»[...] Ja, ich heize in diesem Winter mit meinem hiesigen Eigentum an der wohlgegründeten Erde, mit meinen Habseligkeiten aus dem Vogelsang.« Er sprach das Wort »Hab-Seligkeiten« in einer Weise aus, die man im Werkeltagsverkehr nicht zu hören bekommt. [...]
Er lud den Vogelsang [die Bewohner des Stadtteils Vogelsang -
W.B.] wie zur Plünderung eines abgerupften Weihnachtsbaums in sein Haus ein. Er gab den noch vorhandenen alten guten Bekannten der Nachbarschaft alles das preis, was ohne eine Bedeutung für ihn war und erregte dadurch natürlich einen Zusammenlauf, der für einige Stunden den Verkehr in der Gasse beinahe völlig unterbrach. Eingeladen hatte er mich nicht zu diesem letzten Kehraus; aber ich kam dazu, und zwar mit meiner Frau am Arm, von einem Nachmittagsspaziergang über den Osterberg. »Was ist denn das da vor deines Freundes Hause, Mann?« Sie hatte die ersten Anemonen und Leberblümchen da oben im Walde gefunden und gepflückt und drückte sich mit dem Frühlingsstrauß ängstlich an mich an: »Siehst du's, da hat er es! Sie stürmen ihm das Haus! Was hat er nun wieder Neues – Schändliches angefangen – dein – Freund?« Es sah in der Tat bedrohlich aus; und wir hatten Mühe, durch den menschenvollen Garten zu der Haustür zu gelangen, die er aus den Angeln hatte heben lassen und mit welcher auf der Schulter ein alter Holzknecht weiland Nachbar Hartlebens durch das Gewühl das Freie zu erreichen suchte. Nun fand es sich aber, daß es doch im ganzen lauter gute alte Bekannte und Freunde waren, die er sich aus den »letzten Gassen« und von den Zäunen des Vogelsangs mit dem Wort: »Seht zu, Kinder, was ihr von dem Kram gebrauchen könnt!« eingeladen hatte wie der König im Evangelium das Volk zu seinem Festmahl. Sie machten auch gern Platz, soviel es ihnen möglich war und zogen die Mützen, und einigen, denen ich zu hoch gestiegen war, als daß sie mir die Hand hätten reichen können, mußte ich sie hinhalten: »Na, alter Freund, das geht hier lustig zu!« »Ja, sagen Sie mal, Herr Assessor! So was hat der Vogelsang gewiß noch nicht erlebt. Zu so was gehörte einzig und allein unsere selige Frau Doktern und unser Herr Velten, der Herr Sohn!« ... [...]
Wir standen jetzt in dem Wohnzimmer seiner Eltern, in dem er so gründlich mit seinem besten Eigentum aufgeräumt hatte, der eigentumsmüde Mann, der freie Weltwanderer. Und er sah auf und um sich her, wie einer, der einen Schlag vor die Stirn erhalten hat und sein Selbstbewußtsein nur mühsam wieder zusammenfindet. Er tat mir in tiefster Seele leid, und zu helfen war ihm nicht: [...]
(Wilhelm Raabe: Die Akten des Vogelsangs)
G.Luethy meint dazu:
"Velten macht demnach nicht sich von den sachen frei, sondern seine seele von dem, was sich den sachen anhängt. Es geschieht hier keine befreiung seiner selbst, indem dem besitz abgeschworen wird, sondern es vollzieht sich eine befreiung der seele von den dingen, die ihr nicht eigen sind, die sich nicht aus ihr selbst generieren, die aber das glück und das unglück des menschen bestimmen." (in: "Weltüberwinder von Leichtsinns Gnaden")
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