09 Mai 2012

Der Ritter Don Gaspard berichtet


Der Ritter nahm ihn auf eine über steinerne Säulen geführte Galerie hinauf, die überall Limonienbäume mit Düften und kleinen, regen, vom Monde silbern geränderten Schatten vollstreueten. Er zog zwei Medaillons aus seiner Brieftasche; das eine bildete ein sonderbar-jugendlich aussehendes weibliches Gesichtchen vor, mit der Umschrift: »Nous ne nous verrons jamais, mon fils.«9 »Hier ist deine Mutter« (sagte Gaspard und gab es ihm) -»und hier deine Schwester«, und reichte ihm das zweite, dessen Züge zu einer unkenntlichen veralteten Gestalt einliefen, mit der Umschrift: »Nous nous verrons un jour, mon frère.«10 Er fing nun seine Rede an, die er in so vielen zwanglosen Heften (das eine Komma oft am einen Ende der Galerie, das andere am andern) und so leise und in einem solchen Wechsel von schnellem und trägem Gehen lieferte, daß in das Ohr eines unter der Galerie mitlaufenden Visitators fremder Gespräche, wenn einer drunten stand, nicht drei zusammengehörende Laute tropfen konnten. »Deine Aufmerksamkeit, lieber Alban,« fuhr er fort, »nicht deine Phantasie sollte jetzt gespannt sein; du bist leider heute zu romantisch bei dem Romantischen, was du hören sollst. Die Gräfin von Zesara liebte das Feierliche von jeher; du wirst es aus dem Auftrage sehen, den sie mir wenige Tage vor ihrem Tode gab, und den ich gerade an diesem Karfreitage auszurichten versprechen mußte.«
Er sagte noch, bevor er anfing, daß er, da seine Katalepsie und sein Herzklopfen bedenklich stiegen, nach Spanien eilen müsse, seine Sachen und noch mehr die seiner Mündel – der Gräfin von Romeiro – zu ordnen. Alban tat noch eine Bruderfrage über seine liebe, so lang' entrückte Schwester; der Vater ließ ihn hoffen, daß [40] er sie bald sehen werde, da sie mit der Gräfin die Schweiz besuchen wolle.
(Jean Paul: Titan, 5. Zykel, S.39/40)

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