und wollen deßwegen, wo und bey wem es nöthig ist, höflichst abgebeten haben. [...]"


2. Kapitel: Worinn sich Pedrillo sehr zu seinem Vortheil zeigt.

"Pedrillo, ungeachtet er in dem unglücklichen Abentheuer mit den Gras-Nymphen die meiste Schläge bekommen hatte, raffte sich, nachdem er eine gute halbe Viertel-Stunde ganz betäubt dagelegen war, dennoch zuerst wieder vom Boden auf, und der erste Gebrauch, den er von seinen wiederkehrenden Sinnen machte, war, daß er alle Nymphen, Faunen und Sylvanen, Zwerge, Princeßinnen und Schmetterlinge, nebst allen und jeden Feen-Märchen, die von Erschaffung der Welt an bis auf selbigen Tag geschrieben worden, und noch künftig bis an der Welt Ende geschrieben werden möchten, mit ihren Verfassern, Gönnern und Erzählern, und deren sämtlichen Angehörigen und Erben in auf- und absteigender Linie, samt und sonders zum T** wünschte. Er verfluchte die Gänse, mit deren Spulen sie geschrieben, die Lettern, womit sie gesetzt, und die Farbe, womit sie gedruckt worden, und wünschte herzlich, daß die heilige Inquisition alle diejenige zu Staub und Asche verbrennen möchte, die dergleichen verteuffeltes Zeug, wodurch der artigste und braveste junge Edelmann von ganz Spanien zum Narren gemacht worden, unter die Leute brächten. Denn die Schläge, die er ohne Zahl und Maaß um des blauen Schmetterlings willen empfangen hatte, überzeugten ihn nun auf einmal, daß alles, was ihm sein Herr von der Fee Radiante und der Bezauberung seiner vermeynten Princeßin gesagt hatte, lauter Träume und Einbildungen seyen. Je, verflucht; schrie er, wenn hat jemals eine Fee diejenige, die sie in ihren Schutz genommen hat, von Gras-Menschern und Bauerknechten zu todt prügeln lassen? Es sollte mich nicht verdriessen, wenn es noch Popanze oder Feuerspeyende Drachen gewesen wären; aber von solchem Lumpenvolk – – Sackerlot! Ich will mich fressen lassen, wenn seine Rademante, die uns alle diese verfluchte Händel gemacht hat, nicht gerade so eine Fee ist, wie die dreyfachen Huren, die mir die Augen mit ihren Nägeln ausgekratzt haben, Nymphen sind; – – – –

In diesem emphatischen Ton fuhr er noch eine gute Weile fort, bis er endlich gewahr wurde, daß sein Herr noch immer ohne Bewegung auf dem Boden ausgestreckt lag. Dieser Anblick und die Furcht, daß er gar todt seyn möchte, machten den gutherzigen Tropfen auf einmal seines eignen Ungemachs vergessen; er rief ihm, er rüttelte ihn, und da er noch immer kein Zeichen von sich gab, so fieng er eben so jämmerlich oder noch jämmerlicher zu schreyen an, als der bucklichte Sohn des bösen Königs, da ihn das Gänsemädchen nicht heurathen wollte.

Endlich besann er sich in der Angst an eine Flasche Madera-Wein, die er noch in seinem Zwerch-Sack hatte, und zu gutem Glück hatten die Feinde in der Hitze des Streits den Zwerchsack, den Pedrillo gleich anfangs von sich legte, aus der Acht gelassen. Er hohlte also die Flasche, und goß sie, ohne sich den Wein dauren zu lassen, fast ganz über Don Sylvios Gesicht aus. Dieses Mittel that die gewünschte Würkung. Don Sylvio erhohlte sich in kurzem wieder, denn seine Betäubung war von einem einzigen, etwas nachdrücklichen Schlag hergekommen, den er, wiewohl ohne andern Schaden, als eine ziemliche Beule über den Kopf bekommen hatte; er öfnete die Augen und rief mit schwacher Stimme: Wo bin ich? Lebst du noch, Pedrillo?

Ja, mein lieber Herr, rief Pedrillo, und GOtt Lob! daß ihr wie ich sehe, auch noch lebt; denn so wahr ich ehrlich bin, wenn ihr todt gewesen wäret, wie ich schon zu fürchten anfieng, ich hätte mich eher in den Fluß gestürtzt, eh ich euch hätte überleben wollen.

Wollte GOtt; sagte Don Sylvio, daß ich dein gutes Herz und deine Treue belohnen könnte! Aber, o Himmel! sage mir, wenn du es weist, was ist aus meiner armen Princeßin worden?

Die Princeßin? schrie Pedrillo, fort ist sie, zum T... ist sie, sie flog gleich anfangs davon, wie die paußbackichten Unholden mit ihren langen krummen Nägeln über uns her fielen – – Sapperment! ich wollte, sie hätt uns – – Aber was habt ihr denn, Herr – – ums Himmels willen, gnädiger Herr, was fehlt euch? daß es GOtt erbarme! Was ist zu thun? O! die verfluchten Feen! – – – –

Pedrillo jammerte so, weil sein Herr, der sich nach dem Bildniß seiner Princeßin umgesehen, so bald er fand, daß er es nicht mehr bey sich hatte, vor Schrecken und Herzleyd abermal in Ohnmacht gesunken war.

Er hatte grosse Mühe ihn wieder zu sich selbst zu bringen, aber noch grössere, der Verzweiflung Einhalt zu thun, der sich unser Ritter ohne Maaß überließ, so bald er wieder fähig war, die Grösse seines Verlusts zu fühlen. Pedrillo, so gute Lust er gehabt hätte, über die Fee Radiante und alle Feen der ganzen Welt loßzubrechen, und seinem Herrn die närrische Liebe zu einem Schmetterling auszureden, wußte nicht mehr was er sagen oder anfangen sollte, da er ihn so kläglich jammern hörte, und so gar entschlossen sah, den Guadalaviar durch seinen Tod berühmt zu machen. Er warf sich ihm zu Füssen, er bat, er weinte, er fluchte über die Feen und die Feerey, aber das erste half nichts, und das andre machte das Uebel noch ärger.

Nachdem er nun alles andere versucht hatte, so verfiel er endlich auf das einzige Mittel, wovon man sich in dergleichen Umständen noch einige Würkung versprechen kan, er fieng an mit ihm in die Wette zu heulen, und ihn, wo möglich, noch darinn zu übertreffen. Er dachte, mein junger Herr wird es doch endlich müde werden, und wenn nur einmal der erste Anstoß von Tollheit vorüber ist, so wird er sich hernach schon besser berichten lassen.

Wie er nun sah, daß Don Sylvio wieder stille wurde, so fieng er an, obgleich wider seine eigene Ueberzeugung, alle nur ersinnliche Vorstellungen hervor zu suchen, die, wie er glaubte, ihn sollten beruhigen können. Er versicherte ihn daß wenn auch, wider bessers Hoffen, das Bildniß der Princeßin in den Händen des grünen Zwergs seyn sollte, so sey doch die Princeßin selbst in Sicherheit; denn die habe er samt dem Faden mit seinen eignen Augen davon fliegen gesehen. Glaubet mir, mein lieber Herr, sagte er, die Fee Rademante will nur eure Gedult auf die Probe setzen, es kan in kurzer Zeit alles ein ganz anders Gesicht bekommen. Man muß hoffen, so lange man noch Athem hat. Dencket, daß es andern Prinzen und Rittern auch nicht besser oder wohl noch ärger gegangen ist. Was hat nicht der blaue Vogel ausstehen müssen, bis er der garstigen Forelle loß war, und seine liebe Florine in seinen Arm bekam? Wie sauer ist es dem guten Prinzen Höckerich gemacht worden, bis er zum Besitz der schönen Brilliante gelangte, die der schwarze Zauberer in eine Heuschrecke verwandelte, ob sie gleich so gut eine Princeßin war als andre, die ich nicht nennen will. Ihr seyd doch noch nicht in einem Keller voller Kröten und Eydexen bis an den Halß im Wasser gestanden, wie die Brüder der Princeßin Rosette; ihr seyd doch in kein Thier verwandelt worden, wie der Prinz der glücklichen Insel, und ihr seyd noch nie in Gefahr gewesen von Popanzen und Unholden gefressen zu werden, wie der Prinz Amatus; mit einem Wort, gnädiger Herr, bedenckt, daß ich Ursache genug hätte, mich so arg zu beklagen als einer. Ich weiß nicht, warum es die Frau Rademante so gut mit mir meynt, aber ich habe zehenmal mehr Prügel und Stösse in den Hintern gekriegt als ihr, und die Princeßin soll noch gebohren werden, die mich deßwegen trösten wird. Wenn ihr etwas leidet, so wißt ihr doch warum? Aber dem armen Pedrillo, der bey allen schlimmen Abentheuern das meiste davon trägt, gibt niemand kein gutes Wort darum. Sey es! Ich will mich nicht beschwehren, ob mir gleich die verdammten Bengel den Rücken so weich geschlagen haben als den Bauch; es ist nun einmal mein Schicksal; wenn ihr nur wieder zufrieden seyn wollt, so will ich mit Eu. Gnaden aushalten, so lang GOtt will, und ich noch eine Rippe habe, die ich mir in euerm Dienst entzwey schlagen lassen kan.

Diese Vorstellungen, denen das gute Herz des Pedrillo keinen geringen Nachdruck gab, und die Gewißheit, daß die Princeßin noch lebe und in Freyheit sey, würkten nach und nach so kräftig auf unsern Helden, daß er sich wieder faßte, und dem Pedrillo für die Ergebenheit, die er gegen ihn zeigte, sehr verbindliche Dinge sagte, mit der Versicherung, daß er, wenn er noch glücklich genug seyn sollte das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, seine erste Sorge seyn lassen wollte, ihn für seine Treue und für alles Ungemach, so er ihm zuliebe ausgestanden, so reichlich zu belohnen, daß ihm nichts zu wünschen übrig bleiben sollte. Diese tröstlichen Versprechungen, so wenig auch die dermaligen Umstände zu ihrer Erfüllung Hofnung machten, erfreuten den dankbaren Pedrillo so sehr, daß er der empfangnen Schläge auf einmal vergessen hätte, wenn sein Rücken nicht so unhöflich gewesen wäre, ihn alle Augenblicke daran zu erinnern.

Indessen bot er doch allen seinen Kräften auf, um seinen Herrn wieder aufzumuntern, und nachdem er den schattigsten Platz am Flusse ausgesucht hatte, so wurde beschlossen, sich so lange da aufzuhalten, bis sie sich völlig erhohlt haben würden. [...]"


3. Kapitel: Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio. 

"Don Sylvio, dem das Gewäsche des Pedrillo beschwehrlich war, bediente sich des Vorwands, daß er während der Nachmittags-Hitze ein paar Stunden ruhen möchte, um ihn zum schweigen zu bringen. Er stellte sich als ob er schliefe, und Pedrillo folgte seinem Beyspiel bald darauf in vollem Ernst; aber Don Sylvio war zu unruhig, als daß er hätte schlafen können. Tausend quälende Gedanken, die wider seinen Willen in ihm aufstiegen, brachten ihn endlich so weit, daß er zum erstenmal ein Mißtrauen in die Wahrheit seiner Einbildungen zu setzen anfieng. Wie? dacht er, wenn die Erscheinung, die ich von der Fee Radiante zu haben glaubte, ein blosses Spiel einer erhitzten Phantasie gewesen wäre? Je mehr er dieser Vermuthung nachsann, je wahrscheinlicher fand er sie, und die unglückliche Begebenheit mit den Gras-Nymphen, die er nun ziemlich geneigt war für das zu halten, was sie würklich waren, trieb diese Wahrscheinlichkeit in etlichen Minuten bis zur Gewißheit hinauf; denn es schien ihm unbegreiflich, daß ihn die Fee Radiante den Fäusten und Knitteln dieses groben Bauergesindels preiß gegeben haben würde, wenn sie ihm würklich ihren Schutz versprochen hätte. Diese Zweifel ängsteten ihn unaussprechlich, er raffte alle seine Kräfte zusammen, sich ihrer zu erwähren, aber sie kamen immer mit verdoppelter Stärke wieder, und der Aufruhr, den sie in seinem Gehirn erregten, ward zuletzt so wild, daß der Ueberrest von Vernunft, den ihm die Feerey noch gelassen hatte, in gröster Gefahr war, vollends darüber verlohren zu gehen. In diesen betrübten Umständen war das Bild seiner geliebten Schäferin das einzige, was in seiner von Zweifeln gleichsam überschwemmten Seele noch empor ragte, und im allgemeinen Umsturz seiner Ideen unerschüttert blieb. Wenn auch alles andre Einbildung ist, rief er, so weiß ich doch gewiß, o! du nahmenlose Unbekannte, daß es keine Einbildung ist, daß ich dich liebe. Es mag nun eine Fee seyn, die dein Bild in meinen Weg gelegt hat, oder ein glückliches Ungefehr mag es dahin geworfen haben, du magst eine Princeßin oder Schäferin seyn, du magst für mich bestimmt seyn, oder einst von einem glücklichern, als ich geliebt werden, du, die jetzt die schönste unter den Nymphen des Himmels bist: Wenn mein Verhängniß es so will, daß ich, deiner beraubt in Hofnungloser Liebe verschmachten soll, so ist doch keine Gewalt, die dein Bild aus meiner Seele reissen kan. [...]"

Die folgenden Abschnitte werden noch nachbereitet, sollen es aber ermöglichen, die Lektüre überblicksartig fortzusetzen:

Viertes Capitel. 

"Die Weissagungen des Pedrillo fangen an in Erfüllung zu gehen. Während daß Pedrillo seinem sprudelnden Humor gewöhnlicher massen Luft machte, setzten sie ihren Weg durch einen Wald von Castanien-Bäumen fort, welcher, je weiter sie kamen, immer mehr das Ansehen eines Parks bekam. Hier und da sahen sie grosse Sommerlauben, Springbrunnen, Urnen, Grotten und Ruinen, die aus Gebüschen von Rosen, Jasmin oder Geißblatt hervor ragten, und nachdem sie eine kleine halbe Stunde fortgegangen waren, so befanden sie sich in einer Art von Labyrinth von Rosen und Myrrthenhecken, dessen Gänge so künstlich durch einander geschlungen waren, daß sie einige Mühe hatten sich heraus zu finden.

[...]

Diese Anscheinungen liessen unsre Wanderer nicht zweiffeln, daß sie sich in der Nähe eines Feen-Schlosses und am Anfang eines sehr merkwürdigen Abentheuers befänden.

[...]

Fünftes Capitel. 

Erscheinung der Fee. Wie gefährlich es ist, wenn einer ein Frauenzimmer antrift, das seiner Liebsten gar zu ähnlich sieht. 

Es ist, geneigter Leser, bereits zwey und vierzig Minuten, achtzehen Secunden, richtig an einer zu Genf fabricirten Londner-Uhr abgezählt, daß wir einem halben dutzend schönen neuen Gleichnissen nachsinnen, wodurch ein Poet benöthigten Falls den höchsten Grad des Erstaunens und der Bestürzung abzuschildern versuchen könnte, ohne daß wir so glücklich gewesen sind, nur ein einziges zu finden, welches nicht durch die vielen Hände, wodurch es seit den Zeiten des alten Homers bis auf diesen Tag gegangen, so abgenutzt worden wäre, daß es würklich zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Wir wissen uns also für dißmal nicht anders zu helfen, als durch eine gewisse rhetorische Figur, die wir einem der geschicktesten Zueignungs-Schriften-Machern unsrer Zeit abgesehen haben, und sagen also: Weder der Schrecken eines unvorsichtigen Knaben, der seine Hand in eine Höle gesteckt hat, und unversehens eine Schlange ergreift, noch das Entsetzen jenes Bräutigams, der des Morgens nach seiner Hochzeit-Nacht an statt der schönen Schwester, die er liebte, die häßliche an seiner Seite fand, noch die Bestürzung eines Richters bey Erblickung eines silbernen Waschbeckens voll Cremnitzer Ducaten, womit ihm ein Client, der zu leben weißt, die Gerechtigkeit seiner Sache begreiflich gemacht hat – – sind hinlänglich uns nur den zehnten Theil der Bestürzung vorzubilden, in welche Don Sylvio gerieth, da er in der Fee dieses Zauberschlosses das Urbild seiner geliebten Schäferin erblickte – – Doch wir sagen zu viel; denn da er sich seit seinem letzten Traum von neuem überredet hatte, daß sie noch ein Sommervogel sey, so war er bloß darüber bestürtzt, wie es zugehe, daß eine so erstaunliche Aehnlichkeit zwischen ihr und dieser Fee seyn könne. Donna Felicia (denn wir können und wollen es nicht länger verbergen, daß wir zu Lirias sind) hatte Sorge getragen, sich unserm Helden in einem Anzug zu zeigen, der, indem er ihre Annehmlichkeiten auf die vortheilhafteste Art entwickelte, ihr zugleich ein so sonderbares Ansehen gab, daß ihr nur ein Stäbchen von Ebenholz fehlte, um eine vollkommene Lüminöse vorzustellen. [...]

Gestehen sie mir, Don Sylvio, sagte sie, daß sie, bey Erblickung einer so ansehnlichen Gesellschaft von Katzen, die bey meinem kleinen Liebling Cour zu machen schien, sich kaum erwehren konnten zu glauben, daß sie in dem Pallast der weissen Katze seyen? Man kan auf keine glücklichere Art betrogen werden, schönste Fee, erwiederte Don Sylvio. Möchten sie mit eben der Scharfsichtigkeit, womit sie meinen ersten Gedanken, der, ehe ich sie selbst zu sehen das Glück hatte, natürlich genug war, zu entdecken wußten, in das Innerste meiner Seele schauen, und darinn zu lesen würdigen, was ich weder Kühnheit noch Vermögen habe, auszusprechen. Donna Felicia fand für gut, an statt auf diese ehrfurchtsvolle Liebes-Erklärung zu antworten, ihn mit der Lebens-Geschichte und den bewundernswürdigen Tugenden der kleinen weissen Katze zu unterhalten; und so geringfügig dieser Gegenstand an sich selbst war, so wichtig wurde er, zumal für einen so geneigten Zuhörer als Don Sylvio war, auf den schönen Lippen der Donna Felicia, und durch den Reitz, den sie über alles was sie sagte oder that, auszugiessen wußte. [...]

Unverhofte Zusammenkunft. 

Donna Felicia bezeugte eben einige Unruhe über das Aussenbleiben ihres Bruders, der ihr, wie sie sagte, Hofnung gegeben hatte, ihr eine liebenswürdige Gesellschaft mit zubringen: als sich die innere Thüre des Saals öfnete, und Don Eugenio von Lirias mit der schönen Hyacinthe und seinem Freunde Don Gabriel herein trat, und unseren Helden in dem Unbekannten, dem er das Leben oder wenigstens seine Geliebte gerettet hatte, den Bruder seiner angebeteten Fee zeigte. Die Ueberraschung war auf beyden Seiten gleich angenehm, und mit einer gleich grossen Verwunderung auf Seiten des Bruders und der Schwester begleitet. Allein da es sich jetzt nicht schickte, diese letztere Regung merken zu lassen, so begnügte sich Don Eugenio, nachdem er seiner Schwester die schöne Hyacinthe vorgestellt, und empfohlen hatte, seine Freude darüber zu bezeugen, daß er unsern Helden, dessen unerwartete heimliche Abreise aus dem Wirthshause ihn nicht wenig befremdet hatte, so unverhoft in seinem eigenen Hause wieder finde. Sie wissen vielleicht nicht, sagte er zu Donna Felicia, wie viel wir dem Don Sylvio schuldig sind. [...]

Niemals hat vielleicht in einer Gesellschaft von Personen, die einander, theils gänzlich, theils bey nahe unbekannt waren, so viel Sympathie und eine solche Mannigfaltigkeit von verborgnen zärtlichen Regungen geherrschet, als in dieser. Natürlicher Weise konnten so liebenswürdige Personen, als sich hier zusammen gefunden hatten, einander nicht gleichgültig seyn; aber die geheimen, obgleich noch unentwickelten Verhältnisse, worinn sie gegen einander stunden, machten sie einander noch unendlichmal interessanter, und Amor, und die Natur, die hier in geheim ihr Spiel hatten, brachten eine Harmonie und eine Vertraulichkeit, wozu sonst ein Reyhe von Wochen erfordert wird, in eben so vielen Minuten hervor. [...]

Für einen blossen Zuschauer der menschlichen Thorheiten, wenn es anders einen solchen gibt, kan nichts lustigers seyn, als eine ganze wohl policirte Gesellschaft von moralischen Egoisten beysammen zu sehen, wovon immer einer dem andern seine Personalität streitig macht, und nichts geringers zu fordern scheint, als daß alle andre in allen Sachen und zu allen Zeiten gerade so empfinden, denken, urtheilen, glauben, lieben, hassen, thun und lassen sollen, wie er; welches, in der That, eben so viel sagen will, daß sie keine für sich selbst bestehende Wesen, sondern blosse Accidentia und Bestimmungen von ihm selbst seyn sollen. Es ist wahr, unter allen diesen Egoisten ist keiner unverschämt genug diese Forderung geradezu zu machen; aber, indem wir alle Meynungen, Urtheile oder Neigungen unserer Nebengeschöpfe für thöricht, irrig und ausschweiffend erklären, so bald sie mit den unsrigen in einigem Widerspruch stehen: was thun wir im Grund anders, als daß wir ihnen unter der Hand zu verstehen geben, daß sie unrecht haben, ein paar Augen, ein Gehirn und ein Herz für sich haben zu wollen? »Warum gefällt ihnen das, mein Herr? Ich kan ihnen keine andre Ursach davon geben, als, weil es mir gefällt. »Aber ich kan doch unmöglich begreiffen, was sie denn daran sehen, das ihnen so sehr gefällt? Ich für meinen Theil – – – – Gut, mein Herr, das beweißt nichts, als daß mir etwas gefallen kan, das ihnen mißfällt. »Ich will eben nicht sagen, daß es mir schlechterdings mißfalle, aber ich kan doch auch nicht sagen, daß ich es so gar vortreflich, so gar ungemein finden sollte, wie sie« Gesetzt aber, es käme mir so vor? »So hätten sie unrecht.« Und warum das, mein Herr? »Weil es nicht so ist. Und warum ist es nicht so? »Eine seltsame Frage, mit ihrer Erlaubniß. Hab ich denn nicht so gute Augen wie sie? Ist mein Geschmack nicht eben so richtig? Kan ich nicht eben so gut von dem Werth einer Sache urtheilen wie sie? Wenn es so vortreflich wäre, wie sie sich einbilden, so müßte ichs ja auch so finden.« Alles dieses kan ich mit so gutem Rechte sagen wie sie. Es mag nun hier das Auge, der Verstand oder die Einbildung entscheiden, warum soll ich ihren Augen, ihrem Verstand, oder ihrer Einbildung mehr zutrauen als den meinigen? Das möcht ich doch wissen! »Das kan ich ihnen gleich sagen. Ich sehe die Sache wie sie ist, und Sie sind durch den Affect verblendet.« [...]

Ihr Streit ist von einer Art, der nur durch einen gütlichen Verglich ausgemacht werden kan. Gestehen sie einander ein, daß ich gar wohl berechtiget ist, nicht du zu seyn; hernach setzen Sie sich jeder an des andern Platz; ich will verlohren haben was sie wollen, wenn sie nicht eben so dächten wie er, wenn sie er oder in seinen Umständen wären, und so hat der Streit ein Ende. Es ist (wie vermuthlich Aristoteles schon vor uns bemerkt haben wird) keine verdrießlichere Situation in der Welt, als diejenige, worinn ein Liebhaber ist, der einer dritten Person, zumal wenn sie nur wenig empfindlich ist, von seiner Neigung Rechenschaft geben soll. Donna Felicia und ihr Bruder befanden sich dermalen beyde in diesem critischen Umstande, und, bey einer andern Lage der Sachen, würde vermuthlich ein jedes grosse Schwierigkeiten gehabt haben, den Beyfall des andern zu erhalten. Ohne diesen glücklichen Zufall hätte Donna Felicia oder Don Eugenio sich, so viel sie gewollt hätten, auf das tu si hic esses, berufen mögen; sie würden vermuthlich nicht halb so viel damit gewonnen haben, als jetzt, da sich jedes würklich an des andern Platz befand; so groß ist der Unterschied zwischen der Würkung, die eine flüchtige Abstraction und ein wahres Gefühl auf uns macht. [...]

Was Donna Felicia für den Don Sylvio empfand, erklärte ihr vollkommen, was Don Eugenio seine Sympathie für Hyacinthen nannte; und Don Eugenio konnte nicht so unbillig seyn, von seiner Schwester die Unterdrückung einer Neigung zu verlangen, die er selbst für unwiderstehlich erklärt hatte. [...]

Neuntes Capitel. 

Was für gefährliche Leute die Philosophen sind. 

Unter diesen einsamen Betrachtungen war es heller Tag geworden; Don Sylvio begab sich, um seinen Gedanken desto besser nachhängen zu können in den Garten, und wir wissen nicht, wohin sie ihn endlich geführt hätten, wenn Don Gabriel, der die Morgenstunden gewöhnlicher Weise mit einem Buch im Garten zubrachte, ihn nicht in den Gängen des Labyrinths angetroffen hätte. Von ungefähr war das Buch, das Don Gabriel in der Hand hatte, ein physicalisches, und dieses führte sie nach und nach in ein Gespräch über die Natur, worinn Don Sylvio seine cabbalistischen Begriffe und Grundsätze mit so vieler Scharfsinnigkeit und mit einer so lebhaften Beredsamkeit behauptete, daß Don Gabriel die Schönheit seines Geistes und die durchgängige Falschheit seiner Ideen gleich viel zu bewundern Ursache hatte. Man müßte so sehr ein Philosoph seyn, als es Don Gabriel war, um den Muth, über eine so tief eingewurzelte Schwärmerey endlich Meister zu werden, nicht auf einmal zu verlieren. Allein durch die Gefälligkeit, die er gegen die Vorurtheile unsers Helden hatte, hoffte er mit gutem Grunde ihn, ohne seine Grundsätze gerade zu bestreiten, unvermerkt so weit zu bringen, daß er selbst an der Wahrheit derselben zweiffeln müßte. Unsre Leser und Leserinnen (denn ungeachtet des strengen Verbotts des Herrn Rousseau werden wir ganz gewiß dergleichen haben) unter denen schwehrlich ein einziges nöthig hat von Zoroastrischen, Plotinischen, Cabbalistischen, Paracelsischen und Rosenkreuzerischen Irrthümern geheilt zu werden, würden uns vermuthlich für die Mittheilung einer so tiefsinnigen metaphysischen Unterredung wenig Dank wissen, zumal da es von Morgens sechs Uhr bis um die Zeit, da die Gesellschaft sich in einem kleinen Garten-Saal zum Frühstück versammlete, fortgesetzt wurde. Wir begnügen uns also ihnen zu melden, daß Don Gabriel, mit aller nur ersinnlichen Hochachtung, die er für die Weisen, welche die Natur im Ganzen und en detail durch Geister bewegen lassen, zu hegen vorgab, so starke Einwürfe gegen diese wundervolle Natur-Lehre vorbrachte, daß Don Sylvio, wo nicht völlig wankte, doch ziemlich erschüttert wurde, und (so vorsichtig auch der Philosoph gewesen war, den Feen nicht zu nahe zu treten) nicht wenig besorgt zu werden anfieng, was aus allen seinen Mährchen und aus seinen eigenen Abentheuren werden möchte, wenn die Grundsätze des Don Gabriel, die dieser zwar für blosse Hypothesen gab, sich in facto wahr befinden sollten. Nun half sich zwar Don Sylvio mit dem gewöhnlichen Schlusse, den die Schwärmerey zu machen pflegt, wenn sie von der gesunden Vernunft in die Enge getrieben wird; er verwies sich selbst auf seine Erfahrungen, und schloß, daß Grundsätze, die seiner Erfahrung widersprächen, nothwendig falsch seyn müßten. Allein es regte sich doch, wir wissen nicht was, in seinem Kopfe, das ihn bey diesem Schlusse nicht so ruhig seyn ließ, als man es bey einer geometrischen Demonstration zu seyn pflegt;  [...]

Eilftes Capitel. 

Geschichte der Hyacinthe 

Wenn es richtig ist, wie ich zu glauben geneigt bin, fieng die schöne Hyacinthe ihre Erzählung an, daß ein Frauenzimmer desto schätzbarer ist, je weniger sie von sich zu reden macht, [...]

Meine erregte Phantasie setzte diesen Gedancken lange fort, ob es gleich nicht das erstemal war, daß er mir zu gleicher Zeit meinen Zustand unerträglich machte, und einen gewissen Muth einflößte, mich durch meine Gesinnungen über ihn zu erheben; ich bestrebte mich, so tiefe Blicke in meine Kindheit zu thun, als mir möglich war, um in den schwachen Spuren erloschener Erinnerungen eine Bekräftigung meiner Wünsche zu runden; und so eitel und ungewiß auch die Einbildungen waren, womit ich mich selbst zu betrügen suchte, so dienten sie doch dazu, mich in dem Vorsatz zu bestärken, in was für Umstände ich auch kommen möchte, meine Ehre eben so sorgfältig in Acht zu nehmen, als ob das edelste Blut von Castilien in meinen Adern flöße. Ich war noch in diese Gedanken vertieft, als die Alte wieder kam, und mir mit ungemeiner Freundlichkeit sagte, daß ich mich fertig machen sollte, ihr in eine andere Wohnung zu folgen, weil mir, dem Ansehen nach, die ihrige so übel gefalle. Sie setzte hinzu, daß ich dort, an statt von jemand abzuhängen, ganz allein zu befehlen haben würde, und noch viel anders, was mir eine grosse Meynung von dem Glücke, das mir bevor stehe, geben sollte. Sie wollte mich bereden, ihre Absicht sey diesen Abend nur gewesen, mich auf eine Probe zu setzen; sie lobte mein Betragen, und sagte, daß ich demselben die glückliche Veränderung zu danken habe, worinn ich noch in dieser Nacht mich sehen würde. Der junge Cavalier fiel mir so gleich ein, der sich meiner angenommen hatte; ich fragte die Alte, aber sie gab mir lauter unbestimmte Antworten auf meine Fragen. Meine Begierde, aus einem so schändlichen Hause zu kommen, verkleinerte die neue Gefahren, worein ich gerathen konnte, zu sehr, als daß eine ungewisse Furcht den Abscheu vor einem Schicksal, das in diesem Hause fast unvermeidlich schien, hätte überwiegen können; und zudem, so hätte mir, da ich nun einmal in ihren Händen war, die Weigerung mit ihr zu gehen, wenig helfen können. Ich ließ es mir also gefallen; sie putzte mich so gut auf, als es in der Eile möglich war, warf einen Schleyer über mich und sich selbst, und führte mich aus dem Hause. Es war um Mitternacht, und der Mond schien unter einem leichten Gewölk hervor. Nachdem wir einige kleine Gassen durchkrochen hatten, fanden wir eine Kutsche, die auf uns wartete. Wir stiegen ein, und ich war ein wenig bestürzt, wie ich eine von meinen vormaligen Gespielen zu uns einsteigen sah, die, wie mir die Alte sagte, mein Aufwartmädchen vorstellen sollte, bis ich ein anders hätte. Indeß war es mir doch angenehm, daß sie Sorge getragen hatte, diejenige auszuwählen, die mir immer die liebste gewesen, und die in der That, eine einzige Schwachheit ausgenommen, das beste Ding von der Welt war. Wir wurden eine ziemliche Zeit hin und wieder geführt, bis endlich unser Wagen vor einem kleinen Hause still hielt, das kein sonderliches Ansehen hatte. Die Thüre öfnete sich, wir giengen hinein, und wurden von einer etwas bejahrten Frau empfangen, die uns [...]

In einer solchen Verfassung fand mich der Marquis, da er bey seinem ersten Besuch mir seine Absichten eröfnete. Ich hatte ihn des Abends zuvor, anfangs gar nicht von den übrigen unterschieden, und hernach nur mit einem zerstreuten Blick und in einer ängstlichen Unruhe, worinn ich keiner Aufmerksamkeit fähig war, angesehen. Jetzt, da ich ihn genauer betrachtete, fand ich ihn vollkommen schön; aber mein Herz blieb gleichgültig, und sagte mir kein Wörtchen zu seinem Vortheil. Er schien sich so viel mit seiner Figur zu wissen, daß es ihm nur nicht einfiel, daß man ihm sollte widerstehen können. Dieser Stolz beleidigte den meinigen, und freylich konnte der Marquis nicht vermuthen, bey einem kleinen Zigäuner-Mädchen Stolz zu finden. Ich will ihre Gedult durch keine umständliche Erzählung der Erklärungen, die er mir machte, und der Antworten, die ich ihm gab, ermüden. Die Offenherzigkeit, womit ich ihm meine Gleichgültigkeit gegen seine Reitzungen zu erkennen gab, und die stolze Bescheidenheit, womit ich einen schönen Schmuck von Diamanten ausschlug, welche (wie er sehr sinnreich sagte) nur dazu dienen sollten, von dem Glanz meiner schönen Augen verdunkelt zu werden – – schien ihn ganz aus seiner Fassung zu bringen. Ich sagte ihm, daß er mich durch nichts in der Welt verpflichten könne, als wenn er mich einer Dame von seinen Verwandten oder Freundinnen empfehlen wollte, um in ihre Dienste aufgenommen zu werden. Er konnte eine so niederträchtige Bitte mit dem Stolz, den er in meinen übrigen Gesinnungen fand, nicht zusammen reimen; und nachdem er viele vergebliche Mühe gehabt hatte, mich auf andere Gedanken zu bringen, so verließ er mich endlich, in der Hofnung, wie er sagte, daß die Abgeneigtheit, die seine Figur das Unglück habe mir einzuflössen, nicht unüberwindlich seyn werde. Allein seine Hofnung betrog ihn diesesmal. Er fand nach etlichen andern Besuchen, die er mir machte, daß ich würklich keine Seele haben müsse. Ich bestund schlechterdings darauf, daß er mir meine Freyheit wieder geben sollte. Und was willt du denn mit deiner Freyheit anfangen, kleine Närrin, sagte er? Gnädiger Herr, antwortete ich, es ist mir unmöglich, ihnen Hofnungen zu machen, die mein Herz verläugnet. Ich weiß es gewiß, daß ich sie in acht Tagen, oder in acht Wochen, wenn sie wollen, eben so wenig lieben werde als jetzt. [...]

Meynst du das, sagte der Marquis spottend? Ich sage dir aber, ich, daß ich keine Lust dazu habe, und daß du, mit Erlaubniß aller der schönen Einbildungen, die du dir in den Kopf gesetzt hast, mein seyn sollst, du magst wollen oder nicht. Siehst du, Hyacinthe, ich glaube nicht an die Tugend eines Mädchens von fünfzehen Jahren, und du wirst doch nicht unter unzählichen die erste unerbittliche seyn, die ich gefunden habe; ich versichere dich, daß bessere als du bist, nicht halb so viel Umstände mit mir gemacht haben. Ich antwortete nur mit einem Strom von Thränen auf diese Rede, und der Marquis schien verlegen zu seyn, was er mit mir anfangen sollte. Ich warf mich zu seinen Füssen, und bat ihn aufs beweglichste, daß er mich in Freyheit setzen, und meinem Schicksale überlassen möchte. Meine Bitten würkten gerade das Widerspiel. Er hob mich in einer ausserordentlichen Bewegung auf, warf sich zu meinen Füssen nieder, und sagte mir alles was die heftigste Leidenschaft eingeben kan. Ich glaube, daß etwas ansteckendes in heftigen Leidenschaften ist, und dasjenige, was die Zuschauer bey der lebhaften und wahren Vorstellung einer Leidenschaft auf dem Schauplatz erfahren, scheint eine Bestättigung meiner Meynung zu seyn. Ich liebte den Marquis nicht; aber ich konnte mich nicht erwehren, von der Heftigkeit seiner Liebe beunruhiget zu werden. Er hatte sich meiner Hände bemächtiget, und er fühlte vermuthlich, daß mein Puls hurtiger schlug, er sah eine mehr als gewöhnliche Röthe auf meinen Wangen, und da die Sinnen mehr Antheil an seiner Liebe hatten als das Herz, so glaubte er, daß dieses der Augenblick sey, da er mich überraschen könnte. Es würde lächerlich seyn, wenn ich sie überreden wollte, daß ich keiner Schwachheit fähig sey; die Tugend besteht, meiner Meynung nach, in gewissen Umständen weniger in einer völligen Unempfindlichkeit, die niemals ein Verdienst ist, als in dem Sieg einer stärkern Empfindung oder Leidenschaft über die Regungen der Natur. [...]

Sie können sich die Freude kaum vorstellen, die ich hatte, wie ich mich auf der Strasse sah. Ich lief, was ich konnte, ohne zu wissen wohin, und weil das Hauß, worinne ich war, in einer von den Vorstädten stund, so befand ich mich in kurzer Zeit auf dem freyen Felde. Niemals hatte mir der gestirnte Himmel so schön geschienen als jetzo, da er meine Flucht beförderte. Ich befahl mich den unsichtbaren Beschützern der Unschuld, und so bald ich merkte, daß ich auf der Landstrasse war, so lief ich so schnell davon, als ob ich Flügel an den Fersen hätte. Wie die Sonne aufgieng, war ich schon drey Stunden von Sevilla entfernt. Ich tauschte meine Kleider mit einem jungen Bauer-Mädchen von meiner Grösse, die mir begegnete, und nachdem ich mich in einem Dorfe mit Brodt, und meinen Kruge mit frischer Milch versehen hatte, setzte ich meine Reise fort; ich ruhte den Tag über in dichten Gebüschen aus, und gieng des Abends, bis ich ein Wirthshauß antraf, wo ich die Nacht zubringen konnte. Ich richtete meine Reise nach Calatrava, wo ich die gute Dame zu erfragen hofte, auf deren Großmuth und Neigung zu mir ich alle meine Hofnungen gründete; aber weil ich gezwungen war, zu Fusse zu gehen, (denn ich hatte aus einer vielleicht übertriebenen Bedenklichkeit nichts mit mir genommen, als das wenige Geld, so ich bey mir trug, wie ich das Hauß der Zigäunerin verließ, und dieses reichte kaum zu meiner Reise-Zehrung zu,) so gieng meine Wanderschaft überaus langsam, und ich hatte Zeit genug meinen vergangenen Begebenheiten und meinem künftigen Schicksal nachzudenken. [...]

So ungünstig auch das gegenwärtige aussah, so blieb ich doch immer munter; der Gedanke, daß ich meine Unschuld aus so schlüpfrigen Umständen davon gebracht hatte, machte mich leicht und fröhlich, und von allem, was mir in dem kleinen Hause des Marquis zu Dienste gestanden war, bedaurte ich nichts als meine schöne Theorbe von Sandelholz, womit ich mir unterwegs die Zeit hätte verkürzen können. Ich sang nichts desto minder, so lange der Tag war, und machte mir eine Zeitkürzung daraus, den Gesang der Nachtigallen nachzuahmen, worinn ich, ohne Ruhm zu melden, eine so grosse Meisterin wurde, daß ich die Nachtigallen selbst eifersüchtig machen konnte. [...]

Hyazinthe wird Schauspielerin.

Ich wurde also mit allgemeinem Beyfall in die Gesellschaft aufgenommen, und nachdem mich Arsenia in den Geheimnissen ihrer Kunst unterrichtet hatte, wurde Corduba zum Ort ausersehen, wo ich meinen ersten öffentlichen Auftritt machen sollte. Die Zuschauer urtheilten eben so günstig von mir als von Arsenia, und ich gestehe ihnen, daß das frohe Geklatsch und der lebhafte Ausdruck eines allgemeinen Vergnügens, der einer gefallenden Schauspielerin, so bald sie nur erscheint, von allen Seiten entgegen lächelt, ein süsser und gefährlicher Augenblick für die Eitelkeit eines jungen Mädchens ist. Indeß konnte doch die Empfindlichkeit, die ich, so lange das Schauspiel daurte, für einen Beyfall hatte, wovon ich vielleicht das meiste der Neuheit meiner Figur zu danken hatte, die demüthigenden Vorwürfe nicht verhindern, die ich mir selbst machte, so bald ich aufhörte Ines oder Roxelane zu seyn. Ich erröthete vor mir selbst, wenn ich dachte, daß ich unverschämt genug gewesen war, mich gleichsam den Augen des Publici Preiß zu geben, und in einer angenommenen Person Leidenschaften zu erregen, die einer zügellosen Jugend eine Art von Recht zu geben schienen, von mir zu erwarten, daß ich in meiner eigenen Person die ihrigen begünstigen sollte. [...]

Dreyzehntes Capitel. 

Don Eugenio setzt die Erzählung der Hyacinthe fort. Die liebenswürdige Hyacinthe schien, indem sie dieses sagte, so gerührt zu werden, daß sie, so sehr sie sich auch bemühte es zu verbergen, ein wenig inne halten mußte. Erlauben Sie, schöne Hyacinthe, sagte Don Eugenio, ohne daß er ihre Beunruhigung zu merken schien, daß ich ihre Erzählung fortsetze, da sie nun auf denjenigen Theil ihrer Geschichte gekommen sind, wo sie mit der meinigen verwickelt zu seyn anfangt. [...]

Ich besuchte einsmals die Comödie und sah Hyacinthe; sie gefiel mir, und rührte mich. Das erste war eine natürliche Folge der Annehmlichkeiten ihrer Person, denn wem gefiel sie nicht? Und das andere schien mir eine eben so natürliche Würkung der Rolle zu seyn, die sie damals spielte. Der allgemeine Beyfall, in dessen Besitz sie war, und der mir ihre eigene Person mit denen, die sie annehmen mußte, zu vermengen schien, blendete mich nicht, ich bemerkte, daß sie nur eine mittelmäßige Schauspielerin war. Es ist wahr, in einigen Stellen, wo sie edle Gesinnungen oder wahre und ungekünstelte Empfindungen der Natur zu sagen hatte, schien sie unverbesserlich; aber der Poet hatte dafür gesorgt, daß sie nur selten Anlaß hatte, es zu seyn, und in allen übrigen glaubte ich zu bemerken, daß sie sich zwingen mußte Gesinnungen oder Gemüths-Bewegungen anzunehmen, die nicht ihre eigene waren. Diese Beobachtung war ihr sehr vortheilhaft bey mir, und ich glaube in der That, daß sie mir denselben ganzen Abend nie besser gefiel, als wenn sie, als eine Schauspielerin betrachtet, am wenigsten hätte gefallen sollen. Ich gieng aus der Comödie, und war betroffen, wie ich fand, daß mir das Bild dieses jungen Mädchens überall folgte, ich sahe sie diesen ganzen Abend vor mir; der rührende Klang ihrer Stimme tönte noch immer in meinen Ohren, und alle Zerstreuungen der Gesellschaft, wo ich den Abend zubrachte, war nicht zulänglich, diesen Eindrücken das mindeste von ihrer Lebhaftigkeit zu benehmen. [...]

Ihre Gegenwart, Hyacinthe, macht es überflüßig ein Gemählde fortzuführen, womit ich ohnehin nie zufrieden seyn würde. Die Unschuld hat eine unendliche Menge Annehmlichkeiten, die eben so wenig beschrieben, als von der Kunst nachgeahmt werden können, und deren Eindruck desto gefährlicher ist, da er so sanft und unschuldig zu seyn scheint als sie selbst. Mein Herz war schon völlig von ihr eingenommen, ehe ich daran dachte, wie weit mich die Gesinnungen führen könnten, die sie mir, wiewohl ohne ihr Zuthun einflößte. Unvermerkt wurde ich es gewohnt, sie alle Tage zu sehen, unvermerkt verlohr alles andere, was mir sonst angenehm gewesen war, seinen Reitz für mich; ihre blosse Gegenwart setzte mich in Entzücken, und ohne sie machte mir alles Langeweile. Ich entzog mich nach und nach allen Gesellschaften, Lustbarkeiten und Zerstreuungen, um des einzigen Vergnügens ungestört zu geniessen, dessen jetzt mein Herz fähig war. [...]

Diejenigen, welche glauben, daß man die Liebe mit Erfolg bekämpfen könne, reden von einer Liebe, die nur in sehr uneigentlichem Verstande so genennt zu werden pflegt. Diese auflodernde Flammen, die bloß durch die Schönheit oder ein beydseitiges Bedürfnis angezündet und durch die Begierden unterhalten werden; diese willkührlichen Verbindungen, an denen das Herz keinen Antheil hat, die man aus Eitelkeit, Langerweile, Vorwitz, Caprice, Gewohnheit oder Convenienz eingeht und wieder aufhebt, wie und wenn man will, und die man, so wenig sie mit der Liebe gemein haben, bloß darum Liebe nennt, um ihnen einen ehrbaren Namen zu geben; diese mögen wohl ohne Mühe bekämpft und besiegt werden. Aber über eine wahre Liebe, die sich auf ein geheimes Verständniß der Herzen gründet, und mit gegenseitiger Hochachtung verbunden ist, ist noch nie kein Sieg erhalten worden, und die Schwierigkeiten, die ihr in den Weg gelegt werden, dienen zu nichts, als den ihrigen zu befördern. [...]"

Unter einer Menge von jungen Leuten, die sich zu erklärten Verehrern der liebenswürdigen Hyacinthe aufgeworfen hatten, und sich ihres vermeynten Rechts bedienten, sie hinter der Scene mit allem dem Unsinn zu ermüden, den sie ihr vorsagten, waren verschiedene, die ihre Absichten gerne weiter getrieben hätten, wenn sie, so lang ich ihnen ihrer Meynung nach im Wege stund, sich einigen Erfolg davon hätten versprechen können. So unangenehm es mir war, daß ich Hyacinthe nicht von diesem ganzen beschwehrlichen Schwarm befreyen konnte, so wenig hatte ich Ursache zu besorgen, daß irgend einer von ihnen ihrem Herzen gefährlich seyn könnte; es ist, dachte ich, eine natürliche Unbequemlichkeit, der die Rose ausgesetzt ist, daß sie allerley Ungeziefer um sich her sumsen lassen muß; und das Betragen der Hyacinthe, welche diesen Gecken eine Art von Ehrfurcht, über die sie selbst erstaunte, einzuflössen wußte, machte mich über diesen Punct so ruhig, als ich nur immer hätte seyn können, wenn sie mir ganz gleichgültig gewesen wäre. Allein Don Fernand von Zamora, der um diese Zeit nach Grenada kam, und vom erstenmal, da er Hyacinthen auf dem Theater sah, eine heftige Leidenschaft nach seiner Art für sie faßte, ließ mich nicht lange in dieser stolzen Ruhe. Ein Rival, der die Schönheit eines Narcissus mit der frechen Ausgelassenheit eines Satyren verband, der gewohnt war seinen Leidenschaften den Zügel zu verhängen, und die unermäßlichen Reichthümer, über die ihn der Tod seiner Eltern zum Herrn gemacht hatte, zu Befriedigung seiner Begierden unmäßig verschwendete, ein solcher Rival, so wenig ich auch für Hyacinthens Herz von ihm besorgte, war doch in verschiedenen andern Absichten nicht als gleichgültig anzusehen. Er machte seine erste Liebes-Erklärung mit Geschenken, die vielleicht manche spröde und stoltze Tugend in Versuchung hätten führen können. Hyacinthe schickte sie zurück, ohne zu glauben, daß sie ihrer Unschuld oder meiner Liebe, die ihr, ungeachtet ich noch immer in den Grenzen der Freundschaft zu bleiben schien, kein Geheimniß war, ein beträchtliches Opfer gebracht habe; allein sie konnte sich doch mit guter Art nicht erwehren, seine Besuche anzunehmen, und an den ausschweiffenden prächtigen Lustbarkeiten, die er seiner Eitelkeit zu Ehren, anstellte, mit Arsenien und andern von ihren theatralischen Freundinnen Antheil zu nehmen. So schwer es meinem Herzen wurde, so beschloß ich doch sie in dieser Gefahr, wenn es eine war, gänzlich dem ihrigen zu überlassen. Don Fernand, dem ganz Grenada sagen konnte, daß ich sie niemals anders als in Arseniens oder anderer Gesellschaft sah, konnte sich um so weniger bereden, daß ich sein Rival sey, da er durch die genaueste Beobachtung nichts in meinem Betragen entdeckte, das mich hätte verdächtig machen können; und wenn er auch einigen Verdacht gehabt hätte, so würde ihn das nur desto eifriger gemacht haben, seine Anfälle auf ihr Herz zu verdoppeln. Allein weder seine Schönheit noch sein schimmernder Aufzug, noch [...]"

In ihren Umständen kan sie keine Lebensart erwählen, die nicht ihre eigene Gefahren hat. Jugend und Unschuld von so vielen Annehmlichkeiten begleitet, sind ohne die Vortheile der Geburt oder des Glücks, gefährliche Gaben für unser Geschlecht; eben diese Unschuld, eben diese Reitzungen, die an einer jungen Person von Stande, oder an einer reichen Erbin eine ehrerbietige Liebe oder doch wenigstens rechtmäßige Absichten einflössen würden, machen ein Mädchen, die dem Glück nichts zu danken hat, zu einem blossen Gegenstand von Begierden, die auf ihr Verderben zielen; und eben derjenige, der sich nicht schämt, zu ihren Füssen hingeworfen, sie in der Sprache der Schwärmerey und Anbetung für die Göttin seines Herzens zu erklären, würde sich durch den blossen Verdacht, daß er ehrliche Absichten auf sie haben könnte, für beleidigt halten. Urtheilen sie nun selbst, Don Eugenio, ob ich über Hyacinthens Schicksal ruhig seyn kan. Sie ist für die Umstände nicht gemacht, wozu ihr Unglück sie verurtheilt hat; sie ist liebenswürdig, und wie ich glaube, durch ihre Unschuld und sanfte Gemüthsart nur desto fähiger, gerührt zu werden. Ich besorge nichts für sie von allen diesen schimmernden Gecken, die um sie herum flattern, und gleich unfähig sind Liebe zu empfinden und einzuflössen; aber wenn sie einen Mann findet, der mit den Eigenschaften eines edlen Gemüths, mit tugendhaften Gesinnungen und einer ehrerbietigen Zärtlichkeit sich ihre Hochachtung erwirbt, der seine Begierden unter uneigennützigen Empfindungen zu verbergen, und die Liebe unter dem Namen und in Gestalt der Freundschaft heimlich in ihr Herz einzuführen weiß, der Gedult genug hat, den Zeitpunct abzuwarten, da sie durch das Vertrauen, das sie ihm schuldig zu seyn glaubt, durch die Unschuld ihrer eigenen Empfindungen, durch den zauberischen Reitz der Sympathie und gewisser geheimer Triebe, die sie in der unerfahrnen Einfalt ihres Herzens mit den zärtlichen Regungen desselben vermengt, entwafnet, unbesorgt und ganz in Liebe aufgelöst, als ein williges Opfer seinen Begierden überliefert wird, – – – – Ach! Don Eugenio! – – wie sehr besorge ich, daß sie diesen Mann schon gesehen hat! – – [...]

Diese Zeichen des vollkommenen Vertrauens, das ich in ihre Rechtschaffenheit setze, sagte sie, indem sie mich mit thränenden Augen ansah, diese Thränen, die ich mich nicht bemühe vor ihnen zu verbergen, bin ich ihren allzugroßmüthigen Gesinnungen schuldig: Aber das ist alles, was die unglückliche Hyacinthe thun kan, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen. – – Sie entdeckte mir hierauf mit einer Offenherzigkeit, die sie noch tausendmal liebenswürdiger in meinen Augen machte, die ganze Geschichte ihres Lebens. Urtheilen sie jetzt selbst, Don Eugenio, fuhr sie fort, wie sie damit zu Ende war, ob ich nicht die unwürdigste Creatur wäre, wenn ich das Uebermaaß ihrer Gütigkeit für mich mißbrauchen wollte, so lang ich nicht eine völlige Gewißheit dessen habe, was vermuthlich eine bloße Eingebung meiner Eitelkeit ist, wenn ich mir schmeichle, daß ich vielleicht weniger Ursache habe über meinen Ursprung zu erröthen, als die Zigäunerin, die mich erzogen hat, mich bereden wollte. Arsenia vereinigte sich vergebens mit mir, sie zu überzeugen, daß ihre Bedenklichkeit zu weit getrieben sey; sie blieb unbeweglich bey ihrem Entschluße, wenn sie Arsenien verliehren sollte, sich in ein Kloster zu begeben; und alles, was ich endlich von ihr erhalten konnte, war, daß sie mir die Wahl des Orts überließ, und feierlich versprach, sich ohne meine Einstimmung durch kein Gelübde binden zu wollen. Ich schrieb so gleich an einen Freund zu Sevilla, um Nachrichten von der alten Zigäunerin einzuziehen; erfuhr aber, daß die Aufmerksamkeit, die der Corregidor auf ihr Hauß zu wenden angefangen, sie vor kurzem genöthiget habe sich durch eine schleunige Flucht in Sicherheit zu bringen. So verdrießlich mir dieser Umstand war, so gab ich doch die Hofnung nicht auf, durch die Maaßregeln, die ich deßwegen nahm, die Alte noch endlich aufzutreiben, die ich alsdann unfehlbar zum Geständniß, wie sie zu Hyacinthen gekommen sey, zu bringen hofte; und im Fall sie mir entgehen würde, so schmeichelte ich mir doch, Hyacinthens Entschluß endlich durch meine Beständigkeit zu erweichen. [...]

Vierzehntes Capitel. 

Beschluß der Geschichte der Hyacinthe. Eine Vermuthung des Don Sylvio. Vorbereitungen zu einem Intermezzo, wobey wenige Leute lange Weile haben werden. 

So intereßant vermuthlich die Liebesgeschichte des Don Eugenio und der schönen Hyacinthe ihnen selbst und vielleicht auch ihren unmittelbaren Zuhörern gewesen seyn mag, so wenig können wir unsern Lesern übel nehmen, wenn sie das Ende davon zu sehen wünschen. Es ist in der That für ehrliche Leute, die bey kaltem Blut sind, kein langweiligeres Geschöpf in der Welt als ein Liebhaber, der die Geschichte seines Herzens erzählt. Wir wollen uns also begnügen, ihnen zu sagen, daß Hyacinthe das Wort wieder nahm, und ihre eigene Begebenheiten von dem Tod ihrer Freundin an, bis zu dem Augenblick fortsetzte, da Don Eugenio und Don Gabriel, von unserm Helden unterstützt, sie den räuberischen Händen des Don Fernand von Zamora entrissen. Sie ergänzte, was ihr selbst bisher in diesen Begebenheiten unbegreiflich gewesen war, aus dem Geständniß, welches die getreue Teresilla sich genöthigt gesehen hatte, ihrer Gebieterin von ihrem geheimen Briefwechsel mit Don Fernand und von allen den kleinen Verräthereyen zu machen, die sie seit geraumer Zeit gespielt hatte. Denn unglücklicher Weise für diese würdige Kammer-Jungfer hatte sich ein Briefchen des Don Fernand, so sie an statt es zu verbrennen, in ihrem Unterröckchen wohl verwahrt zu haben glaubte, man weißt nicht wie? in Pedrillos Kammer aus ihrem Sack verlohren, und, wie sich alles zusammen schicken muß, wenn eine Schelmerey zur Entdeckung reiff ist, so war es dem Don Eugenio in die Hände gefallen, da er an dem nehmlichen Morgen, als unser Held das Wirthshaus so plötzlich verlassen hatte, von ungefehr in diese Kammer trat. Sie erzählte also, wie Don Fernand von Zamora, an statt seine Absichten, wie er Mine gemacht hatte, aufzugeben, Mittel gefunden ihre Aufwärterin auf seine Seite zu bringen; was für Entwürfe er mit Teresillen gemacht, um auf ihrer Reise nach Valencia, wozu sie gleich nach Arseniens Tode Anstalt gemacht, sich ihrer Person zu bemächtigen; auf was Art er dieses Vorhaben ins Werk gerichtet, wie sehr er sich bemüht sie zu besänftigen, und durch eine ehrerbietige Zurückhaltung ihr eine bessere Meynung von seinen Absichten beyzubringen, und wie endlich der glückliche Umstand, daß Don Eugenio an statt zu Valencia zu seyn, wie sie selbst geglaubt hatte, zu Lirias gewesen, und durch einen noch glücklichern Zufall auf einem Spatzierritt zwischen Julilla und Lirias auf sie gestossen, ihre Befreyung veranlaßt habe. Die schöne Hyacinthe vergaß bey dieser Gelegenheit nicht unserm Helden von neuem für die Großmuth zu danken, womit er sich für sie und Don Eugenio gewaget hatte, und Don Sylvio erwiederte diese Höflichkeit im Ton der Galanterie der Ritter vom Graal und von der runden Tafel. Er bezeugte sich ihr sehr verbunden, daß sie ihm erlaubt hatte einen Zuhörer ihrer Geschichte abzugeben, und versicherte sie, daß man sie nur zu sehen und [...]

Unser Held hatte während daß Hyacinthe ihre Geschichte erzählte, einen Einfall bekommen, den er dem Don Eugenio entdeckte, so bald sie sich allein sahen. Was würden sie dazu sagen, Don Eugenio, fieng er an, wenn Hyacinthe meine Schwester wäre? Ihre Schwester, versetzte Don Eugenio, haben sie denn eine Schwester verlohren? Ich hatte eine, antwortete Don Sylvio, die sich in ihrem dritten Jahr verlohr, ohne daß man erfahren konnte, was aus ihr geworden sey. Himmel! rief Don Eugenio, wie glücklich wäre ich, wenn ihre Muthmassung sich wahr befände! Und in der That nun wundert michs erst, wie gewisse Gesichts-Züge die Hyacinthe mit ihnen gemein hat, mich nicht selbst auf diesen Gedanken gebracht haben. Aber erinnern sie sich keiner Umstände – – wissen sie keine Merkmale, die unsere Vermuthung zu einer Gewißheit leiten könnten? Wenn der Instinct nicht betrüglich wäre, antwortete Don Sylvio, so würde ich geneigt seyn, die Anmuthung, die ich beym ersten Anblick für sie empfand, für die Stimme des Blutes zu halten – – Aber ich besorge, Don Eugenio, daß ich mir mit einer unzeitigen Hofnung geschmeichelt habe. Und warum, fragte Don Eugenio ungedultig? Ich finde einen Umstand in Hyacinthens Geschichte, antwortete jener, der mich in Verlegenheit setzt. – – Ich bitte sie, erklären sie sich, rief Don Eugenio, ich bin auf der Folter, so lange sie mich im Zweifel schweben lassen. Hyacinthe ist von einer Zigäunerin erzogen, und wie sie vermuthet, ihren würklichen Eltern entwendet worden, fuhr Don Sylvio fort; die Zeiten und das Alter kommen überein; meine Schwester hatte ungefehr drey Jahre, wie sie unsichtbar wurde, und sie würde jetzo Hyacinthens Alter haben; die Verschiedenheit der Namen, (denn meine Schwester hieß Seraphine,) thut nichts zur Sache, man konnte ihren Namen ändern; aber der Umstand mit der Zigäunerin verderbt alles. Man vermuthete zwar in meinem Hause, daß meine Schwester von einer Zigäunerin gestohlen worden sey, aber ohne genugsamen Grund; und ich habe eine Menge der wichtigsten Ursachen, die mich überzeugen, daß es eine Fee gewesen ist. – – – – Hier war Don Eugenio im Begriff die Gedult zu verliehren, und er hatte alle nur ersinnliche Mühe seine erste Bewegungen zurück zu halten. Wenn sie keine andere Bedenklichkeit haben, sagte er endlich, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, so haben wir nicht nöthig uns hierüber zu beunruhigen. Was hindert uns zu glauben, daß die Zigäunerin, die Hyacinthen raubte, die Fee gewesen sey, die ihre Schwester unsichtbar gemacht hat? [...]

(Wieland: Don Silvio (2. Teil) Kapitel 1-14)

Sechstes Buch. Geschichte des Prinzen Biribinker. 

In einem Lande, dessen weder Strabo noch Martiniere Erwähnung thun, lebte einst ein König, der den Geschichtschreibern so wenig zu verdienen gab, daß sie aus Rachbegierde mit einander einig wurden, so gar seine Existenz bey der Nachwelt zweiffelhaft zu machen. Allein alle ihre boshaften Bemühungen haben nicht verhindern können, daß sich nicht einige glaubwürdige Urkunden erhalten hätten, in denen man alles findet, was sich ungefehr von ihm sagen ließ. Diesen Urkunden zufolge war er eine gute Art von einem Könige, machte des Tages seine vier Mahlzeiten, hatte einen guten Schlaf, und liebte Ruhe und Frieden so sehr, daß es bey hoher Strafe verboten war, die blossen Namen Degen, Flinte, Canone und dergleichen in seiner Gegenwart zu nennen. Das merkwürdigste an seiner Person, (sagen die bemeldten Urkunden) war ein Wanst von einer so majestätischen Peripherie, daß ihm die grösten Monarchen seiner Zeit hierinn den Vorzug lassen mußten. Ob ihm der Beyname des Grossen, den er bey seinen Lebzeiten geführt haben soll, um dieses nehmlichen Wanstes oder einer andern geheimen Ursache willen gegeben worden, davon läßt sich nichts gewisses sagen; so viel aber ist ausgemacht, daß in dem ganzen Umfange seines Reichs niemand war, den dieser Beyname einen einzigen Tropfen Bluts gekostet hätte. Wie es darum zu thun war, daß seine Majestät aus Liebe zu dero Völkern und zu Erhaltung der Thron-Folge in dero Familie, sich vermählen sollte, so hatte die Academie der Wissenschaften nicht wenig zu thun, vermittelst der gegebenen Grösse des königlichen Wanstes und einiger anderer Verhältnisse die Figur derjenigen Princeßin zu bestimmen, welche man würdig halten konnte, die Hofnungen der Nation zu erfüllen. Nach einer langen Reyhe von academischen Sitzungen wurde endlich die verlangte Figur, und durch eine grosse Menge von Gesandtschaften, die an alle Höfe von Asien geschickt wurden, die Princeßin ausfindig gemacht, die mit dem gegebenen Modell übereinstimmte. Die Freude über ihre Ankunft war ausserordentlich, und das Beylager wurde mit so grosser Pracht vollzogen, daß sich wenigstens fünfzig tausend Paare von den königlichen Unterthanen entschliessen mußten ledig zu bleiben, um seiner Majestät die Unkosten von dero Hochzeit bestreiten zu helfen. Der Präsident der Academie, der, ungeachtet er der schlechteste Geometer seiner Zeit war, sich alle Ehre der obgedachten Erfindung beyzulegen gewußt hatte, glaubte mit gutem Grunde, daß nunmehr sein ganzes Ansehen von der Fruchtbarkeit der Königin abhange, und weil er in der Experimental-Physik ungleich stärker war, als in der Geometrie, so fand er, man weißt nicht was für ein Mittel, die Berechnungen der Academie zu verificiren. Kurz, die Königin gebahr zu gehöriger Zeit den schönsten Prinzen, der jemals gesehen worden ist, [...]

Sagen sie dem König, ihrem Herrn, er habe sich an der Fee Caprosine eine mächtige Feindin gemacht; indessen sey es doch nicht unmöglich, die Zufälle, so sie dem Prinzen angedroht habe, auszuweichen, wenn man die gehörige Vorsicht gebrauche, daß er vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen zu sehen bekomme. Weil es aber, aller Vorsicht ungeachtet, eine sehr schwere, wo nicht unmögliche Sache ist, seinem Schicksal zu entgehen, so seye mein Rath, daß man, um auf alle Fälle gefaßt zu seyn, dem Prinzen den Namen Biribinker gebe, dessen geheime Kräfte allein mächtig genug sind, ihn aus allen den Abentheuern, die ihm zustossen könnten, glücklich heraus zu führen. Mit diesem Bescheid entließ Caramussal die Gesandtschaft, welche nach Verfluß abermaliger drey Monate, unter allgemeinem Zujauchzen des Volks wieder in der Hauptstadt ihres Landes anlangte. [...]

Die Fee sagte nichts davon, daß dieser Nectar noch eine andere Eigenschaft hatte, die der Prinz gar bald zu erfahren anfieng. Je mehr er davon trank, je reitzender fand er seine schöne Gesellschafterin. Beym ersten Zug bemerkte er, daß sie sehr schöne blonde Haare hatte; beym andern wurde er von der Schönheit ihrer Arme gerührt, beym dritten entdeckte er ein Grübchen in ihrem linken Backen, und beym vierten entzückte ihn die Weisse und Fülle eines gewissen Busens, der unter dem Nebel eines dünnen Flors seinen Augen nachstellte. Ein so reitzender Gegenstand und eine Trinkschaale, die sich immer wieder von sich selbst anfüllte, waren mehr als er nöthig hatte, um seine Sinnen in ein süsses Vergessen aller Milchmädchen der ganzen Welt einzuwiegen. Was sollen wir sagen? Biribinker war zu höflich, eine so schöne Fee auf dem Sopha schlafen zu lassen, und die schöne Fee zu dankbar, als daß sie ihm in einem Hause, wo vierzig tausend Geister herum spuckten, ihre Gesellschaft hätte abschlagen können. Kurz, die Höflichkeit wurde auf der einen, und die Dankbarkeit auf der andern Seite so weit getrieben, als es möglich war, und Biribinker bewieß sich der guten Neigung vollkommen würdig, welche Cristalline beym ersten Anblick von ihm gefaßt hatte. [...]

Der Prinz unterstund sich nicht sie anzureden, aber er sahe sie mit so durchdringenden feurigen Blicken an, daß die Steine im Bache bey nahe davon in Glas verwandelt worden wären. Die schöne Schäferin, welche sehr kalter Natur seyn mußte, um von so kräftigen Blicken nicht geröstet zu werden, flochte indessen ganz gelassen einen Blumenkranz, und unterließ nicht von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf ihn zu werfen, worinn er nichts weniger als Unwillen zu entdecken vermeynte. Dieses machte ihn so kühn, daß er näher zu ihr rückte, ohne daß sie es wahrnahm; denn sie spielte eben mit einer kleinen Ziege, die an statt der Haare lauter Silberfaden hatte, und mit Blumenkränzen und rosenfarben Bändern aufs artigste geziert war.[...]

Er dachte, indem er untertauchte, zum wenigsten in das Caspische Meer gefallen zu seyn, oder besser zu sagen, er dachte gar nichts, so betäubt von Schrecken lag er da, und vermuthlich würde er in seinem Leben das Trockne nicht wieder gesehen haben, wenn nicht eine Nymphe, die sich eben in diesem Brunnen badete, zu seiner Rettung herbey geschwommen wäre. Die Gefahr, worinn sie einen so schönen jungen Menschen sah, machte sie vergessen, in was für einem Zustande sie selbst war, und in der That hätte er leicht ertrinken können, ehe sie ihre Kleider angezogen hätte. Kurz, Biribinker fühlte, da er zu sich selbst kam, daß sein Gesicht an dem schönsten Busen lag, der jemals gewesen ist, und da er die Augen aufthat, sahe er sich am Rande eines grossen Brunnens in den Armen einer Nymphe, die ihm, in dem ungekünstelten Aufzug, worinn er sie sah, beym ersten Anblick so viel und noch mehr Leben wieder gab, als er brauchte. [...]


Man sehe doch, rief die Nymphe aus, was für einen Uebermuth diese Mannsleute haben! Man untersteht sich nicht ihnen die mindeste kleine Höflichkeit zu erzeigen, ohne daß sie ihre Glossen darüber machen; und ein blosses Werk der Großmuth und des Mitleidens ist in ihren Augen schon eine Aufmunterung, wodurch sie berechtiget zu seyn glauben, sich Freyheiten mit uns heraus zu nehmen. Wie? weil ich gütig genug gewesen bin, ihnen das Leben zu retten, so glauben sie vielleicht – – – – Sie sind sehr grausam, unterbrach sie der Prinz, daß sie dasjenige einem unbescheidenen Uebermuth beymessen, was eine nothwendige Würkung der Zauberey ihrer Reitzungen ist. Wenn sie mir das Leben wieder nehmen wollen, das sie mir gerettet haben (denn wer kan sie gesehen haben, und die Beraubung eines so entzückenden Anblicks ertragen?) so tödten sie mich wenigstens auf eine großmüthige Art; machen sie ein Denkmal ihrer alles bezwingenden Schönheit aus mir, und lassen mich hier in ihrem Anschauen zum Marmorbilde erstarren. [...]

Aber ich bitte sie; meine Göttin, sagte der Prinz, wie geht es zu, daß sie so gute Nachrichten von mir haben? So bald sie mich sehen, nennen sie mich bey meinem Namen – – Sie sehen daraus, antwortete die Nymphe, daß ich eine so gute Kennerin bin als die Fee Cristalline – – »Sie wissen, daß ich in einem Bienen-Korb erzogen worden bin« – – das riecht man ihnen auf zwanzig Schritte weit an – – »daß ich ein Milchmädchen liebe – –; O! ja, wie man noch nie geliebt hat, und daß sie noch verliebter sind, seit dem sie eine Schäferin worden ist; und wer weißt, wie weit sie ihr Glück getrieben hätten, wenn nicht der Riese Caraculiamborix – – Aber haben sie keinen Kummer; sie sollen sie wieder sehen, und so glücklich seyn, als man in Besitz eines Milchmädchens nur immer seyn kan.

O! rief Biribinker, bey dem die Geträncke der Ondine mächtig zu würken anfiengen, kan man etwas anders zu sehen oder zu besitzen wünschen, nachdem man sie gesehen hat, göttliche Ondine? Ich erinnere mich nur nicht mehr, daß ich vorher Augen hatte, und der Augenblick, da ich sie zum erstenmal sah, ist der Anfang meines Daseyns. Ich kenne und wünsche mir keine andere Glückseligkeit, als zu ihren Füssen von dem Feuer verzehrt zu werden, das ihr erster Blick in meiner Brust entzündet hat.

Prinz Biribinker, antwortete die Ondine, sie haben einen schlimmen Lehrmeister in der Redekunst gehabt; Ich hätte gedacht, die Fee Cristalline sollte ihnen die lächerliche Meynung benommen haben, daß man uns Unsinn vorsagen müsse, um uns die Heftigkeit seiner Leidenschaft zu beweisen. Ich wette was sie wollen, daß es nicht wahr ist, daß sie zu meinen Füssen verzehrt zu werden wünschen; glauben sie mir, ich weiß besser was sie wünschen, und sie würden mehr dabey gewinnen, wenn sie natürlich mit mir reden wollten. Diese schwülstige Sprache, die sie sich angewöhnt haben, ist vielleicht gut, Milchmädchen zu rühren; aber, lassen sie sich ein für allemal sagen, daß man uns nicht nach einerley Methode behandeln muß. Ein Frauenzimmer, das den Averroes so lange studirt hat, wie ich, wird durch keine poetische Blümchen gewonnen; man muß uns überzeugen können, wenn man uns rühren will, und die Macht der Wahrheit ist das einzige, was uns nöthigen kan, uns zu ergeben.

Biribinker war es zu sehr gewohnt von den Damen, denen er in die Hände fiel, gehofmeistert zu werden, als daß er sich durch einen Verweiß hätte kleinmüthig machen lassen sollen, der ihm die Mittel zeigte, wodurch man bey den Schülerinnen des Averroes glücklich werden kan; und in der That fühlte er, daß es ihn weit weniger Mühe kosten werde, sie durch die Energie der Wahrheit, als durch spitzfündige und schwülstige Liebes-Erklärungen zu überwältigen. Die Reitzungen der Ondinen übertreffen, nach dem vollgültigen Zeugniß des Grafen von Gabalis, alles, was den Besitz der schönsten unter den Töchtern der Menschen begehrenswürdig macht. Kurz, Biribinker wurde nach und nach so natürlich und überzeugend, als sie es nur wünschen konnte, und ob sie gleich eine genaue Beobachterin dessen war, was man Gradationen nennt, so wußte sie doch die Zeit so gut einzutheilen, daß es eben Nacht wurde, wie der Prinz die Ueberzeugung bis zu derjenigen Evidenz trieb, die keinen Zweifel übrig läßt. Die Geschichte sagt weiter nichts von dem, was zwischen ihnen vorgegangen, als daß sich Biribinker des Morgens, da er erwachte, zu seinem nicht geringen Erstaunen, auf eben dem Ruhebette, in eben dem Zimmer, in eben dem Pallast, und in dem nehmlichen Zustande befand, worinn er des Morgens zuvor gewesen war.

Die schöne Ondine, welche, man weißt nicht warum? sich nicht weit von ihm befand, merkte kaum, daß er erwacht war, als sie ihn, mit einer Anmuth, die ihn vor etlichen Stunden eben so sehr entzückt hatte, als sie ihn jetzt gleichgültig ließ, also anredete: Das Schicksal, mein lieber Biribinker, hat sie dazu ausersehen, sich unglückliche Feen verbindlich zu machen. Da ich das Vergnügen habe, eine davon zu seyn, so ist es billig, daß ich sie berichte, wer ich bin, und wie viel ich ihnen zu danken habe. Wissen sie also, daß ich eine von denjenigen Feen bin, die man Ondinen nennt, weil sie das Element des Wassers bewohnen, aus dessen subtilesten Atomen ihr Wesen zusammen gesetzt ist. Man nannte mich Mirabella, und der Stand einer Fee mit dem Rang, den mir meine Geburt unter den Ondinen gab, hätte mich glücklich machen können, wenn irgend etwas fähig wäre, uns gegen die Einflüsse eines feindseligen Gestirns zu schützen. Das meinige verurtheilte mich, von einem alten Zauberer geliebt zu werden, dem seine tiefe Wissenschaft eine unbegrenzte Gewalt über die elementarischen Geister gab. Allein bey allem dem war er der unangenehmste Mensch von der Welt, und ohne die Freundschaft eines Salamanders, der ein Günstling des alten Padmanaba war – – – –

Wie? rief der Prinz, Padmanaba, sagen sie? der Mann mit dem schneeweissen Ellenlangen Bart, der arme Mädchens, die Langeweile haben, in Nachtgeschirre und kurzweilige Gnomen in Hummeln verwandelt?

Eben dieser, versetzte die Ondine, war es, der sich die Rechte eines Ehemanns über mich anmaßte, ohne zu den Pflichten dieses Characters die mindeste Tüchtigkeit zu haben. Eine meiner Vorgängerinnen, die er in den Armen eines häßlichen Gnomen überraschte, hatte ihn so mißtrauisch gemacht, daß er auf seinen eigenen Schatten eyfersüchtig war. Er hatte alle Gnomen abgeschaft, und dafür lauter Salamander angenommen, deren feurige Natur, wie er dachte, geschickter war, Schrecken als Liebe einzuflössen. Sie erinnern sich ohne Zweifel aus ihrem Ovidius an die schöne Semele, die in der Umarmung eines Salamanders zu Asche wurde. Aber der gute Alte vergaß mit aller seiner Vorsichtigkeit, daß die wässerichte Natur der Ondinen sie vor einer solchen Gefahr vollkommen sichert, und das gedämpfte Feuer der Salamander zu einer sanften Hitze mäßiget, die der Liebe nicht wenig günstig ist. Padmanaba verließ sich so völlig auf seinen Günstling, daß er uns alle Freyheit ließ, die wir nur wünschen konnten. Sie bilden sich vielleicht ein, Prinz Biribinker, daß wir uns diese Gelegenheit nach der Weise materieller Liebhaber zu Nutze gemacht haben würden; aber sie irren sich. Flox, so hieß mein Freund der Salamander, war zu gleicher Zeit der zärtlichste und der geistigste Liebhaber von der Welt. Er merkte gleich, daß mein Herz nur durch den Verstand gewonnen werden könne, und trieb seine Gefälligkeit gegen meine Delicatesse so weit, daß er gar nicht einmal zu bemerken schien, daß ich, wie sie sehen, eine ziemlich feine Haut, eine nicht ganz gleichgültige Figur, und ein paar niedliche kleine Füßchen hatte, mit denen ich im Nothfall so fertig zu reden wußte, als eine andere mit den Augen. Mit einem Wort, er gieng mit mir um, als ob ich lauter Geist gewesen wäre. An statt wie andere Liebhaber mit mir zu tändeln, analysirte er mir die geheimnisvollen Schriften des Averroes; wir sprachen ganze Tage lang von unsern Empfindungen, und ob es gleich im Grund immer eben dieselbigen waren, so wußten wir ihnen doch so vielerley Wendungen zu geben, daß wir immer etwas neues zu sagen schienen, wenn wir in der That immer einerley sagten. Sie sehen, mein Prinz, daß nichts unschuldigers seyn konnte, als unsere Freundschaft, oder, wenn sie es so nennen wollen, unsere Liebe. Und doch konnte uns weder die Lauterkeit unsrer Absichten, noch die Vorsichtigkeit einer jungen Gnomide, die in meinen Diensten, und in der That, ein dummes kleines Ding war, vor den boshaften Beobachtungen so vieler Augen, die der Neid auf uns offen hielt, sicher stellen. Verschiedene Salamander, von den Vorzügen beleidigt, die ich meinem Freund über sie gab, unterstunden sich, über unsern Umgang gewisse Glossen zu machen, die sich (ihrem Vorgeben nach) auf gewisse Vertraulichkeiten gründeten, die sie zwischen uns wahrgenommen haben wollten. Der eine bemerkte, daß ich ausserordentlich munter sey, und daß ein gewisses Feuer in meinen Augen blitze, welches lange Zeit darinn erloschen gewesen war; ein anderer konnte nicht begreiffen, daß meine Lust zur Philosophie groß genug seyn könne, um mir so gar in meinem Schlafzimmer Lectionen darinn geben zu lassen; ein dritter wollte eine gewisse Sympathie unserer Knien und Ellenbogen, und ein vierter ich weiß nicht was für ein geheimes Verständniß zwischen unsern Füssen entdeckt haben. Sie sehen, mein Prinz, daß, wenn auch in einer von den Zerstreuungen, denen die metaphysischen Seelen am häuffigsten unterworfen sind, etwas dergleichen vorgegangen wäre, man doch die Bosheit und materielle Denkungs-Art unserer Feinde haben mußte, um solche Kleinigkeiten zum Nachtheil einer Tugend auszudeuten, die sich jederzeit durch die strengsten Grundsätze in der Sittenlehre in einem festgesetzten Ansehen erhalten hatte.

Inzwischen wurde das Gemurmel unserer Mißgünstigen so laut, daß es endlich auch vor den alten Padmanaba kam, der nur allzu geneigt war, dergleichen Eingebungen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Er wurde desto stärker dadurch aufgebracht, je grösser die Meynung gewesen war, die er von meiner Tugend oder wenigstens von der Kälte meines Bluts gefaßt hatte. Man machte einen Anschlag, uns zu überraschen, und es gelang endlich unsern Feinden, uns in einer von den obgedachten Zerstreuungen anzutreffen, die, zum Unglück, stark genug war, daß wir etliche Augenblicke den Gebrauch unserer Sinne verlohren zu haben schienen. Die donnernde Stimme des furchtbaren Padmanaba weckte mich endlich aus einer Art von Entzückung, worinn es sehr unangenehm ist, unterbrochen zu werden, sie können sich vorstellen, ob ich betroffen war, da ich in einem so delicaten Umstand, mich von so vielen Augen beleuchtet sah. Indeß verließ mich doch die Gegenwart des Geistes nicht ganz; ich bat meinen alten Gemahl, mich nicht eher zu verurtheilen, bis er meine Rechtfertigung gehört hätte, und war im Begriff, ihm aus dem siebenten Capitel der Metaphysik des Averroes zu beweisen, wie betrüglich das Zeugniß der Sinne sey, als er mich mit diesen Worten unterbrach: Ich habe dich zu sehr geliebt, Undankbare, als daß ich fähig wäre, die Rache an dir zu nehmen, die meine beleidigte Ehre fordert. Deine Strafe soll nichts anders als eine Probe der Tugend seyn, an welche du noch Ansprüche zu machen verwegen genug bist. Ich verbanne dich, fuhr er fort, indem er mich mit seinem Stab berührte, in die Bezirke des Parcs, der dieses Schloß umgibt; behalte deine Gestalt und die Vorrechte deines Feen-Standes, aber verliere beydes, und verwandle dich in das häßlichste Crocodill, so oft du mit jemand, wer er auch sey, in eine Zerstreuung fällst wie diejenige war, worinn ich dich hier gefunden habe. Wie sehr bedaure ich, daß es nicht in meiner Gewalt ist, diese Verzauberung unauflößlich zu machen! Aber die Zukunft wird, wie ich besorge, einen Prinzen hervor bringen, dessen wunderbares Gestirn aller meiner Macht Trotz bietet.

Alles, was ich thun kan, ist, die Auflösung meiner Bezauberungen an die Talismanische Kraft eines so seltsamen Namens zu binden, daß er vielleicht in vielen Jahrtausenden in keiner Sprache des Erdbodens wird gehört werden. Nachdem Padmanaba diese geheimnisvollen Worte gesprochen hatte, ward ich durch eine unsichtbare Gewalt in den Brunnen versetzt, wo sie mich zuerst gesehen haben, und bald darauf erfuhr ich, daß der Alte aus Verdruß über meine vermeynte Untreue das Schloß verlassen habe, ohne daß man wisse, was aus ihm oder meinem geliebten Salamander geworden sey. Ich war untröstbar über den Verlust des letztern, und machte meinen Nymphen etliche Tage lang so abscheuliche Gesichter, daß einige davon in Gichter fielen, und andere vor Angst auf der Stelle nieder kamen. Allein wie kein heftiger Schmerz langwierig seyn kan, so währete auch der meinige nur so lange, bis ich mich erinnerte, daß mir Padmanaba doch ein Mittel gelassen hatte, die Ehre meiner Tugend zu retten. Was soll ich ihnen sagen, Prinz Biribinker? Mehr als fünfzig tausend Prinzen und Ritter haben seit mehr als einem Jahrhunderte das Abentheuer vergeblich unternommen, das sie allein fähig waren, zu Stande zu bringen. Von was für Klagen, was für Verwünschungen erschallte nicht dieser Wald, wenn diese Unglücklichen statt einer reitzenden Nymphe, die sie umfangen wollten, plötzlich ein ungeheures Crocodill – – der Abscheu, den eine so demüthigende Erinnerung mir verursacht, läßt mich nicht weiter reden; es ist wahr, diese häßliche Verwandlung hörte sogleich wieder auf, aber jeder neuer Versuch, den sie machen wollten, sie aufzulösen, hatte jedesmal den nehmlichen Erfolg. Dieser Brunnen, welcher ehemals die gewöhnliche Grösse hatte, ist allein durch ihre Thränen so groß und tief worden, daß er, wie sie gesehen haben, einem kleinen See ähnlich sieht; und viele, die sich aus Verzweiflung hinein stürzten, würden einen feuchten Tod darinn gefunden haben, wenn meine Nymphen sie nicht aufgefangen, und wieder mit dem Leben ausgesöhnt hätten. Sie allein, glücklicher Biribinker, waren mächtig genug, eine Bezauberung zu vernichten, die mich in die traurige Nothwendigkeit setzte, so viele tausende zu Zeugen meines Unglücks zu machen.

Aber eben das ist etwas, das ich noch nicht recht einsehe, sagte der Prinz. Wozu hatten sie alle diese Zeugen nöthig? Mir däucht, die Ehre ihrer Tugend, wie sie es nennen, wäre am besten gerechtfertiget worden, wenn sie sich nie in den Fall gesetzt hätten ein Crocodill zu werden. So schliessen sie und ihres gleichen, erwiederte Mirabella. Sagen sie mir einmal, was für Ehre kan eine erzwungene Tugend machen? Welches Frauenzimmer ist nicht fähig, ihren Begierden Gewalt anzuthun, wenn sie zu gleicher Zeit die Unmöglichkeit, sie zu befriedigen, und eine schimpfliche Strafe vor Augen sieht? Aber der Liebe zur Tugend die Furcht der Schande, ja in gewissem Sinn die Tugend selbst aufopfern, das ist ein Grad von moralischem Heldenmuth, dessen nur die edelsten Seelen fähig sind.

Erklären sie mir doch das deutlicher, sagte Biribinker, ich bin sonst eben nicht der dummste, aber ich will gehangen seyn, wenn ich ein Wort von allem, was sie da sagten, verstanden habe.

Unsere Tugend, erwiederte die Fee, ist nur alsdann ein Verdienst, wenn es in unserer Willkühr stehet, ob wir sie behalten oder verlieren wollen. Lucretia würde nie als ein Muster der Keuschheit aufgestellt worden seyn, wenn sie den jungen Tarquinius in die Unmöglichkeit gesetzt hätte, einen Versuch auf ihre Ehre zu machen. Eine alltägliche Tugend würde ihr Schlafzimmer verrigelt haben; die erhabene Lucretia ließ es offen. Sie that noch mehr, sie ergab sich so gar, um Gelegenheit zu haben, durch das grosse Opfer, das sie der beleidigten Tugend brachte, der Welt zu zeigen, daß der kleinste Flecken, der ihren Glanz verdunkelt, mit Blut ausgelöscht zu werden verdient.

Sie sehen aus diesem Beyspiel, mein Prinz, wie weit die geläuterte Denkart grosser Seelen über die gemeinen Begriffe des moralischen Pöbels erhaben ist. Um eine Bezauberung aufzulösen, die meiner Tugend ihren grösten Werth, die Freywilligkeit und das Vergnügen der besiegten Schwierigkeit raubte, mußte ich mich so oft in den Fall setzen sie zu beleidigen, bis ich denjenigen gefunden hatte, der mich von einer Strafe befreyen konnte, wovon die blosse Vorstellung meiner edlen Denkungsart unerträglich war. Nun verstehen sie mich doch, hoffe ich? [...]

Bekümmern sie sich nicht um den Riesen, sagte die Fee; ein Nebenbuler, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstochert, ist nicht halb so fürchterlich, als sie sich einbilden, und ich kenne einen gewissen Gnomen, der ihnen, so klein er ist, mehr Eintrag thun könnte als Caraculiamborix, wenn er gleich noch etliche hundert Ellen länger wäre als er ist. Kurz, sorgen sie für nichts, als wie sie ihre Schäferin wieder besänftigen wollen, das übrige wird sich von selbst geben; und sollten sie ja in Umstände kommen, wo sie meiner Hülfe benöthiget wären, so zerbrechen sie nur dieses Straussen-Ey, das ich ihnen gebe; es wird ihnen, auf mein Wort, keine geringere Dienste thun als die Erbsen-Schotte der Fee Cristalline. Kaum hatte Mirabella das letzte Wort ausgesprochen, so verschwand sie, das Cabinet und der Pallast, und Biribinker befand sich, ohne zu wissen, wie es zugieng, an dem nehmlichen Orte, wo ihn der Riese Caraculiamborix bey seiner Schäferin überfallen hatte. [...]

Man kan nicht erstaunter seyn, als er es über die seltsame Dinge war, die ihm seit seiner Flucht aus dem grossen Bienenkorbe begegnet waren. Er rieb sich die Augen, kneipte sich in die Arme, zog sich bey der Nase, und hätte gerne gefragt, ob er oder ein anderer der Prinz Biribinker sey, wenn er jemand hätte fragen können. Je mehr er nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor, daß alles nur ein Traum gewesen sey; und er fieng schon an, sich in dieser Meynung zu bestärken, als er eine Jägerin aus dem Gebüsch hervor kommen sahe, die an Gestalt und Anstand nichts geringers als Diana selbst zu seyn schien. Ihr grünes Gewand, mit goldnen Bienen durchwürkt, war bis an die Knie aufgeschürzt, und unter ihrem Busen mit einem Gürtel von Diamanten gebunden; ein Theil ihrer schönen Haare war mit einer Perlenschnur in einen Knoten geknüpft, der Rest flatterte in kleinen Locken um ihre weisse Schultern. In der Hand trug sie einen Jagdspieß, und ein goldner Köcher klang auf ihrem Rücken. Dißmal, dachte Biribinker, weiß ich es doch gewiß, daß ich nicht träume, und indem er das dachte, kam ihm die Jägerin so nahe, daß er seine geliebte Galactine in ihr erkannte. Noch niemals war sie ihm so bezaubernd vorgekommen, als in diesem Aufzug, der ihr das Ansehen einer Göttin gab. Er vergaß auf einmal der Cristallinen und Mirabellen, die ihn vor kurzem so sehr bezaubert hatten, und indem er sich zu ihren Füssen warf, bezeugte er sein Vergnügen, sie wieder gefunden zu haben, in so lebhaften Ausdrücken, daß es der getreueste unter allen Liebhabern nicht besser hätte machen können. Allein die schöne Galactine wußte mehr von seinen Begebenheiten, als er sich einbildete. Wie? sagte sie, indem sie ihr anmuthiges Gesicht mit einem Unwillen, der ihm nur neue Reitzungen gab, von ihm wegwandte; unterstehst du dich noch, vor meine Augen zu kommen, nachdem du dich durch wiederhohlte Beleidigungen der Gnade verlustig gemacht, die ich dir schon einmal wiederfahren ließ? Göttliche Galactine, antwortete ihr Biribinker, zürnen sie nicht mit mir, wenden sie ihre Augen nicht so von mir ab, wenn sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle zu ihren Füssen sterben soll. Weg mit diesem Unsinn, sagte die schöne Jägerin, den du gewohnt bist an eine jede zu verschwenden, die dir in den Weg kommt; du hast mich nie geliebt, wankelmüthiger; wer alle liebt, liebt keine.

Niemals, rief Biribinker, mit thränenden Augen, niemals hab ich eine andere geliebt als sie; und das ist so wahr, daß ich darauf schwören wollte, daß alles nur ein Traum war, was mir in einem gewissen Schlosse begegnet ist. Wenigstens versichere ich Ihnen, daß die Zerstreuungen, die sie mir so übel auslegen, ein blosses Spiel der Sinnen waren, woran mein Herz nicht den geringsten Antheil hatte. Eine feine Distinction, erwiederte die Jägerin; Zerstreuungen nennen sie das? ich sage ihnen, daß ich keinen Liebhaber verlange, der solchen Zerstreuungen unterworfen ist. Ich habe die Philosophie des Averroes nie studirt, und ich bin eine so materielle Creatur, daß ich nicht begreiffen kan, wie das Herz meines Liebhabers unschuldig seyn kan, wenn mir seine Sinnen untreu sind – – – –

Vergeben sie mir nur noch dieses einzige mal, sagte Biribinker schluchzend – – Ich, ihnen vergeben? unterbrach ihn die schöne Galactine; und warum sollte ich ihnen vergeben? Sehen sie mich einmal an; ist man vielleicht mit einem Gesicht, wie das meinige, zum Vergeben genöthigt? Oder meynen sie, daß ich, um Liebhaber zu haben, wenn ich ihrer haben will, so gedultig seyn müsse, als sie mich gerne finden möchten? Glauben sie mir, es liegt nur an mir, unter zwanzig andern, zu wählen, die den Werth eines Herzens, das sie so muthwillig von sich werfen, besser zu schätzen wissen.

Diese Worte, ob sie gleich mit einem Blick begleitet waren, der ihre Strenge zum wenigsten um die Hälfte milderte, brachten den armen Biribinker vollends zur Verzweiflung. Was hör ich, rief er, Grausame? So wollen sie dann meinen Tod? Können meine Thränen sie nicht erweichen? Nein, bey allen Göttern! ehe ich zugeben werde, daß ein anderer als Biribinker – – O! verhaßtestes unter allen Ungeheuern, rief die ergrimmte Galactine, lässest du mich noch einmal diesen abscheulichen Namen hören, der mir schon zweymal die Seele durchbort hat? Flieh auf ewig aus meinen Augen, oder erwarte das ärgste von dem immerwährenden Haß, den ich dir und deinem unseligen Namen geschworen habe. [...]

Er selbst befand sich auf dem Rücken eines Delphins, der so sanft mit ihm davon schwamm, daß er keine Bewegung spürte, und die Nymphen und Tritonen, die um ihn her plätscherten, bemühten sich, ihm durch Musik und muthwillige Spiele eine Lust zu machen. Aber Biribinker sahe nur nach dem Orte, wo er seine geliebte Galactine den Wilden hatte überlassen müssen, und da er, so weit sein schärfster Blick reichte, um und um nichts als Wasser sahe, betrübte er sich so herzlich, daß er sich etliche mal in die See stürtzen wollte. Er würde es auch gewiß gethan haben, wenn er nicht besorgt hätte, einer von den Nymphen, die um seinen Delphin schwammen, in die Arme zu fallen; welches ihn, (wie er sehr weißlich davor hielt,) leicht in eine Versuchung hätte setzen können, worinn die ewige Treue, die er seiner Schönen nunmehr angelobt hatte, in Gefahr gekommen wäre. Er trieb dißmal die Vorsichtigkeit so weit, daß er sich ein seidenes Schnupftuch um die Augen band, aus Furcht, von den Schönheiten zu sehr gerührt zu werden, die durch tausend verführerische Bewegungen seinen Augen nachstellten.

Auf diese Weise war er ohne den geringsten widrigen Zufall schon ein paar Stunden fort geschwommen, als er es endlich wagte, das Schnupftuch ein wenig weg zuschieben, um zu sehen, wo er wäre. Er fand zu seiner grossen Beruhigung, daß die Nymphen verschwunden waren; hingegen gewahrete er in der Ferne etwas, das wie der Rücken eines grossen Gebürges über die Wellen hervor ragte; er merkte auch, daß die See ausserordentlich ungestümm wurde, und bald darauf erhub sich ein so entsetzlicher Sturmwind mit so gewaltigen Regengüssen, daß es nicht anders war, als ob ein ganzer Ocean aus der Luft herab stürzte.

Der Urheber dieses Unwesens war ein Wallfisch, aber ein Wallfisch, dergleichen man nicht alle Tag sieht; denn diejenigen, die man an den Grönländischen Küsten zu fangen pflegt, waren in Vergleichung mit ihm nicht viel grösser als die winzigen Thierchen, die man durch Vergrösserungs-Gläser bey vielen tausenden in einem Tropfen Wassers herum schwimmen sieht. So oft er schnaubte, welches gemeiniglich alle vier Stunden geschah, so entstund ein Sturmwind, und die Wasserströme, die er aus seinen Naslöchern ausspritzte, verursachten Platzregen und Wolkenbrüche auf fünfzig Meilen in die Runde. Die Bewegung des Meers war so heftig, daß Biribinker sich nicht länger auf seinem Delphin erhalten konnte, sondern sich den Wellen überlassen mußte, die ihn wie einen Ball herum schleuderten, bis er zuletzt von der Luft, die der Wallfisch einathmete, wie von einem Wirbelwind ergriffen, und durch eines von den Naslöchern des Ungeheuers hinab gezogen wurde. Er fiel ein paar Stunden lang in einem fort, ohne daß er in der Betäubung wußte, wie ihm geschah; endlich aber merkte er, daß er in ein grosses Gewässer fiel, womit eine Höle im Bauch des Wallfisches angefüllt war. Es war ein kleiner See, der etwan fünf bis sechs deutsche Meilen im Umkreiß hatte; und vermuthlich würde Biribinker das Ende aller seiner Abentheuer darinn gefunden haben, wenn er nicht zu gutem Glück, sich so nah am Ufer einer Insel oder Halbinsel gesehen hätte, daß er kaum zwey hundert Schritte zu schwimmen hatte, um auf dem Trocknen zu seyn.

Die Noth, die Erfinderin aller Künste, lehrte ihn dißmal schwimmen, ob es gleich das erstemal in seinem Leben war. Er kam glücklich ans Ufer, und nachdem er sich auf einem Felsen, der zwar wie andere Felsen von Stein, aber so weich wie ein Polster war, zurecht gesetzt hatte, erquickte er sich, indeß daß seine Kleider an der Sonne trockneten, an den lieblichen Gerüchen, die ihm ein kühler Landwind aus einem Wald von Zimmet-Stauden, der das Ufer bekränzte, entgegen wehte. [...]

Allein die Fische sangen immer fort, ohne ihm zu antworten, oder nur Acht darauf zu geben, was er sagte.

Er gab es also endlich auf, und gieng immer weiter fort, bis er in einen grossen Krautgarten kam, der mit allen Arten von Salat, Wurzel-Werk, Schotten- und Ranken-Gewächsen besetzt war, die dem Ansehen nach, ohne Pflege, wiewohl so schön als nur möglich ist, in regellosem Ueberfluß hervor wuchsen. Indem er sich nun so gut er konnte, einen Weg durch diese Wildniß machte, stieß er von ungefehr mit dem rechten Fuß an einen grossen Kürbis, der so ziemlich dem Wanst eines schinesischen Mandarins gleich sahe, und den er unter seinen breiten Blättern nicht gleich wahrgenommen hatte.

Herr, Biribinker, rief ihm der Kürbis zu, ein andermal seyn sie so gut, und schauen ein wenig unter ihre Füsse, eh sie einem ehrlichen Kürbis auf den Nabel treten. Ich bitte sehr um Vergebung, Herr Kürbis, sagte Biribinker; es geschah in der That nicht aus Vorsatz, und ich würde mich gewiß besser vorgesehen haben, wenn ich hätte vermuthen können, daß die Kürbisse in dieser Insel so wichtige Personen sind, als ich nun sehe. Indeß bin ich doch erfreut, daß mir dieser kleine Zufall das Vergnügen verschaft hat, mit ihnen Bekanntschaft zu machen; denn ich hoffe, sie werden mir die Gefälligkeit nicht versagen, mich zu belehren, wo ich bin, und was ich aus allem machen soll, was ich hier sehe und höre?

Prinz Biribinker, antwortete der Kürbis, ihre Gegenwart ist mir allzu angenehm, als daß ich mir nicht das gröste Vergnügen daraus machen sollte, ihnen alle die kleinen Dienste zu leisten, die von mir abhangen. Sie befinden sich im Bauch eines Wallfisches, und diese Insel – – Im Bauch eines Wallfisches, rief Biribinker, indem er ihn unterbrach – – das übertrift noch alles, was mir bisher begegnet ist. Nun schwöre ich ihnen, Herr Kürbis, daß ich mich in meinem Leben über nichts mehr verwundern will. Wahrhaftig! wenn es im Bauch eines Wallfisches Luft und Wasser, Inseln und Lustgärten, ja wie ich merke, Sonne, Mond und Sterne gibt, wenn die Felsen darinn so weich wie Polster sind, die Fische singen, und die Kürbisse reden – – Was diesen Punct betrifft, unterbrach ihn der Kürbis gleichfalls, so belieben sie sich sagen zu lassen, daß ich hierinn einen Vorzug vor allen andern Kürbissen, Gurken und Melonen in diesem Garten habe; sie hätten hundert andere mit Füssen tretten können, ohne nur einen Ton von ihnen heraus zu bringen – – – –

Ich bitte sie nochmals um Vergebung, erwiederte der Prinz – – das haben sie gar nicht nöthig, sagte der Kürbis; ich versichere ihnen, es wäre mir leyd, wenn es mir nicht begegnet wäre; ich warte hier schon so lange auf ihre Ankunft, und die Zeit wurde mir endlich so lange, daß ich schon zu verzweiffeln anfieng, diese glückliche Begebenheit jemals zu erleben. Glauben sie mir für einen, der nicht dazu gebohren ist, ist es eine verdrießliche Sache, hundert Jahre lang ein Kürbis zu seyn, zumal wenn man die Conversation liebt und gute Gesellschaft gewohnt ist. [...]

Sie sagen mir von einem seltsamen Pallast, unterbrach ihn Biribinker abermal; aber wenn er aus Flammen erbaut ist, wie kan er denn unsichtbar seyn? darinn besteht eben das wunderbare von der Sache, antwortete der Kürbis; es mag nun möglich oder unmöglich seyn, so ist es nicht anders; sie können den Pallast nicht sehen, wenigstens nicht in dem Stande, worinn sie jetzt sind; aber gehen sie nun ungefehr zwey hundert Schritte gerade fort, so wird die Hitze, die sie empfinden werden, sie bald genug überzeugen, daß ich ihnen die Wahrheit sage.

Die ausserordentliche Dinge, welche Biribinker bereits im Bauche des Wallfisches gesehen hatte, (und was kan man auch im Bauch eines Wallfisches anders erwarten als ausserordentliche Dinge?) hätten ihn billig geneigt machen sollen, alles glaubwürdig zu finden, was man ihm sagte; dem ungeachtet war er dißmal so eigensinnig, daß er nur sich selbst glauben wollte. Er gieng also auf den unsichtbaren Pallast zu; aber kaum war er hundert Schritte fortgegangen, so spürte er bereits einen merklichen Grad von Hitze, die ihm mit einem gewissen unsichtbaren Glanz, der ihm die Augen übergehen machte, entgegen kam. Die Wärme und der Glanz nahmen immer zu, je weiter er fortgieng, bis beyde in kurzem so durchdringend wurden, daß es nicht länger auszustehen war. Er gieng also wieder zurück, und suchte seinen Freund, den Kürbis, der ihm, so bald er ihn wieder kommen hörte, entgegen rief. Nun, Prinz Biribinker, werden sie mir künftig glauben, wenn ich ihnen etwas sage? Wenigstens begreiffen sie doch, hoffe ich, daß nichts natürlichers seyn kan, als daß ein Pallast von gediegenen Flammen vor Hitze unzugangbar, und vor lauter Glanz und Schimmer unsichtbar ist.

Ich begreiffe das in der That viel besser, antwortete Biribinker, als wie ich hinein kommen werde; denn das sag ich ihnen, ich spüre eine unwiderstehliche Begierde in mir, in diesen Pallast hinein zu gehen, und wenn es mir auch das Leben kosten sollte, so kan ich – – So viel soll es sie nicht, kosten, fiel ihm der Kürbis in die Rede. Wenn sie sich gefallen lassen wollen, zu thun was ich ihnen sage, so wird ihnen der Pallast sichtbar werden, und sie werden eben so sicher hinein gehen können, als ob es eine Strohhütte wäre. Sie brauchen nur ein ganz leichtes Mittel dazu, und das ihnen nicht mehr kosten wird als einen einzigen kleinen Sprung – – Halten sie mich nicht lange mit Räthseln auf, Herr Kürbis, sagte Biribinker; was ist zu thun? es mag nun etwas leichtes oder schweres seyn, so sehen sie mich bereit alles zu wagen, um in ein Schloß zu kommen, das von lauter Glanz unsichtbar ist.

Ungefehr sechzig Schritte hinter jenen Granatbäumen, versetzte der Kürbis, werden sie in einem kleinen Labyrinth von Jasmin und Rosenhecken einen Brunnen finden, der sich von einem andern Brunnen durch nichts unterscheidet, als daß er statt des Wassers mit Feuer angefüllt ist. Gehen sie, Prinz, baden sie sich in diesem Brunnen, und in einer Viertelstunde ungefehr kommen sie wieder, und sagen mir, wie ihnen das Bad zugeschlagen hat.

Sonst nichts als das? sagte Biribinker, mit einer Mine, die mehr verdrießlich als hönisch war; ich glaube, sie sind nicht klug, Herr Kürbis – – ich soll mich in einem feurigen Brunnen baden, und hernach wieder kommen, und ihnen sagen, wie mir das Bad bekommen hat? Hat man auch jemals so was tolles gehört! – – Ereyfern sie sich nur nicht so, versetzte der Kürbis, es steht ja bey ihnen, ob sie in den unsichtbaren Pallast kommen wollen oder nicht, und wenn sie sich nicht so entschlossen erklärt hätten, wie sie gethan haben, so wäre mirs in der That nie eingefallen, ihnen einen solchen Antrag zu machen. [...] 

Kürbis, mein guter Freund, erwiederte Biribinker, ich merke, daß ihr euch ein wenig lustig mit mir machen wollt, aber ich muß euch sagen, daß ich jetzt nicht im Humor bin, Spaß zu verstehen. Ich verlange nicht als eine abgeschiedene Seele in den Pallast zu kommen – – Das sollen sie auch nicht, sagte der Kürbis! das feurige Bad, das ich ihnen vorschlage, ist nicht so gefährlich als sie sichs einbilden, und Padmanaba selbst bedient sich desselben alle drey Tage; sonst würde er eben so wenig in einem Pallast von gediegenem Feuer wohnen können, als sie. Denn ob er gleich, ausser dem grossen Caramussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt, der gröste Zauberer in der ganzen Weit ist, so ist er doch von eben so irrdischer Natur und Abkunft als sie. [...]

 Gut, sagte Biribinker, wir wollen sehen was zu thun seyn wird! Vielleicht sollte ich nicht so viel Zutrauen in sie setzen als ich thue; allein der Zug meines Schicksals ist stärker als meine Vernunft; ich will gehen, und wenn sie binnen einer Viertelstunde nichts von mir hören, so ergeben sie sich nur gedultig darein, ein Kürbis zu bleiben, bis Padmanaba von sich selbst entweder verliebt oder eyfersüchtig zu seyn aufhört.

Mit diesen Worten machte er dem Kürbis sein Compliment, und gieng denn Labyrinth zu, wo der feurige Brunnen seyn sollte. Er fand ein grosses rundes Becken, mit breiten Steinen von Diamant ausgemauert, und mit einem Feuer angefüllt, welches, ohne von irgend einer sichtbaren Materie genährt zu werden, in schlängelnden Blitzen empor loderte, und unschädlich die dichten Büsche von Rosen leckte, die rings umher über den Brunnen sich wölbten. Unzähliche Farben spielten mit der anmuthigsten Abwechslung in diesen wundervollen Flammen, und statt des Rauchs ergoß sich ein lauer unsichtbarer Dampf von den lieblichsten Gerüchen umher. Biribinker betrachtete dieses Wunder eine geraume Zeit mit einer Unschlüßigkeit, die einem Feen-Helden wenig Ehre macht, und er würde vielleicht noch immer am Rande des Brunnens stehen, wenn ihn nicht, da er sichs am wenigsten versah, eine unsichtbare Gewalt mitten in die Flammen geworfen hätte. Er erschrack so sehr, daß er vor Angst nicht schreyen konnte; aber da er spürte, daß ihm dieses Feuer kein Haar versengte, und an statt ihm nur den geringsten Schmerz zu verursachen, sein ganzes Wesen mit einer wollüstigen Wärme durchdrang, so faßte er sich bald wieder, und in kurzem gefiel es ihm so wohl darinn, daß er in den feurigen Wellen herum plätscherte, wie ein Fisch in frischem Wasser. Vielleicht würde er weit länger als die vorgeschriebene Zeit in einem so angenehmen Bade zugebracht haben, wenn ihn nicht die immer zunehmende Hitze zuletzt heraus getrieben hätte. Er sprang also wieder heraus, aber wie sehr erstaunte er, da er sich nicht nur so leicht und unkörperlich fühlte, daß er wie ein Zephyr über dem Boden hin schwebte, sondern auf einmal einen Pallast erblickte, dessen Glanz und Schönheit alles übertraf, was ein menschliches Auge jemals gesehen hat. Er stund eine gute Weile wie ausser sich selbst, und sein erster Gedanke, da er wieder denken konnte, war an die Schönheit, die ein so herrlicher Pallast in sich schliessen müsse; [...]

Viel Glücks, tapferer und liebenswürdiger Biribinker, rief ihm der wortreiche Kürbis nach; fahre wohl, du Blume und Zierde aller Feen-Ritter, und möge das Abentheuer, dem du so muthig entgegen gehst, einen Ausgang gewinnen, dergleichen noch kein Märchen gehabt hat, seitdem es Feen und Ammen in der Welt gibt. Gehe, weiser Königs-Sohn, wohin dich dein Schicksal zieht; aber hüte dich die Warnungen eines Kürbis zu verachten, der dein guter Freund ist, und vielleicht tieffere Blicke in die Zukunft thut, als irgend ein Calender-Macher in der Christenheit.

Der Kürbis merkte nicht, indem er diese schöne Abschieds-Rede hielt, daß der Prinz schon durch den ersten Schloßhof gegangen war, ehe er noch zu reden aufgehört hatte. Biribinker war jetzt ganz und gar von dem Abentheuer eingenommen, das er vor sich hatte, und seine Einbildungs-Kraft, die in dem feurigen Bad einen ausserordentlichen Schwung erhalten hatte, stellte ihm die schöne Salamandrin, die er bald zu sehen hofte, mit so unwiderstehlichen Reitzungen vor, daß er sich des Wunsches nicht enthalten konnte, seinem Milchmädchen nur dieses einzige mal noch ungetreu seyn zu können. [...]

Mademoiselle, rief Biribinker, so bald er vor Lachen reden konnte; ich unterstehe mich eben nicht, mich für einen Kenner auszugeben; aber in der That, es kan ihrer Freundin nicht Ernst seyn, wenn sie sich, was die Schönheit betrift, mit ihnen in einen Wettstreit einlassen will; der Vorzug, den sie in diesem Stück haben, ist augenscheinlich, und es ist unmöglich, daß der gute Geschmack der Herren Gnomen ihnen hierüber nicht vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen sollte.

Die erste Gnomide schien durch diese Entscheidung nicht wenig beleidiget zu seyn, allein Biribinker, der vor Ungedult brannte, die schöne Salamandrin zu sehen, bekümmerte sich wenig um alles, was sie zwischen ihren langen Zähnen murmelte, und zog sich wieder zurück, nachdem er der ganzen liebreitzenden Gesellschaft eine gute Nacht gewünscht hatte. Statt der Antwort schickten sie ihm ein lautes Gelächter nach, um dessen Bedeutung er sich wenig bekümmerte, da er jetzo den Pallast vor sich stehen sahe, dessen unbegreifliche Schönheit seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Nachdem er ihn eine geraume Weile voller Bewunderung betrachtet hatte, sahe er, daß die beyden Flügel der Pforte sich aufthaten. Er konnte dieses nicht anders als für ein Zeichen ansehen, daß seine Unternehmung mit dem glücklichsten Ausgang bekrönt werden würde. [...]

Biribinker warf nur einen flüchtigen Blick auf dieses majestätische Schauspiel, denn er gewahrte am Ende des Gartens einen Pavillion, in welchem er seine schöne Salamandrin zu finden hofte. Er flog dahin, und die Thüre öfnete sich abermal von selbst, um ihn durch einen grossen Saal in ein Cabinet einzulassen, wo er niemand sah als einen Greisen von majestätischem Ansehen, mit einem langen schneeweissen Bart, der auf einem Ruhebette in tiefem Schlafe zu liegen schien. Er zweifelte nicht, daß es der alte Padmanaba sey, und ob er gleich versichert war, daß er keine Gewaltthätigkeit von ihm zu besorgen hatte, so konnte er sich doch nicht erwehren, ein wenig zu zittern, da er sich, mit den Absichten, die er hatte, so nah bey diesem Zauberer und an einem Orte sah, wo alles demselben zu Gebot stund. Doch der Gedanke, daß ihn das Schicksal nun einmal dazu ausersehen habe, die Bezauberungen des Padmanaba zu zerstören, und das Verlangen, die schöne Salamandrin zu sehen, gaben ihm in wenig Augenblicken seinen ganzen Muth wieder. Er war im Begriff sich dem Ruhebette zu nähern, um sich eines Säbels zu bemächtigen, der neben dem Alten auf einem Küssen lag, als er merkte, daß er mit dem Fuß an etwas stieß, ob er gleich nicht sahe, was es seyn könnte. Er stutzte, und da er die Hände zu Hülfe nahm, so fühlte er den artigsten kleinen Fuß, der je gewesen ist, auf einem Polster ausgestreckt. Eine so unverhofte Entdeckung machte ihn neugierig, das Bein kennen zu lernen, dem ein so artiger Fuß zugehörte, denn Biribinker schloß in diesem Falle wie Sanct Thomas von Aquino selbst geschlossen haben würde, nehmlich, daß, wo man einen Fuß finde, man nach dem ordentlichen Lauf der Natur berechtigst sey ein Bein zu erwarten. Er setzte also seine Beobachtungen fort, und entdeckte endlich von Schönheit zu Schönheit in der unsichtbaren Figur, die er vor sich hatte, ein junges Frauenzimmer, die in einem tiefen Schlaf versenkt zu seyn schien, und (nach dem Zeugniß des einzigen Sinnes, der ihm ihr Daseyn verrathen hatte, zu urtheilen) von einer so vollkommenen Schönheit war, daß sie nichts geringers als entweder Venus oder die schöne Salamandrin selbst seyn konnte. [...]

Biribinker erschrack und bebte von der schönen Unsichtbaren zurück, denn sein erster Gedancke war, daß dieses Getöse den schlafenden Zauberer aufwecken würde; aber er entsetzte sich noch weit mehr, da er sah, daß Padmanaba verschwunden war.

Dieser Zauberer war alt genug um klug zu seyn; er wußte schon lange, wie gefährlich ihm Biribinker einst seyn würde, und die Furcht vor einem Prinzen, der dazu gebohren schien, seine Bezauberungen aufzulösen, war der stärkste Beweggrund gewesen, warum er seine Residenz in des Wallfisches Bauch aufgeschlagen hatte. Allein auch in dieser Freystatt hielt er sich und seine schöne Salamandrin, die nun der einzige Gegenstand seiner Sorgen war, nicht für sicher genug; und da ihm eine geheime Ahnung vorher sagte, daß ihn Biribinker bis in des Wallfisches Bauch verfolgen würde, so glaubte er nicht genug Vorsicht gebrauchen zu können, um das Unglück zu verhüten, womit ihn die überraschende Erscheinung eines so furchtbaren Gegners bedräute. In dieser Absicht hatte er seine Geliebte mit einem geheimnisvollen Talisman bewafnet, der die gedoppelte Eigenschaft hatte, sie allen andern Augen als den seinigen unsichtbar zu machen, und so bald er berührt wurde, eine zauberische Musik hervor zu bringen. Käme auch Biribinker, (dachte der alte Padmanaba) aller Schwierigkeiten ungeachtet, in den Bauch des Wallfisches, ja selbst in den unsichtbaren Pallast, so würde ihm doch die schöne Salamandrin unsichtbar seyn; und entdeckte er sie auch, trotz ihrer Unsichtbarkeit, so würde doch, so bald er den Talisman berührte, das musicalische Getöse sein Daseyn verrathen, und ihn Padmanaba noch zeitig genug in den Stand setzen, seinem Unstern zuvor zu kommen. Diese Vorsicht war desto nöthiger, da der gute Alte seit mehrern Jahren mit einer Art von Schlafsucht behaftet war, die ihn nöthigte, alle Tage wenigstens sechszehen Stunden von vier und zwanzig zu verschlafen. Das geringe Zutrauen, das ihm seine vorige Liebste zu ihrem ganzen Geschlecht übrig gelassen hatte, bewog ihn, die schöne Salamandrin während der ganzen Zeit seines Schlummers in einen bezauberten Schlaf zu versenken, aus welchem niemand als er sie erwecken konnte. Der einzige Biribinker würde unter gewissen Umständen und Bedingungen, die nehmliche Macht gehabt haben, und Padmanaba, (so wollt es das Schicksal!) würde in eben demselben Augenblick die seinige, wenigstens über die schöne Salamandrin gänzlich verlohren haben; und da alles dieses während daß der Alte schlief, gar leicht hätte begegnen können, so hatte er den Talisman, der ihn erwecken sollte, so weißlich angebracht, daß Biribinker, (in so fern man ihm auch nur eine mittelmäßige Neugierigkeit zutrauen konnte) ihn nothwendig finden mußte.

Hier konnte Don Sylvio sich nicht enthalten die Erzählung des Don Gabriel zu unterbrechen, indem er ihn ersuchte, sich über den Umstand mit dem Talisman etwas deutlicher zu erklären; ich finde sie, wider ihre Gewohnheit, eine Weile her etwas dunkel, (setzte er hinzu) und ich gestehe ihnen, daß ich von allem, was sie bey Gelegenheit der Erwachung des alten Padmanaba sagten, kaum die Helfte verstanden habe. Die ganze Gesellschaft, selbst die schöne Hyacinthe nicht ausgenommen, lächelte über diese Anmerkung, und Don Gabriel wußte sich nicht anders zu helfen, als daß die Dunkelheit, worüber Don Sylvio sich beklagte, in der Sache selbst liege, und daß überhaupt wenige Feen-Geschichten gefunden werden, welche durchaus so deutlich und begreiflich seyen, als es zu wünschen wäre. Weil nun Don Sylvio sich mit dieser Entschuldigung zu begnügen schien, so fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung also fort:

Kaum hatte Biribinker, in dem nehmlichen Augenblick, da er entdeckte, daß der schöne Fuß (der zu diesem Abentheuer Anlaß gegeben) einem eben so schönen jungen Frauenzimmer zugehöre, den fatalen Talisman berührt, so fieng, wie schon gemeldet worden, der Talisman zu musiciren an, und Padmanaba erwachte. Er warf, wie leicht zu erachten ist, keinen sehr freundlichen Blick auf unsern Prinzen; allein, da er mit Gewalt nichts gegen ihm vermochte, so blieb ihm nichts übrig, als sich auf der Stelle unsichtbar zu machen, und mit aller nur möglichen Eilfertigkeit auf die Verhinderung des Vorhabens bedacht zu seyn, welches er, ohne in einem übertriebenen Grad argwönisch zu seyn, bey Biribinker voraus setzen konnte. [...]

Bey diesen Worten sahe der allzu unglückliche Biribinker auf, heftete einen Blick voll unbeschreiblicher Empfindungen auf sein geliebtes Milchmädchen, und sank mit einem Seufzer, worinn er seine Seele auszuhauchen schien, wieder zurück, ohne das Vermögen zu haben, nur ein Wort hervor zu bringen. Lerne, rief ihm der alte Padmanaba von der andern Seite zu, lerne bewundernswürdiger Biribinker, seltnes Muster der Weißheit und der Beständigkeit, daß der alte Padmanaba nicht alt genug ist, deine Verwegenheit unbestraft zu lassen; und möge deine Geschichte, in immerwährender Zeitfolge von einer Amme der andern überliefert, der späten Nachwelt zum Beyspiel dienen, wie gefährlich es ist, den grossen Caramussal um sein Schicksal zu befragen, und vor seinem achtzehnten Jahr ein Milchmädchen zu sehen.

Kaum hatte Padmanaba den Mund wieder zugethan, so hörte man auf einmal ein fürchterliches Donnern, mit Sturmwind und Blitzen begleitet, wodurch der ganze Pallast, wie in einem Erdbeben erschüttert, und die ganze Gesellschaft, den einzigen verzweiflungsvollen Biribinker ausgenommen, in Furcht gesetzt wurde! denn selbst der alte Padmanaba merkte, daß dieses Ungewitter von einer Macht herkomme, die der seinigen überlegen war. Auf einmal flog die Decke des Zimmers und das ganze Dach des Pallasts hinweg, und man sah, unter Donnern und Blitzen, den grossen Caramussal, auf einem Hippogryfen sitzend, herab steigen, und zwischen der Fee Caprosine und dem alten Padmanaba seinen Platz auf einer Wolke nehmen. Der Prinz Biribinker ist genug gestraft, rief Caramussal mit majestätischer Stimme; das Schicksal ist befriedigst, und ich nehme ihn in meinen Schutz. Verschwinde nichtswürdiger Wechselbalg, fuhr er fort, indem er die Gnomide mit seinem Stab berührte, und sie, Prinz Biribinker, wählen sie unter diesen vier Schönen, welche sie wollen; die Salamandrin, die Sylphide, die Ondine, oder die Sterbliche; diejenige, so ihr Herz wählen wird, soll ihre Gemahlin seyn, und sie von der Unbeständigkeit heilen, die bisher, wie man gestehen muß, ihr Fehler gewesen ist – – Padmanaba würde, vor Verdruß über eine so unerwartete Entwicklung gerne mit den Zähnen geknirscht haben, wenn er welche gehabt hätte. Was die Schönen betrift, so hatten sie alle ihre Augen mit Erwartung auf den Prinzen geheftet, und besonders sahe man der jungen Salamandrin, die noch kein Wort gesprochen hatte, ganz deutlich an, daß sie lieber gesehen hätte, wenn der alte Padmanaba, an statt die garstige Gnomide an ihren Platz zu schieben, ihr erlaubt hätte, ihre eigene Stelle selbst zu vertreten. Aber Biribinker, der in einem Augenblick von dem äussersten Grad der Schaam und der Verzweiflung auf den höchsten Grad der Glückseligkeit übergieng, bedachte sich keinen Augenblick, wie er wählen wollte. Ob gleich die elementarischen Damen sein Milchmädchen an Schönheit weit hinter sich zurück liessen, so konnten doch alle ihre Reitzungen in Gegenwart seiner geliebten Galactine mehr nicht als einen flüchtigen Blick von ihm erhalten. Er warf sich vor dieser anmuthsvollen Creatur nieder, und bat mit den Ausdrücken einer so aufrichtigen Reue, einer so wahren Liebe um die Vergebung seiner Schuld, daß sie nicht so unbarmherzig seyn konnte, ihm nicht wenigstens die Hofnung, daß sie sich noch erbitten lassen werde, zu erlauben. Caramussal, dem er sich gleichfalls zu Füssen warf, hob ihn auf, nahm ihn bey der Hand, und führte ihn der Princeßin Galactine zu. Empfangen sie hier, liebenswürdige Princeßin, den Prinzen Cacamiello von meiner Hand, denn dieses ist nunmehr sein Name, da die Absichten, warum ich ihm den andern geben ließ, erfüllt sind; Biribinker und Milchmädchen sind nun nicht mehr, und nachdem beyde dem Eigensinn ihres Gestirns genug gethan, und der Feerey ihre Gebühr bezahlt haben, so bleibt mir nichts übrig als den Prinzen Cacamiello seinen königlichen Eltern zurück zu geben, und durch ein ewiges Band mit der Princeßin Galactine zu vereinigen. [...]

Und hier endet sich die eben so lehrreiche als wahrhafte Geschichte des Prinzen Biribinkers, (setzte Don Gabriel hinzu) bey der ich meinen Zweck vollkommen erreicht habe, wenn sie ihnen keine lange Weile gemacht, und die schöne Hyacinthe von ihrem Vorurtheil gegen die Feerey zurück gebracht haben kan.  (6.Buch 1.-2. Kapitel)


3. Kapitel Anmerkungen über die vorstehende Geschichte.

Wenn das ihre Absicht gewesen ist, Don Gabriel, sagte Hyacinthe, so bedaure ich, daß sie solche so wenig erreicht haben, als nur möglich ist. Wenn ich ihnen die Wahrheit sagen soll, so halte ich es für unmöglich, das abentheurliche und ungeräumte weiter zu treiben, und Don Sylvio müßte wohl sehr gut seyn, wenn er nicht schon lange gesehen hätte, daß ihre Absicht ist, die Feen um allen ihren Credit bey ihm zu bringen. Sie urtheilen sehr strenge, versetzte Don Eugenio; es ist wahr, daß die Natur in dieser ganzen Geschichte vom Anfang bis zum Ende auf den Kopf gestellt ist, daß die Characters eben so ungereimt als die Begebenheiten unglaublich sind, und daß, wenn man die einen und die andern nach den Gesetzen der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit beurtheilen wollte, nichts tollers erdacht werden kan. Allein das wäre nicht billiger, als wenn man das Clima von Siberien nach dem Clima von Valencia, oder die Höflichkeit der Schineser nach der unsrigen beurtheilen wollte. Das Land der Feerey liegt ausserhalb der Grenzen der Natur, und wird nach seinen eigenen Gesetzen, oder richtiger zu sagen, (wie gewisse Republicken, die ich nicht nennen will) nach gar keinen Gesetzen regiert. Man kan ein Feen-Mährchen nur nach andern Feen-Mährchen beurtheilen, und in diesem Gesichtspunct finde ich den Biribinker nicht nur so wahrscheinlich und lehrreich, sondern in allen Betrachtungen weit interessanter, (die vier Facardins vielleicht allein ausgenommen) als irgend ein anders Mährchen in der Welt. Ich möchte doch, zum Exempel, wissen, was sie lehrreiches in diesem Mährchen finden, fragte Hyacinthe. Moralisten von Profeßion erwiederte Don Eugenio, Leute, die im Stande sind, ein ganzes System von Sittenlehre aus einer Elegie des Tibullus auszuziehen, würden ohne Zweifel geschickter seyn als ich, diese Frage zu beantworten. Aber, damit ich meinen Satz nicht ganz unerwiesen lasse, wird nicht in dieser Geschichte die Ausschweiffung und das Laster durchgängig bestraft? wird nicht die Unschuld in der Person des Milchmädchens am Ende belohnt? und ist nicht das Ganze eine sehr überzeugende Bestättigung der moralischen Maxime: Daß der Vorwitz über unser künftiges Schicksal, in der Absicht, uns demselben zu entziehen, thöricht und gefährlich sey. Hätte der König mit dem grossen Wanst den grossen Caramussal unbefragt gelassen, so würde man nie gewußt haben, daß es gefährlich für den Prinzen seye, vor seinem achtzehnten Jahr ein Milchmädchen zu sehen, und so würde er auch den Namen Biribinker nie bekommen haben. Er würde wie andere Prinzen am Hofe seines Vaters aufgewachsen seyn, und wenn es Zeit gewesen wäre ihn zu vermählen, so würde man durch Gesandte um die Princeßin Galactine haben werben lassen, und alles wäre den natürlichen Gang fortgegangen. [...]


Siebtes Buch 3. Kapitel

"[...] Die vermeynte Carabosse, welche unsern Helden des Morgens nach seiner Entweichung im Walde angetroffen hatte, war eben diese Zigäunerin, die wir eine Hauptperson in der Geschichte der Hyacinthe vorstellen gesehen haben. Der Leser erinnert sich vielleicht noch, daß der indiscrete Vorwitz des Corregidor von Sevilla diese würdige alte Dame genöthigt hatte, sich so weit als möglich von dieser Hauptstadt zu entfernen. Zum Unglück waren ihr Name, ihre Person und ihre Verdienste in jeder andern Provinz von Spanien so rühmlich bekannt, daß sie nicht wußte, wohin sie fliehen sollte, um nicht dem nehmlichen Schicksal, dem sie entgehen wollte, in die Hände zu lauffen. In dieser Noth fiel ihr Hyacinthe ein, von der sie durch eine von ihren alten Freundinnen erfahren hatte, daß sie auf dem Theater zu Grenada im Besitz der allgemeinen Bewunderung sey. Sie machte sich so unkenntlich als sie konnte, und kam an dem nehmlichen Tage in Grenada an, da Hyacinthe abgereist war. Sie erfuhr von einer Schauspielerin alles, und einen guten Theil mehr als das, was man von des Don Eugenio Neigung und Absichten für Hyacinthen wußte. Diese Nachricht zeigte ihr ein Mittel, sich durch den Dienst, den sie im Stande war, diesem jungen Cavalier zu leisten, einen Beschützer und eine sichere Zuflucht zu verschaffen. Sie eilte also so sehr als sie konnte, um noch vor Hyacinthen zu Valencia anzukommen, und sie war würklich auf dieser Reise begriffen, als sie von ungefehr mit unserm Abentheuer zusammen kam. Einige Meilen über Xelva traf sie durch einen ähnlichen Zufall in dem Wirthshause, wo sie übernachtete, einen Verwalter des Don Eugenio an, der im Begriff war von einem Gut, so sein Herr in der Nähe von Valencia hatte, nach Lirias abzugehen. Von diesem erfuhr sie, daß sie nichts zu thun hätte als wieder umzukehren, wenn sie seinen Herrn sprechen wollte; und da sie ihm Sachen von der äussersten Wichtigkeit zu entdecken haben wollte, so war der Verwalter höflich genug, ihr seine Gesellschaft anzubieten. Sie kam also zu Lirias an, und das Schicksal wollte, daß es gerade zu einer solchen Zeit geschah, da die Anwesenheit der Donna Mencia ihre Entdeckungen gültig machen konnte. Don Eugenio kam in wenigen Augenblicken mit der Zigäunerin zurück. Hier bringe ich ihnen, sagte er zu Donna Mencia, eine Frau, die sich davor ausgibt, daß sie Eu. Gnaden eine verlohrne Nichte wieder zustellen könne. Die liebenswürdige Hyacinthe that vor Bestürzung einen Schrey, wie sie ihrer Pfleg-Mutter ansichtig wurde, und diese fiel, so bald sie Donna Mencia erblickte, zu ihren Füssen, und bat um die Vergebung einer grossen Uebelthat, deren sie gegen diese Dame schuldig zu seyn bekannte. Sie erzählte hierauf mit allen Umständen des Orts und der Zeit, auf was für eine Weise es ihr geglückt habe, ihre Nichte, Donna Seraphina, als ein dreyjähriges Kind wegzustehlen; daß das junge Frauenzimmer, welches sie glücklich genug sey unter dem Namen Hyacinthe in dieser Gesellschaft wieder zu finden, eben diese Donna Seraphina sey, und daß sie zu dessen vollgültigem Beweiß eine kleine goldene Kette mit einem Creutz aufbewahrt habe, welches die kleine Seraphina am Halse getragen, als sie selbige geraubt habe. Man kan sich die Gemüths-Bewegungen, die eine so glückliche Entdeckung in unserer Gesellschaft erregen mußte, leichter vorstellen, als sie sich beschreiben lassen. Don Eugenio, der vor Freude ausser sich selbst war, würde der Zigäunerin gerne allen Beweiß ihrer Aussage geschenkt haben: Aber Donna Mencia war nicht so voreilig; sie examinirte die Zigäunerin über die kleinsten Umstände der Entführung mit der schärfsten Genauigkeit, und da sie durch die Antworten derselben völlig befriediget war, so betrachtete sie auch die Halskette, die sie für eben diejenige erkannte, womit sie selbst der kleinen Seraphina ein Geschenke gemacht hatte, da der alte Don Pedro sie ihrer Aufsicht übergeben. Kurz, nach einer Untersuchung, die über eine halbe Stunde daurte, wurde Hyacinthe für Donna Seraphina von Rosalva erkannt, und in dieser Qualität von ihrer Tante und von unserm Helden mit so vieler Zärtlichkeit umarmt, als jede dieser beyden Personen fähig war. [...]

4. Kapitel Beschluß dieser Geschichte.

Wir haben nunmehr, geneigter Leser, die Geschichte unsers Helden bis zu dem Zeitpunct fortgeführt, wo sie aufhört wunderbar zu seyn, oder, welches eben so viel ist, wo sie in den ordentlichen und allgemeinen Weg der menschlichen Begebenheiten einzuschlagen anfängt, und also aufhört zu den Absichten geschickt zu seyn, die wir uns in diesem Werke vorgesetzt haben. Don Sylvio, der nunmehr keine andere Feen erkennt als seine angebetete Felicia, und keine andere Bezauberung als die aus ihren Augen entspringt, ist auf dem Wege, glücklich, seines Glückes würdig, und wenn er anders, (wie wir hoffen,) lange genug lebt, seiner Zeit auch so gar weise zu werden. Wir könnten ihn also in so angenehmen Umständen mit bestem Fuge seiner Liebe und seinem glücklichen Gestirn überlassen, wenn wir nicht vermuthlich einige Leser oder Leserinnen hätten, die zu träge sind, sich die gänzliche Entwicklung dieser wundervollen Geschichte, so leicht es auch ist, sie zu errathen, ohne unser Zuthun, selbsten vorzustellen. Diesen melden wir also, daß noch an eben diesem Tage Don Sylvio seiner gnädigen Tante so wohl von den Verdiensten, so sich Don Eugenio um seine wieder gefundene Schwester gemacht, und von ihrer gegenseitigen Neigung, als von dem wunderbaren Anfang und glücklichen Succeß seiner eigenen Leidenschaft für die schöne Felicia von Cardena umständliche Nachricht gab. Es kostete wenig Mühe, die Einwilligung dieser Dame (bey welcher der Stolz über eine gewisse andere Leidenschaft ordentlicher Weise die Oberhand hatte,) zu der doppelten Verbindung, die ihr von Don Eugenio und von ihrem Neffen vorgeschlagen wurde, zu erhalten. Sie erröthete nun vor sich selbst, daß hundert tausend Ducaten sie fähig gemacht hatten, einen Procurator von Xelva und seine mißgebohrne Nichte einer Verbindung mit ihrer Familie würdig zu achten; und da sie eine gute Rechnerin war, so fand sie, daß mit vierzig tausend Ducaten jährlicher Einkünfte, welche Donna Felicia ihrem geliebten Don Sylvio zubrachte, der Glanz ihres Hauses viel besser wieder hergestellt werden könne. Diese Ueberzeugung wurde nicht wenig durch einen Artickel der Ehe-Pacten ihres Neffen befördert, worinn ihr, so lange sie lebte, eine jährliche Pension von sechs tausend Ducaten angewiesen wurde; ein kleines Einkommen, mit dessen Hülfe sie im Fall der Noth den Abgang des Herrn Rodrigo Sanchez würdiglich ersetzen zu können hofte.

So grosse Ursache man auch hatte zu glauben, daß unser Held von den Würkungen, welche die Feerey auf sein Gehirn gemacht, völlig hergestellt sey, so nöthig fand man, den leeren Raum, den die Verbannung der Feen darinn gelassen hatte, nunmehr mit den Ideen würklicher Dinge anzufüllen. Er entschloß sich also, durch eine Reise, die er in die vornehmsten Theile von Europa machen wollte, sich des Besitzes der schönen Felicia würdiger zu machen; Don Eugenio trieb die Freundschaft so weit, sich zu seinem Begleiter und Führer anzubieten; und unsere beyden Schönen waren mehr als großmüthig genug, in eine Trennung von zwey Jahren einzuwilligen, welche ihnen in einem Kloster zu Valencia, so sie indeß zu ihrem Aufenthalt erwählten, durch häuffige Briefe von ihren Liebhabern versüßt wurden. Diese zwey Jahre giengen endlich vorüber, und Don Eugenio und Don Gabriel brachten ihren Freund in einer Vollkommenheit zurück, die ihn für eine jede andere Person als seine Felicia unkennbar gemacht hätte; denn sie schien nichts weniger als erstaunt, durch die grosse Welt, und alle die Gelegenheiten, die er gehabt hatte, diese glücklichen Fähigkeiten entwickelt zu sehen, die ihr von Anfang an alles, was nur liebenswürdig heißt, von ihm versprochen hatten.

Diese liebenswürdige junge Wittwe, und ihre würdige Freundin Donna Seraphina, welche sich in dem Umgang mit Felicia und andern Personen von Verdiensten gleichfalls zu der vollkommenen Liebenswürdigkeit ausgebildet hatte, deren sie fähig war, willigten nun mit Vergnügen ein, ihre Sehnsuchtsvollen Liebhaber glücklich zu machen; und der ehrliche Pedrillo, der seinen Herrn begleitet hatte, und eben so aufgeweckt, sinnreich und spaßhaft, obgleich um ein gutes Theil höflicher und artiger als vorher zurück gekommen war, erhielt, zur Belohnung der Leiden, die er um seines Herrn willen auf der ehmaligen Wanderschaft nach dem bezauberten Schmetterling ausgestanden, und zur Vergeltung der getreuen Dienste, die er ihm auf seinen Reisen durch Europa geleistet, die schöne und kluge Laura, mit der Stelle eines Haußhofmeisters, die er vermuthlich noch jetzo, da wir dieses schreiben, in der liebenswürdigsten und glücklichsten Familie von ganz Spanien bekleidet.


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