29 Mai 2021

Hölderlin: Der Tod des Empedokles

Erster Akt

1.

Panthea. Delia.

"Panthea. Dies ist sein Garten! Dort im geheimen Dunkel, wo die Quelle springt, dort stand er jüngst, als ich vorüberging – du hast ihn nie gesehn?

Delia. O Panthea! Bin ich doch erst seit gestern mit dem Vater in Sizilien. Doch ehemals, da ich noch ein Kind war, sah ich ihn auf einem Kämpferwagen bei den Spielen in Olympia. Sie sprachen damals viel von ihm, und immer ist sein Name mir geblieben.

Panthea. Du mußt ihn jetzt sehn, jetzt! Man sagt, die Pflanzen merkten auf ihn, wo er wandre, und die Wasser der Erde strebten herauf, da wo sein Stab den Boden berühre, und wenn er bei den Gewittern in den Himmel blicke, teile die Wolke sich, und hervor schimmre der heitre Tag. – Das all mag wahr sein! Doch was sagt's? Du mußt ihn selbst sehen! einen Augenblick! und dann hinweg! ich meid' ihn selbst, ein furchtbar, allverwandelnd Wesen ist er.

Delia. Wie lebt er denn mit anderen? Ich begreife nichts von diesem Manne. Sage, hat er, wie wir, auch seine leeren Tage, wo man sich alt und unbedeutend dünkt? Und gibt es auch ein menschlich Leid für ihn?

Panthea. Ach! da ich ihn zum letzten Male dort
Im Schatten seiner Bäume sah, da hatt' er wohl
Sein eigen tiefes Leid – der Göttliche.
Mit wunderbarem Sehnen, traurigforschend,
Wie wenn er viel verloren, blickt' er bald
Zur Erd' hinab, bald durch die Dämmerung
Des Hains hinauf, als wär' ins ferne Blau
Das Leben ihm entflogen, und die Demut
Des königlichen Angesichts ergriff
Mein ringend Herz: – auch du mußt untergehn,
Du schöner Stern – und lange währet's nicht mehr!
Das ahnte mir.

Delia. Hast Du mit ihm auch schon gesprochen, Panthea?

Panthea. Oh, daß du daran mich erinnerst! Es ist nicht lange, daß ich todeskrank daniederlag. Schon dämmerte der Tag vor mir, und um die Sonne wankte, wie ein seellos Schattenbild, die Welt. Da rief mein Vater, wenn er schon ein arger Feind des hohen Mannes ist, am hoffnungslosen Tage den Vertrauten der Natur; und als der Herrliche den Heiltrank mir gereicht, da schmolz in zauberischer Versöhnung mir mein kämpfend Leben ineinander und wie zurückgekehrt in süße, sinnenfreie Kindheit schlief ich wachend viele Tage fort und kaum bedurft' ich eines Atemzugs. Wie nun in frischer Luft mein Wesen sich zum ersten Male wieder der lang entbehrten Welt entfaltete, mein Auge sich in jugendlicher Neugier dem Tag erschloß, da stand Empedokles! o wie göttlich und wie gegenwärtig mir! Am Lächeln seiner Augen blühte mir das Leben wieder auf! Ach, wie ein Morgenwölkchen floß mein Herz dem hohen süßen Licht entgegen, und ich war der zarte Widerschein von ihm.

Delia. O Panthea!

Panthea. Der Ton aus seiner Brust! in jeder Silbe klangen alle Melodien! und der Geist in seinem Wort! – Zu seinen Füßen möcht' ich sizen, stundenlang, als seine Schülerin, sein Kind, in seinen Äther schaun und auf zu ihm frohlocken, bis in seinen Himmelshöhen sich mein Sinn verlöre droben.

Delia. Was würd' er sagen, Liebe, wenn er's wüßte!

Panthea. Er weiß es nicht, der Unbedürft'ge wandelt
In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht
Er unter seinen Blumen, und es scheun
Die Lüfte sich, den Glücklichen zu stören;
Ihm schweigt die Welt, und aus sich selber wächst
In steigendem Vergnügen die Begeisterung
Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpfrischen
Entzückens wie ein Funke der Gedanke springt,
Und heiter sich die Geister künft'ger Taten
In seine Seele drängten, und die Welt,
Der Menschen gärend Leben und die stillere
Natur um ihn erscheint – hier fühlt er, wie ein Gott,
In seinen Elementen sich, und seine Lust
Ist himmlischer Gesang. Und dann tritt er
Heraus ins Volk an Tagen, wo die Menge
Sich überbraust, und eines Mächtigern
Der unentschlossene Tumult bedarf
Da herrscht er dann, der herrliche Pilot,
Und hilft hinaus; und wenn sie dann erst recht
Ihn sehn, des immer fremden Mannes sich
Gewöhnen möchten, ehe sie's gewahren,
Ist er hinweg – ihn zieht in ihre Schatten
Die stille Pflanzenwelt, wo er sich schöner findet,
Und ihr geheimnisvolles Leben, das vor ihm
In seinen Kräften allen gegenwärtig ist.

Delia. O Sprecherin! wie weißt du denn das alles?

Panthea. Ich sinn ihm nach – wieviel ist über ihn
Mir noch zu sinnen? ach! und hab' ich ihn
Gefaßt, was ist's? Er selbst zu sein, das ist
Das Leben, und wir andern sind der Traum davon.
Sen Freund Pausanias hat auch von ihm
Schon manches mir erzählt – der Jüngling sieht
Ihn Tag vor Tag, und Jovis Adler ist
Nicht stolzer denn Pausanias, ich glaub' es!

Delia. Ich kann nicht tadeln, Liebe, was du sagst,
Doch trauert meine Seele wunderbar
Darüber, und ich möchte sein wie du,
Und möcht' es wieder nicht. Seid ihr denn all
Auf dieser Insel so? Wir haben auch
An großen Männern unsre Lust, und einer
Ist jetzt die Sonne der Athenerinnen,
Sophokles! dem von allen Sterblichen
Zuerst der Jungfrau herrlichste Natur
Erschien und sich zu reinem Angedenken
In seine Seele gab –
Und jede wünscht sich, ein Gedanke
Des Herrlichen zu sein und möchte gern
Die immerschöne Jugend, eh' sie welkt,
Hinüber in des Dichters Seele retten
Und frägt und sinnet, welche von den Jungfrauen
Der Stadt die zärtlichernste Heroide sei,
Die seiner Seele vorgeschwebt, die er
Antigone genannt; und helle wird's
Um unsere Stirne, wenn der Götterfreund
Am heitern Festtag ins Theater tritt,
Doch kummerlos ist unser Wohlgefallen,
Und nie verliert das liebe Herz sich so
In schmerzlich fortgerißner Huldigung. –
Du opferst dich – ich glaub' es wohl, er ist
Zu übergroß, um ruhig dich zu lassen,
Den Unbegrenzten liebst Du unbegrenzt,
Was hilft es ihm? Dir selbst, dir ahndete
Sein Untergang, du gutes Kind, und du
Sollst untergehn mit ihm?

Panthea. O mache mich
Nicht stolz, und fürchte, wie für ihn, für mich nicht!
Ich bin nicht er, und wenn er untergeht,
So kann sein Untergang der meinige
Nicht sein, denn groß ist auch der Tod der Großen. –
Und will der Waffenträger mit dem Helden
Durch eine Schicksalsflamme gehn, so muß
Der eine wie der andere dazu
Berufen sein; – was diesem Manne widerfährt
Das glaube mir, das widerfährt nur ihm,
Und hätt' er gegen alle Götter sich
Versündiget und ihren Zorn auf sich
Geladen, und ich wollte sündigen,
Wie er, um gleiches Los mit ihm zu leiden,
So wär's, wie wenn ein Fremder in den Streit
Der Liebenden sich mischt. – "Was willst du?" sprächen
Die Götter mir, "du Törin, kannst uns nicht
Beleidigen wie er –"

Delia. Du bist vielleicht
Ihm gleicher, als du denkst, wie fändest du sonst
An ihm ein Wohlgefallen.

Panthea. Liebes Herz!
Ich weiß es selber nicht, warum ich ihm
Gehöre; sähst du ihn! – Ich dacht', er käme
Vielleicht heraus, um diese Stunde geht
Der Ewigjugendliche gern im Haine,
Wenn einen Augenblick der frische Tag
Ihm gleicht; du hättest dann im Weggehn ihn
Gesehn; es war ein Wunsch! nicht wahr? ich sollte
Der Wünsche mich entwöhnen, denn es scheint,
Als liebten unser ungeduldiges Gebet die Götter nicht; sie haben recht!
Ich will auch nimmer – aber hoffen muß
Ich doch, ihr guten Götter, und ich weiß
Nicht anderes denn ihn – ich wollte gern,
Ich bäte, gleich den übrigen, von euch
Nur Sonnenlicht und Regen, könnt' ich nur!
O ewiges Geheimnis! was wir sind
Und suchen, können wir nicht finden, was
Wir finden, sind wir nicht. – Wieviel ist wohl
Die Stunde? –

Delia. Dort kommt dein Vater,
Ich weiß nicht, bleiben oder gehen wir?

Panthea. Wie sagtest du? Mein Vater? Komm! hinweg!

2.

Chor der Agrigentiner in der Ferne

Kritias. Hermokrates

Kritias. Hörst du das trunkne Volk?

Hermokrates. Sie suchen ihn.

Kritias. Der Geist des Manns
Ist mächtig unter ihnen.

Hermokrates. Ich weiß, wie dürres Gras
Entzünden sich die Menschen.

Kritias. Das einer so die Menge bewegt, mir ist's
Als wie wenn Jovis Blitz den Wald
Ergreift und furchtbarer.

Hermokrates. Darum binden wir den Menschen auch
Das Band ums Auge, daß sie nicht
Zu kräftig sich am Lichte nähren.
Nicht gegenwärtig werden
Darf Göttliches vor ihnen,
Es darf ihr Herz
Lebendiges nicht finden.
Kennst du die Alten nicht,
Die Lieblinge des Himmels man nennt!
Sie nährten die Brust
An Kräften der Welt,
Und den Hellaufblickenden war
Unsterbliches nahe,
Drum beugten die Stolzen
Das Haupt auch nicht,
Und vor den Gewaltigen konnt'
Ein anderes nicht bestehn,
Es ward verwandelt vor ihnen.

Kritias. Und er?

Hermokrates. Das hat zu mächtig ihn
Gemacht, daß er vertraut
Mit Göttern worden ist.
Es tönt sein Wort dem Volk,
Als käm' es vom Olymp;
Sie danken's ihm,
Daß er vom Himmel raubt'
Die Lebensflamm' und sie
Verrät den Sterblichen.

Kritias. Sie wissen nichts denn ihn,
Er soll ihr Gott,
Er soll ihr König sein.
Sie sagen, es hab' Apoll
Die Stadt gebaut den Trojern,
Doch besser sei, es helf'
Ein hoher Mann durchs Leben.
Noch sprechen sie viel Unverständiges
Von ihm und achten kein Gesetz
Und keine Not und keine Sitte.
Ein Irrgestirn ist unser Volk
Geworden, und ich fürcht',
Es deute dieses Zeichen
Zukünft'ges noch, das er
Im stillen Sinne brütet.

Hermokrates. Sei ruhig, Kritias!
Er wird nicht.

Kritias. Bist du denn nicht mächtiger?

Hermokrates. Der sie versteht,
Ist stärker denn die Starken,
Und wohlbekannt ist dieser Seltne mir.
Zu glücklich wuchs er auf;
Ihm ist von Anbeginn
Der eigne Sinn verwöhnt, daß ihn
Geringes irrt! er wird es büßen,
Daß er zu sehr geliebt die Sterblichen.

Kritias. Mir ahndet selbst,
Es wird mit ihm nicht lange dauern,
Doch ist es lang genug,
So er est fällt, wenn's ihm gelungen ist.

Hermokrates. Und schon ist er gefallen.

Kritias. Was sagst du?

Hermokrates. Siehst du denn nicht? es haben
Den hohen Geist die Geistesarmen
Geirrt, die Blinden den Verführer.
Die Seele warf er vor das Volk, verriet
Der Götter Gunst gutmütig den Gemeinen,
Doch rächend äffte leeren Widerhalls
Genug denn auch aus toter Brust den Toren.
Und eine Zeit ertrug er's, grämte sich
Geduldig, wußte nicht,
Wo es gebrach; indessen wuchs
Die Trunkenheit dem Volke; schaudernd
Vernahmen sie's, wenn ihm vom eignen Wort
Der Busen bebt', und sprachen:
So hören wir nicht die Götter!
Und Namen, so ich die nicht nenne, gaben
Die Knechte dann dem stolzen Trauernden.
Und endlich nimmt der Durstige das Gift,
Der Arme, der mit seinem Sinne nicht
Zu bleiben weiß und ähnliches nicht findet,
Er tröstet mit der rasenden
Anbetung sich, verblindet, wird wie sie,
Die seelenlosen Abergläubigen;
Die Kraft ist ihm entwichen,
Er geht in einer Nacht, und weiß sich nicht
Herauszuhelfen, und wir helfen ihm.

Kritias. Des bist du so gewiß?

Hermokrates. Ich kenn' ihn.

Kritias. Ein übermütiges Gerede fällt
Mir bei, das er gemacht, da er zuletzt
Auf der Agore war. Ich weiß es nicht,
Was ihm das Volk zuvor gesagt; ich kam
Nur eben, stand von fern. "Ihr ehret mich,"
Antwortet' er, "und tuet recht daran;
Denn stumm ist die Natur,
Es leben Sonn' und Luft und Erd' und ihre Kinder
Fremd umeinander,
Die Einsamen, als gehörten sie sich nicht.
Wohl wandeln immerkräftig
Im Göttergeiste die freien
Unsterblichen Mächte der Welt
Rings um der andern
Vergänglich Leben,
Doch wilde Pflanzen
Auf wilden Grund
Sind in den Schoß der Götter
Die Sterblichen alle gesäet,
Die Kärglichgenährten, und tot
Erschiene der Boden, wenn einer nicht
Des wartete, lebenerweckend –
Und mein ist das Feld. Mir tauschen
Die Kraft und Seele zu einem
Die Sterblichen und die Götter.
Und wärmer umfangen die ewigen Mächte
Das strebende Herz, und kräft'ger gedeihn
Vom Geiste der Freien die fühlenden Menschen,
Und wach ist's! denn ich
Geselle das Fremde,
Das Unbekannte nennet mein Wort,
Und die Liebe der Lebenden trag'
Ich auf und nieder; was einem gebricht,
Ich bring' es vom andern, und binde
Beseelend und wandle
Verjüngend die zögernde Welt
Und gleiche keinem und allen",
So sprach der Übermütige.

Hermokrates. Das ist noch wenig. Ärgers schläft in ihm.
Ich kenn' ihn, kenne sie, die überglücklichen,
Verwöhnten Söhne des Himmels
Die anders nicht, denn ihre Seele, fühlen.
Stört einmal sie der Augenblick heraus –
Und leicht zerstörbar sind die Zärtlichen –
Dann stillet nichts sie wieder, brennend
Treibt eine Wunde sie, unheilbar gärt
Die Brust. Auch er! so still er scheint,
So glüht im doch, seit ihm das Volk mißfällt,
Im Busen die tyrannische Begierde.
Er oder wir! Und Schaden ist es nicht,
So wir ihn opfern. Untergehen muß
Er doch!

Kritias. O reiz' ihn nicht! und laß
Sie sich ersticken, die verschloß'ne Flamme.
Laß ihn, gib ihm nicht Anstoß, findet den
Zu frecher Tat der Übermüt'ge nicht,
Und kann er nur im Worte sündigen,
So stirbt er als ein Tor und schadet uns
Nicht viel. Das macht ihn furchtbar,
Ein kräft'ger Gegner; glaub' es mir, dann erst,
Dann fühlt er seine Macht.

Hermokrates. Du fürchtest ihn und alles, armer Mann!

Kritias. Die Reue nur mag ich mir gerne sparen –
Mag gerne schonen, was zu schonen ist.
Die Nemesis zu ehren, lehrte mich
Mein Leben und mein Sinn; das braucht
Der Priester nicht, der alles weiß,
Der Heil'ge, der sich alles heiliget.

Hermokrates. Begreife mich, Unmündiger! eh' du
Mich lästerst. Fallen muß der Mann; ich sag'
Es dir, und glaube mir, wär' er zu schonen,
Ich würd' es mehr wie du. Denn näher bin
Ich ihm, wie du. Doch lerne das:
Verderblicher, denn Schwert und Feuer ist
Der Menschengeist, der götterähnliche,
Wenn er nicht schweigen kann und sein Geheimnis
Unaufgedeckt bewahren. Bleibt er still
In seiner Tiefe ruhn und gibt, was not ist,
Wohltätig ist er dann; ein fressend Feuer,
Wenn er aus seiner Fessel bricht.
Hinweg mit ihm, der seine Seele bloß
Und ihre Götter gibt, verwegen
Aussprechen will Unauszusprechendes,
Und sein gefährlich Gut, als wär' es Wasser,
Verschüttet und vergeudet; schlimmer ist's
Wie Mord, und du, du redst für diesen?
Beschwätzen möchtest du Notwendiges?
Sein Schicksal ist's. Er hat es sich
Gemacht, und leben soll,
Wie er, und vergehn, wie er, in Weh
Und Torheit jeder, der wie er
Das Göttliche verrät und allverkehrend
Verborgenherrschendes
In Menschenhände liefert!
Er muß hinab!

Kritias. So teuer büßen muß er's, der sein Bestes
Aus voller Seele Sterblichen vertraut?

Hermokrates. Er mag es, doch es bleibt die Nemesis
Nicht aus, mag große Worte sagen, mag
Entwürdigen das keusch verschwiegne Leben,
Aus Tageslicht das Gold der Tiefe ziehn,
Er mag es brauchen, was zum Brauche nicht
Den Sterblichen gegeben ist, ihn wird's
Zuerst zugrunde richten,
Hat's ihm den Sinn nicht schon verwirrt? Ist
Bei seinem Volke denn die volle Seele,
Die zärtliche, nicht schon genug verwildert?
Wie ist er nun ein Eigenmächtiger
Geworden, dieser Allmitteilende!
Der güg'ge Mann, wie ist er so verwandelt
Zum Frechen, der wie seiner Hände Spiel
Die Götter und die Menschen achtet!

Kritias. Du redest schrecklich, Priester, und es dünkt
Dein dunkel Wort mir wahr. Es sei!
Du hast zum Werke mich, nur weiß ich nicht,
Wo er zu fassen ist; es sei der Mann
So groß er will, zu richten ist nicht schwer;
Doch mächtig sein des Übermächtigen,
Der, wie ein Zauberer, die Menge leitet,
Es dünkt ein andres mir, Hermokrates.

Hermokrates. Gebrechlich ist sein Zauber, Kind, und leichter
Denn nötig ist, hat er es uns bereitet,
Es wandte zur gelegnen Stunde sich
Sein Unmut um, der still empörte Sinn
Befeindet nun sich selber, hätt' er auch
Die Macht, er achtet's nicht, er trauert nur
Und siehet seinen Fall, er sucht
Rückkehrend das verlorne Leben,
Den Gott, den er aus sich hinweggeschwätzt.
Versammle mir das Volk, ich klag' ihn an,
Ruf' über ihn den Fluch, erschrecken sollen sie
Vor ihrem Abgott, sollen ihn
Hinaus verstoßen in die Wildnis,
Und nimmer wiederkehrend soll er dort
Mir's büßen, daß er mehr, wie sich gebührt,
Den Sterblichen verkündiget.

Kritias. Doch wes beschuldigest du ihn?

Hermokrates. Die Worte, so du mir genannt,
Sie sind genug.

Kritias. Mit dieser schwachen Klage
Willst du das Volk ihm von der Seele ziehen?

Hermokrates. Zu rechter Zeit hat jede Klage Kraft,
Und nicht gering ist diese.

Kritias. Und klagtest du des Mords ihn an vor ihnen,
Es rührte nichts die Abergläubigen.

Hermokrates. Dies eben ist's, die offenbare Tat
Vergeben sie, die Abergläubigen,
Unsichtbar muß es sein, ins Auge muß es
Sie treffen, das bewegt die Blöden.

Kritias. Es hängt ihr Herz an ihm, das bändigest,
Das lenkst du nicht so leicht; sie lieben ihn.

Hermokrates. Sie lieben ihn? jawohl, solang er blüht'
Und glänzt' – – – – – – naschen sie;
Was sollen sie mit ihm, nun er
Verdüstert ist, verödet? Da ist nichts,
Was nützen könnt' und ihre lange Zeit
Verkürzen, abgeerntet ist das Feld,
Verlassen liegt's, und nach Gefallen gehn
Der Sturm und unsre Pfade drüber hin!

Kritias. Empör' ihn nur! empör' ihn! siehe zu!

Hermokrates. Ich hoff', er ist geduldig.

Kritias. So wird sie der Geduldige gewinnen!

Hermokrates. Nichts weniger!

Kritias. Du achtest nichts, du wirst dich
Und mich und ihn und alles noch verderben.

Hermokrates. Das Träumen und das Schäumen
Der Sterblichen, ich acht' es wahrlich nicht!
Sie möchten Götter sein und huldigen
Wie Göttern sich, und eine Weile dauert's!
Sorgst du, es möchte sie der Leidende
Gewinnen, der Geduldige?
Empören wird er gegen sich die Toren,
An seinem Leide werden sie den teuern
Betrug erkennen, werden unbarmherzig
Ihm's danken, daß der Angebetete
Doch auch ein Schwacher ist, und ihm
Geschiehet recht, warum bemengt er sich
Mit ihnen.

Kritias. Ich wollt' ich wär' aus dieser Sache, Priester!

Hermokrates. Vertraue mir und scheue nicht, was not ist.

Kritias. Dort kömmt er. Suche nur dich selbst,
Du irrer Geist, indes verlierst du alles.

Hermokrates. Laß ihn! hinweg!

3.

Empedokles

In meine Stille kamst du leisewandelnd
Fandst drinnen in der Halle Dunkel mich aus,
Du Freundlicher, du kamst nicht unverhofft,
Und fernher wirkend über der Erde vernahm
Ich wohl dein Wiederkehren, schöner Tag!
Und meine Vertrauten, euch, ihr schnellgeschäft'gen
Kräfte der Höh'! und nahe seid auch ihr
Mir wieder, seid wie sonst, ihr Glücklichen,
Ihr irrelosen Bäume meines Hains!
Ihr ruhetet und wuchst und täglich tränkte
Des Himmels Quelle die bescheidenen
Mit Licht; und Lebensfunken sätest du
Befruchtend auf die blühenden aus, du Äther!
O innige Natur! ich habe dich
Vor Augen, kennest du den Freund noch,
Den Hochgeliebten, kennest du mich nimmer?
Den Priester, der lebendigen Gesang
Wie frohvergoßnes Opferblut dir brachte.

O bei den heiligen Bäumen,
Wo Wasser aus den Adern der Erde
Sich sammeln und am heißen Tage
Die Dürstenden erfrischen,
Auch mir, ihr Quellen des Lebens, strömtet
Aus Tiefen der Welt ihr einst
Zusammen, und es kamen
Die Dürstenden zu mir; – wie ist's denn nun
Verträumt? bin ich ganz allein?
Und ist es Nacht hier außen auch am Tage?
Der höher, denn ein sterblich Auge, sah,
Der Blindgeschlagne tastet nun umher –
Wo seid ihr, meine Götter?
Weh! laßt ihr nun
Wie einen Bettler mich?
Und diese Brust, die liebend euch geahndet,
Was stoßt ihr sie hinab
Und schloßt sie mir in schmählich enge Bande
Die freigeborne? Und leben soll
Er nun so fort, der Langverwöhnte,
Der selig oft mit allen Lebenden
Ihr Leben, – ach! in heilig schöner Zeit
Sich wie das Herz gefühlt von einer Welt
Und ihren Götterkräften, –
Verdammt in seiner Seele soll er so
Dahingehn, ausgestoßen, freundlos, er
Der Götterfreund, an seinem Nichts
Und seiner Nacht sich weiden immerdar,
Unduldbares duldend, gleich den Schwächlingen, die
Ans Tagewerk im scheuen Tartarus
Geschmiedet sind? Was, daherab bin ich
Gekommen? Um nichts? ha! Eines,
Eins mußtet ihr mir lassen! Tor bist Du
Derselbe doch und träumst, als wärest du
Ein Schwacher. Einmal noch! noch einmal
Soll mir's lebendig werden und ich will's!
Fluch oder Segen! Täusche nur die Kraft,
Demütiger, dir nimmer aus dem Busen!
Weit will ich's um mich machen, tagen soll's
Von eigner Flamme mir, du sollst
Zufrieden werden, armer Geist,
Gefangener, frei, groß und reich
In eigner Welt dich fühlen – –
Weh! einsam! einsam! einsam!
Und nimmer find' ich
Euch, meine Götter
Und nimmer kehr' ich
Zu deinem Leben, Natur!
Dein Geächteter! weh! Hab' ich doch auch
Dein nicht geachtet, dein
Mich überhoben, hast du nicht
Umfangend mit den warmen Fittichen,
Du Zärtliche, mich vom Schlafe gerettet?
Den Törichten schmeichelnd zu deinem Nektar
Gelockt, damit er trank und wuchs
Und blüht' und mächtig geworden und trunken
Deiner ungestraft höhnt? O Geist,
Geist, der mich groß gemacht, du hast
Dir einen Helden, hast, alter Saturn,
Dir einen neuen Jupiter
Gezogen, einen schwächern nur und frechern.
Denn schmähen kann die böse Zunge dich nur.
Es ist vorbei! Verbirg dir's nicht! du hast
Es selbst verschuldet, armer Tantalus,
Das Heiligtum hast du geschändet, hast
Mit frechem Stolz den schönen Bund entzweit.
Elender! als die Genien der Welt
Voll Liebe sich in dir vergaßen, dachtest du
An dich, und wähntest, karger Tor, an dich
Die Gütigen verkauft, daß sie dir,
Die Himmlischen, wie blöde Knechte dienten.
Ist nirgends ein Rächer, und muß ich denn allein
Den Hohn und Fluch in meine Seele sagen?
Muß einsam sein? auch so? Und es reißt
Die delphische Krone mir kein Besserer,
Denn ich, vom Haupt und nimmt die Locken hinweg,
Wie es dem kahlen Seher gebührt, – o Götter! [...]"

(Hölderlin: Der Tod des Empedokles, 1. Akt 1-3)

Text: https://www.projekt-gutenberg.org/hoelderl/empedok/empedok1.html


Als Hölderlin in jugendlichem Alter seiner Mutter das Gedicht An die Parzen mit den Zeilen

"einmal /Lebt ich wie Götter und mehr bedarfs nicht" schrieb, ängstigte er seine Mutter. Sie kannte ihn wohl zu gut, um Beschwichtigungen zu glauben. Sein Empedokles und sein Gedicht Dichtermut mit den Zeilen "Freudig starb er und noch klagen die Einsamen,/  Seine Haine, den Fall ihres Geliebtesten" nehmen den Gedanken wieder auf, aber verbunden mit dem Gefühl, seiner anspruchsvollen Sendung aufgrund seines Schicksals nicht gerecht geworden zu sein. 

Dass das Drama Fragment blieb, mag man als Zeichen dafür deuten, dass er, der "die Tragödie als höchste der literarischen Gattungen betrachtete" (Wikipedia) seinen Versuch, sein Leiden an der Welt dichterisch gültig zu verarbeiten, - zumindest bei diesem Versuch - als gescheitert ansah. 

Keine Kommentare: