"[...] Seit ihrer Kindheit und Jugend war Annette kränklich, bedingt durch ihre frühe Geburt; sie war angeblich nur ca. 1,50 m groß und zierlich gewachsen. Außerdem war sie extrem kurzsichtig, hatte auffällig wirkende Augen und litt oft unter rasenden Kopfschmerzen. Anders als ihre Schwester Jenny konnte sie daher nur mäßig zeichnen, förderte aber Maler, stickte gemeinsam mit ihrer Schwester die künstlerisch wertvolle Fahne der Schützenbruderschaft zu Roxel[21] und machte selbst Scherenschnitte in beachtlicher Qualität. Ihre Kurzsichtigkeit befähigte sie andererseits zu einer mikroskopisch-exakten Nahbetrachtung und -beschreibung der Natur, die sie oft auf eigene Faust mit dem Geologenhammer durchstreifte. Schon seit ihrer Kindheit standen die gesundheitlichen und auch gesellschaftlichen Einschränkungen und ihre geistigen Tätigkeiten in großer Spannung zu ihrer lebhaften Vorstellungskraft und Unternehmungslust, der „Sehnsucht in die Ferne“.
Schon früh sah Annette von Droste-Hülshoff ihre Berufung als Dichterin und ließ sich darin nicht beirren. Auch ihr Umfeld, besonders ihre pädagogisch interessierte Mutter und deren Halbbruder Werner von Haxthausen, der in Münster bei Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg aufgenommen worden war, erkannten die außerordentliche Begabung; bereits die 11-Jährige wurde zur Mitarbeit an einem poetischen Sammelwerk aufgefordert. Um ihre Berufung rang sie schon als Jugendliche in ihren Gedichten Schicksal, Der Dichter, Der Philosoph sowie Unruhe und ihrem Romanfragment Ledwina.[22] Auf Initiative ihrer gebildeten Eltern wurde sie in den Jahren 1812 bis 1819 von Anton Matthias Sprickmann unterrichtet und gefördert, der in Münster gegenüber dem Stadthaus der Droste zu Hülshoff wohnte. [...]"
Aus den Briefen im 4. Band der Gesammelten Werke, 1948 herausgegeben von Reinhold Schneider.
Am 8.2.1819 schreibt sie an (22 J.) an ihren Lehrer Sprickmann, sie habe einmal einen Traum von einem Gemüsegarten gehabt "mit einer geraden Allee mitten durch, in der wir immer hinauf gingen. Nachher wurde es wie ein Wald, aber die Allee mitten durch blieb, und wir gingen immer voran. Das war der ganze Traum, und doch war ich den ganzen folgenden Tag hindurch traurig und weinte, dass ich nicht in der Allee war und auch nie hineinkommen konnte. Ebenso erinnere ich mich, dass, wie meine Mutter uns eines Tages viel von ihrem Geburtsorte und den Bergen und den uns damals noch unbekannten Großeltern erzählte, ich eine solche Sehnsucht danach fühlte, dass, wie sie einige Tage nachher zufällig bei Tische ihre Eltern nannte, ich in ein heftiges Schluchzen ausbrach, so dass ich fort gebracht werden musste; dies war auch vor meinem siebenten Jahre, denn als ich sieben Jahre alt war, lernte ich meine Großeltern kennen. Ich schreibe Ihnen diese unbedeutenden Dinge nur, um sie zu überzeugen, dass dieser unglückselige Hang zu allen Orten, wo ich nicht bin, und allen Dingen, die ich nicht habe, durchaus in mir selbst liegt und durch keine äußeren Dinge hereingebracht ist; auf diese Weise werde ich Ihnen nicht ganz so lächerlich scheinen, mein lieber nachtsichtsvoller Freund. Ich denke, eine Narrheit, die uns der liebe Gott aufgelegt hat, ist doch immer nicht so schlimm, wie eine, die wir uns selbst zugezogen haben." (S. 227)
Am 9.11.1836 aus der Schweiz an Schlüter:
"[...] Ich habe [..] die meiste Zeit am Fenster zugebracht, man sieht die Alpen wie auf unserem Rebhügel. Dort sah ich zuerst das Alpenglühen, nämlich dieses Brennen im dunklen Rosenrot beim Sonnen-Auf- und -Untergange, was sie glühendem Eisen gleich macht, und, so häufig die Dichter damit um sich werfen, doch nur bei der selten zutreffenden Vereinigung gewisser Wolkenlagen und Beschaffenheit der Luft stattfindet. Eine dunkel lagernde Wolkenmasse, in der sich die Sonnenstrahlen brechen, gehört allemal mit dazu, aber sonst noch vieles.
Nun hören Sie, ich sah, dass eine tüchtige Regenbank in Nordwest stand, und behielt desto unverrückter meine lieben Alpen im Auge, die noch zum Greifen hell vor mir lagen; die Sonne, zum Untergang bereit, stand dem Gewölk nahe und gab eine seltsam gebrochene, aber reizende Beleuchtung. Ich sah nach den Bergen, die recht hell glänzten, aber weiß wie gewöhnlich, als wenn die Sonne sonst auf den Schnee scheint - hatte kein Arg aus einer allmählich lebhafteren, gelblichen, dann rötlichen Färbung, bis sie mit einem Male anfing sich zu steigern, rosenrot, dunkelrot, blaurot, immer schneller, immer tiefer, ich war außer mir, ich hätte in die Knie sinken mögen, ich war allein und mochte niemand rufen aus Furcht, etwas zu versäumen. Nun zogen die Wolken an das Gebirge, die feurigen Inseln schwammen in einem schwarzen Meere, jetzt stieg das Gewölke, alles ward finster, – ich machte mein Fenster zu, steckte den Kopf in die Sofapolster und mochte vorläufig nichts anderes sehen, noch hören. Ein anderes Mal sah ich eine Schneewolke über die Alpen ziehen, während wir hellen Sonnenschein hatten; sie schleifte sich wie ein schleppendes Gewand von Gipfel zu Gipfel, nahm jeden Berg einzeln unter ihren Mantel und ließ ihn bis zum Fuße weiß zurück; sie zog mit unglaublicher Schnelligkeit in einer halben Stunde viele Meilen weit, es nahm sich vortrefflich aus. Sie sehen, die Schweizernatur macht mitunter die Honneurs ihres Landes sehr artig und führt ergötzliche Nationalschauspiele auf für die Fremden an den Fenstern." (S. 247/248)
"Der Kasseler Architekt Heinrich Wolff, der die 23-jährige Dichterin 1820 in Bökendorf kennenlernte, beschrieb sie als „äußerst geistvolles und schönes Mädchen, die etwas ungemein Liebenswürdiges und Anziehendes in ihrem Wesen hatte“, der Hamburger Kaufmannssohn Friedrich Beneke hielt über seine Gespräche mit ihr in seinem Tagebuch fest: „Eine solche scharfe Klarheit des Verstandes, so unbefangen und tief ist mir selten vorgekommen, und das neben einer so zarten, rührenden Unschuld und Gemütstiefe, neben so vieler Liebe. Das ganze gehalten von bedeutender Geisteskultur und Bildung.“[24]"
Im Brief vom 4.8.1837 klagt sie darüber, dass sie zum einen über ihre Gesichtsschmerzen:
"Das Lesen eines Briefes, einer Adresse sogar ist zuweilen schon imstande, es zu vermehren oder von neuem herbeizuführen." (S.257)
und darüber, dass sie ständig am Verbessern ist und um davon loszukommen, Neues anfängt.
"Und doch liegen noch so gute Sachen in meinem Schreibtische! Lachen Sie nicht darüber, es ist gewiss wahr, es sind Dinge darunter, die es nicht verdienen, so schmählich zu verkommen. Da ist vorhanden (alles aus den letzten Jahren) 1. ein Roman, Ledwina, etwa bis zu einem Bändchen gediehen;2. eine Kriminalgeschichte Friedrich Mergel; ist im Paderbornschen vorgefallen, rein rational und sehr merkwürdig; diese habe ich mitunter große Lust zu vollenden. 3. Die ihnen bekannten geistlichen Lieder, nach ihrem eigentlichen Titel Geistliches Jahr. Sie wissen selbst, wieviel noch am Jahre fehlt; dieses das fühle ich auch zuweilen Trieb zu vollenden. 4. Die Wiedertäufer, eine vaterländische Oper oder vielmehr Trauerspiel mit Musik, um diesem so oft missbrauchten Stoff endlich einmal eine ordentliche Behandlung zukommen zu lassen. Hierzu ist noch wenig Text, aber bereits viel Musik fertig. 5. ein Schauspiel, Der Galeerensklave, sehr ansprechender Stoff, nur einzelne Stellen ausgeführt, aber alles Szene für Szene aufs genaueste entworfen. 6. Das viel besprochene Gedicht Christian von Braunschweig, was freilich fast allein nur in meinem Kopf existiert, indessen ist doch ein flüchtiger, aber ziemlich vollständig Entwurf bereits zu Papier gebracht. 7. und 8. noch zwei Stoffe. Einer zu einer Kriminalgeschichte, ist wirklich in Brabant passiert und mir von einer nahe beteiligten Person mitgeteilt; der zweite zu einem Gedicht von mehreren Gesängen, den ich ganz vollständig geträumt, durch alle Gesänge, die ich zu lesen glaubte. Was ich nun außerdem noch unter den Händen habe, zum Beispiel zwei Opern, Babylon und die seidenen Schuhe, d.h. bloß den musikalischen Teil zu besorgen, die Texte sind von anderen, davon will ich gar nicht reden…(S.257/58)
Ihre Briefe an Levin Schücking und eine Darstellung ihrer Beziehung findet sich bei Gutenberg,org, zusammengefasst in den Worten eines Stiftsfräuleins in seinem Roman "Eine dunkle That", die wahrscheinlich von ihr stammen:
"Ich will wie eine Verwandte für Sie sorgen; ich will Sie wie einen Bruder liebhaben; ich will jemand haben, für den ich sorgen kann wie ein Weib; an dem ich eine geistige Stütze habe, denn meine Umgebung reicht nicht für mich aus; meine Gedanken gehen darüber hinaus und bewegen sich in einem Felde, das nur Sie auch betreten; aber wenn ich auch so gedankenarm wäre wie meine Köchin – es wär' doch dasselbe, ich will jemand haben, der mein ist, und dem ich wie einem geduldigen Kamele alles aufpacken kann, was an Liebe und Wärme, an Drang zu pflegen und zu hegen, zu beschützen und zu leiten in mir ist und übersprudelt! . . . Aber wenn Sie Kamel deshalb glauben oder jemals sich einbilden, ich wäre verliebt in Sie, ich wäre eine Thörin und würfe mich Ihnen an den Hals, so sind Sie nicht nur ein eitler Geck, sondern Sie sind etwas Schlimmeres; ein verdorbener Mensch, der von einem reinen und edlen Verhältnis keinen Begriff hat."
Droste-Hülshoff (Wikipedia)
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