19 Juli 2023

Charles de Coster: Ulenspiegel Buch 1, Kapitel 4, 9 und 31 - 34

IV

Man nannte in Damme den Vater Uilenspiegels Klaas den Kooldrager. Klaas hatte schwarzes Haar und blitzende Augen; seine Haut war von der Farbe seines Geschäftes, außer an Sonn- und Festtagen, wo es in seiner Hütte Seife im Überflusse gab. Er war klein, vierschrötig und stark und blickte fröhlich in die Welt. Wann das Tagwerk getan war und der Abend einfiel, ging er wohl in irgendein Wirtshaus auf der Straße nach Brügge, um sich seinen von den Kohlen geschwärzten Schlund mit Kuite zu waschen; dann riefen ihm die Frauen, die auf den Schwellen ihrer Türen die Abendluft schlürften, freundschaftlich zu: »Guten Abend und klares Bier, Kohlenträger!« Und Klaas antwortete: »Guten Abend und einen Mann, der nicht schläft!«

Die Mädchen, die schwarmweise von den Feldern heimkehrten, stellten sich allesamt vor ihn hin, um ihm den Weg zu verlegen, und sagten zu ihm: »Was zahlst du, damit wir dich durchlassen: ein Scharlachband, eine Goldspange, Samtschuhe oder einen Gulden für den Beutel?« Aber Klaas nahm eine um die Mitte und küßte sie auf die prallen Wangen oder den frischen Hals, wohin eben sein Mund näher hatte; dann sagte er: »Das übrige, Kinder, das übrige verlangt von euern Liebhabern.« Und sie gingen weg, sich vor Lachen schüttelnd.

Die Kinder kannten Klaas an seiner grölenden Stimme und an seinen schweren Stiefeln; sie liefen zu ihm und sagten: »Guten Abend, Kohlenträger!« »Auch euch möge Gott ihn bescheren, meine Engelchen,« sagte Klaas; »aber kommt mir nicht zu nahe, sonst mache ich Negerlein aus euch.« Immerhin kamen die Kleinen in ihrer Kühnheit näher; dann nahm er eins beim Wams und rieb seine schwarzen Hände an dem frischen Mäulchen, worauf er es entließ, ebenso lachend wie das Kind, zum größten Vergnügen der andern.

Soetkin, die Gattin Klaasens, war eine gute Frau, früh wie das Tageslicht auf den Beinen und emsig wie die Ameise. Sie und Klaas bestellten gemeinsam ihr Feld und spannten sich wie die Ochsen vor den Pflug. Beschwerlich war dieses Ziehen, beschwerlicher noch das der Egge, wenn das ländliche Kunstwerk mit seinen hölzernen Zähnen die harte Erde aufreißen sollte; doch sie taten es fröhlichen Herzens und sangen ein Lied dazu. Und der Erde nützte es nichts, daß sie hart war, und die Sonne schoß vergebens ihre heißesten Strahlen auf die beiden herab; krümmten sich ihnen auch die Knie, mußten sie sich auch den Rücken blutig schinden, um die Egge vergeblich zu ziehen – wann bei der Rast Soetkin ihr süßes Antlitz Klaas zuwandte und Klaas diesen Spiegel einer zärtlichen Seele küßte, dann vergaßen sie die große Mühsal. (1.Buch, 4. Kapitel)

[...]


IX

Uilenspiegel wuchs, als er entwöhnt war, wie eine junge Pappel. Klaas küßte ihn jetzt nicht mehr so häufig, aber er liebte ihn in einer herben Art, um ihn ja nicht zu verzärteln. Wann Uilenspiegel beim Nachhausekommen klagte, er habe bei einem Raufhandel Püffe bekommen, schlug ihn Klaas, weil nicht er die andern geschlagen habe; und bei dieser Erziehung wurde Uilenspiegel stark wie ein junger Leu. Wann Klaas abwesend war, verlangte Uilenspiegel von Soetkin einen Kreuzer, um spielen zu gehn. Unwillig sagte Soetkin: »Was hast du not, spielen zu gehn? Bleib lieber daheim und binde Wieden!«

Wann nun Uilenspiegel sah, daß sie ihm nichts gab, schrie er wie ein Adler; aber Soetkin schlug mit den Pfannen und Schüsseln, die sie in einem hölzernen Troge wusch, einen mächtigen Lärm, als ob sie ihn nicht mehr anhören wollte. Nun begann Uilenspiegel zu weinen, und die süße Mutter ließ ab von ihrer verstellten Härte, trat zu ihm, liebkoste ihn und sagte: »Hast du genug mit einem Silbergroschen?« Nun müßt ihr wissen, daß der Groschen sechs Kreuzer galt. Also liebte sie ihn allzusehr, und wann Klaas nicht da war, war Uilenspiegel König im Hause. (1.Buch 9. Kapitel)


XXXI

Es war am Tage der Auferstehung, als Ulenspiegel mit einigen Taugenichtsen seines Alters die Kirche Unserer Lieben Frau verließ. Lamme Goedzak hatte sich unter sie verirrt wie ein Schaf unter ein Rudel von Wölfen.

Lamme bezahlte allen einen ausgiebigen Trunk, denn seine Mutter gab ihm an jedem Sonn- und Feiertag drei Patards. Er fand sich mit seinen Kameraden im Gasthaus »Zum Rooden Schildt«, bei Jan van Liebeke, ein, der ihnen Dobbeleknollaert von Courtrai auftrug.

Vom Trinken erhitzt, schwatzten sie übers Beten, und Ulenspiegel erklärte, daß die Totenmesse keinem als dem Priester zugute käme. Es war aber ein Judas in der Bande, und der denunzierte Ulenspiegel als Ketzer.

Trotz Soetkins Tränen und Claesens inständigen Bitten wurde Ulenspiegel gefaßt und gefangengesetzt. Einen Monat und drei Tage blieb er in einem vergitterten Kerker, ohne einen Menschen zu Gesicht zu bekommen, und der Kerkermeister fraß ihm drei Viertel seines Essens weg.

Währenddessen holte man Erkundigungen über seinen guten oder schlechten Ruf ein. Man konnte nichts andres ausfindig machen, als daß er ein arger Spottvogel war, der seine Nächsten ohne Unterlaß zum besten hielt, der aber niemals Gott oder die Heilige Jungfrau oder die Heiligen gelästert hatte. Deshalb fiel das Urteil mild aus, denn er hätte in anderem Falle mit einem glühenden Eisen im Gesicht gebrandmarkt und bis aufs Blut gepeitscht werden können.

Mit Rücksicht auf seine Jugend verurteilten ihn die Richter nur dazu, im Hemd, entblößten Hauptes, barfüßig und eine Kerze in der Hand haltend inmitten der ersten Prozession, welche die Kirche verließ, einherzugehen.

Das trug sich am Himmelfahrstage zu. Als die Prozession zurückkehrte, mußte er unter dem Tor der Kirche Unserer Lieben Frau stehenbleiben und ausrufen: »Dank sei dem Herrn Jesus! Dank den Herren Priestern! Ihre Gebete sind süß für die Seelen im Fegefeuer und erlaben sie, denn jedes Ave ist ein Eimer Wasser, und jedes Vaterunser ein Bottich, den sie auf ihre Rücken ausgießen!«

Und das Volk hörte ihm in großer Andacht zu, freilich nicht ganz, ohne zu lachen.

Zu Pfingsten mußte er wieder der Prozession folgen, er war im Hemd, barhäuptig und bloßfüßig, und hielt eine Kerze in der Hand. Als er bei der Rückkehr unter dem Tor stand und ehrfurchtsvoll seine Kerze hielt, sagte er, nicht ohne einige spöttische Grimassen zu ziehen, mit lauter und deutlicher Stimme: »Sind die Gebete der Christen eine große Wohltat für die Seelen im Fegefeuer, so sind die des Herrn Dechanten der Kirche Unserer Lieben Frau, dieses in der Ausübung der Tugenden so vollkommenen Mannes, so lindernd für die Schmerzen, die das Fegefeuer bereitet, daß sie es sofort in Eis verwandeln. Aber den teuflischen Henkersknechten wird nichts davon zuteil.«

Wieder hörte das Volk, nicht ohne Lachen, voll Ehrfurcht zu, und der Dechant lächelte mit kirchlicher Würde.

Alsdann wurde Ulenspiegel für drei Jahre aus Flandern verbannt und mußte eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen, um mit der Absolution des Papstes zurückzukehren. Claes mußte für diesen Urteilsspruch drei Gulden bezahlen und gab seinem Sohn noch einen nebst dem Pilgerkleid. Ulenspiegel war tief bekümmert, als er am Tage seiner Abreise Claes umarmte und Soetkin, die schmerzenreiche Mutter, die in Tränen aufgelöst war. Sie geleiteten ihn ein großes Stück Wegs, und viele Bürger folgten ihnen mit ihren Frauen.

Als Claes in die Hütte zurückkehrte, sprach er zu seiner Frau: »Weib, es ist sehr hart, einen so jungen Knaben wegen einer närrischen Rede zu so schwerer Strafe zu verurteilen.« »Du weinst, lieber Mann!« sagte Soetkin, »du liebst ihn mehr, als du ihm zeigst, denn du brichst in bittres Schluchzen aus, das wie das Weinen eines Löwen ist.« Er gab aber keine Antwort.

Nele hatte sich in der Scheune versteckt, damit niemand sähe, daß auch sie um Ulenspiegel weinte. Sie war Soetkin, Claes, den Bürgern und Frauen von weitem gefolgt, als sie dann sah, daß ihr Freund allein weiterging, lief sie ihm nach, hängte sich an seinen Hals und sprach: »Du wirst auf deinem Wege viele schöne Frauen finden!« »Ob schöne, das weiß ich nicht«, sagte Ulenspiegel, »aber frische wie dich gewiß nicht, denn die Sonne hat sie alle geröstet.« Lange gingen sie zusammen dahin, und Ulenspiegel, der ganz in Gedanken versunken war, sagte mehrmals: »Ich werde sie ihre Totenmessen bezahlen lassen.« »Welche Messen, und wer soll bezahlen?« fragte Nele. Ulenspiegel antwortete: »Alle Dechanten, Pfarrer, Küster und alle höheren und niedrigen Matagots, die uns mit Hirngespinsten mästen. Wäre ich ein braver Handwerker gewesen, so hätten sie mich durch die Pilgerfahrt der Arbeitsfrucht dreier Jahre beraubt. So ist's aber der arme Claes, der bezahlt. Sie werden mir meine drei Jahre verhundertfacht wiedergeben, und dann werde ich ihnen auch die Totenmesse singen, und zwar für ihr Geld.«

»Laß gut sein, Thyl, sei vernünftig, sonst werden sie dich noch lebendig verbrennen«, erwiderte Nele. »Ich bin gefeit«, sagte Ulenspiegel.

Dann trennten sie sich, sie in Tränen aufgelöst, er bekümmert und zornig.

XXXII

Als er durch Brügge kam, wo gerade Mittwochsmarkt gehalten wurde, sah er eine Frau, die vom Henker und seinen Schergen geführt wurde, während eine Menge von Weibern sich um sie herumtummelte und ihr tausend zotige Schmähungen zurief. Als Ulenspiegel die roten Stofflappen sah, die den oberen Teil ihres Kleides bedeckten, und den Stein des Gerichts, der ihr mit eisernen Ketten um den Hals gehängt worden war, erkannte er, daß sie eine Frau war, die den jungen und reinen Leib ihrer Tochter um Geld verkauft hatte.

Man sagte ihm, daß sie Barbe hieße, mit Jason Darue verheiratet sei und nun in dieser Kleidung von Platz zu Platz geführt würde, bis man sie auf den Großen Markt zurückbrächte, wo sie das Schafott besteigen müsse, das man schon für sie vorgerichtet habe. Ulenspiegel folgte ihr in der Menge des zeternden Volkes. Als der Zug auf den Großen Markt zurückgekehrt war, wurde sie aufs Schafott gebracht und an einen Pfahl gebunden, während der Henker ein Büschel Gras und eine Handvoll Erde vor sie hinlegte, was das Grab versinnbildlichen sollte.

Man sagte Ulenspiegel, daß sie zuvor im Gefängnis gepeitscht worden war.

Als er sich wieder auf den Weg machte, begegnete ihm Henri de Marischal, ein Erzlump, der im Sprengel von West-Ypern am Galgen gehangen hatte und an dessen Hals noch die Spuren des Strickes zu sehen waren. In der Luft schwebend, hatte er, wie er sagte, ein inbrünstiges Gebet zur Mutter Gottes von Hal gesprochen, und allein darum sei, durch ein wahres Wunder, als die Schergen und Henker fortgegangen waren, der Strick gerissen, den er schon nicht mehr gefühlt habe, so daß er zu Boden gefallen sei und keinen Schaden genommen hätte. Doch Ulenspiegel erfuhr später, daß dieser vom Strick errettete Lump ein falscher Henri de Marischal war und daß man ihn nur deshalb laufen und seine Lügen verbreiten ließ, weil er einen Geleitbrief des Dechanten von Notre-Dame de Hal bei sich trug, der wegen dieser Erzählung von Henri de Marischal die Leute haufenweise in seine Kirche strömen und alle jene reichliche Spenden bringen sah, die den Galgen von fern und nah witterten. Und diese lange Zeit hindurch hatte Unsere Liebe Frau von Hal den Beinamen »Unsere Liebe Frau der Gehenkten«.

XXXIII

Damals erhoben die Inquisitoren und Theologen zum zweitenmal vor dem Kaiser folgende Vorstellungen: die Kirche gehe zugrunde, ihre Autorität würde verachtet, sie wäre es, deren Gebeten er die vielen glänzenden Siege, die er erfochten habe, verdanke, sie, welche die Macht seines königlichen Thrones aufrechterhielte.

Ein spanischer Bischof bat ihn, sechstausend Köpfe abschlagen oder ebensoviel Körper verbrennen zu lassen, um die böse lutherische Ketzerei aus den Niederlanden auszurotten. Seine heilige Majestät urteilte, daß das nicht genüge.

Wohin der arme Ulenspiegel auch kam, überall wurde er von Schrecken erfaßt, denn er bekam nichts andres zu sehen als auf Pfähle gespießte Köpfe und junge Mädchen, die man in einen Sack gesteckt und lebend in einen Fluß geworfen hatte, Männer, die nackt auf dem Rade lagen und mit eisernen Stangen unbarmherzig geschlagen wurden, Frauen, die man in eine Grube warf und mit Erde überschüttete und auf deren Brüsten der Henker tanzte, um sie zu zermalmen. Aber die Beichtiger der Frauen und Männer, die sich vor dem Tod hatten bekehren lassen, verdienten an jeder geretteten Seele zwölf Kreuzer.

In Löwen sah er, wie die Henker dreißig Lutheraner auf einmal verbrannten, indem sie den Scheiterhaufen mit Kanonenpulver in Brand setzten. In Limburg sah er eine ganze Familie, Männer und Frauen, Töchter und Schwiegersöhne, Psalmen singend zur Marter schreiten. Der Älteste schrie, als er brannte. Und Ulenspiegel durchwanderte, von Angst und Seelenschmerz erfüllt, das arme Land.

XXXIV

Als er in freies Land kam, schüttelte er sich wie ein Vogel, wie ein freigelassener Hund, und sein Herz stärkte sich von neuem beim Anblick der Bäume, der Wiesen und der hellen Sonne. Als er drei Tage lang marschiert war, kam er in die reiche Gemeinde Uccle im Kreis von Brüssel. Als er an dem Gasthaus »Zur Trompete« vorbeikam, wurde er von dem himmlischen Duft eines Frikassees angelockt. Er fragte einen kleinen Bettler, der sich mit erhobener Nase an dem Geruch der Soßen ergötzte, zu wessen Ehre sich dieser Weihrauch festlicher Bewirtung in den Himmel erhebe. Die Antwort besagte, daß die »Brüder vom guten Weingesicht«Ich bediene mich dieser nicht eigenen Übersetzung, um denen, die de Costers »Vlämische Märchen« gelesen haben, die Freude der Wiederbegegnung mit den »Frères de la Bonne Trogne« zu machen. (Anmerkung des Übersetzers.)sich nach der Vesper hier versammeln sollten, um die seinerzeitige Befreiung der Gemeinde durch die Mädchen und Frauen zu feiern.

Als Ulenspiegel in der Ferne eine Stange sah, auf der ein künstlicher Papagei befestigt war und um die sich mit Bogen bewaffnete Frauen scharten, fragte er, ob denn die Frauen jetzt Bogenschützen werden sollten. Der Junge, der den Duft der Soßen einsog, antwortete, daß zur Zeit des »guten Herzogs« dieselben Bogen in den Händen der Frauen von Uccle gewesen wären, die mehr als hundert Räuber vom Leben zum Tode befördert hätten.

Ulenspiegel wollte mehr wissen, aber der Bettler sagte, daß er solchen Hunger und Durst habe, daß er nicht mehr sprechen könne, es wäre denn, daß Ulenspiegel ihm einen Patard gebe, damit er essen und trinken könne. Aus Mitleid gab ihm Ulenspiegel das Verlangte. Als der Bettler den Patard hatte, trat er mit einer Miene in den Gasthof »Zur Trompete« wie ein Fuchs in den Hühnerstall und kam im Triumph zurück, eine halbe Schlackwurst und eine große Schnitte Brot in der Hand.

Plötzlich vernahm Ulenspiegel ein liebliches Tönen von Tamburinen und Geigen und erblickte einen großen Trupp tanzender Frauen, unter denen eine schöne Gesellin war, die eine Kette von Gold um den Hals trug. Der Bettler, der, nachdem er gegessen hatte, vor Behaglichkeit lachte, sagte zu Ulenspiegel, daß das junge, schöne Weib die Königin der Bogenschützinnen sei, Mietje heiße und die Frau des ehrenwerten Herrn Renonckel, des Schöffen der Gemeinde, sei. Dann erbat er sich von Ulenspiegel sechs Heller für einen Trunk, und Ulenspiegel gab sie ihm. Nachdem der Bettler also gegessen und getrunken hatte, setzte er sich in der Sonne auf seine vier Buchstaben und putzte sich die Zähne mit den Fingernägeln. Als die Bogenschützinnen Ulenspiegels in seinem Pilgerrock gewahr wurden, umkreisten sie ihn und tanzten um ihn herum. »Guten Tag, schöner Pilger«, sagten sie dabei, »kommst du von weit her, junger Wallfahrer?« Und Ulenspiegel erwiderte: »Ich komme aus Flandern, dem Lande, das überreich an liebesfreudigen Mädchen ist.« Und traurig gedachte er Neles. »Was war deine Sünde?« fragten sie ihn, während sie zu tanzen fortfuhren. »Sie ist so groß, daß ich nicht wage, sie zu bekennen«, sagte er, »aber es sind noch andere Dinge an mir, die nicht klein sind.« Darob lachten sie und fragten ihn, warum er so wandern müsse mit Pilgerstab, Ranzen und Lazarusklapper.Eine aus Muschelschalen hergestellte Klapper, das Kennzeichen der Bettelmönche und Bußpilger. (Anmerkung des Übersetzers.)Er antwortete, indem er ein bißchen log, daß er so tun müsse, weil er gesagt habe, daß die Totenmessen den Priestern Vorteile brächten. »Sie tragen ihnen klingende Münzen ein, aber sie gereichen auch den Seelen im Fegefeuer zum Heil«, antworteten sie. »Ich war nicht darin«, sagte Ulenspiegel. »Willst du mit uns essen, Pilger?« fragte die lieblichste der Bogenschützinnen. »Ich will mit euch essen«, sagte er, »will dich selbst aufessen, dich und alle andern, der Reihe nach, denn ihr seid königliche Bissen, köstlicher zu kauen als Ammern, Drosseln und Schnepfen.« »Dann muß Gott dich nähren«, sagten sie, »denn dies Wildbret ist unbezahlbar.« »Wie ihr alle, meine Schätzchen«, antwortete Ulenspiegel. »Stimmt so«, sagten sie, »aber wir sind nicht zu verkaufen.« »Und zu verschenken?« fragte er. »Ja, Schläge für die allzu Frechen«, sagten sie; »und wenn's not tut, mahlen wir dich wie einen Haufen Körner.« »Dann werd' ich mich zurückziehen«, sagte er. »Komm essen!« Er folgte ihnen in den Hof des Gasthauses und war froh, heitere Gesichter um sich zu sehen. Plötzlich sah er die Brüder vom guten Weingesicht mit großer Feierlichkeit in den Hof einziehen, sie kamen mit Fahnen, Trompeten, Flöten und Schellentrommeln und führten den lustigen Namen ihrer Brüderschaft mit Würde. Als sie über Ulenspiegel erstaunten, sagten ihnen die Frauen, daß er ein armer Pilger sei, dessen sie sich unterwegs angenommen hätten, und daß sie ihn an ihrer Festlichkeit teilnehmen lassen wollten, da sie ihn, gleich ihren Gatten und Angelobten, als wackeren Trinker befunden hätten. Die Männer fanden ihre Rede gut, und einer sprach: »Pilgernder Pilger, willst du quer durch Soßen und Frikassees pilgern?« »Ich werde Siebenmeilenstiefel anziehen«, antwortete Ulenspiegel. Als er mit den andern den Festsaal betrat, ward er plötzlich zwölf Blinder ansichtig, die auf dem Weg von Paris daherkamen. Als sie an ihm vorbeigingen, klagten sie über Hunger und Durst, und Ulenspiegel sagte ihnen, daß sie an diesem Abend wie Könige speisen würden, und zwar zum Angedenken an die Totenmessen auf Kosten des Dechanten von Uccle. Er trat auf sie zu und sagte: »Hier sind neun Gulden – kommt essen. Spürt ihr den Duft vom Frikassee?« »Ach«, sagten sie, »schon eine halbe Meile, aber ohne Hoffnung.« »Ihr werdet essen«, sagte er, »denn ihr habt ja neun Gulden.« Aber er gab ihnen in Wahrheit gar nichts, und sie sagten: »Gesegnet seist du!« Von Ulenspiegel geführt, setzten sie sich rund um einen kleinen Tisch, während sich die Brüder vom guten Weingesicht mit ihren Gattinnen und Mädchen an einer großen Tafel niederließen. Im Vertrauen auf die neun Gulden sagten die Blinden ganz stolz: »Wirt, bring uns vom Besten zu essen und zu trinken!«

Der Wirt, der von neun Gulden reden gehört hatte, meinte nicht anders, als daß sie dieselben in ihren Geldkatzen hätten, und fragte sie, was sie wollten. Da sprachen alle durcheinander und riefen: »Erbsen mit Speck, ein Rindsragout, Kalbfleisch, Lamm, Huhn. – Die Würste sind für die Hunde gemacht? – Wer hat denn im Vorbeigehen die Blutwürste gewittert, ohne sie am Kragen zu fassen? – Ich würde sie sehen, ach! wenn meine armen Augen wenigstens soviel sähen wie eine Talgkerze. – Wo sind die koekebakken mit Butter von Anderlecht? Sie singen in der Pfanne, die saftigen, knusprigen, die die Kannen immer durstig machen. – Wer wird mir Eier mit Schinken oder Schinken mit Eiern, diese zärtlichen Brüder, des Schlundes Freunde, unter die Nase halten? Wo seid ihr, himmlische Brühen, darinnen Nieren, Hahnenkämme, Kalbsvären, Ochsenschwänze und Lammfüße sind, gewürzt mit Zwiebeln, Pfeffer, Gewürznelken und Muskatnüssen und geschmort in einer Soße von drei Kannen weißen Weins? – Wer wird euch mir zuführen, göttliche Würstchen, die ihr so gut seid, daß ihr kein Wörtlein sagt, wenn man euch verschlingt? Ihr kommt geradeswegs aus Luyleckerland, dem großen Land der braven Nichtstuer und der Lecker nimmer versiegender Soßen. Wo aber seid ihr, dürre Blätter der letzten Herbste? – Ich will eine Hammelkeule mit Bohnen. – Ich des Schweines Helmzier, nämlich seine Ohren. – Ich einen Rosenkranz von Fettammern, die Paternoster sollen Schnepfen sein und ein feister Kapaun das Kredo.«

Der Wirt antwortete mit Ruhe: »Ihr werdet eine Omelette von sechzig Eiern bekommen und, zur Führung eurer Löffel, fünfzig Schwarzwürste als Wegweiser in dieses Speisengebirge hineingesteckt, und zum Schluß Dobbel-Petermann, der den Fluß vorstellen soll.« Den armen Blinden lief das Wasser im Mund zusammen, und sie sagten: »Bring uns das Gebirge, die Pfähle und den Fluß.«

Die Brüder vom guten Weingesicht und ihre Frauen, die schon mit Ulenspiegel an der Tafel saßen, sagten, daß dieser Tag für die Blinden der Tag der unsichtbaren Schlemmerei sei und daß den armen Leuten solcherart die Hälfte des Genusses entginge. Als die Omelette, mit Petersilie und Kapuzinerkraut gleichsam bewachsen, vom Wirt und vier Köchen getragen, zu Tische kam, wollten sich die Blinden drauflosstürzen und schnalzten schon mit den Zungen, aber der Wirt leerte jedem, freilich nicht ohne Mühe, seinen Teil unversehrt auf den Teller. Die Bogenschützinnen waren gerührt, als sie die Blinden so schlingen sahen und vor Behagen stöhnen hörten, denn sie hatten gewaltigen Heißhunger und schluckten die Würste wie Austern. Wie Wasserfälle von hohen Bergen stürzen, so strömte der Dobbel-Petermann in ihre Kehlen. Als sie ihre Teller gesäubert hatten, verlangten sie weiter nach koekebakken, Ammern und neuem Frikassee. Der Wirt brachte ihnen aber nur eine große Schüssel voll Knochen von Rindern, Kälbern und Lämmern, die in einer guten Soße schwammen und die er nicht unter sie verteilte.

Als sie ihre Brotschnitten in die Soße tauchten und dabei bis an die Ellbogen hineinfuhren und nichts anders herausholten als Knochen von Kalb und Hammel, ja selbst einige Ochsenkieferknochen, da meinte jeder, daß sein Nachbar alles Fleisch genommen habe, und zornentbrannt schlugen sie sich die Knochen gegenseitig ins Gesicht. Als die Brüder vom guten Weingesicht darob zur Genüge gelacht hatten, taten sie aus Mitleid einen Teil ihrer Gerichte in die Schüssel der armen Blinden, so daß, wer von ihnen nun nach einer knöchernen Waffe tappte, die Hand auf eine Drossel legte, auf ein Huhn und ein oder zwei Lerchen, gleichzeitig bogen ihnen die Weibsleute die Köpfe hintenüber und gossen ihnen Brüsseler Wein ein, daß es nur so eine Art hatte.

Wenn die Blinden dann um sich griffen, um zu erfahren, woher diese himmlischen Bäche denn kämen, so faßten sie nichts als einen Rock und wollten ihn festhalten. Aber im Nu entzogen sich die Frauen ihnen.

Nun war ihnen recht wohl, sie lachten, tranken, aßen und sangen. Einige, die die lieblichen Frauen witterten, rannten, von der Liebe behext, wie närrisch durch den Saal, aber die bösen Mädchen führten sie irre, verbargen sich hinter einem Weingesicht und riefen: »Küsse mich!« Die Blinden gehorchten und küßten statt einer Frau das bärtige Gesicht eines Mannes, der es an Grobheiten nicht fehlen ließ.

Die Brüder vom guten Weingesicht sangen im Chor, und die lustigen Weiber lachten zärtlich, als sie ihren Frohsinn sahen.

Als aber die Stunden der Völlerei um waren, sagte der Baes: »Ihr habt reichlich gegessen und getrunken, dafür müßt ihr nun sieben Gulden bezahlen.« Jeder von ihnen schwor, daß er nicht die Börse habe, und schob seinem Nachbar die Verantwortung zu. Das führte zu einem Kampf unter ihnen, in dem sie mit den Füßen, Fäusten und Köpfen gegeneinander losschlugen, aber sie schlugen aufs Geratewohl und konnten sich nicht treffen, denn als die Brüder vom guten Weingesicht dies Spielchen sahen, trennten sie die Streitenden. So gingen die Hiebe ins Leere, von einem abgesehen, der unglücklicherweise auf das Gesicht des Baes niedersauste, der, höchst erzürnt, alle einer Durchsuchung unterzog, aber nichts anderes fand als ein altes Skapulier,Ein Stück geweihten Tuches, das als Amulett getragen wurde. (Anmerkung des Übersetzers.)sieben Heller, ihre Rosenkränze und drei Hosenknöpfe. Er wollte sie in den Schweinekoben werfen und dort so lange bei Wasser und Brot warten lassen, bis man für sie bezahlt haben würde, was sie schuldeten. Da sagte Ulenspiegel: »Willst du, daß ich für sie gutstehe?« »Ja«, sagte der Baes, »wenn jemand für dich gutsteht.«

Die guten Weingesichter schickten sich an, es zu tun, doch Ulenspiegel wehrte ihnen und sagte: »Der Dechant wird Bürgschaft leisten, ich gehe, ihn aufzusuchen.« Als er sich zum Dechanten begab, gedachte er der Totenmessen und berichtete ihm, wie der Baes von der »Trompete« vom Teufel besessen sei und immer von Schweinen, Blinden, Braten und Frikassees rede und in lästerlichen Ausdrücken erzähle, daß die Schweine die Blinden äßen und die Blinden die Schweine. Während dieses Zustandes habe der Baes die ganze Wohnung zerschlagen, und er, Ulenspiegel, bitte ihn, in die »Trompete« zu kommen und den armen Mann von diesem bösen Dämon zu befreien.

Der Dechant versprach ihm, zu kommen, sagte aber, daß er ihm nicht sogleich folgen könne, da er im Augenblick die Rechnungen des Domkapitels aufstellte, bei denen er auf seinen Profit bedacht war. Als Ulenspiegel sah, daß er ungeduldig wurde, sagte er, daß er mit der Frau des Wirtes wiederkommen werde, damit der Dechant mit ihr spreche. »Kommt alle beide«, sagte er. Da kehrte Ulenspiegel zum Wirt zurück und sagte: »Ich komme vom Dechanten – er setzt sich für die Blinden zur Bürgschaft ein. Während Ihr sie bewacht, soll die Frau mit mir zu ihm kommen, er wird ihr wiederholen, was ich Euch sagte.« »Geh hin, Frau!« sagte der Baes. Die Baisine kam mit Ulenspiegel zum Dechanten, der sich in den Berechnungen um seinen Profit nicht unterbrach. Als sie mit Ulenspiegel bei ihm eintrat, winkte er ihr ungeduldig, daß sie sich wieder zurückziehen möge, und sagte: »Beruhige dich, in ein oder zwei Tagen werde ich deinem Mann zu Hilfe kommen.«

Als Ulenspiegel zur »Trompete« zurückkehrte, sprach er zu sich: »Er wird sieben Gulden zahlen, und das soll meine erste Totenmesse sein!« Dann machte er sich auf den Weg und die Blinden desgleichen. (1. Buch 31. - 34. Kapitel)


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