Da die beiden Salandertöchter dem Willen der Eltern folgend jeden heimlichen Verkehr mit ihren heimlich Verlobten beenden und nur noch brieflich mit ihnen verkehren, andererseits aber hartnäckig an ihrem Wunsche sie zu heiraten, festhalten, kommt es zu einer Doppelhochzeit, zu der mangels Verwandtschaft und Freundinnen und Freunden der Töchter vor allem politische Freunde des Vaters eingeladen werden.
In einem Rüpelspiel von Unbekannten wird vorgeführt, wie die beiden Bräutigame ihre Parteizugehörigkeit in den beiden größten Parteien des Landes untereinander ausgewürfelt hatten. Sie hielten es nämlich für sinnvoll, in jeder der beiden Parteien vertreten zu seien, um in beiden Parteikreisen Beziehungen anknüpfen zu können.*
Der Pfarrer hatte in seinem Toast auf die Familien der Bräutigame und der Bräute mit Lob nicht gespart, was Frau Marie Salander unangenehm berührte, weil deutlich wurde, dass er eigentlich nicht dahinter stand:
Da jetzt neue Speisen aufgetragen wurden, beschloß das Salandersche Ehepaar, das für einmal genug gespeist hatte, einen Gang zwischen den Tischen und um die Baumwiese herum zu machen. Das Weidelichsche Paar wollte späterhin das gleiche tun.
Als Marie an Salanders Arm ging, drängte es sie nachträglich, sich über den Geistlichen auszusprechen.
»Das scheint doch ein schnurriger Herr zu sein!« sagte sie, »erst die dicke Lobhudelei und nachher, wenn man nur das Nötigste dagegen höflich bemerkt, wenn er kommt, den Dank zu holen, gleich spitzige Worte, deren Zusammenhang man suchen muß. Wie verfänglich grob hat er dir so blitzschnell geantwortet! Und mir hat er mit gleicher Artigkeit zu verstehen gegeben, daß es sich nicht um mich, sondern um eine künstlerisch abgerundete Volksrede handle!«
»Du mußt das nicht für so gefährlich auffassen,« entgegnete Martin Salander, »er liegt eben immer im Kampfe mit seiner eigenen Sophistik, die sich stets in seine Rede drängt, auch wenn er nichts damit will. Er braucht sie unbewußt, wie ein natürliches Verteidigungsmittel, auch wo kein Mensch ihn angreift. Ich habe einmal über einen Parteigenossen mit ihm gesprochen und beklagt, daß dieser so viel lüge. Da gab er mir zur Antwort, er sei der beste Hausvater und erziehe seine Kinder musterhaft. Damit war ich abgefertigt, weil es ihm nicht bequem war, über das Thema zu sprechen, und er nicht wußte, wieweit es sich gegen ihn drehen könnte.«
»Du lieber Gott,« sagte die Frau Marie in ihrer Einfalt, »das ist ja eine traurige Existenz!«
»Nicht so traurig! Es ist nur Manier! Jeder, der viel spricht, besonders in Politik, hat seine Manier, und es gibt solche, welche eine Manier der Unwahrheit haben, ohne gerade etwas Übles damit zu bezwecken; diese sind immer damit geplagt, anderen kleine Fallen zu stellen, sie aufs Eis zu führen, verfängliche Fragen an sie zu richten; das alles bildet mehr eine schützende Hecke für sie selbst, ein System der Abschreckung, als ein Angriffsmittel. Aber was führen wir da für Hochzeitsgespräche!«
(Gottfried Keller: Martin Salander, 11. Kapitel)
*In der Wikipedia heißt es dazu: "Indessen haben seine beiden Töchter das heiratsfähige Alter erreicht und beginnen ein Verhältnis mit zwei Zwillingen, ehrgeizigen, aber wenig ausdauernden jungen Burschen, den Söhnen eines Gemüsegärtners. Die Eltern Salander sehen das Verhältnis nicht gerne, sie empfinden es als Mesalliance, da die Knaben deutlich jünger als die Töchter und noch in Ausbildung begriffen sind. Umgekehrt ist die Mutter der Zwillinge, Amalie Weidelich, stolz auf die Bekanntschaft mit den Salanders und macht sich für ihre Söhne Julian und Isidor Hoffnung auf das zu erwartende Frauengut.
Diese schliessen bald ihre Ausbildung zu Notaren ab und beginnen ihre weitere Karriere systematisch zu planen. Zu diesem Zweck engagieren sie sich insbesondere in der Politik, wobei sie in zwei verschiedene Parteien eintreten, damit sie sich besser in die Hände arbeiten können. Es gelingt ihnen auch tatsächlich sehr bald, je ein Amtsnotariat in der Umgebung von Münsterburg übernehmen zu können und sich sogar in das Kantonsparlament wählen zu lassen.
Die Eltern Salander können sich jetzt einer Vermählung kaum mehr entgegenstellen, und Martin plant die Doppelhochzeit im Stile eines Volksfestes. Dessen Durchführung entwickelt sich allerdings etwas anders, als von Martin beabsichtigt. Verschiedene Darbietungen arten in Peinlichkeiten aus, die Bräutigame werden verhöhnt und derbe Possen beleidigen die Anwesenden, anstatt die Parteien zu versöhnen. Einzig Salanders Rede kann die Wogen etwas glätten."
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