29 Mai 2012
In den Sabiner Bergen
Item so ritten wir am 1. January auf Eseln über den Felsberg von Civitella nach dem Klösterlein San Francesco und gedachten bei denen Mönchen, so wir in früheren Zeiten bereits um eyn paar Steinkrüg Weines gekränkt, wenn thunlich eyn Frühstück zu erpressen. Zogen auch die Glocken scharf an und harreten in kalter Luft, dass aufgetan werde; – ward aber nit aufgetan, also dass wir schier dastanden wie Kaiser Heinrich im Hof von Canossa; – und waren nüchtern und froren, stellete sich auch eyn linder Jammer eyn, also dass sehr unziemliche Redensarten laut wurden und wir mit eynem wohlgemeinten »Kreuzdonnerwetter!« zum Klosterhof hinausritten. Und so ich an meine guten Freund, die Franciskaner in Palazzuola am Albanersee denk, mit denen ich manch Krüglein geleeret und manch Schelmenliedlein Gesungen, so möcht ich diesen sabinischen Thorverschliessern schier die Kränk auf den Hals wünschen.
Kommen sodann in das Felsnest rocca di san Stefano eyngezogen, so führt uns das gut Glück den pizzicarol von San Stefano in die Händ, und hatt derselbig in Vorahnung der Dinge eyn paar Tag zuvor am Meer unten eyn paar Fässlein gesalzener Meerfisch heraufgeholet, und stand eyn lieblich Fass Sardellen, so strahlenförmig eynmariniert waren, in seiner bottega, also dass Meister Andrée, so vom Jammer am schwersten molestiert war, dem pizzicarol eyn dreymaliges, feierliches Heil! zurief und ihm mit seinem roten Seidentuch, so er an eynen Spiess gebunden, grüssend zuwinkte. Und auch Laocoon der Alte zehrte sechs schwer gesalzner Fisch auf und sprach: »non c'è male!« Und war der Körper- und Seelenzustand der fünf Männer in kürzester Frist gebessert, und ritten in scharfem Eselstrab heimwärts, so im Sabinerland bei dem schlechten Zustand von Sattel und Riemen und gänzlichem Abmangel des Steigbügels schier eyn halsbrechend Stück ist. Hatte aber die Regina zum Abschied eyn herrliches Mittagsmahl bereitet und mir und dem Sir Guglielmo aus besonderer Hochachtung eynen zweyjährigen Rotwein, eynen wirklichen vino capitale vorgesetzt, und werd ich ihr diese Aufmerksamkeit zeytlebens gedenken.
Item so frag ich die braun Lala, was ich ihrem Freund, dem Sir Otto in Rom ausrichten soll, so sagt sie, wie sie's oft im Ritornel gesungen hat:
Quante stelle stann' al cielo
Tanti bacci ti darò,
Non abbasta uno solo
Per poter mi consolar.
und damit ich's nicht vergesse, will sie anheben, mir selber eyn paar herzhafte Küss zu geben, die ich dann wieder geeygneten Orts abgeben sollt. Hat mich aber diese naive welsche Manier schier gerühret, und hab daraus meinem Tübinger Freund die ethnographische Notiz abstrahieret: dass die Sabinerinnen, beim Abmangel der erforderlichen Schulkenntnis zur Abfassung von Liebesbriefen, sich seltsamer Surrogate zu bedienen wissen, also dass etwannen der Bot von Schwetzingen fragen könnt: Schreibt man hierzuland den Leuten die Brief ins Gesicht?
Des andern Tags hat Scherz und Spiel eyn End genommen und sind wir insgesamt von dannen gezogen und haben eyn grossen Gebirgsmarsch gemacht. Und stiegen durch die Schlucht von San Vito und liefen eyn Stück in der Irr herum, und war schlimme Bergwildnis und schlimme Bauernjagd, und wie wir an etzlichen Sabinern mit ihren verrosteten Flinten vorbeikommen, knallt's von weitem, wo so eyn welscher Petermann nach eynem Waldspecht oder eyner Drossel geschossen, und fahrt der Schrotschuss neben uns in die Hecken, also, dass es nit sehr geheuer aussah und Meister Andrée erklärte, er könne sich jetzt bald vorstellen, wie es »tief in den Abruzzen« zuging. Verzogen uns darum schleunigst aus deren Bereich und gingen über den Bergkamm von San Vito und das elend Dörflein Pisciano in eyn Seitenthal des Anio hinunter, – und war zwar die Gegend wildschön und ragten die hohe Menturella, wo der Einsiedel haust, und von der andern Seit die kahlen, steilen Mamellen stolz in die Niederung herab – der Weg aber hörte auf, und war morastig Erdreich, so am Stiefel hängen blieb; und machte uns so unwirsch, dass Meister Andrée schier dem Pfaff von Pisciano, so mit seinem Brevier am Weg stand und über die fremden Wandersmänner, die »zu ihrem Vergnügen« am 2. January des Wegs kamen, lachte, seinen Hut angetrieben hätt; war auch von itzt an über die Abruzzen völlig beruhigt, zumal da er, ob unkundigen Eselsritts am Tag zuvor, sich mit eynem Wolf zu schleppen hatte, und gab ihm der württembergisch Gelehrt mit naturgeschichtlicher Zergliederung von Wesen und Art »des Wolfs tief in den Abbruzzen« die erlittene Unbill mannigfach zurück. Besserte sich hernachmals unter dem hohen Nest Siciliano die Strass merklich, und ergingen wir uns in vielfach archäologischer Betrachtung über Trümmer am Weg, massen hierlands die Villa des Horatius ungefähr gelegen, tauften auch eynen Brunnen »zum bandusischen Quell«, war aber die Pietät für den alten poetam nit so gross, dass wir aus gesagtem Quell getrunken hätten.
(Viktor von Scheffel: Römische Episteln, Rom 6.1.1853)
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