»Herr Spazzo hat neulich den Abt von Reichenau getroffen«, erzählte Praxedis, »der sagte: ›Wisset Ihr auch etwas Neues? Den Alpen ist Heil widerfahren, das Joch des Säntis ertönt von Lyraklang und Dichtergezwitscher, ein neuer Homer hat sich droben eingenistet, und wenn er wüßte, in welchen Höhlen die Musen hausen, so könnt' er ihren Reigen anführen wie ein cynthischer Apollo.‹ Und wie Herr Spazzo kopfschüttelnd erwiderte: ›Was geht das mich an?‹ da sprach der Abt: ›Es ist Euer Ekkehard, aus der Klosterschule von Sankt Gallen hat's die Fama zu uns getragen.‹ Herr Spazzo hat lachend dazu gesagt: ›Wie kann der singen, der nicht einmal erzählen kann?‹«
Die Herzogin war aufgestanden. »Schweig!« sprach sie, »ich will nichts davon wissen.« Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging betrübt von dannen.
Frau Hadwigs Herz aber dachte anders, als ihre Zunge sprach. Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und schaute hinüber nach den helvetischen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, schwerfällige lange stahlgraue Wolkenstreifen standen unbeweglich über dem Abendrot, wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmütig drunter vor. Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesstrahls ward auch ihr Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, – es war ihr, als hätte sie eine Erscheinung, als täte sich der Himmel auf und seine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und senkten sich hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im wohlbekannten Mönchsgewand – und der Mann war blaß und tot und ein Lichtglanz, schön und lauter, umschwebte das luftige Geleit ...
Aber Ekkehard war nicht gestorben.
Ein zischender leiser Ton schreckte die Herzogin auf, ihr Auge streifte an dem Felsabhang vorüber, über den einst der Gefangene entronnen, eine dunkle Gestalt entschwand im Schatten, ein Pfeil kam über Frau Hadwigs Haupt geflogen und sank langsam zu ihren Füßen nieder.
Sie hob das wundersame Geschoß auf. Nicht Feindeshand hatte es dem Bogen entschnellt, seine Blätter Pergamentes waren um den Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wiesenblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift.
Es war das Waltharilied. Auf dem ersten Blatt stund mit blaßroten Buchstaben geschrieben: »Der Herzogin von Schwaben ein Abschiedsgruß!« und dabei stund der Spruch des Apostel Jakobus: »Selig der Mann, der die Prüfung bestanden!«
Da neigte die stolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. –
(Scheffel: Ekkehard, 25. Kapitel)
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