Höre deine eigne Geschichte aus dem Munde deiner Mutter an; sie wird dir aus einem andern nicht lieber und wahrhafter kommen. Ich und der Fürst lebten lange in einer unfruchtbaren Ehe, welche unserem Vetter in Hh. (Haarhaar) immer lebhafter mit der Hoffnung der Sukzession schmeichelte. Spät vernichtete sie ihnen dein Bruder L. (Luigi). Man konnte uns das kaum vergeben. Der Graf C. (Cesara) bewahrt die Beweise einiger schwarzer Handlungen (de quelques noirceurs), die deinen armen, ohnehin schwächlichen Bruder das Leben kosten sollten. Dein Vater war eben mit mir in Rom, als wir es erfuhren. 'Man wird doch endlich über uns siegen', sagte dein Vater. In Rom lernten wir den Fürsten di Lauria kennen, der seine schöne Tochter dem Grafen C. (Cesara) nicht eher geben wollte, bis er Ritter des goldnen Vlies-Ordens geworden wäre. Der Fürst wirkte ihm diesen Orden am kaiserlichen Hofe aus. Dafür glaubte die Cesara mir sehr dankbar sein zu müssen, une femme fort decidée, se repliant sur elle même, son individualité exagératrice perça à travers ses vertus et ses vices et son sexe. Wir lernten uns lieben. Ihr romantischer Geist teilte sich dem meinigen mit, besonders in dem romantischen Lande. Dazu half mit, daß ich und sie uns im rechten Zustande der weiblichen Schwärmerei zugleich befanden, nämlich der Hoffnung zu gebären. Sie kam nieder mit einem wunderschönen, ihr ganz ähnlichen Mädchen, Severina, oder wie man sie nachher nannte, Linda. Hier machten wir den seltsamen Vertrag, daß wir, wenn ich einen Sohn gebäre, austauschen wollten; ich konnte ohne Gefahr eine Tochter erziehen, und bei ihr konnte mein Sohn ohne diejenige aufwachsen, die deinem Bruder bei mir schon gedrohet hatte. Auch sagte sie, ich könnte besser eine Tochter, sie einen Sohn leiten, da sie ihr Geschlecht wenig achte. Der Graf war es gern zufrieden; der Hh. Hof hatte ihm kurz vorher die älteste Prinzessin, um die er geworben, unter dem spöttischen Vorwande, ihrer noch kindischen Jugend abgeschlagen, und er aus Rache beleidigter Ehre und verletzter Eitelkeit, denn er war der schönste Mann und aller Siege gewohnt, war zu allen Maßregeln und Kämpfen gegen den stolzen Hof bereit. Nur der Fürst billigte es nicht, er fand eine Erziehung außer Landes u. s. w. ganz zweideutig und mißlich. Aber wir Weiber verwebten uns eben desto tiefer in unsere romantische Idee. Zwei Tage darauf gebar ich dich und – Julienne zugleich. Auf diesen reichen Zufall hatte niemand gerechnet. Hier warf sich vieles ganz anders und leichter sogar. 'Ich behalte', (sagt' ich zur Gräfin) 'meine Tochter, du behältst die deinige; über Albano' (so soll er heißen) 'entscheide der Fürst.' Dein Vater erlaubt' es, daß du zwar als Sohn des Grafen, aber unter seinen Augen, bei dem rechtschaffenen W. (Wehrfritz), erzogen würdest. Indes traf er Vorkehrungen, deren guten Wert ich damals im phantastischen Rausche der Freundschaft nicht ganz abzuwägen imstande war. Jetzt wunder' ich mich nur, daß ich damals so mutig war. Die Dokumente deiner Abstammung wurden nicht nur dreimal gemacht – ich, der Graf und der Hofprediger Spener wurden in deren Besitz gesetzt –, sondern später wurdest du auch dem Kaiser Joseph II. als unser Fürstensohn präsentiert, und sein gütiges Blatt, das ich einst deinen Geschwistern vertraue, entscheidet allein genug. Der Graf nahm jetzt selber am Geheimnis tätigen Teil, indem er – sei es aus Liebe für seine Tochter, sei es aus dem Wunsche einer geschärften Rache am Hh. Hofe – als Lohn des Anteils verlangte, daß einst du und Linda ein Paar werden möchten. Hier trat wieder die Gräfin mit ihren Wundern und Phantasien ein: 'Linda wird mir gewiß ähnlich an Gemüt, wie sie jetzt es ist an Gestalt – Gewalt bewegt sie dann nie – aber Magie des Herzens, der Feenwelt, Reiz des Wunders mag sie ziehen und schmelzen und binden.' Ich weiß ihre eignen Worte. Ein sonderbarer Zauberplan wurde dann entworfen, dessen Grenzen der Graf durch die Abhängigkeit, worin sein tausendkünstlerischer Bruder sich zu allem dingen ließ, noch mehr erweiterte, so wie er den Plan dadurch annehmlicher machte. – Linda wird lange vorher, eh' du dies gelesen, dir er schienen, ihr Name genannt, deine Geburt geheimnisvoll verkündigt sein – – Möge, möge dein Geist sich in alles wohl finden, und möge das schwere Spiel dir Gewinn auf seinen aufgeschlagnen Blättern reichen! – Ich bin bange, wie soll ich es nicht sein? [...]
Möge nur das Geisterspiel, das ich der Gräfin zu leichtsinnig zugeschworen, ohne Unglück vorüber ziehen! – Sollt' ich vor dem Fürsten auf das Sterbebette kommen, so muß ich noch deine Schwester und deinen Bruder in das Geheimnis ziehen, um ganz gesichert meine Augen zu schließen. Ach ich werd' es nicht erleben, daß ich dich öffentlich als meinen Sohn in meine Arme schließen darf! Die Ahnungen meiner Hinfälligkeit kommen immer häufiger. Es gehe dir wohl, teueres Kind! Werde fromm und redlich wie dein Vater! Gott lenke alle unsere schwachen Hülfsmittel zum besten!
Deine
treue Mutter
Eleonore.
N. S. Noch sehr wichtige Geheimnisse kann ich nicht dem Papier vertrauen, sondern sterbend wird sie mein Mund in das Herz deiner Schwester niederlegen. Leb wohl! Leb wohl!«
(142. Zykel)
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