"[...] Nach langwierigen Kämpfen mit den französischen Katholiken und den habsburgischen Spaniern konvertierte Heinrich von Navarra am 25. Juli 1593 erneut zum Katholizismus, indem er in der Basilika Saint-Denis die Kommunion empfing. Seine Konversion bezeichnete er als „gefährlichen Sprung“ (le saut périlleux).[1] Der dazu immer wieder zitierte Satz „Paris ist eine Messe wert“ (Paris vaut bien une messe) wurde „ihm später von den Protestanten in den Mund“ gelegt.[2] Mit der Konversion stand seinem Thronanspruch nichts mehr im Wege. Er wurde am 27. Februar 1594 in der Kathedrale Notre-Dame de Chartres gesalbt und als Heinrich IV. zum König gekrönt. Die päpstliche Absolution erfolgte allerdings erst 1595.[3](Wikipedia)
Die feierliche Handlung
Das heilige Öl, um einen König von Frankreich zu salben und zu weihen, wurde in Reims aufbewahrt; aber diese Stadt gehörte bis jetzt der Liga. Auch die Hauptstadt war noch immer in der Hand des Feindes. Dringend darauf bedacht, nach Paris hineinzugelangen, mußte Henri vorher durchaus gesalbt und gekrönt sein. Wenn er selbst diese Verpflichtung unterschätzt hätte, alle anderen hatten es mit ihr höchst wichtig; daher wurde nach einem heiligen Öl gesucht. Das Beste, das sich vorfand, war mit dem Andenken des heiligen Martin verbunden: dies entschied bei Henri. Er kannte von seinem Königreich, um das er lange gekämpft hatte, jeden Fußbreit, er wußte, weil er selbst gegen sie geritten war, in jeder Ortschaft ihren Schutzherrn: am häufigsten kam Martin vor. Gut, wir bleiben bei Martin -- und statt Reims nehmen wir die Stadt Chartres mit ihrer allgemein verehrten Kathedrale. Kein guter Katholik wird die feierliche Handlung für gering ansehen, wenn die Kathedrale von Chartres ihr Schauplatz ist. [...]
Die feierliche Handlung von Chartres war von Grund her aufzubauen; alles fehlte, die handelnden Personen wie die Gegenstände, die in Händen gehalten werden sollten. Krone, Zepter und das übrige Zubehör, die Aufständischen hatten es, je nach seiner Beschaffenheit, eingeschmolzen, zerbrochen, zerrissen oder einfach geraubt. Die Würdenträger, die zufolge ihrem Amt die Berufenen gewesen wären, standen entweder auf Seiten des Feindes oder befanden sich in seiner Gewalt, besonders die Bischöfe. Einige weltliche Herren entschuldigten sich, weil sie der königlichen Macht mißtrauten. Paris bleibt spanisch, wozu dann feierliche Handlungen. Zum Glück gibt es immer Getreue, die kurzweg die nächste Arbeit anfassen, wie zum Beispiel die Justizhand mit den beiden Eidesfingern, das heldenmäßige Schwert und die gewirkten Stoffe, groß genug, um die Mauern einer Kirche zu verkleiden. Das wurde in Eile angefertigt oder beschafft; andere Komparsen ersetzten die ausgebliebenen, mit ihnen wurde der Vorgang erprobt, damit keiner aus der Rolle fiele; und am Morgen der feierlichen Handlung standen zwei Edelleute um drei Uhr auf: die Kathedrale mußte fertig werden.
Der König hatte den ganzen vorigen Tag voll ausgefüllt, um Predigten zu hören, worin die Bedeutung der feierlichen Handlung ihm erklärt wurde; um zu beichten und zu beten. Am siebenundzwanzigsten Februar früh geleiteten ihn zu der feierlichen Handlung zwei Bischöfe und mehrere Große, unter denen er den Ersten vorstellte. Er trug eine Gewandung, die er nie für möglich gehalten hätte: ein umfänglicher Überwurf, Leinen versilbert, darunter ein langes Hemd, karminrote Seide. Sah aus wie eine Erscheinung jenseits der Zeiten, aber seine Damen hatten es so gewollt, seine liebe Schwester, seine treue Herrin, und dahinter eigentlich die Dame de Sourdis, da ihr Freund, der Kanzler de Cheverny, auf hohe Form hielt. Der Kanzler und mehrere andere Herren seines Ranges folgten dem König auf dem Fuß, darunter der Großstallmeister, Herzog von Bellegarde. Henri unterschied den Schritt seines alten Freundes Feuillemorte von denen der anderen, hätte sich gern umgewendet und ihm zugelacht; seine sonderbare Tracht, um nur sie zu erwähnen, verbot es ihm. Übrigens war er auch in dieser Kathedrale wieder den Blicken einer Menge ausgesetzt, Herolde und ein großer Pomp von sichtbaren Zeichen der Macht, sogar ein Connétable mit entblößtem Schwert betraten vor ihm die Fliesen des Schiffes. Danach folgte er selbst ganz allein, mit einer Feierlichkeit, die niemand ganz verstand, am wenigsten er selbst, und zweifelte: ›Ist sie großartig? Ist sie am Ende drollig?‹ [...]
Die feierliche Handlung mißfällt ihm; er sieht nicht, wie sie der Sittigung der Zuchtlosen dienen könnte. Allerdings fühlt er hier auch nicht die Gegenwart des Mörders -- was erstens eine große Erleichterung ist; es könnte dennoch bedeuten, daß Salbung, Krönung und die Wucht des heutigen Vorganges seine Person für einige Zeit unverletzlich machen. Der Rechtsgelehrte hat mit seinem bitteren Wort zuletzt geirrt. Zweitens, da die Lebensgefahr sich von ihm entfernt, wird dieser König ernst, er bekommt den Ernst zurück, und der war vorher liegengeblieben in einem buckligen Wirtshaus, wo ein Narr agierte, oder auch in einer Badstube, beim Auftreten desselben Narren. Ganz anders, wenn der König seinen treuen Rosny betrachtet.
Während der Dauer der Zeremonie kehrte Henri immer wieder zu dem Gesicht des Barons zurück, und mehrmals erschrak er: der war der einzige Echte hier. Den hätten sie von der Front der Kathedrale herabnehmen können: er würde auch dort seinen Mann stehen, als Steinfigur mit einfachen, großen Zügen, und nichts bewegte sie. Der Protestant hörte den König die Vernichtung der Ketzer beschwören, sein Angesicht blieb fest. Er war zugegen, er wirkte mit und stand seinen Mann, indessen sein Inneres sprach: ›Larifari.‹ Das sprach für ihn allein die kahle Schlichtheit des Hugenotten, es war seine Ansicht von der feierlichen Handlung. ›Tand, Weiberfang, dem Herrn ein Greuel‹, hätte die innere Stimme gerufen, wenn der Baron sie hätte etwas melden lassen. Der weltkluge Rosny verurteilte die störende Stimme, zu schweigen, und was er wirklich äußerte durch Gestalt und Miene, war treu und fest der Diener seines Königs. Henri, mit Männern ohnedies erfahren, kannte seinen Rosny; aber hier, inmitten der feierlichen Handlung, wurde ihm gewiß, daß der sein Mann für immer wäre.
Nicht lange danach berief er ihn in seinen Rat. Weiter besorgte Rosny es selbst, daß er der Herzog von Sully wurde, allmächtig in den Finanzen des Königreiches, Großmeister einer Artillerie, derengleichen nicht war gesehen worden, und praktisch der Arm des Königs -- solange sein großer König da war, und keine Minute länger. Dem hat er sich verschrieben und seine Sache auf ihn gestellt, ungeachtet innerer Stimmen eines alten Hugenotten. [...]"
(Heinrich Mann: Die Vollendung des Königs Henri IV, Kapitel 4: Die feierliche Handlung)
Sieh auch:
Die Jugend der Königs Henri Quatre (norberto42)
Die Jugend der Königs Henri Quatre (Wikipedia)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen