"[...] »Es gibt kein Gesetz, das einem Volke einen Vorrang vor anderen zugesteht. Hat ein Volk sich zur Macht erhoben und seine Aufgabe vollbracht, so geht es zu Grunde, um einem andern Platz zu machen, das seine Macht erbt und neue Namen auf die alten Denkmäler schreibt. Das ist die Weltgeschichte. Ich will nicht behaupten, daß es im Fortschritt der Nationen keinen Unterschied gibt, kein Volk gleicht vollkommen dem andern. Das größte Volk ist aber jenes, das Gott am nächsten steht. Dein Freund – oder dein ehemaliger Freund – hat, wenn ich dich recht verstehe, behauptet, wir hätten keine Dichter, Künstler und Krieger, damit wollte er, glaube ich, sagen, wir hätten überhaupt keine großen Männer. Fehlt es uns nun wirklich an großen Männern? Ein großer Mann, mein Kind, ist derjenige, dessen Leben den Beweis liefert, daß er von Gott, wenn nicht ausdrücklich berufen, so doch in seinem Wirken geleitet wurde. Ein Perser ward das Werkzeug Gottes zur Bestrafung unserer Väter, da sie von ihm abfielen, er führte sie in die Gefangenschaft. Ein anderer Perser wurde auserwählt, ihre Kinder in das heilige Land zurückzuführen. Größer als beide indes war Alexander, durch den der Herr die Verwüstung Judäas und die Zerstörung des Tempels rächte. Der besondere Vorzug dieser Männer bestand darin, daß sie von Gott zur Vollstreckung seines Willens ausersehen wurden; daß sie Heiden waren, kann ihren Ruhm nicht schmälern.
Allgemein herrscht die Ansicht, daß der Krieg die edelste Beschäftigung des Mannes sei, daß der höchste Ruhm nur auf dem Schlachtfelde errungen werden könne. Wenn auch die Welt diese Ansicht angenommen hat, laß dich durch sie nicht täuschen. Der Mensch muß etwas Höheres über sich anerkennen und verehren; das ist ein Gesetz, das so lange gelten wird, als es Dinge gibt, die seinem Verstande unfaßbar sind. Das Gebet des Barbaren ist ein Aufschrei der Furcht vor einer überlegenen Kraft, der einzigen göttlichen Eigenschaft, die er klar erkennt. Wir aber waren die ersten, die über diesen rohen, barbarischen Glauben hinausgingen. An die Stelle der rohen Kraft setzten unsere Väter Gott, der Erguß der Furcht wich in unserem Kult dem Hosiannagesang und den Psalmen. Die Herrschaft der Römer ist weiter nichts als ein Rückfall in die alte Barbarei. Die Römer setzen den Krieg über alles, und nirgends außer im Kriegswesen hat Rom Selbständiges geschaffen. Seine Spiele und Schaustellungen sind griechische Einrichtungen, denen nur die Grausamkeit der Römer einen blutigen Charakter gegeben hat. Roms Religion – wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann – setzt sich aus Gebräuchen und Lehren aller anderen Nationen zusammen. Seine höchst verehrten Götter – Mars und selbst Jupiter nicht ausgenommen – entstammen dem griechischen Olymp. Der Römer ist gegen die Vorzüge anderer Völker blind, seine Selbstsucht verhüllt sein Auge wie mit einem dichten Schleier, der ebenso undurchdringlich ist wie sein Brustpanzer. O die ruchlosen Räuber! Unter ihrem Tritte erdröhnt die Erde wie eine mit Dreschflegeln bearbeitete Tenne. Unter anderen Völkern – ach, daß ich es dir sagen muß, mein Sohn! – sind auch wir gefallen. [...]"
(Lewis Wallace: Ben Hur, 7. Kapitel )
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